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Titel: Fast eine Familie
Titel: Fast eine Familie
Autor: Bill Clegg
Übersetzerin: Adelheid Zöfel
Erscheinungsdatum: 23.02.2017
Verlag: S.Fischer Verlag (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Ihr Hochzeitstag sollte einer der schönsten Tage des Lebens
für Lolly und Will werden. Doch dann gegen sechs Uhr in der Früh explodiert das
Haus in dem kleinen Ort Wells an der Ostküste der USA in dem sie schlafen und
reißt sie in den Tod. Mit diesem fulminanten Anfang beginnt der Roman „Fast
eine Familie“, dem Debüt des US-Amerikaners Bill Clegg. Fassungslos zurück
bleibt June, die Mutter der Braut, die nicht im Haus war. Außer dem jungen Paar
verliert sie ihren Ex-Mann und ihren Lebensgefährten bei dem Unglück. June lässt
das Geschehen immer wieder Revue passieren. Die innere Leere lähmt sie, diese
Tiefe des Abgrunds der Einsamkeit der sich vor ihr auftut konnte ich
nachempfinden. Deutete das Cover noch eher auf eine beschauliche Geschichte
hin, bereitete der Klappentext mich bereits auf das entsetzliche Ereignis vor
und die sichtbaren dunklen Wolken am Himmel auf dem Titelbild deuten das Unheil
an.
Mit dem Brand des Wohnhauses endet für zwei junge Leute eine
gemeinsame Zukunft als Familie, die noch gar nicht begonnen hat. Anstelle des
Brautpaars stehen im Mittelpunkt der Erzählung diejenigen, die durch das
Unglück wohl am meisten Leid erfahren, die Mütter. Einerseits ist es June,
andererseits Lydia, die Mutter von Junes Lebensgefährten Luke. Der Autor
erzählt aus unterschiedlichen Erzählperspektiven mal als auktorialer Erzähler
wie bei June und Lydia, mal lässt er die Figur selbst zu Wort kommen. Es sind
die Personen, die June und Lydia und deren Kinder sowie Will gekannt haben, die
jeweils mit ihrer Geschichte einen weiteren Puzzlestein dazu liefern, das
Geschehen vor und nach der Tragödie zu einem Großen und Ganzen zu ergänzen.
Von Beginn an fragte ich mich, was der Auslöser für die
Explosion war. Im Laufe des Lesens trat die Frage immer mehr in den
Hintergrund, die Erzählung wendete sich mehr der Beziehung zwischen June und
Luke zu. Luke schien Zeit seines Lebens durch seine Herkunft, sein Äußeres und
seinen gutwilligen Gemüt dazu prädestiniert, der Schuldige zu sein. Auch nach
dem Brand wird er ohne weitere Gründe von den Bewohnern der Ortschaft zum Täter
erklärt.
Auf eindrucksvoll empfindsame Weise zeichnet der Autor ganz
nebenbei das Miteinander in einer Kleinstadt an der Ostküste, das verbunden ist
mit seinen Bewohnern von denen sich in der Regel die meisten einander kennen.
Doch gerade in Wells hat sich in den letzten Jahrzenten die Bevölkerungsstruktur
geändert und ein großer Teil der Häuser wird von Touristen und Besitzern nur
noch am Wochenende bewohnt. Dadurch ist die Zahl der Bediensteten gestiegen,
die besserverdienenden Hauseigentümer bevorzugen das Leben in der Großstadt. Ein
Überschreiten der Grenze zwischen Eigentümer und Angestelltem wie bei Luke und
June wird kritisch gesehen.
June wendet dem Dorf verständnislos den Rücken und fährt mit
ihrem Auto bis an die Westküste zu einem Motel. Dort findet sie zunächst den
benötigten Abstand, aber auch eine ungewöhnliche Form der Hilfe, die mir
während des Lesens die Hoffnung darauf gab, dass June aus ihrer Starre
herausfinden und es für sie einen Neuanfang geben wird. Gegenüber dem Dorfgefüge
steht das Motel direkt am Meer der Westküste als Kleinkosmos mit seiner
beschränkten, aber ständig wechselnden
Zahl an Gästen. Hier scheinen Wünsche in Erfüllung zu gehen, alles ist
möglich, dazu gehört aber auch Enttäuschung. Allein durch ihren anhaltenden
Aufenthalt gewinnt June Aufmerksamkeit in dieser Umgebung.
Bill Clegg erzählt in keiner zeitlichen Reihenfolge. Seine
Figuren schildern jeweils ihren Teil der Geschichte, der meistens nicht direkt
mit dem Unglück zusammenhängt. Jeder hat schon Bedeutsames erlebt und so wird
aus fast jedem Kapitel eine Short Story. Dabei bin ich vielen interessanten
Charakteren begegnet, erfuhr wie sie die Liebe ihres Lebens kennengelernt und
ihren Platz im Leben gefunden haben.
Der Autor gibt die Hoffnung mit, dass es sie gibt, die aufmerksamen Menschen auf die man zu ungeahnter Zeit an unvermutetem Ort trifft und die uneigennützig beherzt dort helfen wo sie
Handlungsbedarf sehen. „Fast eine Familie“ ist ein Buch mit großen Emotionen,
sehr einfühlsam geschrieben und ergreifend. Ein gelungener Debütroman dem ich gerne
eine Leseempfehlung gebe.