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Familie der geflügelten Tiger
Autorin: Paula Fürstenberg
Hardcover: 240 Seiten
Erschienen am 11. August 2016
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
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Inhalt
Statt nach ihrem Abitur im mütterlichen Sinne ein Studium zu beginnen,
ist Johanna von der Uckermark nach Berlin gezogen, um Straßenbahnfahrerin zu
werden. Bei ihrem ersten Heimatbesuch nach ihrem Auszug findet sie auf dem
Anrufbeantworter ihrer Mutter eine Nachricht von ihrem Vater Jens. Dieser hat
nichts mehr von sich hören lassen, seit er im Oktober 1989 verschwunden ist und
ein halbes Jahr später eine Postkarte geschickt hat. Als sie sich dazu durchringt,
zurückzurufen, erfährt sie von ihrer Halbschwester die traurige Neuigkeit: Jens
ist schwer krank. Johanna beschließt, ihn zu besuchen und endlich die Wahrheit
über sein Verschwinden kurz vor dem Fall der Mauer herauszufinden. Wird sie
zufriedenstellende Antworten finden?
Meinung
Von der ersten Seite an ist es mir leicht gefallen, in die Geschichte
einzutauchen. Die Protagonistin Johanna lässt den Leser ganz offen an ihrem
Leben und ihren Gedanken teilhaben. Erst vor wenigen Monaten hat sie sich über
den Willen ihrer Mutter hinweg gesetzt und eine Ausbildung zur
Straßenbahnfahrerin in Berlin begonnen. Raus aus der Provinz, rein in die
Großstadt und einen Job, der eng mit ihrer Sammel-Leidenschaft für Landkarten
verbunden ist. Von einer Karte in ihrer Sammlung leitet sich auch der Buchtitel
ab: Sie betrachtet immer wieder gern einen Nachdruck der Ebstorfer Weltkarte,
auf der ihr ein geflügelter Tiger besonders gut gefällt.
Die Kartenzeichner von damals wandten bei dieser Karte wohl genauso
viel Fantasie an, um Lücken zu schließen, wie es Johanna schon lange tut, wenn
es um die Frage geht, warum ihr Vater damals verschwunden ist. Hat er sich in
den Westen rübergemacht, wie ihre Mutter behauptet? Oder ist er von der Stasi
als Musiker aufgrund seiner Texte verhaftet worden? Sehr gut konnte ich ihren
Wunsch verstehen, endlich Gewissheit zu haben und gleichzeitig ihre Unsicherheit,
wie sich ein Aufeinandertreffen mit Jens nach so einer langen Zeit wohl
anfühlen wird.
Johannas Verhältnis zu ihrer Mutter Astrid ist gut, aber nicht sonderlich
innig. Astrid kümmert sich am liebsten voller Liebe um verletzte Tiere, die sie
findet. Warum sie aber einst Veterinärmedizin studiert und ein Tierheim
geleitet hat, sich jetzt aber mit einem Job in einem Streichelzoo zufrieden
gibt, sagt sie nicht. Überall trifft Johanna auf Verschwiegenheit, die sie
endlich überwinden will. Doch wie weit kann man gehen, um etwas herauszufinden?
Welchen Preis ist man bereit, dafür zu zahlen? Während der Lektüre dachte ich intensiv
über diese Fragen nach, unterstützte Johannas Entscheidungen manchmal und fand
meine persönliche Grenze, ab der ich ihr Verhalten kritisch sah.
Der Ton der Erzählung ist ruhig und die Konversationen werden
ausschließlich in indirekter Sprache beschrieben. Das bestärkte die melancholische
Atmosphäre des Romans. Auch wenn der Roman im Jahr 2007 spielt, hat Johanna
sich intensiv mit der Zeit kurz vor der Wende auseinandergesetzt und kehrt
gedanklich immer wieder zu möglichen Szenarien des Verschwindens ihres Vaters zurück.
Diese Kontrastierung fand ich gelungen. Fantasie und Fakten sind nicht
eindeutig trennbar, doch genau wie die Protagonistin lernte ich allmählich,
genau das zu akzeptieren. Den Schluss erlebte ich deshalb als genau richtig für
diesen Roman.
Fazit
In „Familie der geflügelten Tiger“ begleitet der Leser Johanna, die zum
ersten Mal seit 18 Jahren etwas von ihrem Vater hört. Jetzt will sie endlich
wissen, warum er damals wirklich verschwunden ist. Die Geschichte erzählt von
der Suche nach Wahrheit, dem Umgang mit Schweigen, wo Antworten erwartet werden
und dem Einsatz von Fantasie, wo Lücken bleiben. Für mich ein eindringliches
Leseerlebnis, das mich ins Nachdenken gebracht hat. Sehr gern empfehle ich das
Buch weiter.
Interesse an einer zweiten Meinung?
Ingrids Rezension zum gleichen Buch findest Du hier: KLICK!
Ingrids Rezension zum gleichen Buch findest Du hier: KLICK!