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Dienstag, 2. September 2014

[Rezension] Bernhard Schlink - Die Frau auf der Treppe

Titel: Die Frau auf der Treppe
Autor: Bernhard Schlink
Erscheinungsdatum: 23.09.2015
Verlag: Diogenes
rezensierte Buchausgabe: Arbeitsexemplar
Handlungsort: Sydney/Australien und Deutschland
Handlungszeit: Gegenwart und 1970er Jahre




Der Ich-Erzähler des Romans „Die Frau auf der Treppe“ von Bernhard Schlink ist Seniorpartner in einer deutschen Rechtsanwaltskanzlei, um die 60 Jahre alt, Witwer mit drei erwachsenen Kindern, und weilt nun im Rahmen eines Auftrags in Sydney/Australien. Bei einem Besuch der Art Gallery steht er plötzlich einem Bild gegenüber, das ihm aus jungen Jahren nur allzu bekannt ist und das er verschollen geglaubt hat. Auf dem Gemälde ist, grob gesagt, eine nackte Frau zu sehen, die eine Treppe hinabsteigt. Der Rechtsanwalt kennt die Frau auf dem Bild, denn für sie hat er das einzige Verbrechen seines Lebens begangen. Die Frau, Irene mit Namen, stand zu diesem Zeitpunkt vor 40 Jahren in einer Beziehung zu dem Maler des Gemäldes. Von ihrem Mann, der das Bild in Auftrag gab und in dessen Besitz es ist, hatte sie sich getrennt, nachdem sie den Künstler beim Portraitieren kennengelernt hatte. Maler wie Ehemann kämpften sowohl um das Bild wie auch um Irene und der Jurist sollte beiden zu ihrem Recht verhelfen. 

In der Gegenwart begibt sich der Erzähler der Geschichte auf die Suche nach Irene, die er in Australien wähnt. Und er wird nicht enttäuscht. Verbunden mit der Suche nach der Frau ist auch die Erfüllung seines damaligen Wunschs, der Person Irene näher zu kommen. Mit dem Verschwinden des Gemäldes und der Frau hatte der Wunsch ein jähes Ende gefunden.

Zum ersten Mal seit Jahren oder sogar Jahrzehnten nimmt er sich derzeit eine Auszeit. Seine Gedanken schweifen über sein Leben. Doch nicht nur die damaligen Geschehnisse lässt er Revue passieren, sondern er denkt auch an die Jahre zwischen den Ereignissen und der Gegenwart, die hauptsächlich angefüllt sind mit seiner Tätigkeit in der Kanzlei. Natürlich hat er eine vorzeigbare Frau gefunden, mit der er Kinder hat, um die sich aus seinem Selbstverständnis heraus seine Frau kümmert. Obwohl ihm Alkoholismus ein Begriff ist, hat er angeblich nie bemerkt, dass seine Frau dieser Sucht verfallen ist. Über diesen Punkt in seinem Leben nimmt er keine Kritik an. In Gesprächen mit Irene macht diese ihm bewusst, welche schönen Seiten des Lebens er durch seine Arbeitsbelastung und der dazugehörigen eigenen Einstellung verpasst hat. Er hat sich von jeher seine eigenen Pflichten gesetzt und war sich selbst der nächste. 

Nun, da sein Denken Freiraum gewinnt, kommt Reue ob der verpassten Chancen in seinem Leben auf. Gemeinsam mit Irene versucht er sich im Ausgleich eine Parallelwelt zu schaffen. Doch diese ist und bleibt Schein und kann nicht zum Ersatz werden. Der Schluss des Romans lässt darauf hoffen, dass der Ich-Erzähler den Empfehlungen von Irene nachkommen wird, denn kleine widersetzliche Gedankenfetzen sind da und könnten sich nach der Rückkehr im Alltag breitmachen.

Allgemein gesehen ist der Roman in einer leicht lesbaren Sprache geschrieben. Zu Beginn hatte ich allerdings ein paar Probleme mit der zeitlichen Zuordnung der erzählten Lebensabschnitte, die sich aber letztendlich im größeren Zusammenhang an ihren Platz einordnen ließen. Die Geschichte ist sicher nicht aus dem Leben gegriffen und gewöhnlich, dazu ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gemälde in dem beschriebenen Maßstab an einem so illustren Ort wie aus dem Nichts auftaucht, zu gering. Im Vergleich dazu die Lebensgeschichte des Juristen sicher überspitzt, aber alltäglicher. Der Ich-Erzähler steht in seiner Namenlosigkeit für manche über die Maßen in seine Arbeit involvierte Person. Der Charakter der Irene ist mit einem ungewöhnlichen Leben verknüpft, das ich für denkbar halte. Die Konsequenzen, die sie aus der Auseinandersetzung zwischen Maler und Ehemann gezogen hat sind nachvollziehbar und daraus resultieren auch ihre späteren Handlungen.

Für mich war der Roman kein großes Buch-Highlight, aber eine unterhaltsame Geschichte, die dazu anregt, bei Zeiten einen Blick auf sein momentanes Tun zu werfen und in Frage zu stellen. 

(Ingrid)