„Das Haus der Granatäpfel“ steht auf der Insel Uzunade, die
kurz vor der heutigen Stadt Izmir in der Türkei liegt. In dem gleichnamigen
Buch von Lydia Conradi, die auch als Charlotte Roth bekannt ist, wurde das Haus
nach den Bäumen benannt, die links und rechts vom Eingang wachsen. Es ist das
Sommerhaus der Familie von Edmond Delacloce, deren Mitglieder sich als
Levantiner fühlen, damit sind die Bewohner der Länder des Mittelmeerraums
östlich von Italien gemeint. Der Roman führte mich einhundert Jahre in die
Vergangenheit als Izmir noch lateinischer Schreibweise Smyrna hieß. Hier lebten
Türken, Griechen, Armenier, Franzosen und Briten zunächst friedlich miteinander
trotz der Zugehörigkeit zu verschiedenen Religionsgemeinschaften. Doch dem Kampf
um Ländereien konnten sich die Stadtbewohner letztlich nicht gänzlich
entziehen.
Klara Reinecke ist im Jahr 1910 noch 15 Jahre alt und
Schülerin einer Schweizer Privatschule als sie in der Silvesternacht von ihrem
Vater mit seinem Handelspartner Peter Delacloche aus Smyrna bekannt gemacht
wird. Zwei Jahre später fährt sie nach Uzunade um Peter zu heiraten. Die
Familie lebt vom Warenhandel. Die Frauen sind den Konventionen entsprechend für
Haus und Familie zuständig, das Erlernen eines eigenen Berufs wird nicht gern
gesehen. Von Peters Mutter und seinen Schwestern und seiner Familie wird Klara
nicht als ebenbürtig angesehen, von ihren Eltern fühlt sie sich abgeschoben.
Die intelligente und aufgeschlossene junge Frau langweilt sich. Sie beginnt Liebeleien
mit diversen, auf der Insel anwesenden männlichen Verwandten bis sie
schließlich den Arzt Sevan kennenlernt, der ihre Schwägerin im Krankenhaus
behandelt hat. Für die beiden ist es Liebe auf den ersten Blick, obwohl Sevan
mit seiner Jugendliebe verheiratet ist und ein Kind hat. Klara und Sevan müssen
in den folgenden Jahren mit vielen Sorgen leben und manches Hindernis
überwinden.
Auf der ersten Klappseite des Buchs sind Stammbäume
aufgezeichnet, denn die Familie Delacloche ist verzweigt. Auf diese Weise
konnte ich mit schnellem Blick während des Lesens feststellen, wer mit wem wie
verwandt ist. Obwohl im Buch über viele Personen erzählt wird, sind Klara und
Sevan die Protagonisten. Klara wird von ihren Eltern bereits im Hinblick auf
eine spätere gute Partie hin erzogen. Durch die örtliche Entfernung haben Klara
und Peter wenig Möglichkeit, sich näher kennen zu lernen. Klara kann sich das
Leben in Smyrna nicht vorstellen, weil sie noch nie außerhalb von Deutschland
beziehungsweise der Schweiz gewesen ist. Auch wie das Leben in einer großen
Familie sich gestaltet, kann sie als Einzelkind nicht ahnen. Sie hat nicht
darüber nachgedacht, dass sie tagsüber ohne ihren Ehemann sein wird, weil er tagsüber
seinen Geschäften nachgeht und dazu die Insel verlässt. Vage blieb für mich,
welche Tätigkeiten alle zu Peters Alltag gehörten.
Sevan ist Armenier, die in Smyrna eine Minderheit sind.
Bereits als Kind wünscht er sich, später Arzt zu werden. Sein Wunsch erscheint
zunächst aufgrund fehlender finanzieller Mittel als unrealistisch. Seine
spätere Frau hat er schon als Junge bewundert. Doch ihre Liebe leidet unter der
ablehnenden Haltung ihrer Familie. Gesellschaftspolitisch steht er deren
Meinung entgegen. Sowohl für Klara als auch für Sevan stellt sich die Frage, ob
es wirklich Liebe ist, was sie für den Ehepartner empfinden. Als sie einander
begegnen, fühlen sie sich sofort zueinander hingezogen, meinem Empfinden nach
etwas zu schnell.
Lydia Conradi hat ihre Figuren bis in die Nebenhandlungen
hinein gut ausformuliert. Sie vermittelte mir gekonnt geschichtliches
Hintergrundwissen das dazu notwendig war, die kriegerischen
Auseinandersetzungen zu verstehen, in die die Bewohner von Smyrna im Laufe der
Zeit hineingezogen wurden. Deutlich konnte man auch das Unbehagen der Frauen
empfinden, die zu Hause auf ihre Liebsten zu warten hatten, groß waren die
Verluste in allen Gesellschaftsschichten. Aber nicht nur in der weltpolitischen
Lage herrschte der Kampf um Ländereien, sondern es gab Auseinandersetzungen in
Smyrna um die Vorherrschaft der Nationalitäten und Religionsgemeinschaften.
Auch begannen die Frauen sich gegen die ihnen zugeteilten Rollen als
ausschließliche Hausfrau und Mutter aufzubegehren, während die Männer die Riten
und Konventionen ihres jeweiligen Volkes in Frage stellten denen sie sich
verpflichtet fühlt,en. Auf allen Ebenen zeichnete die Autorin für mich ein
nachvollziehbares Bild der damaligen Ereignisse ohne dabei wertend zu sein.
Anhand detaillierter Beschreibungen konnte ich mir ebenfalls die Örtlichkeiten
sehr gut vorstellen.
Der Roman hat einen angenehm zu lesenden Schreibstil. Die Erzählung hat mich mitgenommen zu einer mir noch nicht bekannten Begebenheit der Weltgeschichte. Mit
viel Einfühlungsvermögen vermittelte Lydia Conradi mir die Gefühle und
Eindrücke ihrer Figuren, so dass ich ihr Handeln nachvollziehen konnte. Es
entstand anhand ihrer Beschreibungen für mich ein umfassendes Bild der Stadt
Smyrna und ihrer Bewohner von 1912 bis 1922. Ich empfehle dieses Buch gerne an
alle die sich für historische Romane interessieren.
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Titel: Das Haus der Granatäpfel
Autorin: Lydia Conradi
Erscheinungsdatum: 02.10.2017
Verlag: Pendo (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen