„Zeit der Schwalben“ ist der Debütroman der deutschen
Autorin Nikola Scott. Die Geschichte spielt in England auf zwei Zeitebenen,
einerseits im Jahr 2010 und in Rückblicken zwischen 1958 und 1960. Die Mutter
der sechszehnjährigen Elizabeth ist sterbenskrank, doch auf ihren Wunsch hin
verbringt ihre Tochter vier Wochen im Sommer 1958 bei Freunden auf dem Anwesen
Hartland in East Sussex in der Nähe des Meers. Unerwartet erlebt sie dort
unvergessliche, unbeschwerte heitere Tage mit Ausflügen, sportlichen
Aktivitäten und einer ersten Schwärmerei. Schwalben stehen allgemein als Symbol
für Freiheit und Hoffnung. Hier auf Hartland, wo die Schwalben fliegen, fühlt
Elizabeth sich losgelöst und frei von den heimischen Sorgen. Die Hoffnung darauf,
dass ihre Mutter wieder gesund wird und sie ihre gemeinsamen Zukunftspläne
umsetzen können, fühlt sich real und richtig an. Das sich auf dem Cover die
junge Frau im Wasser spiegelt ist kein Zufall, sondern deutet auf die Beziehung
von zwei Charakteren in der Geschichte hin.
Adele Harington ist 40 Jahre alt und als Konditorin in einem
Café angestellt. Vor einem Jahr ist ihre Mutter gestorben, ihre vier Jahre
jüngere Schwester möchte als Jahresgedächtnis eine kleine Feier im elterlichen
Haus gestalten. Während Adele etwas Abstand im früheren Arbeitszimmer ihrer
Mutter sucht, klingelt das Telefon, sie nimmt das Gespräch entgegen und eine
ihr unbekannte Person berichtet von einem eingetroffenen Brief, der nach ihrer
Vorgabe jedoch wie alle Informationen nur nach Ankündigung zugestellt werden
soll. Des Weiteren fällt noch ein Datum: ihr eigener Geburtstag. Doch damit ist
nicht genug der seltsamen Ereignisse an diesem Tag, denn kurze Zeit später
steht eine Frau vor der Haustür, die ihre Mutter sucht und vollkommen
überrascht stellt Adele fest, dass es ihre eigene ist.
Der Roman verbirgt einige Geheimnisse und Nikola Scott
versteht es, sie erst mit und mit zu lüften. Es ist nicht nur spannend mit ihr
in die Vergangenheit der Familie zu reisen, sondern auch zu verfolgen, wie
Adele sich langsam aus den noch immer im Raum stehenden Ansprüchen ihrer
verstorbenen Mutter an ihre Person löst. Adele ist das einzige der drei
Geschwister das kein Studium beendet hat. Sie ist von Kindheit an risikoscheu
und häufig fließen Tränen aus kleinstem Anlass. Erst als immer mehr Details aus
der Jugend ihrer Mutter bekannt werden, kann sie deren Handlungsweise im Umgang
mit ihr verstehen und darauf aufbauend ergründen, was sie selbst als
Persönlichkeit ausmacht. Adele ist ein Sympathieträger. Ihre Schwester Venetia
hat häufig eine andere Meinung als sie und so ergeben sich ständig Reibereien.
Erschien mir Venetia schon nicht liebenswert, so empfand ich
im Roman vor allem den Vater von Elizabeth als echten Unsympathen, obwohl als
Entschuldigung für sein Verhalten sicher auch die Konventionen seiner Zeit zu
sehen sind. Nikola Scott hat ausführlich zum Thema Frauen in Schwierigkeiten in
den 1950er Jahren recherchiert. Anhand einer Begebenheit in meiner eigenen
Familiengeschichte kann ich bestätigen, dass ihr eine überaus realistische
Darstellung der Ereignisse gelungen ist. Sowohl Adele wie auch Elizabeth
schildern die Geschichte in der Ich-Form, wobei die Autorin Tagebucheinträge
von Elizabeth als Rückblick in die Vergangenheit nutzt. Auf diese Weise gelingt
es ihr sehr gut, die Gefühle und Gedanken beider Personen in ihrer jeweiligen
Zeit einzufangen.
„Zeit der Schwalben“ ist eine berührende Familiengeschichte,
die ein Beispiel aufzeigt für die Folgen der gesellschaftspolitischen Stellung
der Frau in der Familie von vor fünfzig Jahren. Die Suche nach der Wahrheit
hält eine gewisse Spannungskurve bis zum Schluss. Mich hat der Roman fasziniert
und daher vergebe ich gerne eine Leseempfehlung.
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Titel: Zeit der Schwalben
Autorin: Nikola Scott
Übersetzerin: Nicole Seifert
Erscheinungsdatum: 18.08.2017
Verlag: Wunderlich (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen