Im zweiten Thriller von Fiona Barton mit dem Titel „The
Child“ begegnete ich alten Bekannten wieder. Wie in ihrem Debüt wird erneut die
Journalistin Kate Waters von der Daily Post in den vorliegenden Fall involviert
und Detective Bob Sparkes bildet einen
ihrer wertvollen Kontakte zur Kriminalpolizei. Die jetzige Geschichte spielt
zwei Jahre später nach den Ereignissen des ersten Buchs, bedarf aber nicht dessen Vorkenntnis.
Es ist eine Meldung im Abendblatt der Konkurrenz durch die
Kate darauf aufmerksam wird, dass eine Babyleiche auf einer Baustelle gefunden
wurde. Entsprechend ihrer Gewohnheit reißt sie sich den Artikel aus und legt
sie zu den anderen in ihre Tasche, die ebenfalls darauf warten, weiter verfolgt
zu werden. Der Ausschnitt eines Zeitungsberichts auf dem Cover, verfasst von
Kate Waters, ließ mich bereits ahnen, dass die Recherche der Protagonistin
weitere Fakten ans Tageslicht bringen wird. Auch der Untertitel des Buchs „Du
kannst die Vergangenheit begraben, aber die Wahrheit lebt weiter“ unterstützte
meine Vermutung.
Nicht nur Kate wird auf den Bericht über den Leichenfund aufmerksam.
Emma Simmonds, 42 Jahre, arbeitet von zu Hause aus als Textkorrektorin. Sie
findet den Artikel in der Zeitung, die ihr Ehemann Paul aus der U-Bahn mit nach
Hause gebracht hat. Sie leidet seit Jahren an einer psychischen Krankheit. Die
Meldung ruft bei ihr eine panikartige Reaktion hervor. Am gleichen Tag trauert
Angela Irving wieder einmal um ihre vor über 40 Jahren als Neugeborenes
verschwundene Tochter Alice. Die frühere Krankenschwester ist verheiratet und
hat zwei erwachsene Kinder, doch der Geburtstag ihrer Tochter lässt wieder die
Hoffnungslosigkeit aufleben, Alice jemals wiederzusehen. Erst vier Tage später
liest sie den inzwischen von Kate verfassten Artikel zum Thema, mit der Frage
als Überschrift, wer denn das Baby sein könnte.
Die Geschichte wechselt zwischen verschiedenen Charakteren,
vor allem den bereits vorgenannten. Vom ersten Kapitel an ist klar, dass der
Zeitungsbericht Emma sehr tief trifft. Bewusst lässt Fiona Barton sie in der
Ich-Form erzählen. Dadurch kam ihr Erschrecken über den Fund mir sehr nah. Wie
sich herausstellt hat nicht nur sie ein Geheimnis, dass man zu ahnen beginnt,
aber erst nahezu zum Schluss aufgeklärt wird, sondern auch ihre Mutter Jude
trägt ein belastendes Ereignis mit sich. Als Leser erfuhr ich so mit und mit
wie es in der Jugend von Emma zum Zerwürfnis mit Jude kam und erst sehr viel
später wieder eine Annäherung der beiden erfolgte. Während Emma kaum ein
gesellschaftliches Leben hat und bei ihrem deutlich älteren Mann Unterstützung
und Geborgenheit findet, ist ihre Mutter seit jeher sehr selbstbewusst. Sie war
Anwältin und kämpft nicht nur für ihre Klienten, sondern auch für ihre eigenen
Rechte auf ein angenehmes Leben an der Seite eines attraktiven Mannes und mit eigenen
Kindern. Nicht alle ihre Wünsche sind in Erfüllung gegangen und so ist sie leicht
verbittert ob der unerreichten Ziele. Einen großen Teil der Schuld daran
schreibt sie Emma zu.
Nicht nur Jude reflektiert ihre Rolle als Mutter, sondern
auch Angela, denn ihre beiden Kinder haben stets an der Seite des Schattens des
verschwundenen Geschwisters gelebt. Angela hat es nie geschafft, die
wiederkehrende Lethargie abzustreifen. Ebenso hat Kate Waters Schuldgefühle und
fragt sich als Mutter, was sie falsch gemacht hat, denn einer ihrer erwachsenen
Söhne spricht von einer Zukunft mit der seine Eltern nicht einverstanden sind.
Wie bereits im Debüt von Fiona Barton habe ich auch diesmal durch
Kate Waters etwas über investigativen Journalismus erfahren. Von Anfang an baut
die Autorin Spannung auf durch geschickt gesetzte Geheimnisse, die früh
angedeutet und erst spät aufgedeckt werden. Glaubte ich mich der Lösung bereits
nahe, entdeckte ich eine zeitliche Unlogik, die natürlich auch Kate nicht
verborgen blieb. An manchen Stellen spielt die Autorin mit dem äußeren Schein
und sorgt für überraschende Wendungen. Ihre Charaktere sind sehr gut
ausformuliert. Sie zeigen nachvollziehbare Gefühle und tragen Verantwortung für
ihr Tun.
„The Child“ konnte mich noch mehr fesseln als das erste Buch
von Fiona Barton. Das Buch ist nicht als Thriller ausgewiesen. Obwohl mit dem
Fund der Knochen ein lange zurück liegendes Verbrechen aufzuklären ist, ist die
Erzählung aufgrund seiner Vielschichtigkeit mehr als ein Krimi mit anhaltender
Spannung. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.
*Werbung*
Titel: The Child
Autorin: Fiona Barton
Übersetzerin: Sabine Längsfeld
Erscheinungsdatum: 15.12.2017
Verlag: Wunderlich (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe Klappenbroschur