Titel: Das fremde Mädchen
Autorin: Kathrine Webb
Übersetzerin: Katharina Volk
Erscheinungstermin: 22.09.2014
Verlag: Diana Verlag
rezensierte Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
(Haupt-)Handlungsort: Bath/England
Handlungszeit: 1803-1823
Im Roman „Das fremde Mädchen“ nimmt Katherine Webb den Leser
mit in eine Zeit von vor ungefähr zweihundert Jahren. Das Buch spielt auf zwei
Zeitebenen in dieser Vergangenheit. Die Erzählung beginnt im Jahr 1803. Vor
einem Bauernhaus, in dem die junge Alice mit ihrer Dienerin Bridget vor den
Toren der Stadt Bath lebt, findet sich ein verwahrlostes Mädchen ein. Alice
nennt sie Starling und sorgt dafür, dass ihr Wohltäter Lord Faukes damit
einverstanden ist, dass diese bleiben darf. Gemeinsam ist den beiden die
dubiose Herkunft. Jonathan Faukes kommt mit seinem Vater gelegentlich bei den
Frauen zu Besuch und über die Jahre entwickelt sich aus der Freundschaft
zwischen Alice und ihm Liebe. Doch diese darf nicht sein!
18 Jahre später trifft der Leser auf Rachel, die im Begriff
ist ihre Stellung als Gouvernante aufzugeben um den Weinhändler Richard Weekes
aus Bath zu heiraten. Getreu den Worten ihrer Mutter glaubt sie daran, dass
Liebe mit der Zeit entstehen und wachsen kann, denn es war für sie keine Liebe
auf den ersten Blick. Aber bei ihrer ersten Begegnung glaubt sie ein besonderes
Gefühl bei Richard ausgelöst zu haben. Erst sehr viel später erkennt sie die wahre
Bedeutung. Richard verkehrt im Herrenhaus der Faukes am Lansdown Crescent. Seit
Jahren trauert Jonathan, der unter der Fürsorge seiner Mutter steht, über den Verlust
seiner großen Liebe und wird geplagt von grausamen Erinnerungen an seine Zeit
als Mayor im Krieg auf der iberischen Halbinsel. Verwicklungen führen Rachel in
dieses Haus und ein furchtbares Kapitel ihrer Kindheit, das sie verdrängt zu
haben glaubte gerät dadurch in ihr Bewusstsein. Im Laufe weniger Wochen beginnt
sie zu begreifen, welche Intrigen in der Vergangenheit im Hause Faukes
gesponnen wurden und dass auch ihre eigene, neue Familie darin verwickelt ist.
Der Weg auf dem Cover führt den Leser in die Welt von Rachel
und Jonathan zu einer Reihe von Herrenhäusern, die ähnlich zu dem sind, in der
Familie Faukes in Bath wohnt. Leider wurde für das Titelbild nicht die
Häuserreihe am Lansdown (und nicht Landsdown wie irrtümlich im Klappentext
erwähnt) Crescent, sondern eine Fotografie der Häuser am Royal Crescent
verwendet. Nichtsdestotrotz residierten zu der Zeit in der der Roman spielt in
diesen viergeschossigen Häusern mit einem Souterrain für die Dienerschaft die
bessergestellten Persönlichkeiten der örtlichen Gesellschaft. Von diesen
Häusern aus hatte man einen herrlichen Blick über den Kurort Bath.
In ihrem Roman entwickelt die Autorin nicht unbedingt eine
komplizierte, aber eine reichlich verwickelte Geschichte, die auf zwei
Erzählebenen spielt und weitere Erinnerungsrückblicke einzelner Charaktere
beinhaltet. Mit sehr viel Einfühlungsvermögen schildert sie die
unterschiedlichen Gemütszustände ihrer Protagonisten. Von allen Seiten betrachtet
sie deren Handlungsweisen, die ich überaus glaubhaft dargestellt empfunden
habe, und erklärt diese manches Mal mit Schilderungen aus der Vergangenheit. Rachel
ist eine Frau Ende 20, ursprünglich aus gutsituiertem Haus, die schon nicht
mehr daran geglaubt hat einen passenden Ehemann zu finden. Von Richard
Verhalten fühlt sie sich geschmeichelt und willigt zügig in seinen
Heiratsantrag ein, ohne sein Umfeld näher kennen gelernt zu haben, soweit dies
zur damaligen Zeit überhaupt vor einer Heirat schicklich war. Neben Alice ist
sie Sympathieträgerin dieses Buchs, wobei Alice eher naiv wirkt und auf den
Boden der Tatsachen fällt nachdem sie das Geheimnis ihrer Herkunft erfährt. Im
Vergleich zu diesen beiden ist das Findelmädchen Starling ein vielschichtiger
Charakter. Ihre oft unerwarteten Handlungen werden geleitet von Freude, Angst,
Hass, Eifersucht. Sie scheint nicht den Überblick über die Folgen ihrer
Offenheit zu haben, was wahrscheinlich ihrem zunächst jugendlichen Alter
geschuldet ist.
Obwohl die differenzierten Beschreibungen der Gefühlswelten
dazu beitragen, dass der Leser die Handlungsweisen der einzelnen Personen
versteht, fand ich diese im Mittelteil leicht ermüdend, eine Straffung hätte
hier sicher der Spannung gut getan. Des Weiteren wurden die Kriegserlebnisse von
Jonathan Faukes zwar beeindruckend detailliert und realistisch geschildert,
meiner Meinung nach hätte eine kürzere Beschreibung aber ausreichend seine
anhaltende Desillusionierung erklärt. Und wieder einmal über das Grauen von
Kriegen nachzudenken, gab die Erzählung allemal. Gerade zum Ende hin zieht das
Tempo des Romans wieder an und es fallen noch ein paar Puzzlesteine an seinen
Platz, damit sich eine runde Geschichte ergibt. Mir hat das Buch gut gefallen.
Ein Muss für alle Katherine Webb-Fans und eine Leseempfehlung an die Freunde
historischer Romane!