Mit dem Roman „Die Geschichte der getrennten Wege“ liegt nun
auch der dritte Band der vierteiligen Reihe von Elena Ferrante rund um die
Ich-Erzählerin Elena und ihrer gleichaltrigen Freundin Raffaella, die von Elena
Lila gerufen wird, in deutscher Übersetzung vor. Die Protagonistinnen verbindet
eine über 60-jährige Freundschaft. Der vorliegende Roman erzählt von der Zeit,
in der Lila weiterhin in Neapel wohnt und Elena als junge Ehefrau nach Florenz
zieht. Es ist Ende der 1960er beziehungsweise es sind die 1970er Jahre und
Italien wird von sozialen Unruhen erschüttert. Doch obwohl sie räumlich
voneinander getrennt leben und einander nur noch selten sehen, reißt die
Verbindung nie gänzlich ab und sie halten telefonischen Kontakt. Die Rivalität
um einen Vorrang in ihrer Freundschaft bleibt dennoch weiter bestehen.
Der Erzählung voran gestellt ist eine Liste der handelnden
Personen und die wichtigsten Ereignisse der Vergangenheit in die sie
eingebunden waren. Der Roman beginnt zunächst im Jahr 2010, Lila wird vermisst
und Elena schreibt über ihre gemeinsame Freundschaft. Bei ihrem letzten Treffen
vor fünf Jahren hat sie einige nachteilige Veränderungen an Lila wahrgenommen.
Sie deutet dem Leser an, dass in der Zwischenzeit einiges Furchtbares geschehen
ist. Mich machte das natürlich neugierig, denn ich wollte wissen, was sich in
den vergangenen Jahren Schreckliches ereignet hat. Gespannt wartete ich aber
auch darauf, von schönen Erlebnissen der jungen Frauen in Neapel und Florenz zu
erfahren, denn immerhin dauerte die Freundschaft der beiden Frauen weiterhin
an.
Zunächst sieht es so, als ob Elena das Glück gefunden hat.
Sie hat ein Buch geschrieben, das veröffentlicht wurde und erfolgreich ist. Mit
Pietro Airota, den sie während ihres Studiums kennenlernte, hat sie den Sohn
einer angesehenen und wohlsituierten Mailänder Familie geheiratet.
Vergleichsweise jung wird er zum Universitätsprofessor berufen und erhält einen
Lehrstuhl in Florenz. Schon bald wird Elena schwanger. Lila hat sich aus ihrer
Ehe mit Stefano befreit und lebt mit einem Freund aus Kindheitstagen zusammen.
Während sie ihren kleinen Sohn von einer Nachbarin betreuen lässt arbeitet sie
selbst Vollzeit in einer Wurstfabrik. Die Arbeitsbedingungen sind hart und die
Arbeiter permanent unzufrieden. Glaubte ich nun, dass beide den sich aus der
Situation heraus vorgezeichneten Lebensweg gehen würden, so lag ich gänzlich
falsch. Elena Ferrante hat sich für ihre Figuren ein Auf und Ab des Schicksals
erdacht, bei der die Figur des Nino Sarratore, der mir als Leser bereits seit
Band 1 der Romanserie bekannt war und der eventuell der Vater von Lilas Sohn
ist, eine bedeutende Rolle spielt.
Elena hat viel Zeit dafür aufgewendet sich aus dem
neapolitanischen Milieu zu lösen. Dabei spricht sie bewusst keinen Dialekt mehr.
Von sich selbst sagt sie, dass ihre Sprache männlicher geworden ist mit dem
Ziel, sich von der durch Männern dominierten Gesellschaft zu lösen. Denn nur
wer auf Augenhöhe agieren kann, wird auch die Hintergründe begreifen. Ihr Verhalten
hat sie insgesamt einer höheren Gesellschaftsschicht angepasst. Und dennoch ist
sie nicht zufrieden mit ihrer Arbeit. Nach einer ersten Welle der Anerkennung
für ihr Erstlingswerk, bleiben die Ideen zu einer Fortsetzung ihres Schreibens
bruchstückhaft. Von der traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter kann sie
sich nicht gänzlich lösen und findet bei ihrem Mann keine Unterstützung zur
Selbstverwirklichung, weil er seine eigene Karriere vorantreiben will.
Ende der 1960er beginnen die Arbeiter in Italien gegen die
wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeit aufzubegehren. Am Beispiel der
Wurstfabrik, in der Lila arbeitet, bindet die Autorin diesen historischen
Aspekt in ihren Roman ein. Kommunisten und Faschisten versuchen die Oberhand zu
gewinnen und bekämpfen nicht nur den sozialen Missstand sondern sich auch gegenseitig.
Dabei kommt es in Neapel zu blutigen Kämpfen. Ich erlebte Lila in der täglichen
Tretmühle der eintönigen Fabrikarbeit. Doch wem die Figur im Roman inzwischen
vertraut geworden ist wie mir, kennt Lila als einfallsreich und intelligent. Sie
weiß um ihre Begabung für Ungewöhnliches, denn sie hat auch schon früher Erfolg
mit ihrer Kreativität gehabt. So nimmt sie eine Idee ihres Lebensgefährten auf
und geht ihr mit Hartnäckigkeit und Ausdauer nach. Lila ist sich darüber
bewusst, dass Wissen eine Art Macht über andere Personen mit sich bringt. Sie
nutzt es als Werkzeug, um den von ihr gewünschten Platz in der Gesellschaft zu
finden.
Elena Ferrante schaffte es, mich mit der Entwicklung ihrer
Protagonistinnen immer wieder zu überraschen. Die schöne klare Sprache wird
dabei gerade im Umfeld von Lila oft rau, manchmal sogar roh. Doch diese Art
unterstützt es, den Kampf der beiden jungen Frauen um einen Platz in der
Gesellschaft zu verdeutlichen. Durch die gewählte Erzählperspektive konnte ich
dem Versuch Elenas folgen, das geltende Frauenbild in ihrer Zeit zu begreifen,
gerade auch aus der Sicht der Männer, genauso wie der Ergründung ihrer eigenen
Libido.
Wieder einmal konnte die Autorin mich mit ihrer Erzählung
überzeugen. Ich bin schon gespannt darauf, welche Erfahrungen die beiden
Freundinnen auf ihrem Lebensweg noch machen werden und ob Lila gefunden wird
beziehungsweise gefunden werden will. Wer die Serie noch nicht kennt, sollte
jetzt mit dem Lesen beginnen, denn der letzte Band erscheint voraussichtlich im
Februar 2018.
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Titel: Die Geschichte der getrennten Wege
Autorin: Elena Ferrante
Übersetzerin: Karin Krieger
Erscheinungsdatum: 27.08.2017
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen