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Titel: Die Liebesgeschichtenerzählerin
Titel: Die Liebesgeschichtenerzählerin
Autor: Friedrich Christian Delius
Erscheinungsdatum: 11.03.2016
Verlag: Rowohlt Berlin Verlag
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Mit einem Gedicht des Autors aus dem Jahr 1979 beginnt das
Buch „Die Liebesgeschichtenerzählerin“ von Friedrich Christian Delius. Inhalte
der Lyrik finden sich im Roman wieder. Die 50 jährige Marie von Schabow, in
Frankfurt wohnend, verbringt im Jahr 1969 ohne ihre Familie einige Tage an der
niederländischen Nordsee. Die raue See auf dem Cover trifft nicht nur den
aufgewühlten Gemütszustand der Protagonistin, sondern führt den Leser auch zu
einer der Geschichten, die Marie demnächst niederschreiben möchte.
Die Erzählung begleitet sie von der Nordsee aus auf ihrer
Zugfahrt nach Hause über Amsterdam und Emmerich mit einem kurzen Aufenthalt in
Leverkusen bei der Familie ihres Bruders. Sie ist auf den Spuren ihrer Familie
unterwegs. Erst seit kurzem ist es ihr möglich sich neben Haushalt und
Kindererziehung dem Schreiben zu widmen. Dabei schwirren ihr drei Geschichten
im Kopf herum: die eines königlichen Vorfahr Anfang des 19. Jahrhunderts, die
ihrer Eltern und die eigene. Mehr und mehr gelangen Gedankenfetzen zum bald 80
jährigen Vater in ihren Sinn. Gewürzt wird die Erzählung mit einer
Unstimmigkeit in der Ehe von Marie, die sich aus ihrer Abwesenheit ergeben hat
Sie wird bis zum Schluss zu einer Herzensangelegenheit und fesselt so auch den
Leser.
Für Marie ist die Reise der Beginn einer neuen Lebensphase.
Mit der Zeit wird nicht nur ihr deutlich, wie sehr die einzelnen Ereignisse
voneinander abhängen. Der Roman besteht aus den komplexen Gedankengängen der
Protagonistin. Ihre Gedanken huschen durch die Geschichte und reißen Szenen in
der Vergangenheit der Familie an, die Marie aus Erzählungen und Aufzeichnungen
kennt. Blockweise hält der Autor die fliegenden
Gedanken fest, die immer aus einem Satz bestehen und sehr gut die innere
Unruhe von Marie wiederspiegeln. Mühelos füllt der Leser die Zeiten zwischen
den einzelnen Szenen mit seiner eigenen Fantasie. So entstand für mich eine
Familiengeschichte über fast 200 Jahre.
Der Autor schreckt nicht davor zurück sich mit schwierigen
Themen auseinanderzusetzen wie beispielsweise mit der Schuld am Tod als Kämpfer
für das Vaterland. Aus Maries eigener Lebensgeschichte ergibt sich ein klarer
Geist, der sich früh mit Recht und Unrecht auseinandergesetzt hat, die aber
auch die ihr zugedachte Rolle als Frau an der Seite eines angehenden
Gutsbesitzers und auch später als Mutter angenommen hat. Insoweit wirken ihre
Gedankengänge überaus realistisch. Marie zeigt aber auch, dass sie in der
Gegenwart Ende der 1960er Jahre angekommen ist. Ein erster literarischer Erfolg
hat ihr Selbstbewusstsein gestärkt und gibt ihr den Mut für weitere
Projekte.
Erstaunlicherweise brauchte der Autor sich die bewegenden
Ereignisse und abwechslungsreich gestalteten Charaktere nicht auszudenken, denn
sein Roman basiert auf der Vergangenheit seiner eigenen Familie. Mit leisen
Worten und schlichter Sprache hat mich der Inhalt des Buchs sehr angesprochen. Dabei
ist es nicht immer einfach, den Einfällen zu folgen und eine gewisse Muße beim
Lesen unerlässlich. Gerne vergebe ich hierfür eine Leseempfehlung.