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Titel: Nach einer wahren Geschichte
Titel: Nach einer wahren Geschichte
Autorin: Delphine de Vigan
Übersetzerin: Doris Heinemann
Erscheinungsdatum: 17.08.2016
Verlag: Dumont Verlag
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Es ist in der Tat ein meisterliches Verwirrspiel, was mir
als Leserin die Französin Delphine de Vigan in ihrem neuen Roman „Nach einer
wahren Geschichte“ bietet. Das Cover bringt einen Einstieg in die im Buch beschriebenen
Ereignisse. Abgebildet ist in mehreren medaillonartigen Ausschnitten der Kopf
einer Frau aus einer halbschrägen rückwärtigen Perspektive. Der Bildausschnitt
nimmt Anspielung auf das Cover des letzten Buchs der Autorin, in der sie über
den Selbstmord ihrer Mutter geschrieben hat. Dieses Buch war sehr familiär und
persönlich. Diese Fakten sind im Internet leicht zu überprüfen. „Nach einer
wahren Geschichte“ beginnt wenige Monate nach der Veröffentlichung dieses Romans.
In einem kurzen an ihre Leser gerichteten Vorwort nennt
Delphine de Vigan gleich in den ersten Sätzen ihr Problem, das sie in den
vergangenen drei Jahren hatte und über das sie hier schreibt: In der Phase der
Findung zu einem Thema für dieses neue Buch wurde sie zeitweilig von einer
Schreibblockade an der Fortsetzung ihrer Arbeit gehindert. Aus der
Retrospektive kann sie auch den Grund dafür benennen. Er liegt in der Beziehung
zu einer Frau die sie im Folgenden „L.“ nennt.
Delphine de Vigan lernt L. auf einer Party kennen. Aus der
Situation heraus vertraut sie sich ihr mit einem kurzen unangenehmen Wortwechsel
mit einer Leserin an, der sich auf der letzten Lesung ereignet und der sie
verstört hat. Mit einem unglaublichen Einfühlungsvermögen zeigt L. Verständnis
und mitfühlende Worte. In der Folge entwickelt sich zwischen den beiden Frauen
eine zunehmend engere Freundschaft, die sogar so weit geht, dass Delphine die
ansonsten streng geheimen Überlegungen zu einem neuen Buch mit L. teilt, in dem
sie ihrer Fantasie freien Lauf geben möchte. L. widerspricht ihr vehement und
besteht darauf, dass Delphine nur mit einem Buch Erfolg haben wird in dem sie
weitere real geschehene Ereignisse verarbeiten soll. Delphine ist durch den
anhaltenden Widerspruch irritiert, es kommt zu der erwähnten Schreibblockade. L.,
die als Ghostwriterin für andere Autoren arbeitet, bietet ihr ihre Hilfe an,
die sie gerne annimmt. Als Delphine endlich erkennt, dass L. nicht immer in
ihrem Sinne arbeitet, plant sie entsprechende Maßnahmen. Doch darauf scheint L.
bereits gewartet und sich vorbereitet zu haben.
Was zuerst als Statement für eine besonders enge
Freundschaft, geprägt von Empathie und Anteilnahme beginnt, liest sich in der
Folge als mit psychologischer Raffinesse gestalteter Thriller. Dadurch, dass
die Autorin in der Ich-Form aus der Retrospektive erzählt, ist dem Leser von
Beginn an klar, dass sie die Machenschaften L.s aufgedeckt hat und das
vorliegende Buch gilt praktisch als Beweis dafür, dass sie ihre Blockade
überwunden hat. Doch was bleibt ist die Frage danach, ob der Roman eine Fiktion
ist oder den tatsächlichen Prozess des Schreibens abbildet. Hat die Autorin Delphine
de Vigan ihre ursprüngliche Vorstellung, als nächstes einen erdachten Roman zu
schreiben, hier umgesetzt oder konnte L. sie mit ihrem Wunsch nach einer wahren
Geschichte bleibend beeinflussen?
Der Roman beginnt eher behäbig damit, dass Delphine den
Beginn ihrer Beziehung zu L. schildert und in vielen Details auf die Gründe
eingeht, die sie dazu hatte, sich ihrer neuen Freundin anzuvertrauen. Bereits
in dieser Phase weist sie auf besondere Situationen hin, die ihr später seltsam
erscheinen. Auch mir als Leser waren diverse Szenen suspekt. L. übernimmt neben
der Autorentätigkeit immer mehr Eigenheiten von Delphine. Doch erst dann
beginnt die Geschichte beängstigend und vor allem zunehmend spannend zu werden.
Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, bleibt bei mir schließlich die Frage: Wer
ist L.?
Delphine de Vigan treibt mit diesem Roman ein perfides Spiel
um Freundschaft, Vertrauen Machtgewinn, aber auch um Vertrauensbruch und
Machtmissbrauch im trügerischen Schein zwischen Fiktion und Realität und der Suche
nach der Identität von L. Die Idee zu diesem Buch finde ich grandios. Für dieses Lese-Highlight gebe ich gerne eine Leseempfehlung für
anspruchsvollere Leser.