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Titel: Ellbogen
Titel: Ellbogen
Autorin: Fatma Aydemir
Erscheinungstermin: 30.01.2017
Verlag: Hanser Literaturverlage (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Nominiert für den Debütpreis der lit.cologne 2017
Hazal begegnete ich im Roman „Ellbogen“, dem Debüt von Fatma
Aydemir zum ersten Mal zwei Tage vor ihrem 18. Geburtstag. Doch die für sie
damit verbundene Volljährigkeit wird für die junge Türkin kaum Änderungen in
ihrem Leben bringen, denn in der Familie hat sie sich weiter dem Diktat der
Eltern zu beugen. Sie geht auf eine berufsvorbereitende Schule und jobbt in der
Bäckerei ihres Onkels, die auf dem Papier ihrer Mutter gehört. Ihr Vater ist
Taxifahrer, ihre Mutter arbeitet selber nur gelegentlich in der Bäckerei, was
ihr genügend Zeit gibt, den nötigen Respekt gegenüber den Eltern bei Hazal
einzufordern. Wird der Vater wütend scheut er nicht davor zurück, Hazal zu
bestrafen. Aber längst liebt ihre Mutter ihren Vater nicht mehr, hat ihn
vielleicht nie geliebt, denn die Ehe wurde arrangiert. Für ein eigenständiges Leben fühlt Hazals Mutter sich nicht bereit und auch finanziell ist sie von ihrem Mann abhängig.
Mit ihren Freundinnen, alle mit Migrationshintergrund, hat Hazal geplant, in der ersten Nacht ihrer Volljährigkeit einen ganz bestimmten
angesagten Club aufzusuchen, natürlich ohne dass ihre Eltern davon erfahren
sollen. Doch dann kommen die Planungen für ihre geheime Party zwei Tage vorher ins
Stocken. Als sie es endlich bis zum Eingang des Clubs geschafft haben, lässt
sie der Türsteher nicht rein. Die drei Mädchen sind am Boden zerstört, die
Stimmung ist entsprechend aufgeladen und dann fühlen sie sich auf der Heimfahrt
von einer eher als harmlos einzustufenden Person derart provoziert, dass es zum
Äußersten, Undenkbaren kommt. Hazal erscheint der einzige Ausweg die Flucht
nach Istanbul zu einem zehn Jahre älteren alleinstehenden Mann den sie nur aus dem
Chat im Internet kennt.
Fatma Aydemir lässt in dem ersten der drei Teile des Buchs
ihre Protagonistin aus ihrem Alltag erzählen in einem in ihrem Umfeld üblichen
und realistischen Slang. Hineingeworfen in eine für Hazal sehr unangenehme
Situation konnte ich sie gleich dabei kennenlernen wie sie alles daran setzt,
sich durch Mitleid und Lügen herauszuwinden. Das wurde ihr bereits als Kind von
ihrer Mutter so beigebracht. Die junge Frau erklärt im weiteren Verlauf der Geschichte,
dass es immer darum geht, allen ein erfolgreiches Leben vorzuspielen. Gelingt
das nicht, darf auch mal ein Selbstmordversuch vorgetäuscht werden. Bei all dem
findet sie nicht zu ihrer eigenen Identität. Jeden Schritt den sie geht wird
durch Regeln und Verbote gelenkt. Jede Abweichung von den Erwartungen der
anderen an ihre eigene Person endet mit emotionalen und körperlichen Blessuren,
die angewendeten Ellbogenschläge lauern überall.
Hazal als Figur ist keine Sympathieträgerin. Obwohl ihre
Tante Semra, die anders lebt als die übrigen Familienmitglieder ihr als Vorbild
dienen könnte eifert sie ihr nicht nach und sie scheint auch nicht aktiv nach
Wegen für eine beruflich erfolgversprechende Zukunft zu suchen. Es sind die
kleinen Momente und Erinnerungen und die
Ausweglosigkeit die die Protagonistin für sich und ihre Freundinnen sieht die den Roman so erschreckend machen.
Der erste Teil endet abrupt, in den beiden folgenden
begleitete ich Hazal nach Istanbul. Obwohl ihr sicher immer wieder gesagt
wurde, dass man sich auf keinen Fall auf unbekannte Männer einlässt, ist sie zu
ihrer Internetbekanntschaft gefahren und in seine Wohnung eingezogen, wobei sie von Beginn an weiß, dass er vermutlich eine Gegenleistung verlangen wird. Hazal ist
natürlich durch die vorangegangenen Ereignisse aufgelöst, verwirrt und
verzweifelt, doch auf mich wirkte sie manches Mal auch reichlich unbeholfen und
unwissend. Schnell war sie immer bereit, ihre Mitmenschen zu attribuieren. Da
gab es die Syrerin und den Studenten, die sie persönlich nicht kannte und diese
dennoch als solche benennen konnte, nur um irgendwann später dann selbst die
Frage aufzuwerfen, ob man die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft einer
Person ansieht.
Führte mich der erste Teil noch in eine deutsche Subkultur
die ich so persönlich nicht kannte, so folgte ich der Protagonistin in die
türkische Hauptstadt um sie dort im Überlebenskampf wiederzufinden, dem sie
doch eigentlich entrinnen wollte. In Form einiger Freunde drängt sich nun das
aktuelle politische Geschehen in die Erzählung, was für Hazal aber nur neue
Ängste bringt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Gegenheiten erfolgt nicht weiter.
Ich habe auf eine Lösung für die Probleme von Hazal gehofft, was
meine Lesegeschwindigkeit vorangetrieben hat. Mir war klar, dass ihre
unfassbare Tat ihr Leben in erheblichem Maße verändert hat. „Ellbogen“ gab mir auf beängstigende Weise eine realistische
Darstellung und eine mögliche Erklärung der Hintergründe für die immer wieder
sich ereignenden gewalttätiger Übergriffe von Jugendlichen, ein Buch das
beängstigend ist und so wichtig für das Verstehen.