Im Jahr 1989 sitzt Michael Chabon am Bett seines Großvaters
mütterlicherseits. Wenige Tage vor seinem Tod wird dieser unter dem Einfluss
von Schmerzmittel unerwartet gesprächig. Mit Michael an seiner Seite lässt er
sein Leben Revue passieren und erzählt dabei so manch Unerwartetes. Zum Beispiel
von seiner Zeit in Nazi-Deutschland, wo er Wernher von Braun jagte. Von der
ersten Begegnung mit seiner Frau, die mit ihrem Kind als Jüdin den Krieg in
Frankreich überlebt hat, doch immer wieder von Wahnvorstellungen geplagt wird.
Seiner Zeit im Gefängnis, weil er seinen Chef erdrosseln wollte, und
schließlich seinen letzten Jahren in einer Wohnanlage, wo er sich dem Modellbau
widmet.
Eins sei vorweg gesagt: Bei „Moonglow“ handelt es sich nicht um die
Memoiren von Michael Chabons Großvater, sondern um einen Roman. Einiges davon
ist tatsächlich passiert, anderes nicht – was zu welcher Kategorie gehört, das
bleibt im Ungewissen. In einem Interview sagte das Autor beispielsweise, dass
seine Großmutter, deren psychische Erkrankung ein wichtiges Element des Buches
ist, geistig völlig gesund gewesen sei. Gerade diese Vermischung von Realität
und Fiktion machte mich neugierig auf die Geschichte.
Das Buch ist nicht chronologisch erzählt, sondern springt in der Zeit
hin und her von einer Episode zur nächsten. Gleich zu Beginn des Buches erfährt
man als Leser, dass der Großvater in einem Anfall von Wut versucht hat, seinen
Chef umzubringen. Handelt es sich um jemanden mit Neigung zur Gewalt? Gar einem
Kriminellen? Mit der Zeit wird das Bild, das vom Großvater gezeichnet wird,
immer detailreicher. Ein Mann mit vielen unterschiedlichen Facetten, der so
einiges erlebt und mitgemacht hat.
Durch die ständigen Zeitsprünge gelingt es dem Autor, mit seiner
Geschichte unvorhersehbar zu bleiben und den Leser so manches Mal zu
überraschen. Plötzlich werden Geheimnisse gelüftet, die etwas schon viel früher
Erzähltes in ganz neuem Licht erscheinen lassen. Für mich war es allerdings zu
viel Hin und Her, sodass sich die Geschichte auf dem schmalen Grat zwischen
wirr und genial immer wieder in Richtung des ersteren bewegte.
Das Buch spricht viele große Themen des 20. Jahrhunderts auf an, zum
Beispiel die letzten Tage von Nazi-Deutschland mit den Vorrücken der USA und
der Sowjetunion und grauenhaften Entdeckungen wie die des KZ Dora-Mittelbau
oder auch den großen Traum von der Raumfahrt und der Landung auf dem Mond.
Gleichzeitig geht es aber auch um persönliche Schicksale wie die
Wahnvorstellungen der Großmutter und alltägliche, skurrile Begebenheiten wie
die Schlangenjagd des Großvaters oder die Phase, in der die Großmutter im
Fernsehen Horrorgeschichten vorgelesen hat. Es ist ein thematisch bunter Mix,
mit dem Michael Chabon den Leser unterhält und gleichzeitig ein rundes Gesamtbild
zeichnet, bei die Frage, was davon wirklich passiert ist, zur Nebensächlichkeit
wird. Ein Buch für alle, die gern in interessante Lebensgeschichten anderer
eintauchen, bei denen Unerwartetes ans Licht kommt und man seinen Eindruck auch
mal revidieren muss.
Moonglow
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Moonglow
Autor: Michael Chabon
Übersetzerin: Andrea Fischer
Hardcover: 496 Seiten
Erschienen am 8. März 2018
Verlag: Kiepenheuer & Witsch