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Donnerstag, 12. Juni 2014

[Rezension] Hanne-Vibeke Holst - Das Mädchen aus Stockholm

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Titel: Das Mädchen aus Stockholm
Autorin. Hanne-Vibeke Holst
Übersetzerin: Hanne Hammer
Erscheinungsdatum: 12.05.2014
Verlag: Piper Verlag 
rezensierte Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
(Haupt-)Handlungsorte: Berlin und Nordjütland
Handlungszeiten: 1940-1946, 1958-1961, 1989 und 2011

 
„Das Mädchen aus Stockholm“ von Hanne-Vibeke Holst ist ein Roman, der die Geschichte einer Familie über mehrere Generationen und auf verschiedenen Zeitebenen hinweg vor dem Hintergrund politischer Ereignisse erzählt. In der Gegenwart übernimmt Helena, Dramaturgin an der Deutschen Oper Berlin, die Erzählung der aktuellen Ereignisse in der Ich-Form. Ihre Mutter Ingrid, von allen nur Ninni genannt, war eine gebürtige Schwedin aus Stockholm. Sie verleiht dem Buch den Titel. Das abgebildete Mädchen auf dem Buchcover ist eher irreführend, denn als Ninni die dänischen Brüder Leo und Leif an einem Julitag im Jahr 1958 am Strand von Ystad (Schweden) kennenlernt, ist sie 22 Jahre alt, also schon eine junge Frau, und träumt von einer Karriere als Gesangssolistin. 

Helena ist seit vier Jahren an der Oper Berlin tätig als ihr im September 2011 der „Demokratiepreis der deutschen Medien“ überreicht werden soll. Aus diesem Anlass reist ihre Tochter Sophie an, zu der sie nur losen Kontakt hält. Sophie wohnt in Kopenhagen und bringt ihren Freund Khalil mit, den ihre Mutter bis dahin noch nicht kennengelernt hat. Helena steht dieser Verbindung mit Skepsis gegenüber. Sie selbst hält sich für unvoreingenommen, doch es entwickelt sich ein Szenario, dass ihre schlimmsten Befürchtungen real werden läßt. Parallel blendet das Buch auf Ereignisse im Jahr 1940 über. Thorvald und Gerda, die Großeltern Helenas leben in Nordjütland. Thorvald ist Pfarrer und schließt sich dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung an, so dass er sich schließlich im November 1943 vor der Gestapo verstecken muss. Die Liebe der beiden wird während der Kriegszeit auf einen harten Prüfstand gestellt. Die eineiigen Zwillinge Leo und Leif bleiben bei der Mutter. Die entbehrungsreiche Zeit schweißt zusammen und nach ihrem Schulabschluss begeben die Zwillinge sich auf eine Fahrradrundfahrt. Auf der Rückreise begegnen sie Ninni und ihrer Freundin, doch beide haben nur Augen für Ninni. Wer von beiden wird ihr Herz erobern können?

Der Roman nimmt in der Gegenwart einen ungeahnten Verlauf und in der Vergangenheit kommt es zu mehrfachen überraschenden Wendungen, so dass die Erzählung interessant, spannend und abwechslungsreich ist. Mit teils fulminanten Sätzen baut die Autorin eine Geschichte über den Verlauf von vier Generationen auf, deren Eckpfeiler aus Lügen bestehen und deren Konsequenzen bis in die Gegenwart hinein reichen. Es sei soviel verraten, dass ein von Helena bis dato ungeöffneter Schuhkarton die Büchse der Pandora spielt. 

In der Geschichte begegnet der Leser durchweg sehr eigensinnigen und lebensfrohen Persönlichkeiten. Liebe, Hass, Freundschaft und Eifersucht ziehen sich durch den ganzen Roman. Manchem Protagonisten fehlt es an Einfühlungsvermögen und Verständnis, besonders für Menschen, denen er besonders nahesteht. Kritisch sieht Hanne-Vibeke Holst die Rolle der Frauen in der jeweiligen Generation. Zu Gerdas Zeit ist es schwierig, sich vom Ehemann zu trennen und allein für die Kinder zu sorgen. Die von Haus auf verwöhnte Ninni hat nie gelernt, auf eigenen Füssen zu stehen und bringt dazu letztlich nicht genügend Kraft auf, ihre Lebenssituation zu verändern. Dieser Umstand scheint Helena beeinflusst zu haben, sich ihre Eigenständigkeit immer zu bewahren. Sophia wiederum hat Helena in wichtigen Situationen an ihrer Seite vermisst und greift nun zu einem überraschenden Mittel um ihrer Mutter deren Fehler vor Augen zu führen. 

„Das Mädchen aus Stockholm“ ist faszinierend geschrieben, jedoch blieb es mir an einigen Stellen unerklärlich, warum Randfiguren ihr Mitwissen an den Familiengeheimnissen nicht offenbart haben. Aber dann hätte der Roman in der vorliegenden Weise nicht funktioniert und so kommt es immer wieder zu verpassten Möglichkeiten der Hauptcharaktere, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ferner bin verwundert über die recht passive Rolle der Eltern von Ninni. Mit keinem der Protagonisten konnte ich sympathisieren, was aber in der Erzählung positiv für die Vielschichtigkeit der einzelnen Charaktere spricht. Insgesamt gesehen habe ich mich gut unterhalten gefühlt und kann diesen Roman an Familiengeschichten mit Geheimnissen interessierten Lesern empfehlen.