Auf dem Cover der Dystopie „Scythe – Die Hüter des Todes“ von Neal Shusterman ist ein martialisch aussehender Sensenmann abgebildet. Die Sense (=Scythe) als ihr Werkzeug benutzen die zum Töten Ausgewählten jedoch sehr selten, denn ihnen stehen vielfach andere Mittel zur Verfügung. Willkürlich werden für diesen Beruf Personen in ihrer Jugend ausgesucht und zu Scythe ausgebildet. Ihre Aufgabe besteht darin, den natürlichen Tod zu ersetzen, denn inzwischen kann jede Krankheit und jede körperliche Versehrtheit geheilt werden, es gibt keinen Anlass mehr um Kriege zu führen, das Verkehrswesen ist sicher, Verbrechen wurden ausgemerzt und jeder hat genug zum Leben. Sie töten, von ihnen „nachlesen“ genannt, nach ihrer eigenen Auswahlmethode, um eine festgesetzte Quote zu erfüllen. Allein dieser Tatbestand führt zu kritischen Stimmen innerhalb des Berufsstands der hochgeachteten, gleichzeitig auch gefürchteten Scythe in Bezug auf Anwendung und Durchführung der Methoden und Quotenerfüllung. Bei einer seiner Nachlesen wird Scythe Faraday auf die 16-jährige Citra aufmerksam, bei einer weiteren auf den gleichaltrigen Rowan und daher beruft er sie zu seinen Auszubildenden. Beide lernen im Laufe der Auseinandersetzung mit ihrem zukünftigen Beruf das Für und Wider der willkürlichen Nachlese kennen. Durch eine unerwartete Wendung der Geschehnisse werden Citra und Rowan zu Konkurrenten, denn nur einer von ihnen soll letztlich zum Scythe ernannt werden, der andere darf nicht, wie ursprünglich geplant, in sein altes Leben zurückkehren, sondern wird vom Rivalen sofort vor Ort nachgelesen.
Neal Shusterman spielt in seiner Dystopie mit einer spannenden Idee. Er geht davon aus, dass im Jahr 2042 die Rechenkraft unserer Computer eine ungeahnt enorme Größe erreicht hat. Das System „Thunderhead“, entwickelt aus der heute bereits bestehenden Cloud, besitzt die Fähigkeit sich selbst anhand der ausgewerteten Daten zu verbessern und so optimiert es beispielsweise den Verkehrsfluss oder auch Medizintechnik. Es leben zwar auch heute in der Realität immer mehr Menschen auf unserem Planeten weil die Geburtenzahl die Todesfälle übersteigt. Nach der Vision des Autors stirbt ein Mensch aber keines natürlichen Todes mehr, ganz im Gegenteil kann er sich immer wieder verjüngen lassen. Die Möglichkeit andere Welten zu erschließen ist wegen Misserfolgen ausgeschlossen. Die einzig logische Konsequenz daraus, scheint es zu sein, weltweit ein System zum Beenden von Leben zu etablieren. Thunderhead errechnet zwar den Bedarf an Sythe, mischt sich aber ansonsten nicht in deren Belange ein. Doch nach welchen Maßstäben soll getötet werden? Kann die Auswahl gerecht getroffen werden? Wird unsere Moral es zulassen, sich über das Verbot des Tötens unter dem Deckmantel der Notwendigkeit hinwegzusetzen? Alle diese Fragen bilden den Hintergrund der Geschichte um Citra und Rowan.
Der Autor fügt zwischen den Kapiteln Tagebucheinträge verschiedener Scythe ein, die mir Einblicke in das Denken der Ausgewählten gaben. Auf diese Weise habe ich deren Zweifel an ihrer Tätigkeit, manchmal aber auch die Begeisterung dafür gespürt. Sehr geschickt zeigt Neal Shusterman unterschiedliche Positionen seiner Charaktere, die ein Abbild der Ansichten in unserer Gesellschaft bilden. Spielt es überhaupt eine Rolle, wie die Auswahl der zu Mordenden getroffen wird, ob schnell getötet wird und auf welche Weise? Es ist nicht einfach, Figuren sympathisch zu finden, die zum Töten ausgebildet werden, obwohl der Autor dazu Argumente findet, den Bedarf an Scythe zu erklären. Sind Citra und Rowan schließlich Opfer oder Täter? „Scythe – die Hüter des Todes“ ist nicht einfach nur eine spannende Dystopie, sondern eine Auseinandersetzung mit dem wertvollen Gut unseres eigenen Menschseins. Mich hat das Buch zum Nachdenken über das Problem des Bevölkerungswachstums gebracht. Sehr gespannt bin ich schon auf die Fortsetzung des Buchs voraussichtlich im April 2018.
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*Titel: Scythe - Die Hüter des Todes
Autor: Neal Shusterman
Übersetzerin: Pauline Kurbasik
Erscheinungsdatum: 21.09.2017
Verlag: Sauerländer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Broschur (Leseexemplar)