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Samstag, 26. August 2017

[Rezension Hanna] Riders. Schatten und Licht - Veronica Rossi


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Riders. Schatten und Licht
Autorin: Veronica Rossi
Paperback: 528 Seiten
Erschienen am 24. August 2017
Verlag: FISCHER FJB

Inhalt
Gideon Blake hat seinen Schulabschluss in der Tasche und ist seinem Ziel, ein Ranger zu werden, nun ganz nahe. Er nimmt am Auswahlverfahren RASP teil und schlägt sich dort bislang sehr gut. Doch dann geht ein Fallschirmabsprung schief. Gideon müsste tot sein, kommt aber mit schweren Knochenbrüchen ins Krankenhaus. Ein Wunder? Als er nach wenigen Tagen wieder fit ist, weiß er, dass etwas nicht stimmt. Dann taucht ein Mädchen auf, das behauptet, er sei der personifizierte „Krieg“, einer der vier Apokalyptischen Reiter. Und sie diejenige, die alle vier finden muss, damit die Menschheit nicht von Dämonen versklavt wird…

Meinung
Von Veronica Rossi habe ich bereits die Aria und Perry-Trilogie gelesen und habe mich deshalb sehr über die Nachricht gefreut, dass ein neues Buch von ihr veröffentlicht wird. Dass es um Apokalyptische Reiter geht wird schon durch das Cover signalisiert und klang für mich erst mal schräg, doch der Autorenname hat mich überzeugt. Neugierig, was es mit den Reitern auf sich hat, startete ich ins Buch.

Auf den ersten Seiten trifft man auf Gideon, der gerade aus einer Bewusstlosigkeit erwacht und sich selbst gefesselt und benommen vorfindet. Er wird einem Verhör unterzogen und soll von Anfang an ganz genau berichten, was ihm widerfahren ist. So taucht der Leser in Gideons Erinnerungen ein, beginnend mit seinem eigentlich tödlichen Fallschirmsprung und dem Erwachen mit übermenschlichen Fähigkeiten.

Gideons Geschichte ist temporeich erzählt und konnte mich schnell fesseln. Die Entdeckung seiner neuen Fähigkeiten übte auch auf mich eine Faszination aus und ich wollte mehr darüber erfahren, was er kann und wieso. Vieles findet er zunächst zufällig heraus, zum Beispiel kann er seine Wut auf die Menschen in seiner Umgebung übertragen. Bald trifft er auf Daryn, die behauptet, eine Seherin zu sein und die vier Apokalyptischen Reiter vereinigen zu müssen.

Nach dieser Eröffnung kommt es auch zur ersten Begegnung mit den Dämonen, durch welche Action in die Story kommt. Diese tauchen selten allein auf und bedeuten ordentlichen Ärger. Auch sie besitzen unterschiedliche Kräfte, die sie rücksichtslos einsetzen, um ihre Pläne zu verwirklichen. Die Dämonen tauchen immer wieder auf, für mich wurde allerdings nicht glaubhaft genug erklärt, warum sie sich die ersten Male immer so schnell zurückziehen, obwohl sie Gideon mühelos hätten überwältigen können. Erst im Laufe der Geschichte werden die Kämpfe spannender, wobei sich die Dämonen immer wieder ziemlich dämlich verhalten.

Nachdem Daryn Gideon gefunden hat machen sich die beiden daran, die anderen vier Reiter zu finden. Länger als ich zu Beginn dachte hat das Buch deshalb etwas von einem Roadtrip. Ich fand es interessant, nach und nach die anderen Reiter und ihre Fähigkeiten kennenzulernen. Ich fand die Idee der Autorin, jeden Reiter mit einer Waffe, einer Rüstung, einer Emotion, die sich auf andere auswirkt und natürlich einem Pferd auszustatten, sehr kreativ. Die Pferde spielen übrigens keine zentrale Rolle, sondern gehören einfach dazu. Wer mit Pferde-Büchern nichts anfangen kann, der sollte sich davon auf keinen Fall abschrecken lassen.

Das gemeinsame Training fand ich zunächst interessant, um die einzelnen Fähigkeiten besser kennenzulernen. Bald zog es sich für mich allerdings etwas hin. Während ich die taffe Daryn von Beginn an sehr mochte, verhielt sich vor allem Gideon auch als personifizierter „Krieg“ für mich zu machohaft, was ich nervig fand. Schließlich kommt es zu einem doppelten, spannenden Finale, in denen die Reiter zeigen müssen, was in ihnen steckt. Das Buch ist in sich relativ abgeschlossen, eine sehr wichtige Frage bleibt aber offen, sodass ich mich schon sehr auf den zweiten Teil dieser Dilogie freue!

Fazit
In „Riders. Schatten und Licht“ erwacht Gideon nach einem Unfall als einer von vier Apokalyptischen Reitern, welche die Menschheit vor Dämonen schützen sollen. Ich fand die Fähigkeiten und Beigaben, mit denen jeder Reiter ausgestattet ist, interessant. Für mich hätten sich die Dämonen aber noch etwas schlauer und Gideon etwas weniger machohaft verhalten dürfen. Wer Lust auf Fantasy mit Action und einem Hauch von Endzeit-Feeling hat, der ist bei diesem Buch richtig!


Freitag, 25. August 2017

[Rezension Hanna] Der Junge auf dem Berg - John Boyne


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Der Junge auf dem Berg
Autor: John Boyne
Übersetzerin: Ilse Layer
Hardcover: 304 Seiten
Erschienen am 24. August 2017
Verlag: FISCHER KJB

Inhalt
In den 1930er Jahren wächst Pierrot als Sohn einer Französin und eines Deutschen in Paris auf. Sein bester Freund ist der taube Anshel, der spannende Geschichten schreiben und mit dem er sich auf Gebärdensprache unterhalten kann. Doch dann wird Pierrot zur Waise: Sein Vater begeht Selbstmord, und seine Mutter stirbt an Tuberkulose. Nach einem kurzen Aufenthalt im Waisenhaus holt ihn seine Tante zu sich. Sie arbeitet als Hauswirtschafterin auf dem Berghof, der Adolf Hitler gehört. Gerne möchte Pierrot ihm gefallen, auch wenn er nicht weiß, warum er sich dazu Peter nennen soll und Anshel nicht mehr schreiben darf. Mit der Zeit übernimmt er Hitlers Ansichten immer stärker und trifft folgenreiche Entscheidungen.

Meinung
Wie hätte es einem Jungen ergehen können, der im Umfeld Hitlers aufwächst? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Buch, in dessen Mittelpunkt Pierrot steht. Zu Beginn der Geschichte ist er sieben Jahre alt und wohnt in Paris. Für sein Alter ist er aufgeweckt, doch seine Familiensituation ist nicht leicht. Sein Vater hat im Ersten Weltkrieg gekämpft und versucht, die Erinnerungen mit Alkohol zu vergessen, was bei ihm aber auch zu Gewaltausbrüchen gegen Pierrots Mutter führt.

Nach der Beschreibung der Umstände, unter denen Pierrot aufgewachsen ist, wird auf wenigen Seiten der Tod beider Elternteile beschrieben und er wird zum Waisen. In der Schule, im Waisenhaus und auf der Fahrt zu seiner Tante erlebt er selbst, wie es ist, von anderen gehänselt und gepeinigt zu werden. Mit diesen Erfahrungen im Gepäck trifft er schließlich auf dem Berghof ein. Bis dahin wirkte Pierrot auf mich für sein Alter recht klug, in einigen Situationen handelt er aber auch unbedarft und naiv.

Pierrot empfindet es als große Ehre, auf dem Berghof wohnen zu dürfen. Er hat häufiger Gelegenheit, mit Hitler zu reden. Dadurch übernimmt er immer stärker dessen Ansichten, ohne sie zu hinterfragen, und entfernt sich dabei von den Personen, die ihm zuvor nahe standen. Ich hätte es gut gefunden, wenn dieser extreme Wandel noch mehr erläutert worden wäre. Wie konnten die Gespräche mit Hitler dazu führen, dass Pierrot sich so schnell und stark von seinen ursprünglichen Überzeugungen entfernt? Bald ist Pierrot nicht mehr wiederzuerkennen. Die Meinungen von anderen will er nicht hören. Schließlich kommt es zu einer Situation, in der er entscheiden muss, wem seine Treue gilt. Er trifft eine schockierende Entscheidung, nach der es kein Zurück mehr gibt.

Danach ist es beklemmend, zu erleben, was die Jahre mit Pierrot machen. Seine Entwicklung hat mich ins Grübeln gebracht darüber, wie intelligente Menschen, denen früh gute Werte vermittelt wurden, sich durch eindringliche Propaganda gänzlich verändern können und zu welchen Taten sie fähig sind. Die Botschaft, die das Buch vermittelt, ist bedrückend. Das Ende ist ein wenig versöhnlich und lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück.

Fazit
In „Der Junge auf dem Berg“ wird Pierrot nach dem Tod seiner Eltern von seiner Tante auf den Berghof von Adolf Hitler geholt, wo sie als Hauswirtschafterin arbeitet. Die Begegnungen mit Hitler machen Pierrot zu einem völlig anderen Menschen, welcher die Propaganda verinnerlicht und in schockierende Taten umsetzt, ohne sie zu hinterfragen. Ich hätte mir noch tiefere Einblicke in Pierrots Wandlung gewünscht. Das Buch gibt einen bedrückenden Einblick, was Propaganda auslösen kann. Ich kann es an Jugendliche und auch an Erwachsene empfehlen.

Donnerstag, 24. August 2017

[Rezension Ingrid] Und es schmilzt von Lize Spit


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Titel: Und es schmilzt
Autorin: Lize Spit
Erscheinungsdatum: 24.08.2017
Verlag: S.Fischer Verlag (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen (Leseexemplar)

„Und es schmilzt“ ist der Debütroman der Belgierin Lize Spit. Das Cover des Buchs gaukelt dem Leser mit seiner blümchenhaften Gestaltung eine heile Welt vor. Doch so wie die Buchstaben auf dem Titel haptisch spürbar sind, hat das Leben in einem kleinen Dorf in Flandern tiefe seelische Wunden bei der Protagonistin Eva hinterlassen. Auf dem weißen, nach außen unbefleckt wirkenden Umschlag sind bei näherem Hinsehen Schmelzschlieren und Tautropfen zu erkennen. In der Geschichte verhält es sich ähnlich, denn erst wer hinter die Fassade schaut, wird das Hässliche erkennen.

Der Roman wird auf drei zeitlichen Ebenen in der Ich-Form durch Eva erzählt. Es ist Silvester 2015 und die Protagonistin folgt der Einladung eines früheren Klassenkameraden. Zum Schuljahrgang gehörten außer ihr nur noch zwei Jungen. Inzwischen wohnt sie in Brüssel. Sie war seit neun Jahren nicht mehr in ihrem Geburtsort, der ungefähr eineinhalb Stunden entfernt liegt. Vor der Fahrt packt sie sich eine Curverkiste mit gefrorenem Eis in den Kofferraum. Die Erzählung in der Gegenwart erkennt man an den Uhrzeiten, die dem Text vorangestellt sind. Unterbrochen wird die Geschichte zum einen von Rückblicken auf den Sommer 2002, die jedes Mal durch das Datum des Tags betitelt werden, zum anderen von den Erinnerungen Evas an Ereignisse aus ihrem Umfeld in Familie, Schule und Dorf, die eine treffende Bezeichnung als Überschrift haben.

Zunächst ließ mich die Autorin einen Blick auf ihre Familie werfen. Schon nach wenigen Seiten wurde mir klar, dass in Evas Jungmädchenwelt, vielleicht auch heute noch, nicht alles in Ordnung ist, denn sie fühlt sich unvollständig. Es ist schwierig für sie, das Gefühl zu erklären. Anders gesagt, hat Lize Spit dazu nur eine fadenscheinige Erklärung gefunden. Herhalten muss der bei der Geburt verstorbene Zwilling ihres älteren Bruders, der wohl auch für die Alkoholsucht ihrer Eltern verantwortlich gemacht wird. Deutlich wird herausgestellt, dass Eva in dem kleinen Ort kaum Möglichkeiten hatte, Freunde zu finden und daher für ihre Freizeitgestaltung und zur Behebung ihrer Langeweile auf die beiden Klassenkameraden Pim und Laurens angewiesen war.

Die Autorin glänzt mit ihrem Schreibstil, auch den Zeitgeist hat sie gut eingefangen, ihre Fantasie ist grenzenlos, aber ihre Charaktere verharren im eignen Dreck. Eva erzählt als 27-Jährige das, was sie als gerade Vierzehnjährige im damaligen heißen Sommer mit den beiden Jungen erlebt hat. Was ist so faszinierend an der Geschichte? Um dem Buch nicht die Spannung zu nehmen, wird auch im Klappentext kaum etwas von der Handlung angedeutet. Es sind die zu Beginn in den Text gestreuten Hinweise, die beim Leser Fragen hinterlassen wie beispielsweise der Sinn des Eisblocks im Kofferraum, die Todesursache des Bruders von Pim, der Grund für das auffällige Verhalten von Evas Schwester oder auch wieso am Wegrand des Dorfs ein Slip von Eva liegt. Natürlich wollte auch ich hierzu eine Lösung finden, lesend konnte ich aus meiner gesicherten Position voyeuristisch die Gründe entdecken.

Um es hier einmal deutlich auf den Punkt zu bringen: hinter der Fassade verbirgt sich Gewalt an einer Minderjährigen, aber auch an Tieren, verursacht durch Minderjährige! Das ist erschreckend! Tragisch ist auch, dass die Taten scheinbar keine Konsequenzen für die Beteiligten haben. Reue, Bedauern oder Einsicht werden nicht geäußert. Eva, Laurens und Pim haben erfolgreich geschwiegen. Ich hoffe, dass die Darstellung der Gewalt keine Nachahmer finden wird. Neben der 14-jährigen Protagonistin, die einerseits als kreativ und autodidaktisch dargestellt wird und dennoch nur der Langeweile entfliehen will, werden durchgehend die jungen Frauen des Dorfs als lüstern und mit wenigen Hemmungen dargestellt. Die Eltern sind mit sich selbst genug beschäftigt oder stehen im Selbstverständnis hinter ihren Kindern.

Eigentlich mag ich es, wenn der Autor eines Textes ganz nah an das Geschehen ran zoomt. Aber in diesem Roman beugt Lize Spit sich so weit vor, dass mir der Blick vor Augen verschwimmt und mir davon übel wird. Die Autorin selbst äußert sich nicht dazu, inwieweit die Schilderungen autobiografisch sind. Sie selbst ist gleichaltrig mit Eva und ebenfalls im Dorf aufgewachsen. Auf mich wirkt der Roman so, als ob sie sich etwas von der Seele schreiben wollte. Man muss dieses Buch nicht lesen und daher gebe ich auch keine Leseempfehlung. 
PS: Ich sehe den Roman als reine Fiktion an, die der Fantasie der Autorin entspricht und habe ihn als solchen bewertet. Sollten sich Personen aufgrund ihrer eigenen Erfahrung in der Geschichte wiedererkennen und Ähnliches erlebt haben, benötigen sie Hilfe. Eine Anlaufstelle dafür ist beispielsweise https://www.hilfeportal-missbrauch.de/startseite.html

Mittwoch, 23. August 2017

[Rezension Hanna] Vintage - Grégoire Hervier



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Vintage
Autor: Grégoire Hervier
Übersetzer: Alexandra Baisch und Stefanie Jacobs
Hardcover: 400 Seiten (Foto zeigt das Leseexemplar)
Erschienen am 23. August 2017
Verlag: Diogenes

Inhalt
Der fünfundzwanzigjährige Thomas Dupré ist begeisterter Gitarrist, der sich als Schreiber für kleine Musikzeitschriften etwas Geld verdient. Zusätzlich hilft er gerade in seinem Pariser Lieblingsladen „Prestige Guitars“ aus. Der Besitzer überlässt ihm einen besonderen Auftrag: Er soll die wertvollste Gitarre des Ladens bei dessen Käufer in Schottland abliefern. Bei diesem handelt es sich um einen Lord, der mit Thomas einen Deal macht: Wenn er ihm hilft, einen Beweis zu finden, dass die legendäre Gitarre „Gibson Moderne“ tatsächlich gebaut worden ist, erhält er eine Million Dollar. Thomas stürzt sich begeistert hinein in eine abenteuerliche Suche, die zunehmend gefährlicher wird…

Meinung
Das Cover des Buches zeigt einen Gitarrenkopf, der die Suche nach der legendären „Gibson Moderne“ symbolisiert. Zu Beginn lernt man den Protagonisten Thomas kennen, in dessen Leben sich alles um Musik dreht und der mit fünfundzwanzig Jahren schon so einiges über Vintage-Gitarren weiß. Dementsprechend aufregend ist für ihn das Kennenlernen des schottischen Käufers der teuersten Gitarre des Ladens. Dieser ist ein leidenschaftlicher Sammler und Thomas bei seinem Besuch im siebten Himmel. Ich konnte gut nachvollziehen, warum das Angebot, nach der legendären Gitarre zu suchen, für ihn so verlockend klingt, dass er zusagt.

Auch wenn ich mich mit Gitarren und der Rockmusik der 50er, 60er und 70er nur oberflächlich auskenne, konnte mich Thomas Begeisterung anstecken und ich war neugierig, was seine Suche ergeben wird. Zunächst beginnt er mit intensiver Internetrecherche. Doch bald gibt es eine erste heiße Spur, und sein Sponsor schickt Thomas los, um vor Ort zu recherchieren. Engagiert macht er sich auf den Weg und trifft im weiteren Verlauf auf so manche spezielle Charaktere, die eins verbindet: Die Liebe zur Musik. Die einen agieren höchst professionell, die anderen machen von Beginn einen sehr zwielichtigen Eindruck.

Von Beginn an war klar, dass es keine einfache Aufgabe ist, einen Nachweis für die Existenz der „Gibson Moderne“ zu finden. Viele Gerüchte sind im Umlauf, dazu komplette Fälschungen, aber auch Modelle mit späterem Baujahr, die eben nicht zu jener ersten Auflage gehören, bei der nicht klar ist, ob sie nur auf dem Papier existiert oder gebaut wurde. Beim Lesen lernte ich so einiges über Gitarren und speziell die legendäre Moderne, was zu einem großen Teil auf Fakten beruht. Das meiste verstand ich als Laie, nur manchmal driften Thomas und seine Gesprächspartner in eine Fachsimpelei ab, die mir zu speziell wurde.

Für Thomas ist die Suche zunächst ein tolles Abenteuer, doch bald zeigt sich, dass das Ganze nicht ungefährlich ist. Eine echte Moderne wäre sehr wertvoll, sodass schließlich auch Emotionen wie Gier, Neid und große Enttäuschung eine große Rolle spielen. Hat er die Motive seiner Gesprächspartner richtig eingeschätzt? Wenn jemand für die Moderne über Leichen geht – wie weit ist Thomas dann selbst bereit zu gehen? Er gerät in gefährliche Situationen, welche mich gespannt weiterlesen ließen. Dabei wird die grundlegende Frage aufgeworfen, wie weit Leidenschaft und Begeisterung gehen und wo sie ihre Grenzen haben sollten. Nach einer längeren ruhigen Phase, in der viel recherchiert und schrittweise aufgedeckt wird, hielt der Schluss noch mal rasante Entwicklungen und Überraschungen bereit, was mit sehr gut gefallen hat.

Fazit
In „Vintage“ sucht Thomas Dupré im Auftrag eines schottischen Lords nach einem Beweis, dass im Jahr 1957 die legendäre Gitarre „Gibson Moderne“ tatsächlich gebaut wurde. Seine Suche lässt ihn Bekanntschaft mit höchst unterschiedlichen Musikliebhabern machen. Trotz gelegentlicher Fachsimpelei konnte ich Thomas‘ Faszination nachvollziehen und begleitete ihn neugierig auf seiner Reise, auf der es mitunter auch gefährlich wurde. Für Fans der Musik-Epoche ist der Roman ein Muss, aber auch wer grundsätzlich Lust auf eine unterhaltsame Suche hat, wird hier fündig.

Dienstag, 22. August 2017

[Rezension Ingrid] Die goldene Stadt von Sabrina Janesch


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Titel: Die goldene Stadt
Autorin: Sabrina Janesch
Erscheinungsdatum: 18.08.2017
Verlag: Rowohlt Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen

„Die goldene Stadt“ von Sabrina Janesch ist Abenteuerroman und gelebte Geschichte gleichzeitig. Das peruanische Machu Picchu ist titelgebend, die Stadt, in der man ursprünglich große Goldvorkommen vermutet hat. Nach einer alten Sage wurde Gold nach einem bestimmten Ritual an einem Ort gesammelt. Dieser Ort wird als El Dorado bezeichnet und gilt als verschollen, Machu Picchu ist einer der möglichen Orte, wenn auch die Goldfunde nicht den Erwartungen entsprachen. Auf dem braunen Hintergrund des Covers findet man rund um die goldene Mitte in der Farbe taupe Ausschnitte einer Landkarte von Augusto R. Berns, der die Stadt etwa 1876 entdeckte.

Augusto R. Berns kam als Rudolf August Berns in Uerdingen als Sohn eines Weinhändlers zur Welt. Der Protagonist des Romans ist eine Person der Zeitgeschichte. Doch die Autorin schreibt hier keine Biographie. Durch einen Zeitungsartikel wurde sie 1911 auf den Deutschen aufmerksam, der Machu Picchu deutlich früher als bisher vermutet gefunden hat. Auf den Spuren der Stadt wurde ihre Neugier nicht nur von der Person des Entdeckers geweckt, sondern auch von dem Mysterium, das die goldene Stadt umgibt. Ich fand es eine gute Idee der eigentlichen Erzählung, das Entstehen des Romans voranzustellen. Schon auf den ersten Seiten wurde auf diese Weise auch mein Interesse geweckt. In einer Übersicht konnte ich die wichtigsten Daten im Leben von Augusto R. Berns nachlesen und daran im Laufe des Lesens die Handlung zeitlich eingeordnet. In ihre Erzählung hat die Autorin viele Fakten über Peru und seine Bewohner eingefügt.

Verfolgt man die Berichterstattung über die goldene Stadt im Internet kann man ahnen, welche Schwierigkeiten die Recherche der Autorin bereitet hat. Das unwirtschaftliche Gelände in den Anden bewahrt nicht nur das Geheimnis der Stadt, sie gibt auch wenige Informationen über die Menschen preis, die sich dort aufhielten. Sabrina Janesch hat viele Einzelheiten zusammengetragen, nach Verwandten gesucht, Wissenschaftler befragt und das Land bereist. Daraus entstanden ist ihre ganz eigene Vorstellung des Protagonisten Augustus Berns, der nach dem plötzlichen Tod seines Vaters und der Heirat seiner Mutter mit einem Kupferarbeiten den Schulbesuch abbrechen muss. Seine Träume von einem Leben als Entdecker in Peru muss er zunächst beenden, doch vergessen kann er sie nicht.

Die Familie zieht nach Solingen und Augustus wird in einer Regenschirmfabrik als Schlosser und Schmied ausgebildet. So viel er von seinem hart erarbeiteten Geld erübrigen kann, spart er, um seinen Traum doch noch ermöglichen zu können. Statt zum Militärdienst reist Augustus in die Niederlande und heuert auf einem Schiff nach Peru an. Um dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen, tritt er dem peruanischen Militär bei. Die Erfahrungen seines Berufs kann er dort nützlich einsetzen. Er schließt Bekanntschaften, die ihm später von Vorteil sein werden und er lernt die Sprache des Landes.

Die Figur des Augustus, die die Autorin beschreibt, kann man sich gut vorstellen. Das Leben von Berns ist eine Abfolge von Erlebtem, erworbenem Wissen und Kenntnissen, Gelegenheiten, Glück aber auch Misserfolg. Sie füllt die Kindheit und Jugend des Protagonisten mit kleinen Episoden, die schon den Charakter des späteren Entdeckers erkennen lassen. Er ist gewitzt, neugierig und interessiert an allem, was mit Geologie und Technik zu tun hat. Schon früh entstehen in seinem Kopf Szenarien der Geschichte, die für ihn in langweiligen Stunden lebendig werden. Sabrina Janesch beschreibt Städte und Natur auf eine solche Weise, die auch für mich das Geschehen lebendig werden ließen. Leider war mir aber nicht immer klar, wann Augustus wie viel Geld zur Verfügung hatte. Die letzten Jahre Berns bleiben im Dunkeln.

Mit ihrem Buch „Die goldene Stadt“ ist Sabrina Janesch ein Mix aus Historie und Fantasie gelungen. Ihr Schreibstil liest sich mühelos. Obwohl mir Machu Picchu bereits ein Begriff war, habe ich die Stadt auf den Spuren von Augustus R. Berns nochmals neu entdeckt. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Montag, 21. August 2017

[Rezension Hanna] Underground Railroad - Colson Whitehead


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Underground Railroad
Autor: Colson Whitehead
Übersetzer: Nikolaus Stingl
Hardcover: 352 Seiten
Erschienen am 21. August 2017
Verlag: Hanser

Inhalt
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Sklaverei in den Südstaaten Amerikas ein fest etabliert. Cora wurde als Sklavin geboren und schuftet auf einer Baumwollplantage in Georgia. Ihre Mutter ist die einzige geflüchtete Sklavin der Plantage, die nie gefunden und vor den Augen der anderen zu Tode gefoltert wurde. Cora fühlt sich von ihr im Stich gelassen und ist unter den anderen Sklaven als zu meidender Sonderling bekannt. Bis sie eines Tages von Caesar angesprochen wird: Er habe Verbindungen zur Underground Railroad, einem Netzwerk, das Sklaven bei der Flucht unterstützt. Gemeinsam mit ihr will er die Flucht wagen. Nach einigem Zögern sagt Cora zu und erlebt eine Odyssee, die geprägt ist von vorsichtiger Hoffnung und schweren Rückschlägen.

Meinung
Das Cover des Buches zeigt ein düsteres, allein stehendes Haus unter einem Sternenhimmel. Etwa so habe ich mir die Stationen der Unterground Railroad vorgestellt, zu denen die Sklaven in der Dunkelheit von ihren Helfern gebracht werden und wo eine versteckte Falltür hinunterführt zu Schienen, auf denen Züge die Geflüchteten gen Freiheit transportieren. Denn der Begriff Underground Railroad wird in diesem Roman wörtlich genommen: Aus dem historisch belegten Netzwerk von Unterstützern, die Sklaven versteckten und sie über geheime Fluchtrouten in Sicherheit brachten wird in diesem Roman ein unterirdisches, in seiner Ausdehnung enormes Schienennetz für die Flucht.

Die Protagonistin Cora lernt man als Sklavin mit starkem Willen kennen, die das Risiko einer Flucht abwägt. Ihre Großmutter wurde in Afrika geraubt und starb als Sklavin, doch ihre Mutter ist vor Jahren geflüchtet und wurde nie gefunden. Andere Beispiele führen Cora jedoch vor Augen, welches schlimme Schicksal all jenen blüht, die gefunden werden. Ist es trotzdem einen Versuch wert?

Während Cora überlegt, lernt man ihren Alltag auf der Plantage kennen. Die kräftezehrende Arbeit, die Intrigen unter den Sklaven, die Grausamkeit und Willkür des Plantagesbesitzers und entsetzliche Strafen, die jeden einmal treffen. Auch wenn mir die historischen Fakten bekannt waren, hat es mich betroffen gemacht, die Szenen durch Coras Augen zu erleben. Dass Cora flüchten wird verrät schon der Titel, doch nach diesen Einblicken konnte ich umso besser verstehen, weshalb ihr die Entscheidung so schwer fällt und warum sie sich schließlich wie so viele vor ihr trotzdem dafür entscheidet.

Mit der Flucht kommt zur Dramatik eine Spannungskomponente hinzu. Wird das Vorhaben erfolgreich sein? Die Erlebnisse während der Flucht zeigten mir noch deutlicher, welches Schicksal den Geflüchteten bei Gefangennahme droht und ebenso denen, die geholfen haben. Immer wieder schöpft Cora vorsichtig Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wendet. Dafür sorgen auch viele ganz verschiedene Menschen, die helfen wollen – ein großer Appell an Zivilcourage, die auch unter den widrigsten Bedingungen zum Glück nie gänzlich erstickt werden kann.

Doch der Rassismus und damit verbundene feindselige Übergriffe treiben Cora von einem Ort zum anderen. Ich hatte großen Respekt vor ihrer Stärke, die sie bei all dem zeigt. Ihre Erlebnisse führten mir eindringlich vor Augen, wie Menschen durch Propaganda und Rassendenken zu grausamen Taten getrieben werden, die sie in der vollen Überzeugung ausführen, im Recht zu sein. Kurze Kapitel geben Einblicke in die Gedanken von Menschen, denen Cora auf ihrem Weg begegnet, und ließen mich ihre Motivation besser verstehen, auch wenn sie oft verwerflich ist. Dem Autor gelingt es, dass bei all der Grausamkeit die Hoffnung bis zum recht offenen Ende nie ganz verloren geht, was für mich eine gelungene Botschaft ist.

Fazit
In „Underground Railroad“ wagt die Sklavin Cora die lebensgefährliche Flucht gen Norden. Ihre Erlebnisse auf der Plantage und auf der Suche nach Freiheit machten mich betroffen. Eindringlich berichtet der Roman von gelebtem Rassismus in seiner schlimmsten Form und Menschen mit Zivilcourage, die heimlich Widerstand leisten und Hoffnung geben. Das Buch lässt den Leser durch die Augen einer Sklavin aufs Geschehen blicken und hat mich ins Nachdenken gebracht nicht nur über die Sklaverei in Amerika, sondern über Rassismus im Allgemeinen. Ich kann die Lektüre klar weiterempfehlen.

Sonntag, 20. August 2017

[Rezension Ingrid] Die Überlebende von Lisa Gardner


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Titel: Die Überlebende
Autorin: Lisa Gardner
Übersetzer: Michael Windgassen
Erscheinungsdatum: 21.07.2017
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch

„Die Überlebende“ von Lisa Gardner ist der achte Fall der Serie um die Ermittlerin Sergeant Detective D.D.Warren  aus Boston. Obwohl ich bisher noch kein Buch der Reihe gelesen habe, konnte ich der Handlung mühelos folgen, vor allem weil die Autorin kaum auf die vorigen Fälle verweist. Sie informiert ausreichend über die aktuelle Zusammensetzung des Teams von D.D. Warren. Den Thriller widmet Lisa Gardner entsprechend dem Titel allen Überlebenden, zu denen die Protagonistin Flora Dane gehört. Das Cover zeigt bereits, dass es blutig zugeht.

Flora hat eine Entführung überlebt und steht im Mittelpunkt der aktuellen Ermittlungen. Sie ist auf einer Farm in Maine aufgewachsen und verließ ihr Elternhaus, um in Florida zu studieren. Dort wurde sie vor sieben Jahren von einem Trucker verschleppt, der sie in eine enge dunkle Kiefernkiste sperrte. Licht, Essen und Getränke gab es nur als Belohnung, wenn sie sich nach seinem Willen verhielt. 472 Tage war sie in seiner Gewalt; er starb bei ihrer Befreiung.

Jetzt lebt Flora in Boston. Seitdem sie ihre Freiheit wieder erlangte, hat sie sich ausgiebig mit Selbstverteidigung beschäftigt. Das Schicksal anderer entführter Frauen geht ihr sehr nah. Am Wochenende vergnügt sie sich in Bars, jedoch mit dem Hintergedanken nach potentiellen Tätern Ausschau zu halten. Sie verhält sich auffällig und aufreizend, die Folgen sind voraussehbar. Dank ihres Verteidigunstrainings meistert sie eine brenzlige Situation bei der jedoch ein Mann stirbt. D.D. Warren und ihr Team werden mit der Aufklärung des Verbrechens beauftragt. Flora ist wenig kooperativ, die Ermittlungen stocken. Und irgendwo im Hintergrund befindet sich jemand aus der Vergangenheit Floras, der noch eine Rechnung mit ihr offen hat ...

Das Buch ist aus zwei Perspektiven geschrieben. Einerseits erzählt Flora einiges was sie erlebt beziehungsweise erlebt hat in der Ich-Form, andererseits gibt es den allwissenden Erzähler der weitere Geschehnisse und die Ermittlungen beschreibt. Gleich zu Beginn schildert Flora im Rückblick ihre Gefühle die sie empfand als sie nach ihrer Entführung in der Kiste erwachte. Diese Situation wirkte beklemmend auf mich. Im zweiten Kapitel findet ein Verbrechen in der Gegenwart statt und schließlich beginnen im dritten Kapitel die Ermittlungen. Dabei sind Täter und Opfer bekannt und ich fragte mich, was jetzt denn noch folgen könnte, denn eigentlich war doch schon das Wichtigste geklärt. Aber Lisa Gardner versteht es gekonnt die Spannung noch weiter zu steigern und bis zum Schluss zu halten. Der Leser erfährt noch vor Auflösung des Falls von einem Sachverhalt den Flora in Bezug auf ihre Entführung verbirgt. Es trägt zum Erhalt der Spannung bei darauf zu warten, wann und ob Flora das Detail bekannt geben wird. Die Ermittlungen ziehen sich im mittleren Teil etwas in die Länge, während im Hintergrund die Gefahr längst nicht beseitigt ist und weitere Opfer vermutet werden können.

Gerade weil Flora aus einer gewöhnlichen Familie kommt und auch im Alltag unauffällig ist, wirkt ihre Entführung so furchterregend. Gekonnt spielt die Autorin mit der Angst einer Person vor Enge, Dunkelheit, Einsamkeit, Hunger und Durst. Lisa Gardener hat sehr gut zum Thema Verteidigungsstrategien recherchiert, denn sie überraschte mich mit einigen beschriebenen Aktionen. Das Verhalten ihrer Charaktere lässt sich vom Täter bis zum Opfer gut nachvollziehen. Mir gefiel es, etwas über das private Umfeld der Ermittlerin zu erfahren. D.D. Warren wird als Person gezeigt, die Ecken und Kanten hat und auch Gefühle zeigt.

Mich hat das Buch bestens unterhalten und für einige spannende und schaurige Stunden gesorgt. Für D.D. Warren und ihr Team besteht genügend Raum für weitere Fortsetzungen. Gerne empfehle ich das Buch an Thrillerfans weiter.

Samstag, 19. August 2017

[Rezension Hanna] Das Leuchten am Rand der Welt - Eowyn Ivey


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Das Leuchten am Rand der Welt
Autorin: Eowyn Ivey
Übersetzer: Claudia Arlinghaus und Martina Tichy
Hardcover: 560 Seiten
Erschienen am 18. August 2017
Verlag: Kindler

Inhalt
Im Jahr 1885 bricht Lieutenant Colonel Allen Forrester zu einer abenteuerlichen Mission auf. Gemeinsam mit zwei weiteren Militärs und vor Ort angeworbener Einheimischer soll er entlang des Wolverine Rivers ins Landesinnere Alaskas vorstoßen, um es zu kartieren und eine Einschätzung zu den einheimischen Völkern abzugeben. Auf der beschwerlichen Reise muss die Expedition mit Hunger, Wetterumschwüngen und Zwischenfällen mythischer Art zurechtkommen. Unterdessen wartet Allens Frau Sophie in der Garnison Vancoucer auf seine Rückkehr. Sie ist schwanger und ihr wurde strikte Ruhe verordnet, sodass sie ihn entgegen des ursprünglichen Plans nicht mal ein Stück begleiten darf. Eine bittere Nachricht sorgt dafür, dass sie sich zurückzieht und ihre Begeisterung für die Naturfotografie entdeckt.

Meinung
Nachdem mich vor inzwischen schon vier Jahren „Das Schneemädchen“ begeistern konnte, habe ich mich sehr über die Nachricht gefreut, dass die Autorin ein zweites Buch geschrieben hat, das den Leser mit in ein historisches Alaska nimmt. Das Buch beginnt mit einem Brief, der Josh, einen Museumskurator in Alpine, Alaska erreicht. In diesem erklärt Walter Forrester, dass er ihm die Aufzeichnungen seines Vorfahren Allen rund um dessen Alaska-Expedition und auch die von dessen Frau überlässt in der Hoffnung, er könne dafür Verwendung finden. Gemeinsam mit Josh taucht man in die historischen Dokumente ein, die einen sogleich in die Vergangenheit und Kälte schicken.

Der größte Teil des Buches ist in Tagebuchform verfasst. Abwechselnd erfährt man, wie es Allen in Alaska und Sophie in Vancouver ergeht. Die Einträge umfassen mal nur wenige Sätze, mal einige Seiten, und nur wenige Tage werden ausgelassen. Die Beschreibung der Erlebnisse in der Retrospektive wird damit auf das Wichtigste beschränkt, womit die monatelange Expeditionsreise einen für ein Buch überschaubaren Rahmen erhält.  

Allen hat vor seiner Aufgabe einen gesunden Respekt und ist gleichzeitig ambitioniert, die Expedition erfolgreich abzuschließen. Dem zu erkundenden Gebiet eilen grausame Geschichten von im Schlaf von Einheimischen ermordeten Russen voraus. Wie gefährlich sind die Indianer wirklich? Das Wetter und ein Mangel an Nahrung zehren an den Kräften der Gruppe. Neugierig, wie gut Allen vorankommen wird, las ich mich durch seine Einträge. Auch wenn zu jedem Tag nur kurz etwas erzählt wird, erhält man einen guten Einblick, wie er und seine Begleiter sich fühlen. Meist ist nicht vorhersehbar, was der nächste Tag bringen wird, sodass im einen Moment Hoffnung und im anderen wieder Verzweiflung überwiegen können.

Interessant fand ich die mythischen Erlebnisse, die Allen auf seiner Reise macht. Zum einen trifft er immer wieder auf einen alten Indianer. Dieser kann scheinbar mühelos große Distanzen überwinden und ist ihnen mal gewogen ist, mal sorgt er für Rückschläge. Auch den Einheimischen ist dieses Wesen bekannt, warum es so handelt vermag niemand zu sagen. Zum anderen hört und sieht Allen Wunderliches: Eine Geliebte, die Nebel bringt, ein Baum der einen Säugling gebärt… sind das Wahnvorstellungen ausgelöst durch Hunger und Erschöpfung oder ist die Magie des Landes am Werk?

Auf seiner Reise muss Allen nicht kämpfen. Wer blutige Action a la „The Revenant“ erwartet ist bei diesem Buch falsch. Stattdessen lernt  er die raue Natur kennen, macht interessante Begegnungen und findet schöne Augenblicke, wo man sie wenigsten erwartet. Einige andere Dokumente, zum Beispiel Zeitungsartikel, Briefe und poetische Textschnipsel eines Begleiters ergänzen den gewonnenen Eindruck. Sophies Tagebucheinträge zeugen hingegen von der Qual des Wartens auf Allens Heimkehr. Ihre Sicht war mir teils etwas zu langatmig, es ereignet sich nicht allzu viel. Doch als sie sich mit wachsender Begeisterung der Fotografie zuwendet fand ich ihre Einträge zunehmend besser. Bis zum Schluss bildet die Korrespondenz zwischen Josh und Walt in der Gegenwart einen gelungenen Rahmen für die eigene Reflektion des Gelesenen.

Fazit
„Das Leuchten am Rand der Welt“ erzählt mit atmosphärischer Dichte von einer Expedition in bislang unerforschtes Territorium in Alaska. Während Allen eine Reise voller Entbehrungen und Rückschlägen, aber auch hoffnungsvollen Momenten erlebt, wartet seine Frau Sophie auf seine Rückkehr und entdeckt in dieser Zeit die Fotografie für sich. Wer Abenteuer mag und dabei auf Kämpfe verzichten kann, dem kann ich dieses Buch klar empfehlen!

Donnerstag, 17. August 2017

[Rezension Ingrid] Rimini von Sonja Heiss


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Titel: Rimini
Autorin: Sonja Heiss
Erscheinungsdatum: 17.08.2017
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen (Leseexemplar)

Die verschiedenen Buchteile von „Rimini“, dem Debütroman von Sonja Heiss, beziehen sich in zeitlicher Hinsicht auf Masha Armin, die eine der Protagonisten ist. Weil ihr jeweiliges Alter die Teile betitelt, lässt sich daran der Fortschritt der Geschichte festmachen. Der Titel des Buchs ist das Ziel der Hochzeitsreise von Mashas Eltern. Doch das ist über 40 Jahre her. Mit ihrem damaligen Aufenthalt in der italienischen Stadt verbindet Barbara, Mashas Mutter, wunderschöne Erinnerungen, die sie nicht mit ihrem Ehemann teilt und die ihr Leben lang ihr kleines Geheimnis geblieben sind.

Wie die weißen Linien auf dem grauen Hintergrund des Covers es andeuten, so ist ihr Leben wie das der weiteren Hauptfiguren nicht immer geradlinig verlaufen und auch in der Erzählung ist der Weg oft krumm. Ihre Kindheit verbindet Barbara mit starken Ängsten, von ihr wurde Gehorsam erwartet. An diese Zeit denkt sie nicht gern zurück, denn sie ist verbunden mit vielen Tränen. Die Liebe zu ihrem Mann Alexander ist erst mit der Zeit gewachsen, doch bestimmte Gemeinsamkeiten weckten in beiden den Wunsch auf ein gemeinsames Leben Seite an Seite, in guten wie in schlechten Zeiten.

Der Roman spielt in der Gegenwart und nimmt nicht nur Barbara und Alexander in den Fokus. Das Ehepaar könnte seinen Rentneralltag in Frankfurt am Main genießen, doch Barbara macht die ständige Nähe von Alexander zu schaffen. Noch mehr Sorgen haben Masha und ihr älterer Bruder Hans, obwohl die beiden eigentlich immer ihrem Ziel gefolgt und ihnen schon vieles geglückt ist. Masha ist 39 Jahre alt und wohnt in Berlin. Mit der Schauspielkarriere hapert es. Immer stärker wird der Wunsch nach einem Kind, aber sie fragt sich, ob ihre langjährige Beziehung der ideale Vater ist. Hans ist ein erfolgreicher Anwalt, verheiratet und Vater zweier Kinder. Die Familie ist gutsituiert. Aber bei Hans macht sich eine gewisse Überheblichkeit im Beruf breit, die Probleme mit sich bringt. 

Bereits seit seiner Kindheit äußert Hans seinen Unmut in Wutausbrüchen, die er bis heute weder vermeiden noch verbergen kann. Überspitzt zeigt die Autorin auf, welche Konsequenzen ein antisoziales Verhalten im Beruf  haben kann. Doch sie schreckt nicht davor zurück, noch einen Schritt weiter zu gehen und so durfte ich miterleben, wie Hans noch eine weitere Obsession entwickelte. Schwierigkeiten im Job führen zu finanziellen Sorgen und die wieder zu Problemen in der Ehe und Unzufriedenheit bei den Kindern.

Masha befindet sich in einer Phase, in der sie auf die Entwicklung in ihrem Leben zurückblickt und unzufrieden mit dem Erreichten ist. Ein Kind würde ihrer Zukunft nochmal eine neue Richtung geben. Aber sie sieht auch die damit verbundenen Abhängigkeiten. Auch wenn es ihr nicht bewusst ist, schreckt sie dennoch vor der Verantwortung zurück und überträgt ihre Ängste darauf, den idealen Partner zu finden. Dadurch gewinnt sie Zeit für ihre Entscheidung, von der ihr aber im fortgeschrittenen Alter nicht mehr allzu bleibt.

Alexander und Barbara tragen schwer an ihrer Kindheit. In den vielen gemeinsamen Ehejahren haben sie einander so gut kennen gelernt, dass sie die Meinung des anderen zu sämtlichen Fragen des Alltags bereits wissen, ohne darüber zu reden. Gemeinsames Schweigen ist die Folge und Wiederholungen von bereits Gesagtem, wenn es denn zu einem Gespräch kommt. Für Barbara tritt ihr Dasein in eine Dauerschleife, die sie zu durchbrechen sucht. Der genügsame Alexander sucht mit seinem männlichen Beschützerinstinkt die Nähe seiner Frau, doch dadurch wird jeder Ausbruchgedanke Barbaras sofort von ihrem Mann aufgefangen und geprüft. Auflehnung von Barbara bleibt nicht aus, das habe ich als Leser durchaus erwartet, die exzentrische Umsetzung hat mich überrascht.

Sonja Heiss erzählt über eine ganz normale Familie in ihrem ganz gewöhnlichen Alltag, erschreckenderweise hat man an einigen Stellen ein Déjà-Vu. Die Autorin beschreibt alle Unzulänglichkeiten der Charaktere detailliert und ließ mich als Leser daran unbewertet teilhaben. Ihre Charaktere muss man nicht lieb gewinnen und ihre Entscheidungen nicht alle gut heißen, um sich von ihrem Schicksal berühren zu lassen. In Nahaufnahme beleuchtet sie in feinfühliger, manchmal recht freizügiger Sprache das Für und Wider von Entscheidungen. Mit Rückblicken auf Kindheit und Jugend ihrer Protagonisten versucht sie, dem Ursprung der Sorgen auf den Grund zu gehen. An Erwachsene wird der Anspruch gestellt, dass sie ihre Gefühle im Griff haben. Doch möchte man nicht eigentlich noch ein wenig Kind bleiben, wenn damit Geborgenheit und Liebe verbunden ist? Endet Kindsein durch eigenen Beschluss oder den Tod der Eltern? Die Erzählung gibt Anregung darüber nachzudenken.

„Rimini“ ist ein Roman um Liebe und der Suche nach Anerkennung, Bewunderung und Respekt. Der Ernst des Alltäglichen wird durch Ironie, Sarkasmus und überspitzte Darstellung gemildert. Das Leben ist kein Wunschkonzert, das stellt auch Sonja Heiss entsprechend dar und weist bereits im Prolog darauf hin. Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen und darum empfehle ich sie gerne uneingeschränkt weiter.

Dienstag, 8. August 2017

[Rezension Ingrid] Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow von Rainbow Rowell


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Titel: Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow
Autorin: Rainbow Rowell
Übersetzerin: Brigitte Jakobeit
Erscheinungsdatum: 04.08.2017
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen

Auf dem Cover des Jugendbuchs „Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow“ von Rainbow Rowell sitzt der Titelheld lässig und cool lächelnd auf einem thronartigen Sessel. Doch allzu viel hat er nicht zu lachen, denn ein Krieg bahnt sich an in der magischen Welt und bei Anwendung seiner Zauberkräfte ist er alles andere als entspannt.

Simon Snow ist Schüler des Internats Watford School of Magicks. Der aktuelle Leiter der Schule, kurz Magier genannt, hat ihn mit 11 Jahren im Kinderheim der gewöhnlichen Menschen besucht und ihn darüber aufgeklärt, dass er zaubern kann. Mit seiner Mitschülerin Agatha ist er seit langer Zeit liiert und mit seiner Klassenkameradin Penelope, die kurz Penny genannt wird und deren Freund in Amerika lebt, ist er sehr eng befreundet. Zu Beginn seiner Schulzeit hat er in einem Ritual seinen Zimmergefährten Baz zugeteilt bekommen. Baz ist nicht nur ein Zauberer, sondern Simon vermutet auch, dass er ein Vampir ist. Die beiden verstehen sich nicht besonders gut, doch meistens akzeptieren sie die Eigenarten des anderen. Simon und seine Freunde sind ungefähr 18 Jahre alt und kommen ins letzte Schuljahr. Ein Schatten bedroht ihr Dasein, der nach seiner Anwesenheit große Löcher auf der Erde hinterlässt. Aber Baz kehrt nach den Ferien nicht an die Schule zurück und sein Fernbleiben wirft bei Simon Fragen auf. So stellt das finale Schuljahr ihn nicht nur vor die Aufgabe, seine Zauberkraft endlich zu kanalisieren, sondern auch nach dem Verbleib von Baz zu suchen. Ein Glück für ihn, dass er Penny und Agatha an seiner Seite hat.

Das Buch beginnt mit deutlichen Ähnlichkeiten zu der Serie um Zaubererlehrling Harry Potter, daher war ich zunächst etwas enttäuscht beim Lesen, zumal sich die Geschichte auch eher langsam aufbaute. Doch dann wurde alles ganz anders und turbulent. Zwar reicht auch hier der Erzählzeitraum über ein Schuljahr, doch weil dies bisher ein Einzelband ist, wird die Vergangenheit in Rückblicken erzählt und ergänzt auf diese Weise die Ereignisse in der Gegenwart. Dadurch passiert ständig etwas Neues. Um einige Geschehnisse aus der Vergangenheit darzustellen, die die heute lebenden Charaktere wissensmäßig weiter voran bringen können, hat sich die Autorin einen interessanten Trick ausgedacht.

Die Schilderungen erfolgen immer in der Ich-Form und wechseln auf die unterschiedlichen Charaktere der erwähnten Freunde und diverse andere Randfiguren. Jede Szene wird zwar nur einmal beschrieben, jedoch konnte man auf diese Weise auch schon mal in der Erinnerung eine andere Ansicht erfahren. Die nummerierten Kapitel, die immer auf einer neuen Seite beginnen, sind mit dem Namen desjenigen betitelt, der gerade erzählt. Grundsätzlich ist das nur eine Figur. In Ausnahmen, wenn die Spannung oder die Emotionen steigen, wechselt die Perspektive nach kürzeren Abschnitten noch innerhalb des Kapitels, was mich als Leser noch intensiver in das Geschehen einbezog. Rainbow Rowell lässt mit ganz einfachen, klaren Sprüchen zaubern. Das ist so genial, dass ich entgegen der Vernunft versucht war, mein eigenes Glück damit zu probieren.

In ihrem letzten Schuljahr beginnen die Protagonisten ebenfalls, sich in Gefühlsangelegenheiten zu entwickeln. Bestehende Freundschaften werden darauf überprüft, ob man mehr als auf einer mentalen Ebene füreinander empfindet. Dabei kommt es zu einigen Überraschungen. Etwas verworren und unklar bleibt leider die Herkunft von Simon Snow.

Worüber andere Autoren eine mehrbändige Serie schreiben, dass schafft Rainbow Rowell in einem einzigen Buch. Sie beeindruckt mit Charakteren, die zwar nicht alle ganz ausformuliert sind, aber in ihrem Wesen doch ganz eigen. Sie lässt Gefühle ihrer Figuren zu, die darüber auch offen reden. Keiner ist perfekt, doch jedem wird Raum und Zeit eingeräumt, Mankos zu korrigieren, sich zu verbessern oder einfach zu akzeptieren wie man ist. Dadurch entsteht eine zwar zunächst gemächliche, doch dann immer abwechslungsreichere und unterhaltsame Geschichte mit unvorhersehbarem Ende. Mir hat das gut gefallen und daher empfehle ich den Roman gerne an Jugendliche ab 13 Jahren, aber auch an alle erwachsenen Fantasyfans weiter.



Samstag, 5. August 2017

[Rezension Ingrid] Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte von Anna Basener


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Titel: Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte
Autorin: Anna Basener
Erscheinungsdatum: 16.03.2017
Verlag: Eichborn (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappbroschur

Den Titel des Debütromans von Anna Basener „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ kann man sinnvoll entsprechend des Lebensabschnitts der Protagonistin Änne ergänzen mit „… da war sie Wirtschafterin im Bordell“. Später hat sie sich dann mit einer ihrer besten Freundinnen zusammengetan und eine Frühstückspension in Essen-Rellinghausen eröffnet. Eine der Leidenschaften von Omma Änne sind Zigaretten im eleganten Langformat, daher ist das Cover ähnlich einer entsprechenden Marke gestaltet mit Blumenborte am linken Rand. Der Titel ist, wie ein Warnhinweis, im unteren Drittel zu lesen.

Fünf Söhne von drei Vätern hat Omma zur Welt gebracht und Bianca, 26 Jahre alt, ist ihre Enkelin. Zum Studium wollte sie raus aus dem familiären Umkreis im Ruhrgebiet, darum ist sie nach Berlin gezogen und hat hier eine kleine Wohnung, die sie sich mit einer anderen Studentin teilt. Doch dann stirbt Mitzi, die Vertraute und Freundin von Omma, so dass diese jetzt ganz allein in ihrer Pension in Essen ist. Kurzentschlossen nimmt sie die Einladung ihrer Enkelin nach Berlin an. Wegen eines Streits wird idealerweise das Zimmer der Mitbewohnerin frei. Darum bleibt Omma Änne bei Bianca, ihre Möbel hat sie auch im Gepäck. Mancher Freund aus Essen kommt in der Folgezeit gerne zu Besuch. Und währenddessen brennt Bianca die Frage unter den Nägeln, woran die Mitzi denn eigentlich gestorben ist. In ihr keimt der Verdacht, dass sie das nicht erfahren soll und gerade darum will sie es auf jeden Fall wissen! Die Antwort lässt nicht nur Bianca staunen.

Anna Basener erzählt in ihrem Debütroman eine überaus turbulente Handlung zwischen Essener Kohlenpott und Berliner Multikulti. Die Handlung in der Gegenwart wird aus Sicht von Bianca erzählt. Sie ist eine knallharte Beobachterin, die die Dinge gerne hinterfragt, was von ihrer Omma manchmal bedauert wird, weil sie sehr hartnäckig sein kann. Als Leser konnte ich an ihren Gedankengängen teilhaben, das brachte mir mehr Nähe zu den Situationen und den einzelnen Personen. Auch beim Denken kann Bianca sich ihrer Essener Herkunft nicht ganz entledigen. Kurze Sätze, kein Blatt vorm Mund, aber immer ehrlich, auch wenn man die Ehrlichkeit manchmal zurechtbiegen muss. Die Dialoge mit Omma Änne sind im Pütt-Platt gehalten mit ganz viel typischem Akkusativ und „watt“ und „datt“. Dadurch kam das Flair des Ruhrgebiets mit nach Berlin.

Anna Basener bedient manches Klischee. Der Roman erzählt nicht nur das Leben von Biancas Großmutter, sondern auch von ihren Freundinnen, den beiden Prostituierten Mitzi und Ulla. Die Autorin schildert die Geschichten mit einem Augenzwinkern, aber durchaus realistisch denkbar. Sie befasst sich mit der Frage, was Frauen dazu veranlasst, sich für Sex bezahlen zu lassen, verschweigt  aber auch mögliche Konsequenzen nicht, vor allem die Abhängigkeit von einem Zuhälter und gewaltsame Übergriffe.

Omma Änne und Bianca sind Personen, die man lieb gewinnt und denen man gerne auch ungesetzliches Verhalten verzeihen möchte. Die Handlung bleibt in ständiger Bewegung. Die große Frage, woran Mitzi gestorben ist, bringt Spannung ins Geschehen. Daneben bahnt sich auch eine Liebesgeschichte an, natürlich eher kompliziert. Anna Basener versteht es, neben Hass, Neid, Liebe und Verachtung ihrer Charaktere mit ihrem lockeren, leichten Schriftstil Witz in den Roman zu bringen. Mir hat das sehr gut gefallen. Das Buch wird verfilmt, darauf bin ich schon sehr gespannt.

Dienstag, 1. August 2017

[Rezension Ingrid] Halali von Ingrid Noll


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Titel: Halali
Autorin: Ingrid Noll
Erscheinungsdatum: 27.07.2017
Verlag: Diogenes (Link zur Webseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leineneinband mit Schutzumschlag

 „Halali“ ist ein Jägergruß mit dem in der allgemeinen Bedeutung die Jagd beendet wird. Im Kriminalroman mit gleichlautendem Titel von Ingrid Noll begleitet der Gruß ein Verbrechen und eröffnet damit erst eine Reihe von weiteren Gesetzesübertretungen. Die Erzählung nimmt den Leser mit zu Ereignissen, die die Protagonistin Holda Mitte der 1950er Jahre in der Nähe der damaligen Bundeshauptstadt erlebt hat. Das Cover des Buchs ziert ein Ausschnitt aus dem Gemälde von Caravaggio mit dem Titel „Judith enthauptet Holofernes“. Die Frage, ob das Bild einen Bezug zur Erzählung hat, kann ich bejahen, auch wenn hier niemand geköpft wird.

Holda ist 82 Jahre und Witwe. Ihre Enkelin Laura wohnt im gleichen Hochhaus und kommt oft zu Besuch. Dabei erzählt Holda gerne aus ihrer Jugendzeit und zieht Vergleiche zu früher. Dabei stellt sie technische Errungenschaften von damals und heute gegenüber, Jugendsprache, Berufsbezeichnungen und Benimmregeln. Mit 20 Jahren, also sie noch nicht volljährig war, zog sie aus einem Eifeldorf nach Bad Godesberg und arbeitete als Sekretärin im Innenministerium in Bonn. Mit ihrer gleichaltrigen Kollegin Karin verbrachte sie ihre Freizeit in der sie auch darüber reden, wie man einen passenden Ehemann findet. Bei einem Spaziergang finden sie in einem Starenkasten ein Briefkuvert mit geheimnisvollem Inhalt. Diese Begebenheit ist der Beginn einer Reihe von ungewöhnlichen Verkettungen. Holda und ihre Freundin verstricken sich eher versehentlich in unangenehme Situationen mit kriminellen Folgen.

Ingrid Noll weiß, wovon sie in diesem Roman schreibt. Einige Male habe ich mich gefragt, wie viel Ingrid in Holda steckt, denn nicht nur das Alter ist identisch. Die Autorin lebte in den 1950ern ebenfalls in Bad Godesberg. Ihre Erfahrungen aus dieser Zeit sind sicher in die Schilderungen eingeflossen. Als Rheinländerin war es mir ein ganz besonderer Genuss immer wieder Sätze in Mundart zu lesen, denn auch ich bin mit diesem Slang aufgewachsen. Überhaupt verhielten sich viele Personen so, wie ich es aus meiner Kindheit in den 1960er her kenne und so kann ich sagen, dass ich mich rundum wohl im Umfeld der Geschichte gefühlt habe.

Holda ist ein eine junge Frau, die aus ihrem Leben mehr machen möchte, als in der heimischen Bäckerei zu verkaufen. Sie ist strebsam und fleißig und hält sich im Allgemeinen an Regeln und Vereinbarungen. In dem für sie typischen sarkastisch lakonischen Erzählstil lässt die Autorin ihre Protagonistin das Geschehen in der Ich-Form schildern. Es brachte mich zum Schmunzeln, wie Holda ihre Contenance verteidigte. Wieder einmal gelingt es Ingrid Noll einige schrullige Charaktere zu schaffen, wie die lebenslustige Karin, die standesbewusste Gräfin oder den disziplinierten Regierungsrat.

Bereits auf den ersten Seiten vertraut Holda dem Leser an, dass sie den Pfad der Tugend in ihren jungen Jahren auch mal verlassen hat. Ab diesem Zeitpunkt wartete ich gespannt darauf, worin ihre kriminelle Aktivität denn bestehen würde. Auch diesmal schafft es die Autorin mit einem Augenzwinkern mir zu vermitteln, dass so ein Gesetzesübertritt ungewollt, aber kaum ungewöhnlich ist. Der Vergleich zwischen dem Heute und Gestern erdet den Roman in der Realität. Die Intrigen sind zwar bitterböse, reihen sich aber in den damaligen Alltag ein.

Wer die Romane von Ingrid Noll mag, der wird auch mit „Halali“ bestens unterhalten werden wie ich. Mir hat vor allem gefallen, dass die Autorin diesmal mit dem zeitlichen Vergleich mal einen ganz anderen Handlungsrahmen für ihre Erzählung geschaffen hat. Sehr gerne gebe ich für dieses Buch eine Leseempfehlung.