Sonntag, 21. September 2025

Rezension: Der Kreuzweg der Raben von Andrzej Sapkowski


Der Kreuzweg der Raben
Autor: Andrzej Sapkowski
Übersetzer: Erik Simon
Hardcover: 352 Seiten
Erschienen am 2. September 2025
Verlag: dtv
Link zur Buchseite des Verlags

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Geralt von Riva hat erst kürzlich seine Ausbildung zum Hexer in der Festung Kaer Morhen abgeschlossen und ist ins Land Kaedwen gereist, um dort nach Arbeit zu suchen. Schon bald endet er beinahe am Strick, nachdem er einen Räuber getötet hat, der ein Bauernmädchen schänden wollte. Doch er erhält unverhofft Hilfe und lernt so seinen neuen Mentor kennen, den Hexer Preston Holt, von dem er erstaunlicherweise nie zuvor gehört hat. Von ihm lernt er eine neue Art zu kämpfen und erfährt von Vorfällen aus der Vergangenheit der Hexer, die ihm bislang verschwiegen wurden. Er kommt nicht nur Monstern auf die Spur, sondern auch Menschen, die schon lange nichts Gutes mehr im Sinn haben.

Mit „Der Kreuzweg der Raben“ kehrt Andrzej Sapkowski noch einmal ins Witcher-Universum zurück und präsentiert seinen Leser:innen einen jungen, unerfahrenen Geralt von Riva. Er steckt voller Tatendrang, ist aber noch sehr impulsiv und wenig kampferfahren. Damit bringt er sich in Schwierigkeiten, doch zum Glück gibt es auch ihm wohlgesonnene Charaktere, die ihm helfen und von denen er lernen kann. 

Eine Weile wirkt das Buch wie eine lose Aneinanderreihung von Aufträgen und die Kapitel lesen sich wie Kurzgeschichten. Erst mit der Zeit kristallisiert sich ein übergreifender Handlungsbogen heraus, in dem Intrigen, Machtspiele und moralische Entscheidungen im Vordergrund stehen. Wer die Reihe rund um den Witcher bereits kennt, der freut sich über neue Informationen zu den Ursprüngen der Hexer und eine Begegnung mit Nenneke. Aber auch ohne Vorkenntnisse findet man hier ein lesenswertes Abenteuer vor. „Der Kreuzweg der Raben“ ist spannend, intensiv und fesselnd erzählt. Ein Muss für Witcher-Fans und ein idealer Einstieg für alle, die Geralt noch nicht kennen und ganz von vorn beginnen möchten.


Rezension: Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei von Lee Onhwa

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei
Autorin: Lee Onhwa
Übersetzerin aus dem Koreanischen: Alexandra Dickmann
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783651025226

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Die siebenundzwanzigjährige Yeonhwa erbt in Lee Onhwas Roman „Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei“ die Konditorei ihrer Großmutter. Obwohl sie selbst eine talentierte Bäckerin ist, möchte sie das Geschäft zunächst nicht übernehmen. Doch der Anwalt macht ihr aufgrund der Lage wenig Hoffnung auf einen lukrativen Verkauf. Er konfrontiert sie außerdem mit den ungewöhnlichen Bedingungen, die an das Erbe geknüpft sind: Yeonhwa muss die Konditorei mindestens einen Monat lang führen, darf sie nur von 22 Uhr bis Mitternacht öffnen und soll sich auf all das freuen, was in dieser Zeit geschieht.

Bereits an ihrem ersten Abend begegnet sie dem Großhändler Sawol, der sämtliche Zutaten für den Laden besorgt, aber gleichzeitig auch als Schamane tätig ist. Kurz darauf erscheint eine erste Kundin, die ein Geist ist, wie sich schnell herausstellt. Von nun an taucht jede Nacht ein anderer verstorbener Gast auf, der ihr in der Ich-Perspektive von seinem Leben und seinem Tod erzählt. Nach den Rezepten der Großmutter bereitet Yeonhwa jedem von ihnen ein besonderes Gebäck zu, das für die Besuchenden eine magische Wirkung entfaltet. Auf einer dem Buch beigelegten Karte findet sich eines der Rezepte, weitere sind über den aufgedruckten QR-Code im Internet aufrufbar.

Die tragischen und berührenden Geschichten der Toten nehmen einen breiten Raum ein. Lee Onhwa ist eine südkoreanische Autorin, die einiges von der Lebenswelt ihres Landes in den Roman einfließen lässt. Yeonhwa, die im Haus ihrer Großmutter aufgewachsen ist, hat sich mit der Zeit von ihr entfremdet und für sich einen Weg gefunden, in der die Konditorei keine Rolle mehr spielte. Sie wirkt manchmal ein wenig naiv, zeigt jedoch große Empathie und setzt alles daran, den Geistern Trost zu spenden. Gleichzeitig verarbeitet sie dabei ihre eigene Trauer.

„Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei“ von Lee Onhwa ist ein feinfühlig erzählter Roman mit einer Spur von magischem Realismus, der bewegt und nachklingt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Mittwoch, 17. September 2025

Rezension: Goldstrand von Katerina Poladjan

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Goldstrand
Autorin: Katerina Poladjan
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103971767
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Im Roman „Goldstrand“ von Katerina Poladjan liegt der etwa sechzig Jahre alte Filmregisseur Edi in Rom auf der Couch seiner „Dottoressa“ genannten Psychotherapeutin. Die beiden ahben bereits zahlreiche Sitzungen hinter sich. Die Inhalte der mehr als dreißig bereits abgehaltenen Stunden bleiben im Dunkeln. Nun erinnert Edi sich daran, wie seine Eltern sich kennengelernt haben.

Er erzählt, wie sein Großvater zu Beginn der 1920er-Jahre mit seiner Tochter Vera und seinem Sohn Felix wegen der Hungersnot in der Ukraine aus Odessa nach Konstantinopel flieht. Auf der Überfahrt verschwindet Vera spurlos. Niemand hat gesehen, ob sie über Bord ging. Es beginnt eine jahrelange, von Hoffnung und Verzweiflung geprägte Suche nach ihr.

Später erinnert Eli daran, wie seine italienische Mutter im bulgarischen Warna den Architekten Felix kennenlernt und dieser sein Vater wurde. Mit dieser Begegnung ist der Bau des ersten Hotels am sogenannten Goldstrand verbunden, der später ein internationaler Ferienort werden sollte. Hier bestehen keine politisch bedingten Einschränkungen für einen Besuch. Das Trauma von Veras Verschwindens prägt die Familie bis in die Gegenwart. Eli benennt nicht nur seine Tochter nach ihr, sondern widmet der Geschichte seiner Vorfahren auch Filme.

Nach und nach wird deutlich, dass Eli ein unzuverlässiger Erzähler ist, was auch die Dottoressa bemerkt. Er lässt Erinnerungen, Fantasien und Zukunftsvorstellungen ineinanderfließen, sodass der Lesende unsicher wird, was tatsächlich geschehen ist.

Eli erscheint zunächst als ein familienverbundener Mensch, doch seine gescheiterte Ehe, sein distanziertes Verhältnis zur Tochter und ein erschreckender Gedanke, den er etwa in der Mitte des Romans hat, zeichnen ein komplexeres Bild. Im weiteren Verlauf bleiben die Therapiegespräche nicht mehr im vertrauten Dialog, wodurch Edi die Aufmerksamkeit der Dottoressa zu entgleiten droht.

Das Ende der Geschichte bringt eine überraschende Wendung. Obwohl die Handlung stark auf die Figuren fokussiert ist, treten auch die gesellschaftlichen Umbrüche an den Handlungsorten deutlich hervor. Die Fabulierkunst des Filmregisseurs ist stellenweise amüsant, auch wenn einige Geschehnisse tragisch sind.

„Goldstrand“ von Katerina Poladjan ist ein Roman zwischen Realität und Imagination des Protagonisten. Er ringt mit einem generationenübergreifenden Trauma und sucht auf der Couch seiner Therapeutin nach einer Möglichkeit, es zu verarbeiten. Mit seiner Fantasie kann er sich eigene Wirklichkeiten erschaffen. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese erfinderische Erzählung.

Sonntag, 14. September 2025

Rezension: Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten von Anna Maschik

 


Rezension von Ingrid Eßer


Titel: Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten
Autorin: Anna Maschik
Erscheinungsdatum: 10.09.2025
Verlag: Luchterhand (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783630878140

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In ihrem Roman ‚Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten‘ zeichnet Anna Maschik das vielschichtige Porträt einer Familie über mehrere Generationen. Die Erzählung entfaltet sich Schicht um Schicht, wie die Zitrone, die auf dem Cover abgebildet ist. Sie beginnt vor mehr als hundert Jahren mit der dreizehnjährigen Bäuerin Henrike, die nach dem frühen Tod der Mutter den Haushalt für ihren Vater und ihre Brüder führt. Sie leben in einem Dorf im Norden Deutschlands. Um den Hunger der Familie zu stillen, schlachtet sie unerlaubterweise ein Schaf, was anders als bei anderen Arten lautlos vonstatten. Mit dieser Handlung beginnt das Buch und gibt ihm den Titel.

Henrikes Urenkelin Alma tritt als Erzählerin der Geschichte auf. Sie fügt die überlieferten Episoden, die nicht immer chronologisch angeordnet sind, mosaikartig zusammen. Anna Maschik gestaltet ihren Roman abwechslungsreich: Sie verwendet zahlreiche Stilmittel wie beispielsweise Metaphern, Repetitionen und Personifikationen. Durch eingestreuten Realismus erscheinen einige Begebenheiten unrealistisch, aber Alma erzählt so, wie sie es gehört hat. Die Lesenden sind gefordert, das Geschehen nach ihren eigenen Vorstellungen zu deuten. Der lange Schlaf einer Figur lässt auf ihre Bedeutungslosigkeit in dieser Zeit schließen, das Verblassen der Farben wird zum Symbol für ein anhaltendes Gefühl von Trauer. Politische Veränderungen haben spürbare Auswirkungen auf das tägliche Leben der Familien.

Die unbenannten Kapitel sind kurz und bestehen mehrfach nur aus einer Auflistung, mit denen Alma sich Übersichten zu bestimmten Themen schafft und dabei Gegensätze verdeutlicht. Die Sätze sind auf das Wichtigste beschränkt, doch trotz der dadurch entstehenden Lücken erhält man einen guten Einblick in das entbehrungsreiche bäuerliche Leben. Nach der Heirat von Almas Großmutter mit dem Sohn eines Möbelhändlers sind die nun veränderten alltäglichen Herausforderungen ebenso nachvollziehbar geschildert. Über die Generationen hinweg bringt die Autorin zum Ausdruck, dass die Mütter und die Väter sich darüber uneins sind, ob ein weiblicher oder ein männlicher Nachwuchs es leichter im Leben haben wird. Die Frauen haben den Wunsch, ihre Erziehung anders zu gestalten als die eigene Mutter, doch Anna Maschik zeigt, dass sich dennoch gewisse Muster ungewollt ständig wiederholen. Die Ablösung von der vorherigen Generation erweist sich selbst bei räumlicher Distanz als schwierig.

Anna Maschiks Roman „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ ist eine kunstvoll geschichtete Erzählung, die über Jahrzehnte auf das Gefüge einer Familie blickt. Die Belastungen des Alltags, die Freuden und Sorgen, die Liebe und das Leid der Figuren werden spürbar, lassen aber Platz zur eigenen Interpretation. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für dieses eindrucksvolle Buch.

Freitag, 12. September 2025

Rezension: Lieselotte, wer versteckt sich hier? von Alexander Steffensmeier


Lieselotte, wer versteckt sich hier?
Autor: Alexander Steffensmeier
Pappbilderbuch: 10 Seiten
Erschienen am 27. August 2025
Verlag: FISCHER Sauerländer
Link zur Buchseite des Verlags

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Lieselotte spielt mit ihren Freunden auf dem Bauernhof verstecken. Der Hund, die Ziege, die Hühner und Schweine und das Pony haben sich versteckt. Ist das hinter dem Holzstapel ein Ringelschwanz oder nur das Ende des Gartenschlauchs? Und was ist hinter der Wäscheleine versteckt, wo Lieselotte doch schon alle Tiere gefunden hat?

„Lieselotte, wer versteckt sich hier?“ ist mein erstes Buch aus der bereits viele Bände umfassenden Reihe rund um die Kuh Lieselotte. Das besondere an diesem fünf Doppelseiten umfassenden Pappbilderbuch sind die großen Klappen, die zum Beispiel einen Traktor oder eine alte Badewanne zeigen und hinter denen sich die Tiere versteckt haben.

Mein Sohn findet es spannend, die Tiere auftauchen und wieder verschwinden zu sehen. Er hatte mit seinen 8 Monaten den Dreh schnell raus und klappt gerne immer wieder auf und zu. Die Klappen müssen dabei einiges aushalten, ich hätte sie mir noch etwas stabiler gewünscht. Insgesamt ein wirklich schönes, liebevoll illustriertes Pappbilderbuch, das zum Entdecken einlädt.


Dienstag, 9. September 2025

Rezension: Die Verlorene von Miriam Georg

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Verlorene
Autorin: Miriam Georg
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
Verlag: Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783758500309
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In ihrem Roman „Die Verlorene“ schreibt Miriam Georg zum ersten Mal auf zwei Handlungsebenen, von denen eine in der Gegenwart verortet ist. In ihr stürzt die inzwischen dreiundneunzigjährige Änne Frankfurter Wohnung in Frankfurt von einem Hocker und fällt ins Koma, aus dem sie nicht mehr aufwacht.

Das Verhältnis zu ihrer fünfundsiebzigjährigen Tochter Ellen ist seit jeher belastet. Mit ihr floh sie einst in den Nachkriegstagen aus Schlesien in den Westen. Ihren Vater hat Ellen nie kennengelernt. Ihre Tochter Laura, 37 Jahre alt, stammt aus einer kurzen Ehe. Weder mit Ellen noch mit Laura hat Änne je über ihre Eltern und Geschwister gesprochen. Nach Schlesien ist sie nie zurückgekehrt. Als sie nun bewusstlos im Krankenhaus liegt, bleiben viele Fragen offen, die Tochter und Enkelin ihr gerne gestellt hätten. Beide sind verwundert, als die behandelnde Ärztin ihnen eröffnet, dass Änne nie an Epilepsie gelitten habe, wie sie immer glaubten.

Vor allem Laura wird sich der Brüche in der Familiengeschichte bewusst. Beim Aufräumen in der Wohnung ihrer Großmutter entdeckt sie ein Foto, auf dem zwei junge Frauen mit einem Kleinkind abgebildet sind. Wer darauf abgebildet ist, will sie unbedingt herausfinden und macht sich daher auf den Weg nach Polen, um nach Spuren ihrer Herkunft zu suchen.

Zu Beginn fokussiert die Geschichte noch auf der Gegenwart, doch mit Lauras Nachforschungen nehmen die Kapitel, die in den 1940er Jahren spielen, zunehmend breiteren Raum ein. Ännes Vater führt einen Gutshof. Sie wächst mit einer Schwester und zwei Brüdern auf. Der Zweite Weltkrieg verändert das Leben der Familie grundlegend. Die Söhne werden zum Kriegsdienst eingezogen und dem Hof FremdarbeiterInnen zugewiesen. Als Änne erkrankt, versuchen ihre Eltern dies zu verbergen, denn für eine Krankheit ohne Aussicht auf Heilung gibt es im Dritten Reich keine guten Lösungen.

Als Lesende folgt man Lauras Spurensuche und nähert sich Stück für Stück der jungen Änne. Sie wächst in einer sie beschützenden Familie auf, die zunehmend unter politischen Repressionen leidet. Auf der Suche nach dem Vater von Ellen und dem Grund für Ännes Flucht in den Westen entfaltet sich eine Geschichte mit einigen unerwarteter Wendungen, die für einen regelrechten Lesesog entwickeln. Miriam Georg gelingt es mit Feingefühl die Beweggründe ihrer Figuren für ihr Handeln offenzulegen. Deutlich wird dabei auch, welchen Einschränkungen Frauen in den 1940er Jahren ausgesetzt waren, wenn sie selbstbestimmt leben wollten.

Gute Recherche und eine Verbindung zur eigenen Familiengeschichte der Autorin verleihen dem Roman „Die Verlorene“ von Miriam Georg Authentizität und Nähe zu realen Ereignissen. Familiengeheimnisse sorgen für eine unterschwellige Spannung. Lebendige Figuren, eine wunderschöne Kulisse in Schlesien und starke Gefühle machen die Lektüre eindringlich und hallen nach. Sehr gerne vergebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung für das Buch.

Montag, 8. September 2025

Rezension: Welcome Home von Arno Strobel

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Welcome Home - Du liebst dein neues Zuhause.
 Hier biest du sicher. Oder?
Autor: Arno Strobel
Erscheinungsdatum: 27.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur mit
 lentikulärem Cover in der ersten Auflage
ISBN. 9783596711512
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Marco und Ines Winkler, beide etwa Mitte Dreißig, sind stolze Besitzer ihres ersten Eigenheims. Aus dem Norden Deutschlands sind sie mit ihrer vierjährigen Tochter Emilia in die neue Wohnsiedlung „Auf Mons“ in den Süden gezogen. Neue Arbeitsstellen haben sie ebenfalls bereits gefunden. Arno Strobel spielt in seinem Thriller „Welcome Home“ nicht nur mit den Nerven diesen Paares, sondern auch mit denen seiner Leserschaft. Denn zu Recht trägt das Werk den Untertitel „Du liebst dein neues Zuhause. Hier bist du sicher. Oder?“ In der Erstauflage ist das Buch mit einem lentikulärem Wechsel-Motiv ausgestattet, das beim Kippen ein blutiges Messer auf der Fußmatte enthüllt. Ob es sich dabei vielleicht um die Tatwaffe handeln könnte?

Arno Strobel greift erneut ein Thema auf, dass viele Lesende nachvollziehen können: den Wunsch nach den eigenen vier Wänden. Marco und Ines sind mit der Verwirklichung ihres Traums nicht allein. Bei ihrem Einzug ist bereits etwa die Hälfte der dreißig Häuser der Siedlung bewohnt, sodass zahlreiche Nachbarn in die Handlung eingebunden sind. Um die Übersicht zu erleichtern, findet sich auf dem vorderen Vorsatz eine übersichtliche Skizze.

Es ist kalt im November. Auf einer Runde durch das Viertel, ist nur hier und da ein Licht zu sehen, was der Erzählung eine düstere Stimmung verleiht. Nur kurze Zeit nachdem Ines und Marco ihr Haus bezogen haben geschieht nebenan ein Mord. Ines könnte die Täterin oder den Tätern sogar vom Fenster aus gesehen haben. Schon zuvor hatten sie und ihr Mann in merkwürdige Vorkommnisse im Haus bemerkt. Außerdem kursiert das Gerücht, in der Siedlung gingen Geister um. Das Gefühl der Sicherheit schwindet und an seine Stelle tritt eine wachsende Unruhe, ob der Täter erneut zuschlagen wird und ob sie selbst in Gefahr sind.

Bis etwa zur Mitte der Geschichte steigt die Spannungskurve beständig an. Mehrere Figuren geraten in den Fokus, die sich durch markantes Verhalten oder denkwürdige Aussagen verdächtig machen. Dann stagnieren jedoch die Ermittlungen und damit zunächst auch die Spannung. Gezielt weckt der Autor dann zunehmendes Misstrauen zwischen den Bewohnern, bis man nicht mehr weiß, wem man überhaupt noch trauen kann.

Die kurzen Kapiteln werden unregelmäßig von kursiv gesetzten Einschüben unterbrochen, wie üblich in den Thrillern von Arno Strobel. Diesmal erhält man dadurch einen Einblick in die Tragödie einer unbekannten Person, aber später kann man auf diese Weise das Leid eines Opfers nachempfinden. Gegen Ende steigt die Spannungskurve nochmals an und offenbart den bis dahin gut verborgenen Mörder. Sein schnell abgehandeltes Motiv konnte mich jedoch nicht vollständig überzeugen.

Rätselhafte Figuren, eine seltene Erkrankung und das beunruhigende Eindringen in Häuser bilden die Zutaten für den Thriller „Welcome Home“ von Arno Strobel, der zwar gelungen ist, jedoch spannungsmäßig nicht ganz an andere Werke des Autors heranreicht. Thriller-Fans können sich dennoch auf eine fesselnde Lektüre freuen, für die ich gerne eine Leseempfehlung gebe.

Sonntag, 7. September 2025

Rezension: Katabasis von R.F. Kuang


Katabasis
Autorin: R.F. Kuang
Übersetzerinnen: Alexandra Jordan und Heike Franck
Hardcover: 656 Seiten
Erschienen am 26. August 2025
Verlag: Eichborn
Link zur Buchseite des Verlags

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Alice Law promoviert in Cambridge bei dem berühmt-berüchtigten Magier Jacob Grimes. Er gilt als Genie auf seinem Gebiet, hat aber auch einen gewissen Ruf als überanspruchsvoll, manipulativ und anzüglich gegenüber Frauen. Als er beim Wirken eines Zaubers in seine Einzelteile zerlegt wird, sieht Alice sich dafür in der Verantwortung, denn sie hat das Pentagramm zuvor kontrolliert. Für sie ist klar: Wenn sie es in der akademischen Welt weit bringen will, dann muss sie Grimes aus der Hölle zurückholen. Sie will sich gerade dorthin befördern, als ihr Mitstudent Peter ihr auf die Schliche kommt und sich der Reise anschließt. Gemeinsam landen sie an einem Ort, an dem ganz andere Herausforderungen auf sie warten als sie antizipiert hatten. Unterwegs wird zudem klar, dass Alice und Peter einander trotz jahrelanger Zusammenarbeit viel über sich und ihre wahren Motive verheimlicht haben.

Ich habe mich sehr gefreut, dass die Autorin nach „Babel“ ein weiteres Werk in einer magisch-akademischen Welt spielen lässt. Das Tempo zu Beginn ist hoch, schon im zweiten Kapitel sind Alice und Peter in der Hölle angekommen. Auf den Trip haben die beiden sich vorbereitet, indem sie jegliche verfügbare Literatur über die Hölle gelesen haben, die sie in die Finger bekommen haben. Entsprechend gibt es viele Referenzen auf diese Werke, die in den beiden eine gewisse Erwartungshaltung geweckt haben, die jedoch nur zum Teil erfüllt wird. Denn die Hölle hat sich ziemlich verändert, seit zuletzt jemanden die Rückkehr gelungen ist. 

Der Roman ist intellektuell fordernd, viele der Gedankenspiele und Diskussionen fand ich interessant und sie fügen sich gelungen in die Handlung ein. Das Herzstück ist aus meiner Sicht die Idee des Magiesystems, das auf Paradoxen beruht. Ich gebe aber auch offen zu, dass ich bei weitem nicht jede Anspielung verstanden habe und mich damit zufrieden gegeben habe, eine Handvoll Dinge zu recherchieren. Um dieses Buch gänzlich zu entschlüsseln benötigt es viel Zeit und Hingabe. Ich habe ein Level des Verstehens erreicht, das mir persönlich genügt hat und auf dem ich mich von dem Buch sehr gut unterhalten gefühlt habe.

Nachdem die Handlung so schnell in die Hölle verlegt wurde fehlten mir als Leserin zunächst praktisch alle Hintergrundinformationen zu Alice und Peter. Diese folgen im weiteren Buchverlauf durch zahlreiche Rückblenden. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass die Höllenreise überhaupt nicht mehr voran kommt, weil die Geschichte so lange in der Vergangenheit verweilt. Die Autorin zeigt hier auf ihre Weise die Licht- und Schattenseiten der akademischen Welt auf und widmet sich insbesondere dem Thema der Manipulation bis hin zur psychischen Gewalt, die von dem Opfern gar nicht als solche erkannt wird. Der Dynamik der Geschichte hätte es aber gut getan, insbesondere im Mittelteil noch mehr Dialoge und Abenteuer einzubauen. Zum Ende hin wartet dann ein höllischer Showdown auf die Leser:innen. Aus meiner Sicht findet R.F. Kuang einen sehr stimmigen Abschluss für diesen wilden Trip in die Unterwelt. Sehr gerne empfehle ich „Katabasis“ an alle weiter, die Lust auf einen literarischen Fantasyroman Lektüre mit der Universität und der Hölle als Schauplatz haben, zwei Orte, die vielleicht gar nicht so weit voneinander entfernt liegen wie zunächst gedacht.

Freitag, 5. September 2025

Rezension: Botanik des Wahnsinns von Leon Engler


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Botanik des Wahnsinns
Autor: Leon Engler
Erscheinungstermin: 12.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783755800538
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Sieben Jahre nach der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter sitzt der Ich-Erzähler von Leon Englers Roman „Botanik des Wahnsinns“ vor Kartons, in denen sich all das befindet, was seinerzeit seine Mutter als „unbedeutend“ eingepackt hatte. Durch eine fatale Verwechslung wurden bei der Entrümpelung nicht die belanglosen Dinge entsorgt, sondern die persönlichen Erinnerungsstücke.

Psychische Erkrankungen durchziehen das Leben seiner Eltern und Großeltern wie ein unsichtbarer roter Faden. Jeder seiner Vorfahren aus den vergangenen beiden Generationen litt an einer Erkrankung der Seele: Depression, Alkoholismus, Paranoia, Schizophrenie gehören dazu. Der Erzähler selbst lebt mit der Angst, irgendwann ebenfalls daran zu erkranken, er leidet an Agateophobie. Als Kind wurde dem Erzähler erklärt, dass die Leiden seiner Verwandten organische Natur seien, weil man ihm das Verständnis für eine psychosomatische Krankheit nicht zugestand.

Der Titel des Buchs erklärt sich dadurch, dass sich Pflanzen in der Botanik katalogisieren lassen und dem ähnlich auch Erkrankungen in ein Schema eingeordnet werden können. Der Erzähler vertieft sich in die Literatur, um auch für sich eine Diagnose zu erstellen. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich längst auf die Seite der Behandler geschlagen und arbeitet als Psychologe in einer Psychiatrie, in der er auf mehreren Stationen eingesetzt wird.

Obwohl er vorher versucht, an verschiedenen Aufenthaltsorten, auch im Ausland, Abstand von seinen Wurzeln zu gewinnen, bleibt die Familiengeschichte sein ständiger Begleiter. Mit seinem Fachwissen und aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen gewährt der Autor einen tiefen Einblick in den Klinikalltag. Das Verhalten der Patienten bringt ihn zum Nachdenken über die Leiden seiner Verwandten. Schritt für Schritt vollzieht er nach, wer an was erkrankt war und welche Gründe dazu geführt haben. Leon Engler wirft die Frage auf, wer bestimmt, was als regulär anzusehen ist und welches Maß erreicht werden muss, damit eine psychische Krankheit beginnt. Dazu schaut er auch auf die Geschichte der Psychologie.

Der Roman „Botanik des Wahnsinns“ von Leon Engler ist ein liebevoller Blick auf eine nicht alltägliche Familie, von der man sich fragt, inwieweit sie derjenigen des Autors entspricht. Feinfühlig setzt sich aus den Erinnerungen des Erzählers ein Bild der ihn prägenden Erfahrungen mehrerer Generationen zusammen. Die Schilderung der gehäuft auftretenden psychosomatischen Krankheiten in der Familie des Protagonisten ist tief berührend und hallt lange nach. Gerne empfehle ich das Buch weiter, vor allem an Lesende mit Interesse an Psychologie.


 

Freitag, 29. August 2025

Rezension: Die Bibliothek meines Großvaters von Masateru Konishi

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Bibliothek meines Großvaters
Autor: Masateru Konishi
Übersetzer: Peter Aichinger-Fankhauser
Erscheinungsdatum: 14.08.2025
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783462011722
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Kaede ist 27 Jahre alt und unterrichtet wie einst ihr einundsiebzigjähriger Großvater an einer Grundschule. Inzwischen ist er dement, möchte aber trotz Einschränkungen weiterhin in seinem eigenen Haus wohnen. Ein Pflegedienst organisiert unterstützende Therapien, aber auch Kaede besucht ihn wöchentlich. Am liebsten hält er sich in seiner umfangreichen Bibliothek auf, die titelgebend für den Roman „Die Bibliothek meines Großvaters“ des japanischen Autors Masateru Konisi ist.

Die Krankheit bringt einige Schattenseiten mit sich: An manchen Tagen verliert sich der Großvater in Visionen, deren Ursprung sich erst nach und nach offenbart. Auf diese Weise entfaltet sich eine bewegende Familientragödie. Nebenher vermittelt der Autor einiges an Wissen über verschiedenen Formen der Demenz. Durch das Verhalten des Großvaters zeigt er, wie sich einige Symptome auswirken: Momente der geistigen Umnachtung wechseln sich überraschend klaren Phasen ab.

Die Handlung des Romans entwickelte sich für mich anders als erwartet. Es geht weniger um die Geschichten in Büchern, sondern um das Wissen, das man aus ihnen zieht. Zwar wird auch eine Liebesbeziehung einbezogen, aber im Vordergrund steht die liebevolle Weise, in der Großvater und Enkelin miteinander umgehen. Sie teilen die Leidenschaft für mysteriöse Rätsel, die der Großvater an seinen guten Tagen mit akribischer Sorgfalt, Lebenserfahrung und Intuition bei einem festen Ritual löst. Kaede ist dabei weniger erfolgreich, aber sie ist es, in deren Umfeld sich die Denkspiele ergeben, bei denen es um Leben und Tod geht. Schließlich geraten die beiden selbst in eine äußerst gefährliche Situation.

Dank der guten Übersetzung von Peter Aichinger-Fankhauser sind die Wortspiele aus der japanischen Sprache zwar eigentümlich, aber nachvollziehbar. Der Roman zeigt einige Charakteristiken der Lebensart in Japan. Die Figuren behandeln einander mit Respekt und drücken eher selten ihre Gefühle aus, wodurch Kaede zunächst scheu und zurückhaltend wirkt, aber in wichtigen Situationen durchaus ihre Stärken beweist. Es sind aber vor allem international bekannte Autorin, deren Werke in der Geschichte Erwähnung finden. 

„Die Bibliothek meines Großvaters“ von Masateru Konishi ist ein ruhig erzählter Roman, der durch geschickt eingestreute Kriminalelemente Spannung aufkommen lässt und zum Miträtseln anregt. Das lange zurückliegende Familiendrama, das Kaede und ihren Großvater schließlich in Gefahr bringt, ist besonders berührend. Daher empfehle ich das äußerlich wunderschön gestaltete Buch gerne weiter.

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