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Titel: Der letzte Sommer
Titel: Der letzte Sommer
Autorin: Helen Simonson
Übersetzerin: Michaela Grabinger
Erscheinungsdatum: 19.07.2016
Verlag: Dumont Verlag (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
„Der letzte Sommer“ oder „Der Sommer vor dem Krieg“ wie das
Buch von Helen Simonson in der Übersetzung des englischen Originaltitels heißt
nimmt den Leser mit ins Jahr 1914. Die Autorin siedelt ihre Geschichte in der
Kleinstadt Rye in der Grafschaft East Sussex im Südosten England an, die sie
bestens kennt weil sie in der Gegend aufgewachsen ist.
Gediegen sind die Herrenhäuser eingerichtet, in denen die
Frauen auf ihre Ehemänner unter der Woche warten, die im fernen London ihren
Regierungsgeschäften nachgehen. Besonderes viel Achtung finden vor allem die
Adeligen. Der tägliche Fünf-Uhr-Tee gehört zum gesellschaftlichen Leben hinzu,
bei dem unter den Anwesenden Klatsch und Tratsch ausgetauscht und anstehende
Entscheidungen des Alltags diskutiert werden. Das Ritual spiegelt sich im Cover
wieder.
Agatha Kent gehört auch zu den erwähnten Frauen, auch wenn
sie keinen Adelstitel trägt. Gerne gesellen sich in den Semesterferien ihre
beiden Neffen Hugh, der angehende Mediziner, und Daniel, der von einem Leben
als Dichter an der Seite seines Freunds träumt, zu ihr. Die beiden schätzen die
fortschrittlichen Gedanken ihrer Tante, die vor noch nicht allzu langer Zeit in
den Schulbeirat gewählt wurde, der aktuell über die Einstellung eines neuen
Lateinlehrers zu entscheiden hat. Sie hat für Beatrice Nash gestimmt. Aber eine
Frau in diesem Fach ist umstritten, zumal sich herausstellt, dass Beatrice
jünger und attraktiver ist als zunächst vermutet. Doch die angehende neue
Lehrerin zerstreut schnell die Zweifel des Beirats, weil sie glaubhaft
versichert keine Ehe eingehen zu wollen. Sie möchte sich ihre einmal gewonnene
Freiheit der Entscheidungen nach dem Tod ihres Vaters, dem sie stets zur Seite
war und den sie auf seinen Reisen begleitet hat, nicht zu verlieren.
Unterdessen ziehen die ersten deutschen Truppen gegen
Frankreich und veranlassen Großbritannien zum Kriegseintritt. Die ersten
Bewohner der Kleinstadt melden sich zum Kriegsdienst. Vor Ort werden Aktionen
zum Spendensammeln durchgeführt und Lebensmittel bevorratet. Fast jeder hat den
Wunsch, das Vaterland im Kampf auf seine Weise zu unterstützen.
„Der letzte Sommer“ ist zunächst ein ruhiges Buch. Die
Autorin beschreibt das beschauliche Leben mit großen und kleinen Problemen in
Rye. Neben dem Tagesgeschehen in den herrschaftlichen Familien beschreibt sie
auch beispielhaft den Alltag der ärmeren Bevölkerung. Später kommt das
Schicksal einiger Weltkriegs-Flüchtlinge aus Belgien hinzu, die Aufnahme in der
Kleinstadt finden. Als der Krieg ausbricht, scheint er zunächst noch weit
entfernt. Gönnerhaft machen sich einige Gedanken dazu, wie man aus der Ferne
helfen kann. Doch im Laufe der Wochen wird die Lage immer ernster, immer mehr
Engländer leisten ihren Dienst an der Front. Der Krieg beginnt sein hässliches
Gesicht zu zeigen. Und bald schon kennt auch in Rye jeder jemanden der einen
lieben Menschen im Kampf verloren hat oder zumindest schwer verletzt wurde.
Auch Familie Kent bleibt davon nicht verschont. Helen Simonson stellt das Leben
zur damaligen Zeit überzeugend realistisch dar. Die Ereignisse sind in ihrer
Schilderung erschreckend, die Folgen der Fronteinsätze grausam.
Glücklicherweise erspart die Autorin dem Leser detaillierte
Kampfbeschreibungen.
Beatrice ist eine selbstbewusste Frau, die sich gegen die in
ihren Kreisen erwartete Ehe als soziale Absicherung stemmt. Sie selbst ist wohl
am meisten von sich selbst überrascht als sie feststellt, dass sich aus einer
Freundschaft im Laufe der Zeit mehr entwickelt und tiefe Gefühle in ihr
wachgerufen werden. Die Autorin versammelt interessante Personen im Hause Kent
und im Umfeld der Familie, die bewusst nicht immer einer Meinung sind. Ihre
Charaktere stattet sie liebevoll mit verschiedensten Eigenarten aus.
Die Autorin bedient sich einer ausgefeilten Sprache, die sich
flüssig lesen lässt. Obwohl die Schatten des Krieges über der ganzen Geschichte
liegen, ist der Roman charmant geschildert und in den Dialogen blitzt immer
wieder der Sarkasmus auf, der teilweise auch der angespannten Lage geschuldet
ist. Neben der Einbindung in die geschichtlichen Ereignisse finden auch
politische und sozialkritische Themen Eingang in die Erzählung. Immer wieder
zoomt sie ganz nah ran, schildert Szenen detailreich und richtet den Blick des
Lesers sowohl auf das Kleine als auch auf das Wesentliche.
Für viele endet mit Kriegsausbruch der Lebenstraum. „Der
letzte Sommer“ fängt einige dieser Vorstellungen ein. Viele der Figuren habe
ich lieb gewonnen und obwohl der Verlauf des Ersten Weltkrieges allseits bekannt ist, hat
mich deren Schicksal betroffen gemacht. Wer
sich für die damalige Zeit interessiert, ist hier genau richtig und wird sich
wie ich in der Geschichte verlieren. Gerne gebe ich dafür eine Leseempfehlung.