„Leinsee“ ist der Debütroman von Anne Reinecke und benannt
nach dem Ort, an dem die Eltern des Protagonisten Karl bis zur schweren
Erkrankung der Mutter in 2005 wohnen und der Vater mit 57 Jahren in Aussicht
des Todes seiner Frau Selbstmord begeht. Karl ist zu Beginn der Geschichte erst
26 Jahre alt und lebt als Künstler in Berlin. Seine Eltern sind seit vielen
Jahren in der Welt der Kunst zu hohem Ansehen gelangt. Karl ist mit der
Begründung, ihm die bestmögliche Erziehung zukommen zu lassen, im Internat
aufgewachsen. Dort hat er einen neuen Nachnamen angenommen unter dem er selber
nun erfolgreich ist. Seit seinem Abitur vor sieben Jahren war er nicht mehr zu
Hause. Jetzt fährt er nach Süddeutschland an den Leinsee, um die Beerdigung
seines Vaters zu organisieren und seine todkranke Mutter ein letztes Mal zu
sehen. Zum großen Erstaunen erholt sie sich jedoch.
Karl Gefühlswelt ist im Aufruhr. Seine Freundin Mara möchte,
dass er wieder nach Berlin zurückkehrt. Doch Karl ist in seinem Leben seiner
Mutter noch nie so nah gewesen wie jetzt. Die Bindung und Nähe der Eltern
zueinander, sowohl bei ihrer Arbeit wie auch in der Freizeit, war so eng, dass
er sich immer ausgeschlossen fühlte. Seine Entscheidung, in Leinsee zu bleiben,
wird stark von der achtjährigen Tanja beeinflusst, die eines Tages in einem
Baum auf dem Anwesen hockt. Zu ihr entsteht ein ganz besonderes Verhältnis, das
sich im Roman über zehn Jahre hinweg entwickelt.
Karl hat sich, ohne vom Erfolg seiner Eltern zu profitieren,
einen sehr guten Ruf mit eigenen Arbeiten geschaffen und ist zu Recht stolz
darauf. Niemals wird er jedoch den ganz eigenen Lebensstil von Vater und Mutter
vergessen, der in ihre Arbeiten einfloss und auch das Fundament für seine
eigene Karriere bildet. Denn nur auf dieser Grundlage konnte er seine eigene
Persönlichkeit entwickeln und sich deutlich von dem Werk der Eltern abheben. Er
weiß genau, was er will, kommt aber durch die nun veränderte Situation in eine
unbekannte Lage, die sehr an seiner gewohnten Ordnung zerrt.
Bei seiner Ankunft in Leinsee begegnet ihm der Assistent der
Eltern, dem er skeptisch entgegensteht. Obwohl er solange nicht vor Ort war, nimmt
er sich alle Rechte eines Sohns. Dennoch bleibt er nahezu unberührt über den
Tod des Vaters und ohnmächtig gegenüber der schweren Erkrankung seiner Mutter.
Seine Gefühle sind verwirrt und das Kind im Baum bringt eine unbesorgte
ungeahnte Leichtigkeit in sein Leben. Sie kommt immer wieder und regt seine
Kreativität zu neuen Höhepunkten an so wie er ihre zum Leuchten bringt. Es ist
wie ein Spiel mit ihr, in dem er ein Stück seiner eigenen Kindheit und Jugend wieder
gibt.
Jedes Kapitel ist mit einer Farbe überschrieben, die ein
Adjektiv in sich trägt. Dadurch kommt eine ungewöhnliche Farbenpalette
zusammen, die synonym für die Vielfalt von Karls Gefühlen steht. Anne Reinecke
schreibt auf den Punkt und scheut auch nicht vor der Beschreibung schwieriger
Situationen mit Hass, körperlicher Liebe, großer Traurigkeit und kindlicher
Freude zurück. Karl ist ein offener, einfallsreicher Charakter mit Blick für
das Neue und gewissen Extravaganzen. Seine Entwicklung im Roman über die Jahre
hinweg hat mich sehr berührt.
„Leinsee“ ist ein Roman, so spannend und vielfältig wie das Leben
mit Trauer und Trübnis, mit Liebe und Lachen und der Gabe sich und anderen viel
Freiraum zur Selbstentfaltung zu gewähren. Er erzählt von einer besonderen
Eltern-Kind-Beziehung, vor allem aber auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte.
Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.
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Titel: Leinsee
Autorin: Anne Reinecke
Erscheinungsdatum: 28.02.2018
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar