Freitag, 29. August 2025

Rezension: Die Bibliothek meines Großvaters von Masateru Konishi

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Bibliothek meines Großvaters
Autor: Masateru Konishi
Übersetzer: Peter Aichinger-Fankhauser
Erscheinungsdatum: 14.08.2025
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783462011722
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Kaede ist 27 Jahre alt und unterrichtet wie einst ihr einundsiebzigjähriger Großvater an einer Grundschule. Inzwischen ist er dement, möchte aber trotz Einschränkungen weiterhin in seinem eigenen Haus wohnen. Ein Pflegedienst organisiert unterstützende Therapien, aber auch Kaede besucht ihn wöchentlich. Am liebsten hält er sich in seiner umfangreichen Bibliothek auf, die titelgebend für den Roman „Die Bibliothek meines Großvaters“ des japanischen Autors Masateru Konisi ist.

Die Krankheit bringt einige Schattenseiten mit sich: An manchen Tagen verliert sich der Großvater in Visionen, deren Ursprung sich erst nach und nach offenbart. Auf diese Weise entfaltet sich eine bewegende Familientragödie. Nebenher vermittelt der Autor einiges an Wissen über verschiedenen Formen der Demenz. Durch das Verhalten des Großvaters zeigt er, wie sich einige Symptome auswirken: Momente der geistigen Umnachtung wechseln sich überraschend klaren Phasen ab.

Die Handlung des Romans entwickelte sich für mich anders als erwartet. Es geht weniger um die Geschichten in Büchern, sondern um das Wissen, das man aus ihnen zieht. Zwar wird auch eine Liebesbeziehung einbezogen, aber im Vordergrund steht die liebevolle Weise, in der Großvater und Enkelin miteinander umgehen. Sie teilen die Leidenschaft für mysteriöse Rätsel, die der Großvater an seinen guten Tagen mit akribischer Sorgfalt, Lebenserfahrung und Intuition bei einem festen Ritual löst. Kaede ist dabei weniger erfolgreich, aber sie ist es, in deren Umfeld sich die Denkspiele ergeben, bei denen es um Leben und Tod geht. Schließlich geraten die beiden selbst in eine äußerst gefährliche Situation.

Dank der guten Übersetzung von Peter Aichinger-Fankhauser sind die Wortspiele aus der japanischen Sprache zwar eigentümlich, aber nachvollziehbar. Der Roman zeigt einige Charakteristiken der Lebensart in Japan. Die Figuren behandeln einander mit Respekt und drücken eher selten ihre Gefühle aus, wodurch Kaede zunächst scheu und zurückhaltend wirkt, aber in wichtigen Situationen durchaus ihre Stärken beweist. Es sind aber vor allem international bekannte Autorin, deren Werke in der Geschichte Erwähnung finden. 

„Die Bibliothek meines Großvaters“ von Masateru Konishi ist ein ruhig erzählter Roman, der durch geschickt eingestreute Kriminalelemente Spannung aufkommen lässt und zum Miträtseln anregt. Das lange zurückliegende Familiendrama, das Kaede und ihren Großvater schließlich in Gefahr bringt, ist besonders berührend. Daher empfehle ich das äußerlich wunderschön gestaltete Buch gerne weiter.

Donnerstag, 28. August 2025

Rezension: Gym von Verena Kessler

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Gym
Autorin: Verena Keßler
Erscheinungsdatum: 19.08.2025
Verlag: Hanser Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446281639

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Die 36-jährige Protagonistin des Romans „Gym“ von Verena Kessler benötigt unbedingt die Tätigkeit als Tresenkraft im Fitnessstudio, für die sie beim Besitzer vorspricht. Zwei Gründe, warum es unbedingt dieser Job sein soll, finden sich auf den ersten Seiten, aber der mit ihrer Vergangenheit zusammenhängende wichtigste Grund wird zunächst nur angedeutet. Beim Bewerbungsgespräch stellt sich heraus, dass sie mit ihrem schludrigen Aussehen und der fülligen Figur nicht dem Bild entspricht, welches der Inhaber des Studios sich von seiner Angestellten im Gym vorstellt. Kurzerhand erklärt sie ihm, dass sie erst vor drei Monaten ein Kind bekommen hat. Mit viel Verständnis für ihre momentane Situation stellt er sie ein

Das Fitnessstudio ist nicht nur mit den modernster Ausstattung, sondern auch mit frisch zubereitete Vitaminshakes und makelloser Sauberkeit. Die Hauptfigur findet sich rasch in Arbeitsklima ein, wobei es ihr größtes Problem ist, die eigene Lüge aufrechtzuerhalten. Als Vick, eine mehrfache Europameisterin im Bodybuilding beginnt, im Gym zu trainieren, schlägt der anfängliche Neid der Protagonistin auf deren muskulöses Aussehen bald in Tatkraft um. Endlich hat sie nach langer Zeit wieder ein Ziel, auf das sie hinarbeiten kann. Parallel erfährt man mehr darüber, wie erfolgreich sie bei ihrer letzten Tätigkeit gewesen hin. Doch diesmal kann sie ihren Erfolg auch spüren und für jeden sichtbar machen.

Die Geschichte greift den heutigen Drang auf, das eigene Äußere einem in den sozialen Medien propagierten Schönheitsideal anzupassen. Von Beginn an zeigt sich auch in Ferhats Vorstellungen vom Erscheinungsbild seines Studios und seiner Angestellten, wie sehr auch er diesem Ideal verhaftet ist. Verena Keßler schafft abwechslungsreiche Figuren, deren Handeln immer wieder für amüsante Situationen sorgt. Die Hauptfigur steigert sich allmählich in eine Selbstoptimierung, die nicht nur die Spannung erzeugende Frage aufwirft, wie weit sie dabei gehen wird, sondern auch die Gefahr sichtbar macht, die darin liegt, stets die Beste sein zu wollen.  

Verena Keßler schreibt in ihrem Roman „Gym“ über die zahlreichen Erwartungen der heutigen Gesellschaft, die dem Einzelnen nicht nur im Beruf ständig zu optimierende Ziele auferlegt, sondern dabei von jedem verlangt, auch selbst als fit, leistungsfähig und attraktiv zu präsentieren. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehung für diesen bestechend pointierten, aber auch humorvollen Roman.

Freitag, 22. August 2025

Rezension: Himmel ohne Ende von Julia Engelmann


Himmel ohne Ende
Autorin: Julia Engelmann
Hardcover: 336 Seiten
Erschienen am 23. Juli 2025
Verlag: Diogenes
Link zur Buchseite des Verlags

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Charlie ist fünfzehn Jahre alt und hat oft das Gefühl, sich hinter einer Glasscheibe zu befinden, die sie von der Welt trennt. Sie vermisst ihren Vater und tut sich schwer damit, einen neuen Mann im Leben ihrer Mutter zu akzeptieren. Ihren Schwarm himmelt sie aus der Ferne an, ohne sich zu trauen, mit ihm zu reden. Und ihre beste Freundin Kati hat plötzlich keine Zeit mehr für sie. Charlie zieht sich immer weiter zurück, bis nach den Ferien Kornelius, genannt Pommes, in ihre Klasse kommt. Er holt Charlie aus ihrem Schneckenhaus, freundet sich mit ihr an und versteht sie auf eine Art, wie es sonst noch keiner getan hat.

Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Kati befindet sich zu Beginn des Romans in einem emotionalen Chaos. Alles um sie herum ändert sich in eine Richtung, die ihr nicht gefällt, und sie hat das Gefühl, in ihrem eigenen Leben nur eine Zuschauerin zu sein. Die Autorin Julia Engelmann macht mit einer bildreichen, kraftvollen Sprache Charlies Gedanken und Gefühle für mich gut nachvollziehbar, sodass es mir leicht fiel, mich in sie hineinzuversetzen.

Als Pommes in ihre Klasse kommt, ist das für Charlie ein echter Lichtblick. Er ist ihr gegenüber herzlich und offen und zeigt echtes Interesse an den Sachen, die ihr im Kopf herumspuken. Endlich fühlt sie sich verstanden. Worüber er jedoch nicht gerne redet sind die Päckchen, die er selbst mit sich herumträgt. Nur langsam öffnet er sich diesbezüglich gegenüber Charlie. Ich fand es schön, zu sehen, wie sich zwischen den beiden eine Freundschaft entwickelt. Doch auch diese wird schließlich auf die Probe gestellt.

„Himmel ohne Ende“ ist ein Coming of Age-Roman, bei dem ich mich durch seine eindringliche Erzählweise selbst in meine Jugend und die Herausforderungen des Erwachsenwerdens zurückversetzt fühlte. Er hat eine gute Mischung aus traurigen und melancholischen sowie schönen und unterhaltsamen Momenten. Das Thema Freundschaft sticht besonders heraus und über allem liegt eine hoffnungsvolle Note. Gerne empfehle ich den Roman weiter.


Rezension: Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104 von Susanne Abel

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Du muss meine Hand fester halten, Nr. 104
Autorin: Susanne Abel
Erscheinungsdatum: 14.08.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783423283922
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„Du musst meine Hand fester halten, Nummer 104“ sagt die elfjährige Margret auf dem Weg zur Christmette 1947 zu dem sechs Jahre jüngeren Hartmut, den sie später Hardy nennen wird. Es ist eisig an diesem Tag im Sauerland und der kleine Junge droht hinzufallen. Die beiden wohnen in einem Kinderheim und sind die Hauptfiguren in dem nach dieser Szene benannten Roman von Susanne Abel.

Margret ist ein Waisenkind aus Gelsenkirchen. Auch Hardy ist vermutlich eine Waise. Er kam am Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem Kindertransport aus Danzig. Sein Name auf dem Pappschild, das er umgehängt trägt, ist verwischt, sein Alter wird geschätzt. Als Margret eines Tages von einer Tante zu sich genommen wird, verliert sie Hardy zunächst aus den Augen. Nach ihrer Volljährigkeit beginnt Margret als Stationshilfe in einem Heim, in dem Hardy inzwischen lebt.

Parallel zu diesem Handlungsstrang erzählt Susanne Abel von Margret und Hardy in den Jahren 2006 bis 2017. Die beiden sind verheiratet und haben inzwischen eine Urenkelin, deren Mutter bei der Geburt noch recht jung war. Sie fällt dem Jugendamt durch eine Unregelmäßigkeit in der Betreuung ihres Kindes auf. Die Angelegenheit führt dazu, dass bei Margret und Hardy schmerzhafte Erinnerungen aus der Kindheit aufbrechen. Stillschweigend hatten sie bisher ihre Vergangenheit ruhen lassen.

In den folgenden Jahren werden sie immer wieder mit Situationen konfrontiert, die verdrängte Gefühle an die Oberfläche holen und sie an die Grenzen des Erträglichen bringen. Margret war stets diejenige und ist es immer noch, die sich um alltäglich zu verwaltende und organisatorische Aufgaben kümmert, während Hardys Stärken mehr im Praktischen liegen.

Es ist berührend, darüber zu lesen, wie Margret sich um Hardy kümmert. Doch die beiden haben ihre Ecken und Kanten, von denen sie einige voreinander zu verbergen suchen. Susanne Abel schreibt aus der Perspektive einer allwissenden Erzählerin und rückt in jeder Szene den Fokus auf eine Hauptfigur, deren Gedanken- und Gefühlswelt dadurch besonders erfahrbar wird. Dadurch kommt es bisweilen zu raschen Wechseln zwischen den Akteuren. Die Autorin war eine Weile als Erzieherin beschäftigt, so dass ihre Darstellung kindlicher Erfahrungen authentisch erscheinen.

Der Triggerhinweis zu Beginn des Romans ist berechtigt, denn die Jahre in einem Waisenhaus sind für beide Kinder verbunden mit Zurechtweisungen und harten Bestrafungen für unerwünschtes Verhalten. Beim Lesen hofft man die ganze Zeit, dass jedes Kind, das in einem der beschriebenen Heime lebt, von einer liebevollen Familie aufgenommen werden wird. Die Autorin verweist in diesem Zusammenhang auf die Arbeit des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes, der vor allem in den Nachkriegsjahren unzählige Kinder mit Familienangehörigen wiedervereinen konnte. Jedoch erfährt Margret bei ihren Verwandten keine ausreichende Wertschätzung und erlebt ein traumatisierendes Ereignis.

Als Margret älter ist und sich selbst um hilfsbedürftige Personen kümmert, erschrickt sie über sich selbst als sie feststellt, dass sie nach dem gleichen Muster von Strenge und Härte agiert, die sie in ihrer Kindheit und Jugend erlitten hat. Im Rahmen der Heimunterbringung von Hardy beschreibt Susanne Abel, wie er ruhig gestellt wurde, eine Begebenheit die äußerst berührend und erschütternd ist, jedoch leider keine Fiktion, sondern auf wahren Ereignissen beruht, die die Autorin recherchiert hat.

Erneut ist es Susanne Abel mit „Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104“ gelungen einen zutiefst bewegenden Roman zu schreiben. Die Handlung reicht von den 1940er Jahren bis in die Gegenwart. Die Autorin beleuchtet dabei das Schicksal von Waisen ebenso wie die Herausforderungen berufstätiger, alleinerziehender Mütter sowie den aktuellen Einfluss von Social Media auf das Familienleben. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für dieses Buch, das einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. 


Sonntag, 17. August 2025

Rezension: Wo die Moltebeeren leuchten (Norrland-Saga, Band 1) von Ulrika Lagerlöf

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Wo die Moltebeeren leuchten
Band 1 von 3
Autorin: Ulrika Lagerlöf
Übersetzerin aus dem Schwedischen: Maike Barth
Erscheinungsdatum: 31.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783989410640
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Im Roman „Wo die Moltebeeren leuchten“ von Ulrika Lagerlöf begegnet man zunächst der 17-jährigen Protagonistin Siv Engström. Im Frühjahr 1937 arbeitet sie bereits seit vier Jahren als Haushaltshilfe bei einer wohlhabenden Familie in dem nordschwedischen Ort, in dem sie mit ihren Eltern und jüngeren Geschwistern lebt. Gerne hätte Siv weiter die Schule besucht, doch die angespannte finanzielle Lage ihrer Familie machte dies unmöglich. Sie träumt davon, eines Tages selbst über ihre Zukunft zu bestimmen, aber eines Tages erfährt sie, dass ihr Vater sie verpflichtet hat, schon bald für einige Wochen als Köchin für einen Holzfällertrupp zu arbeiten. Ihr bleibt keine andere Wahl, als die Stellung anzutreten. Die Unterkunft ist eine Hütte mit nur einem Raum, in dem außer ihr noch zehn Männer übernachten. Ihr Bett ist lediglich durch einen Vorhang abgeteilt. Für die neue Tätigkeit erhält Siv deutlich mehr Lohn als zuvor.

Mehr als achtzig Jahre später wird die 48-jährige Eva Wallman als weitere Protagonistin des Romans, von ihrem Arbeitgeber an den Ort ihrer Kindheit im Norden Schwedens geschickt. Die geschiedene Mutter eines Teenagers arbeitet als Forstwirtin in der Öffentlichkeitsarbeit, im Stab für Waldpflege und Naturschutz eines Holzunternehmens. Als Umweltaktivisten ein Abholzungsprojekt stoppen möchten, soll Eva zwischen den Interessen des Unternehmens und den Forderungen der Naturschützer vermitteln.

Die Erinnerungen an ihre Großmutter inspirierten Ulrika Lagerlöf zu der Figur der Lagerköchin Siv. Rund um diese Rolle entfaltet sich das harte Leben mit und in der Natur Nordschwedens am Ende der 1930er Jahre. Neben den Siedlern rangen dort auch die Waldsami ums tägliche Überleben, die mit ihren Rentierherden durchs Land zogen. Ihnen wurde durch den Staat kein eigenes Land zugebilligt. Der daraus entstandene Konflikt wird in der Erzählung kaum mehr als angedeutet.

Nach der Eingewöhnung begreift Siv erst, wie frei und selbstbestimmt sie in ihrer neuen Arbeit agieren kann. Jedoch kann sie sich aufkeimenden zarten Gefühlen zu einem Mann nicht entziehen, was sie schließlich dazu bringt, über ihre Unabhängigkeit und mögliche Einschränkungen in einer künftigen Ehe nachzudenken.

Mit dem Handlungsstrang, in dem Eva die Hauptfigur ist, schlägt die Autorin einen Bogen in die Gegenwart. Auch hier blitzt das Thema „Freiheit“ auf. Eva hat ihre persönlichen Interessen, hinter die ihres Arbeitgebers zu stellen. Manchmal würde sie ihr Leben gern nach eigenen Vorstellungen und sich dabei mehr selbst verwirklichen, aber sie ist durch die Verantwortung für ihr Kind gebunden. Sie weiß, dass der Klimaschutz ein Anliegen ihres Sohnes ist und sieht seine Meinung in denen der Aktivisten widergespiegelt, was es ihr nicht leicht macht, Stellung zu beziehen.

„Wo die Moltebeeren leuchten“ ist der erste Band einer bewegenden Trilogie von Ulrika Lagerlöf, die auf zwei Zeitebenen spielt. Die Verbindung der beiden Protagonistinnen offenbart sich dem Lesenden ebenso wie ein verborgenes Familiengeheimnis. Am Ende bleiben Fragen offen, die in den Folgebänden sicherlich beantwortete werden. Dank der wunderschönen Gestaltung mit Farbschnitt ist es eine besondere Freude, den Roman in den Händen zu halten. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Geschichte.

Dienstag, 12. August 2025

Rezension: Wedding People von Alison Espach


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Wedding People
Autorin: Alison Espach
Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch: Verena Ludorff
Erscheinungsdatum: 28.07.2025
Verlag: Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783757701291
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Phoebe Stone hat nicht damit gerechnet, dass sie ausgerechnet an dem Tag, an dem sie beschlossen hat zu sterben, mitten in eine trubelige Hochzeitsgesellschaft geraten wird. Sie ist eine der beiden Protagonistinnen des Romans „Wedding People“ der US-Amerikanerin Alison Espach. Als Professorin für Literatur des 19. Jahrhunderts lehrt sie in St.Louis/ Missouri und ist 40 Jahre jung. Vieles in ihrem Leben ist nicht nach Wunsch verlaufen. Ein Luxushotel im zweitausend Kilometer entfernten Newport/Rhode Island, das bisher für einen Urlaub aufgrund der hohen Kosten für sie nicht in Frage kam, soll ihr Glücksort sein. Doch will sie ihre letzten Stunden verbringen.

Die zweite Protagonistin ist Delilah Lancaster, von allen kurz Lila gerufen. Sie steht kurz vor ihrer Heirat mit ihrem Freund Gary. Um den Anlass ausgiebig zu feiern, hat Lila für ihre Gäste eine ganze Woche lang alle Zimmer eben jenes Hotels in Newport gemietet. Die 28-Jährige stammt aus einer großen Familie, hat ein beträchtliches Vermögen geerbt, arbeitet in der nahegelegenen Kunstgalerie ihrer Mutter und die Festwoche bis ins Detail geplant. Sie glaubt, dass es ein Irrtum sein muss, wenn nun ausgerechnet Phoebe das schönste aller Zimmer erhält. Nachdem sie von Phoebes Plänen erfahren hat, will sie diese um jeden Preis verhindern.

Für ihren Lebenstraum hat Phoebe beruflich zurückgesteckt, doch sie ist in manchem gescheitert. Einmal jedoch möchte sie es sich uneingeschränkt gut gehen lassen. Lila hingegen erfüllt sich dank ihrer soliden finanziellen Lage jeden Wunsch und macht gern auch anderen eine Freude. Wenn sie erst einmal von etwas begeistert ist, redet sie endlos darüber.

Was zunächst so erscheint, als ob beide keine gemeinsame Gesprächsebene finden, erweist sich später als ein Glücksfall, dass sie einander begegnet sind. Lila hat zwar einige FreundInnen, aber niemanden, der ihr offen begegnet und sie auch in schwierigen Momenten stützt. Phoebe erkennt das sehr schnell. Weil sie einander fremd sind, erzählen sie sich Dinge, die man Nahestehenden nicht anvertrauen würde, ohne Risiko für Ansehen oder Beziehungen, da ihre Probleme keine Berührungspunkte haben. Endlich hat Lila jemanden, mit der sie über ihre eigene und die Familie ihres Auserwählten reden kann. Beide Protagonistinnen haben ihre Ecken und Kanten, die sie auf ihre ganz eigene Weise interessant machen.

Zu Beginn wirkte der Roman wegen Phoebes Plan auf mich bedrückend. Doch Alison Espach schafft es, genau die richtige Dosierung Zynismus und Witz in die Geschichte einzubringen, ohne ihr die inhaltliche Tiefe zu nehmen. Jedem Tag der Hochzeitswoche ist ein eigenes Kapitel gewidmet, dessen Titel das jeweilige Highlight der anstehenden Aktivitäten verrät. In Rückblenden erfährt man, wieso Phoebes Ehe mit Matt, ihre Arbeit an der Universität und ihr Wunsch nach einem eigenen Kind dazu geführt haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ebenso liest man von Lilas Verlust des Vaters und wie sie ihren zukünftigen Mann kennenlernte. Bald verweben sich die beiden zunächst getrennten Handlungssträngen zu einer gemeinsamen Erzählung, in der immer wieder Neues und Unerwartetes geschieht.

Der Roman „Wedding People“ überrascht mit zwei Protagonistinnen, die sich trotz unterschiedlicher Charakterzüge und verschiedener Ansichten über manche Dinge dennoch gut austauschen können. Alison Espach entfaltet ein breites Gefühlsspektrum: von bitterer Enttäuschung bis zu ausgelassener Freude, von Respekt bis zu Liebe und Anerkennung. Die Geschichte bewegt, unterhält und hallt nach, weswegen ich gerne eine Leseempfehlung vergebe.

Dienstag, 5. August 2025

Rezension: Im Schatten von Giganten von Jasmin Schreiber

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Im Schatten von Giganten
Das Leben im Moos, auf Blüten und unter Steinen
Autorin und Fotografin: Jasmin Schreiber
Erscheinungsdatum: 21.07.2025
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783440179871
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Die Autorin Jasmin Schreiber, die das Studienfach Biologie mit einem Master abgeschlossen hat und auch für renommierte Wissenschaftsmagazine schreibt, ist eine ebenso versierte Fotografin. In ihrem Buch „Im Schatten von Giganten – Das Leben im Moos, auf Blüten und unter Steinen“ bringt sie ihre Kenntnisse und ihre Leidenschaft zusammen und präsentiert 138 ihrer Bilder. Sie werden von informativen Texten der Schriftstellerin über die Lebensräume kleinster Lebewesen begleitet.

Das Buch beginnt mit einer Einführung, in der Jasmin Schreiber sich selbst vorstellt und erklärt, wie sie die Liebe zur Natur gefunden hat. Es folgen acht Kapitel, die nach Mikrohabitaten unterteilt sind. Die Autorin betrachtet darin das Leben der Kleinstlebewesen unter Steinen, im Totholz, im Kraut, im Baum, im Moospolster, in der Blüte, in der Pfütze sowie in Kadavern und Dung. Mit der Einladung, selbst die Natur zu erkunden, beendet sie das Werk.

Innerhalb der Kapitel unterteilt die Schriftstellerin erneut, indem sie zunächst das Habitat beschreibt. Beispielsweise erklärt sie die Bedeutung von Totholz, Bäumen und Moosen für die Natur und ihrer Lebewesen bevor sie, nicht nur mit der Kamera, näher heranzoomt. Sie betrachtet Asseln, Käfer, Spinnen und Schnecken, aber auch Pilze, Flechten und einiges anderes. Immer wieder heitert sie mit FunFacts die wissenschaftlich fundierten Beschreibungen der Fauna und Flora auf und lässt eigene Erfahrungen im Umgang mit der Natur einfließen. In mehreren Informationskästen werden unter anderem unterschiedliche Lebensstile erläutert, das Verfahren Lichenometrie erklärt, verschiedene Formen von Totholz aufgeführt und auch der Aufbau von Moosen.

Trotz der Fülle an Fotos findet sich nicht immer ein Bild zu dem im Text beschriebenen Tier oder der dargestellten Pflanze. Jedoch gibt es am Ende des Buches ein Glossar, dessen Seitenzahlen zu einem Foto der genannten Arten verweisen. Ein großer Pluspunkt des Buches ist es, dass alle beschriebenen Mikrohabitate direkt oder unweit der eigenen Haustür zu finden sind.

In ihrem Buch „Im Schatten von Giganten“ lädt Jasmin Schreiber dazu ein, in der Natur die Lebensräume von kleinsten Organismen zu suchen und zu finden. Ihre Fotos unterstützen ihre Aufforderung. Genaues Hinschauen führt dazu, eine Welt voller Vielfalt und im ständigen Wandel zu entdecken, die vielen bisher verborgen blieb. Gerne vergebe ich eine Kaufempfehlung.

Samstag, 2. August 2025

Rezension: Durch das Raue zu den Sternen von Christopher Kloeble


Durch das Raue zu den Sternen
Autor: Christopher Kloeble
Hardcover: 240 Seiten
Erschienen am 12. Juli 2025
Verlag: Klett-Cotta
Link zur Buchseite des Verlags

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Vor acht Monaten ist die Mutter von Arkadia Fink, genannt Moll, kurz weggegangen. Moll wartet seither auf ihre Rückkehr und kann es gar nicht ertragen, wenn andere Leute Sätze mit „Deine Mutter ist“ beginnen. Da kann es sogar vorkommen, dass sie ihrem Deutschlehrer auf die Nase haut. Daraufhin in einem leeren Klassenzimmer abgesetzt hört sie zufällig ein Vorsingen für den Knabenchor mit an und beschließt, selbst Mitglied zu werden. Wenn ihr Auftritt dann im TV übertragen wird kommt ihre Mutter bestimmt zurück. Von der Rückmeldung, dass sie als Mädchen in einem Knabenchor nichts verloren hat, will sie nichts wissen. Sie ist wild entschlossen, aufgenommen zu werden.

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben und nimmt seine Leser:innen mit in das Leben von Arkadia, die zu Beginn des Romans dreizehn Jahre alt ist. Sie berichtet davon, dass sie auf die Rückkehr ihrer Mutter wartet und ihr Vater seit ihrem Weggang oft traurig ist. Sie bleibt gerne für sich, hört klassische Musik und telefoniert jeden Abend mit ihrer besten Freundin Bernhardina im Seniorendomizil. Selbst als sie ihren Lehrer schlägt, reagiert man darauf mit Nachsicht. Als Leserin hatte ich schnell eine Vermutung bezüglich ihrer Mutter, doch Arkadia verbietet sich jeden Gedanken in diese Richtung. Mit der Aufnahme in den Knabenchor hat sie schon bald ein Ziel, dass sie mit großer Hartnäckigkeit verfolgt.

Die grundsätzliche Frage, ob ein Mädchen in einem Knabenchor singen darf, klingt zunächst skurril. Doch wer online sucht wird stellt schnell feststellen, dass es dazu vor nicht allzu langer Zeit eine Debatte gab. Ich habe Arkadias Anstrengungen, aufgenommen zu werden, mit einer Mischung aus Bewunderung im Hinblick auf ihre Anstrengungen und Skepsis, ob dies wirklich der richtige Weg für sie ist, gelesen. Der Autor hat selbst in einem Knabenchor gesungen und lässt seine Erfahrungen einfließen, welche die Licht- und Schattenseiten zeigen. 

Mich hat die Art und Weise, wie in dieser Geschichte das Thema Trauerbewältigung verarbeitet wird, berührt. Die Grundstimmung ist melancholisch, aber dennoch hoffnungsvoll. Es gibt Szenen, die mich betroffen machten und andere, die mich zum schmunzeln brachten. Etwas irritiert hat mich, dass Arkadias Gewaltausbrüche kaum Konsequenzen haben. Es wird auch nicht weiter darauf eingegangen, dass sie in ihren Augen nichts Verwerfliches sind, weil sie ähnliches vorgelebt bekommen hat. Insgesamt kann ich „Durch das Raue zu den Sternen“ an alle Literaturbegeisterten weiterempfehlen, die Lust auf einen ergreifenden Roman haben, in dem die Musik das tragende Thema ist.

Freitag, 1. August 2025

Rezension: Onigiri von Yuko Kuhn


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Onigiri
Autorin: Yuko Kuhn
Erscheinungsdatum: 22.07.2025
Verlag: Hanser Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446283114
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In ihrem Debütroman „Onigiri“ (dt: Reisbällchen nach japanischem Rezept) erzählt Yuko Kuhn die fiktive Geschichte von Aki und ihrer Familie. Aki ist um die vierzig, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Ihr Vater ist Deutscher, ihre Mutter Keiko wurde in Japan geboren und ist dort aufgewachsen. Keiko vergisst zunehmend Dinge, weswegen sie seit geraumer Zeit in einem Wohnstift lebt. Die Nachricht vom Tod ihrer über hundert Jahre alten Großmutter in Japan erreicht Aki spät, weil der Kontakt zur mütterlichen Verwandtschaft inzwischen abgebrochen ist. Doch Aki hat Fragen. Zwar war sie einige Male in der Heimat ihrer Mutter und kennt die Umstände, unter denen diese einst als Lehrerin nach Deutschland gekommen ist. Dennoch versteht sie nicht ganz, wieso Keiko so ist wie sie ist. Sie schlägt ihr eine mehrtägige Reise zum Bruder nach Kobe vor auf der sie sie begleiten möchte.

Der Roman besteht zu einem großen Teil aus Erinnerungen von Aki. Sie schildert Szenen aus ihrer Kindheit und Jugend, die sich nicht nur in ihrem Elternhaus abspielen, sondern auch im Haus der Großmutter in Japan und bei den deutschen Großeltern. Die Liebesgeschichte ihrer Eltern findet ebenfalls ihren Platz, soweit Keiko ihr davon erzählt hat. Die Ehe scheiterte nach einigen Jahren und Aki blieb bei ihrer Mutter. Aki erinnert sich auch an die Schilderungen ihrer Eltern über die eigene Jugendzeit.

Feinsinnig arbeitet Yuko Kuhn aus dem Mosaik dieser Rückblicke kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Japanern heraus. Auch ihre Wurzeln liegen in Japan, wodurch sie eigene Erfahrungen einbringen kann. Die Verwendung von japanischen Begriffen, von denen die meisten in einem Glossar am Buchende übersetzt werden, tragen zu einer authentische Atmosphäre bei. Zudem wird deutlich, welche hohen Erwartungen ein Elternhaus an ein Kind stellen kann und welche inneren Konflikte und Herausforderungen dadurch bei der persönlichen Zukunftsgestaltung möglich sind..

Die Autorin zeigt verschiedene Ausdrucksformen von Liebe, die sich nicht immer in Gesten und Worten äußern. Dadurch wirkt der Roman stellenweise zurückhaltend, aber gerade darin liegt seine Tiefe. Auf ihrer gemeinsamen Reise nach Japan finden Keiko und Aki eine besondere Verbindung zueinander.

Das Debüt „Onigiri“ von Yuko Kuhn erfordert aufmerksames Lesen, denn Akis Erinnerungen sind nicht chronologisch geordnet, sondern setzen sich wie Puzzlestücke zum größeren Bild zusammen. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer berührenden Geschichte belohnt, die sich zwischen zwei Kulturen bewegt und die Welten schildert, in denen Aki lebt: ihre eigene, die ihrer Mutter und die gegensätzliche der beiden Großelternpaare. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diesen interessanten, einfühlsam geschriebenen Roman. 

Samstag, 26. Juli 2025

Rezension: Die Meerjungfrauen von Aberdeen von Ben Aaronovitch


Die Meerjungfrauen von Aberdeen
Autor: Ben Aaronovitch
Übersetzerin: Christine Blum
Broschiert: 416 Seiten
Erschienen am 10. Juli 2025
Verlag: dtv
Link zur Buchseite des Verlags

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In Aberdeen scheint eine mysteriöse Großkatze unterwegs zu sein, die Schafe reißt. Diese Nachricht veranlasst Peter Grant, gemeinsam mit Nightingale, Abigail und Abdul anzureisen, um auf die Jagd zu gehen. Mit von der Partie sind außerdem Peters Partnerin Beverley, seine Zwillingstöchter, seine Eltern und die Jazztruppe seines Vaters – allesamt in Urlaubsstimmung. Während ein Teil der Truppe sich bald auf Pumajagd befindet, wird Peter ins Leichenschauhaus gerufen. Dort liegt ein Mann mit Kiemen, der kurz vor seinem Tod einem Betrunkenen alle Kleider geklaut hat. Schon bald laufen die Ermittlungen auf Hochtouren und führen Peter zu Wesen aus dem Meer und aus anderen Dimensionen.

Nach zwei schmaleren Story-Büchern und drei Jahren ist endlich ein neuer Fall für Peter Grant erschienen! Meine Erinnerung an die vorherigen Bände ist schon etwas verblasst, was aber nicht so schlimm war, da der neue Fall nicht in London spielt, sondern alle wichtigen Charaktere nach Aberdeen reisen. In der Küstenstadt ist die Magie eng mit dem Meer verwoben, wodurch ich wieder neue Aspekte der magischen Welt kennenlernte.

Beim vorherigen Roman habe ich kritisiert, dass Abigail kaum in Erscheinung tritt, da ich ein großer Fan von ihr bin. Diesmal kam ich in dieser Hinsicht voll auf meine Kosten. Es gibt zwei Handlungsstränge, die abwechselnd erzählt werden und später miteinander verbunden werden. Peter ermittelt in einem Mordfall, während sich Abigail auf Großkatzenjagd befindet. Auch die Füchsin Indigo durfte mit und nimmt Kontakt zu den ansässigen Füchsen auf, sodass es viel unterhaltsamen Fuchscontent gibt. 

Wer die Bücher aus der Welt von Peter Grant mag, für den ist „Die Meerjungfrauen von Aberdeen“ eine gelungene Ergänzung, in der alles vorhanden ist, was das Fanherz begehrt: Ein spannender Mordfall, sympathische Fae, wilder abstruser Sch* und echte Bösewichte, denen das Handwerk gelegt werden muss. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass es seit dem Abschluss der Story rund um den Gesichtslosen keine richtige übergreifende Handlung mehr gibt und sich ein Fall lose an den nächsten reiht – mal dünn als Story, mal dick als Roman. Ich bleibe der Reihe treu und freue mich schon auf weitere Abenteuer!


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