Im Buch „Wir Strebermigranten“ erzählt die Autorin Emilia
Smechowski die Geschichte der Flucht ihrer polnischen Eltern im Jahr 1988, die
sie selbst als Fünfjährige miterlebt hat. Die 1980er-Jahre waren eine Zeit des
Aufbruchs in Polen mit dem Bestreben die Wirtschaftslage zu stabilisieren und
sich von der Politik des Ostblocks zu lösen. Emilias Eltern fühlten sich
unfrei, ausreisen durfte man nur mit Reisepass, der dem Vater verwehrt wurde.
Heute fühlt sich die Autorin von den Flüchtenden aus Syrien, dem Sudan oder
Irak in besonderer Weise berührt. Auch sie ist eine Geflüchtete und dennoch
sind die Umstände gänzlich andere
In ihrer Geschichte beschäftigt sie sich vor allem damit,
wieso heute die Flüchtlinge so starke Emotionen im Aufnahmeland hervorrufen und
warum es so schwierig ist, die Angekommenen zu integrieren. Denn vor allem in
den 1980ern ist etwa eine Million Polen nach Deutschland eingewandert, die aber
seltsamerweise wenig aufgefallen ist. Das lag zum einen daran, dass viele von
ihnen aufgrund der Vergangenheit mindestens eines Familienmitglieds das Anrecht
hatten, als Deutsche zu gelten, so wie es auch bei der Familie von Emilia
Smechowski der Fall war. Andererseits bemühten sich die eingereisten Polen um
Assimilation mit ihrer Umgebung. Auch die Eltern der Autorin waren darum
bemüht, von Beginn an wie Deutsche zu leben, also nicht nur die Sprache zu
lernen sondern sich auch mit der Kultur der Deutschen auseinanderzusetzen.
Bei uns im Westen Deutschlands leben viele
Griechen, Portugiesen und Türken, die vor allem in den 1960er als Gastarbeiter
eingereist sind. Sowohl Griechen als auch Portugiesen haben eigene
Versammlungsheime, eigene Kirchengemeinden und eigene Volkstanzgruppen die bei
Festivitäten gern gesehen sind. Ursprünglich aus Polen stammende Bekannte habe
ich auch genügend, muss aber länger darüber nachdenken, wer zu dieser, immerhin
zweitgrößten Migrationsgruppe Deutschlands gehört, denn meist erkennt man im
Gespräch noch nicht einmal einen Akzent, entsprechend der Bezeichnung der
Autorin erscheint mir der Begriff „Strebermigranten“ zu passen. Auffällig ist
höchstens der Vorname, wenn gerade Zwanzigjährige mit Hans oder Erika
angesprochen werden. Sobald diese Gedanken da waren, habe ich fasziniert die
Schilderungen der Autorin gelesen und dieses Stück Geschichte einmal aus einer
ganz anderen Sicht gesehen.
Ihr Buch erzählt aber nicht nur von der Flucht und dem
Ankommen der Familie, sondern auch von ihrer ganz eigenen Loslösung aus dem
Familienverbund und dem langsamen Vortasten in beruflicher Hinsicht auf für sie
ungewohntem Terrain ohne der Hilfe der Eltern, die ihren Vorstellungen entgegen
standen. Gerade der Weg ihrer Selbstverwirklichung hat bei ihr jedoch den
Wunsch freigesetzt sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen und
auszusöhnen.
„Wir Strebermigranten“ ist die Geschichte vieler Polen und
eine ganz persönliche der Autorin, ein Reisebericht, ein Familienroman und eine
kulturelle Auseinandersetzung. Emilia Smechowski beobachtet scharf. Sie lenkt
den Blick auf die aktuelle Flüchtlingslage und wirft Fragen nach der
Möglichkeit einer besseren Integration auf. Das Buch bringt einen Abschnitt der
Flüchtlingspolitik Deutschlands ans Licht, der bisher eher verborgen liegt. Die
Aussagen des Buchs sind eine Beschäftigung mit ihnen wert und daher vergebe ich
gerne eine Leseempfehlung.
*Werbung*
Titel: Wir Strebermigranten
Autorin: Emilia Smechowski
Erscheinungsdatum: 24.07.2017
Verlag: Hanser Berlin (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag