Am 16.11.2017 jährt sich der Tag der Selbstverbrennung von Hartmut Gründler zum 40. Mal. Seine Aktion ist ein Protest gegen die Lügen der Atomenergie, er stirbt fünf Tage später am 21.11.2017 in Folge seiner Verletzungen im Krankenhaus.
Der SWR 2 hat mit dem Autor Nicol Ljubic ein Feature zu seinem Buch "Ein Mensch brennt", in dem Hartmut Gründler eine wichtige Rolle spielt, gedreht, an dem er fünf Jahre gearbeitet hat. Er schildert in dem Beitrag den Entstehungsprozess seines Romans von der ersten Idee bis zum fertigen Buch.
Ausstrahlungstermin auf SWR 2: Dienstag, 21. November 2017, 22.03 Uhr
Der Radiosender NDR Kultur hat den Roman "Ein Mensch brennt" von Nicol Ljubic in der Sendung "Neue Bücher" am 02.11.2017 besprochen. Einen Link dazu findet ihr hier: LINK
Die titelgebende Figur des Romans „Ein Mensch brennt“ ist die
historische Person Hartmut Gründler. Er hat sich am 16. November 1977 aus
Protest gegen die Atompolitik der damaligen Regierung mit Benzin übergossen und
angezündet und starb fünf Tage später im Krankenhaus an den Folgen seiner
Verletzungen. Erzählt wird die Geschichte von der fiktiven Figur des Hanno
Kelsterbach. Als Hartmut Gründler 1975 ins Souterrain des Familienheims zieht,
steht Hanno gerade kurz vor seinem achten Geburtstag. Durch die Augen dieses
Kinds schildert der erwachsene Hanno die Haupthandlung in Rückblicken auf die Ereignisse
in den 1970ern. Entsprechend gestaltet ist das Cover mit dem Seitenprofil eines
Jungen, der interessiert in die Welt blickt, die er sich erst noch erschließen
muss.
Der Roman beginnt im Jahr 2011 in der Zeit nach der
Nuklearkatastrophe von Fukushima. Inzwischen sind mehr als 33 Jahre vergangen
seitdem sich Hartmut Gründler selbst angezündet hat. Hannos Mutter ist seit
dieser Zeit überzeugte Umweltaktivistin und ein großer Anhänger der Ideen von
Gründler. Hanno teilt deren Ansichten nicht, erinnert sich aber mit Bedenken an
die Zeit als Gründler in die Kellerwohnung eingezogen ist und damit eine
Veränderung im Wesen seiner Mutter begann. Er denkt zurück an den Kampf gegen
die Atompolitik der Gruppe Lebensschutz, die Gründler ins Leben gerufen hat,
und seine eigene Einbindung in die Aktivitäten durch das Engagement seiner
Mutter in der Gruppe. Gleichzeitig versucht er durch den Rückblick besser zu
begreifen, ob die schillernde Figur des Umweltaktivisten Anteil am Ende der Ehe
seiner Eltern hatte.
Da auch ich in den 1970er Kind war, konnte ich die Agitation
Hannos in dieser Zeit sehr gut nachvollziehen, sein Handeln auf Anweisung der
Eltern, seine Freude am Hobby Fußball und gemeinsame Unternehmen mit der
Familie. Ansonsten beobachtet man als Kind, hat seine Gedanken dazu, die viele
Fragen aufwerfen, die man aber nicht abschließend formuliert oder sich nicht zu
fragen traut, weil Kinder nicht alles wissen sollen. Die Sichtweise des Kinds bringt
einen Anflug von Leichtigkeit in den Roman. Entsprechend der damals gängigen
Vorstellung einer guten Ehe sorgte seine Mutter Martha sich ausschließlich um
Haushalt und Kind. Der gemeinsame Kampf für die gute Sache gibt Martha die
Möglichkeit im Engagement eine Art Befriedigung ihres Strebens nach
Selbstbehauptung zu finden. Das Verständnis für die Ansicht seines Vaters als
Familienoberhaupt und Versorger auf die Aktivitäten seiner Frau, das zum
Zerwürfnis seiner Eltern führte, begreift Hanno erst später.
Beim Lesen habe ich manchmal vergessen, dass zwar Hartmut
Gründlers wie auch mehrere andere Personen historisch verbürgt sind, die
Geschichte aber an sich fiktiv ist. Geschickt wählt der Autor einen
Protagonisten, der nur wenig jünger ist als er selbst, so dass er in seiner
Wortwahl auf seine eigenen Erinnerungen zurückgreifen kann. Der Kontakt zu
einem Mitstreiter Gründlers hat die Figur von Hannos Mutter nicht nur deutlich
geprägt, sondern sie dadurch auch lebendig gemacht. Die Darstellung ist
wirklichkeitsnah und nachvollziehbar.
Der erwachsene Protagonist wirft auch moralische Fragen auf.
Beispielweise stellt er seine Rolle als Mitkämpfer im kindlichen Alter auf den
Prüfstand. Hartmut Gründler war ein kompromissloser Idealist, der gewaltlosen
Widerstand für die gemeinsame Sache forderte. Nicol Ljubic geht im Roman der
Frage nach, wie viel man zu opfern bereit ist, um einer Idee zu folgen, bei der
der Einzelne nichts zählt und allein dem Gemeinwohl dient.
„Ein Mensch brennt“ ist eine Familiengeschichte mit
komplexem Tiefgang, die zwar als Hintergrund den Kampf gegen die Atomkraft in
der Vergangenheit beinhaltet, aber gerade hier im Westen trotz des
voraussichtlichen Endes der Atomenergie in Deutschland in Anbetracht des
störanfälligen Kernkraftwerks Tihange/Belgien aktuell ist. Der Autor hat mit
seinem Buch an ein verstörendes Ereignis erinnert, das uns beispielhaft den
Kampf eines David in der Einzelperson des Hartmut Gründler gegen die mächtige
Macht einer Bundesregierung als Goliath vor Augen führt. Die Geschichte bleibt
in Erinnerung und ich empfehle sie gerne weiter, vor allem an Leser, die an
geschichtlichen Ereignissen der jüngeren Vergangenheit interessiert sind.
*Werbung*
Titel: Ein Mensch brennt
Autor: Nicol Ljubic
Erscheinungsdatum: 08.09.2017
Verlag: dtv (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Buchspezial auf der dtv-Seite: LINK