Montag, 27. Februar 2017

[Rezension Ingrid] Ellbogen von Fatma Aydemir



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Titel: Ellbogen
Autorin: Fatma Aydemir
Erscheinungstermin: 30.01.2017
Verlag: Hanser Literaturverlage (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Nominiert für den Debütpreis der lit.cologne 2017


Hazal begegnete ich im Roman „Ellbogen“, dem Debüt von Fatma Aydemir zum ersten Mal zwei Tage vor ihrem 18. Geburtstag. Doch die für sie damit verbundene Volljährigkeit wird für die junge Türkin kaum Änderungen in ihrem Leben bringen, denn in der Familie hat sie sich weiter dem Diktat der Eltern zu beugen. Sie geht auf eine berufsvorbereitende Schule und jobbt in der Bäckerei ihres Onkels, die auf dem Papier ihrer Mutter gehört. Ihr Vater ist Taxifahrer, ihre Mutter arbeitet selber nur gelegentlich in der Bäckerei, was ihr genügend Zeit gibt, den nötigen Respekt gegenüber den Eltern bei Hazal einzufordern. Wird der Vater wütend scheut er nicht davor zurück, Hazal zu bestrafen. Aber längst liebt ihre Mutter ihren Vater nicht mehr, hat ihn vielleicht nie geliebt, denn die Ehe wurde arrangiert. Für ein eigenständiges Leben fühlt Hazals Mutter sich nicht bereit und auch finanziell ist sie von ihrem Mann abhängig.

Mit ihren Freundinnen, alle mit Migrationshintergrund, hat Hazal geplant, in der ersten Nacht ihrer Volljährigkeit einen ganz bestimmten angesagten Club aufzusuchen, natürlich ohne dass ihre Eltern davon erfahren sollen. Doch dann kommen die Planungen für ihre geheime Party zwei Tage vorher ins Stocken. Als sie es endlich bis zum Eingang des Clubs geschafft haben, lässt sie der Türsteher nicht rein. Die drei Mädchen sind am Boden zerstört, die Stimmung ist entsprechend aufgeladen und dann fühlen sie sich auf der Heimfahrt von einer eher als harmlos einzustufenden Person derart provoziert, dass es zum Äußersten, Undenkbaren kommt. Hazal erscheint der einzige Ausweg die Flucht nach Istanbul zu einem zehn Jahre älteren alleinstehenden Mann den sie nur aus dem Chat im Internet kennt.

Fatma Aydemir lässt in dem ersten der drei Teile des Buchs ihre Protagonistin aus ihrem Alltag erzählen in einem in ihrem Umfeld üblichen und realistischen Slang. Hineingeworfen in eine für Hazal sehr unangenehme Situation konnte ich sie gleich dabei kennenlernen wie sie alles daran setzt, sich durch Mitleid und Lügen herauszuwinden. Das wurde ihr bereits als Kind von ihrer Mutter so beigebracht. Die junge Frau erklärt im weiteren Verlauf der Geschichte, dass es immer darum geht, allen ein erfolgreiches Leben vorzuspielen. Gelingt das nicht, darf auch mal ein Selbstmordversuch vorgetäuscht werden. Bei all dem findet sie nicht zu ihrer eigenen Identität. Jeden Schritt den sie geht wird durch Regeln und Verbote gelenkt. Jede Abweichung von den Erwartungen der anderen an ihre eigene Person endet mit emotionalen und körperlichen Blessuren, die angewendeten Ellbogenschläge lauern überall.

Hazal als Figur ist keine Sympathieträgerin. Obwohl ihre Tante Semra, die anders lebt als die übrigen Familienmitglieder ihr als Vorbild dienen könnte eifert sie ihr nicht nach und sie scheint auch nicht aktiv nach Wegen für eine beruflich erfolgversprechende Zukunft zu suchen. Es sind die kleinen Momente und Erinnerungen und die Ausweglosigkeit die die Protagonistin für sich und ihre Freundinnen sieht die den Roman so erschreckend machen.

Der erste Teil endet abrupt, in den beiden folgenden begleitete ich Hazal nach Istanbul. Obwohl ihr sicher immer wieder gesagt wurde, dass man sich auf keinen Fall auf unbekannte Männer einlässt, ist sie zu ihrer Internetbekanntschaft gefahren und in seine Wohnung eingezogen, wobei sie von Beginn an weiß, dass er vermutlich eine Gegenleistung verlangen wird. Hazal ist natürlich durch die vorangegangenen Ereignisse aufgelöst, verwirrt und verzweifelt, doch auf mich wirkte sie manches Mal auch reichlich unbeholfen und unwissend. Schnell war sie immer bereit, ihre Mitmenschen zu attribuieren. Da gab es die Syrerin und den Studenten, die sie persönlich nicht kannte und diese dennoch als solche benennen konnte, nur um irgendwann später dann selbst die Frage aufzuwerfen, ob man die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft einer Person ansieht.

Führte mich der erste Teil noch in eine deutsche Subkultur die ich so persönlich nicht kannte, so folgte ich der Protagonistin in die türkische Hauptstadt um sie dort im Überlebenskampf wiederzufinden, dem sie doch eigentlich entrinnen wollte. In Form einiger Freunde drängt sich nun das aktuelle politische Geschehen in die Erzählung, was für Hazal aber nur neue Ängste bringt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Gegenheiten erfolgt nicht weiter.

Ich habe auf eine Lösung für die Probleme von Hazal gehofft, was meine Lesegeschwindigkeit vorangetrieben hat. Mir war klar, dass ihre unfassbare Tat ihr Leben in erheblichem Maße verändert hat. „Ellbogen“ gab mir auf beängstigende Weise eine realistische Darstellung und eine mögliche Erklärung der Hintergründe für die immer wieder sich ereignenden gewalttätiger Übergriffe von Jugendlichen, ein Buch das beängstigend ist und so wichtig für das Verstehen.
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