Eierlikörtage. Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 1/4 Jahre
Autor: Hendrik Groen
Übersetzer: Wibke Kuhn
Hardcover: 416 Seiten
Erschienen am 1. August 2016
Verlag: Piper
Inhalt
Würde man Freunde und Bekannte nach Eigenschaften von Hendrik Groen
fragen, dann wäre die Antwort wohl, dass er stets höflich und hilfsbereit ist.
Doch Hendrik, 83 Jahre alt und Bewohner eines Altenheims in Amsterdam-Nord, hat
davon allmählich genug. Er beschließt, ein Jahr lang Tagebuch zu schreiben, um
sein braves Ich jeden Tag für einige Zeit hinter sich zu lassen und endlich mal
einen unzensierten Blick auf sein Leben und seine Gedanken zu geben. Er erzählt
von unmöglichen Macken anderer Heimbewohner, willkürlichen Regeln der
Heimleitung und dem langsamen Verschleiß seines Körpers. Doch auch von tollen
Freundschaften, kleinen Momenten der Freude und der wichtigen Erkenntnis: Alt
sein heißt nicht, dass man nichts mehr erleben darf.
Meinung
Auf dem Cover blickt dem Leser ein älterer Mann entgegen, mit
gepflegtem Haar und ordentlicher Kleidung. Für mich eine gelungene Skizzierung
des Hendriks, den ich in Form seines Tagebuchs kennenlernen durfte. Vom 1.
Januar bis 31. Dezember 2013 verweilt der Leser an seiner Seite und begleitet
ihn durch beinahe jeden Tag. Hendrik lebt schon seit einiger Zeit in einem
Altersheim und hat niemanden, der ihn regelmäßig besuchen kommen würde. Am
liebsten verbringt er seine Zeit daher mit kleinen Spaziergängen oder gemeinsam
mit seinen Freunden. Doch auch um Menschen, mit denen er nicht so gern Kontakt
hat, kommt er bei den gemeinsamen Mahlzeiten im Heim einfach nicht herum und
belauscht so manches skurriles Gespräch.
Von Beginn an gefiel mir der Tonfall, den Hendrik anschlägt: Von seinen
täglichen Erlebnissen erzählt er mit einem Augenzwinkern und einer guten Portion
Sarkasmus. Mit seinem Charme konnte er mich schnell begeistern und ich freute
mich auf unterhaltsame Anekdoten. Hendrik weiß allerdings auch, wann ernste
Worte angebracht sind oder er Gefühlen wie Wut oder Enttäuschung einfach mal
freien Lauf lassen kann. Ein witziges Highlight gleich zu Beginn war sein
unbedachtes Entsorgen ungenießbarer Kekse im Aquarium, das dank der
absichtlichen Nachahmung durch seinen Freunds Evert rasch eine mittelgroße
Krise im Heim auslöste. Auch Zwischenfälle bei den Mahlzeiten oder Hendriks
Beobachtungen der Marotten einiger Bewohner konnten mir immer wieder ein
Lächeln auf die Lippen zaubern.
Etwas Besonderes war dieses Buch für mich, weil es nicht nur Humor
bietet, sondern einen recht unzensierten Einblick in den Alltag eines Mannes
jenseits der 80. Hendrik denkt ziemlich pragmatisch, er spricht Themen wie Inkontinenz,
schwindende Mobilität und Gedanken zum Thema Sterbehilfe auf den Seiten seines
Tagebuchs offen an und brachte mich zum Nachdenken. Dazu muss gesagt werden,
dass der niederländische Autor des Buches selbst ebenso wenig über 80 Jahre alt
ist wie die deutsche „Online-Omi“ Renate Bergmann. Dennoch erlebte ich den
Charakter des Hendrik Groen als authentisch; ich bin überzeugt davon, dass es
in den Altersheimen da draußen viele Männer wie Hendrik gibt. Immer wieder
schildert er auch Marotten, die ich schon selbst bei älteren Verwandten
beobachtet habe, zum Beispiel die Todesanzeigen durchzusehen und dann lautstark
zu verkünden, welche entfernten Bekannten man nun wieder überlebt hat.
Die absoluten Höhepunkte für mich waren die Gründung des Clubs Alanito
– Alt, aber nicht tot – und seine Ausflüge, die reihum von einem der acht
Mitglieder organisiert wurden. Hier erleben Hendrik und seine Freunde einige
tolle Überraschungen, und ich las neugierig weiter, weil ich wissen wollte,
wohin der nächste Ausflug sie führen wird. Im Kontrast dazu stehen einige gesundheitliche
Rückschläge, die in diesem Alter nicht ausbleiben. Diese trüben die Stimmung
vorübergehend, doch ich bewunderte Hendriks Grundhaltung, dass man jeden Tag
genießen soll, solange man das kann. So wird die Reise durchs Jahr an Hendriks
Seite zu einer Berg- und Talfahrt voller Humor und Freundschaft, aber auch
rührenden Momenten, in denen ich Hendrik gern gedrückt und eine Tasse Tee mit
ihm getrunken hätte.
Fazit
In „Eierlikörtage. Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 ¼ Jahre“ gibt
der Protagonist ein Jahr lang Einblicke in seinen Alltag in einem
niederländischen Altersheim. Das ist sehr oft unterhaltsam und kurzweilig,
brachte mich aber auch ins Nachdenken und vergisst nicht, dass Einsamkeit,
Krankheit und Tod in diesem Alter immer wieder zum Thema werden. Mit seiner
positiven Grundhaltung und der Bereitschaft, auch mit 83 noch beständig Neues
ausprobieren zu wollen, hat sich Hendrik Groen meine Sympathien gesichert. Ich
vergebe deshalb eine klare Leseempfehlung an alle Altersgruppen!