Montag, 26. März 2018

[Rezension Ingrid] Die Geschichte des verlorenen Kindes von Elena Ferrante


„Die Geschichte des verlorenen Kindes“ ist der vierte und abschließende Band einer Romanserie von Elena Ferrante, die sich rund um die Freundschaft der inzwischen 66-jährigen Ich-Erzählerin Elena und ihrer gleichaltrigen Freundin Raffaella dreht. Die Erzählung umfasst die beiden Teile „Reife“ und „Alter“ sowie einen Epilog. Das Buch beginnt mit Elenas Rückblick auf die Zeit Ende der 1970er Jahre, in denen ihre Ehe scheiterte und sie schließlich zum Schreiben nach Neapel zurückkehrte. Der Titel des vierten Teils verhüllt ein tragisches Geheimnis, das erst nach etlichen Seiten im Buch gelüftet wird. Wieder ist der Geschichte ein Verzeichnis der handelnden Personen mit einer Kurzfassung zu den bisherigen wichtigsten Ereignissen vorweg gestellt. Dennoch entfaltet sich der volle Lesegenuss nur bei Kenntnis der vorigen Bände. Die Übersetzung von Karin Krieger ließ die Handlung für mich bis ins Detail verständlich werden.

Elenas Ehe steckt in der Krise seit aus ihrer Jugendschwärmerei Liebe geworden ist, die erwidert wird. Nach vielen Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann Pietro zieht sie schließlich mit ihren beiden Kindern in eine Wohnung, die ihr Geliebter ihr in Neapel gemietet hat in einer ansehnlichen Gegend. Inzwischen ist aus Lila, wie sie Raffaella seit Kindertagen nennt, eine erfolgreiche Unternehmerin geworden. Lila hat den Rione, die Gegend Neapels in der sie lebt, nie verlassen. Bei ihren Besuchen nimmt Elena die Spannungen dort wahr, die durch die kriminellen Organisationen des Viertels hervorgerufen werden.

Im Laufe der Zeit erfährt sie immer mehr über das geheime Leben ihres Geliebten. Zwar wird sie als Autorin auch weiterhin wahrgenommen, aber für einen weiteren neuen längeren Roman hat sie keine guten Einfälle. Sie möchte gerne unabhängig leben, jedoch verschlechtert sich ihre finanzielle Situation zunehmend. Als ihr ein Vorschuss zu einem Roman angeboten und eine erste Abgabefrist gesetzt wird, fällt ihr der Entwurf zu einer Geschichte ein, die sie vor Jahren geschrieben hat und die im Rione spielt. Um die Erzählung zu überarbeiten nimmt sie den Vorschlag von Lila an, in die Wohnung über ihr zu ziehen, auch damit die Umgebung auf sie wirken kann. In den folgenden Jahren unterstützen sich die Freundinnen gegenseitig in der Betreuung ihrer Kinder bis eines davon verloren geht.

Bereits am Ende des dritten Bands deutete sich an, dass Elena mit ihrem Leben nicht zufrieden ist. Nun sucht sie zu Beginn es abschließenden Teils den direkten Vergleich mit Lila in einem ständigen Kampf um den Vorrang, der durch Kriterien bestimmt wird die alleine Elena festlegt und bei denen finanzielle Unabhängigkeit und Ansehen weit oben stehen. Obwohl beide Frauen so unterschiedliche Wege eingeschlagen haben, möchte Elena ihrer Freundin vor allem als gute Mutter in nichts nachstehen, an einer entsprechenden Kritik durch Lila reibt sie sich auf. Doch von ihrer neuen Liebe lässt sie dennoch nicht ab, obwohl sie die Nachteile für ihre Töchter sieht. Sie genießt die neue Zuwendung und ignoriert alle gutgemeinten Ratschläge.

Lila hat sich inzwischen ein Netzwerk an Seilschaften geschaffen, die sie und ihr Unternehmen stützen, um damit in einer Welt der Korruption zurecht zu kommen. Sie scheut sich nie, ihrer Freundin die Realität nahe zu bringen. Von Elena wird das skeptisch gesehen und sie ist sich nie sicher, ob Lila ihr mit ihren Aussagen nicht schaden möchte. Nach einem schweren Erdbeben, das die Freundinnen erleben, findet Lila Worte für ihre Empfindungen, die nicht nur ihre Freundin berühren und wodurch ich neben Elena einen ungeschönten Blick auf Lila werfen konnte. Sie ist keine Konstante in ihrer Welt, sondern ängstigt sich davor durch nicht voraussehbare Variablen ins Trudeln zu geraten und die selbst geschaffene Sicherheit zu verlieren.

In ihrer Zeit in Neapel geben die Freundinnen sich gegenseitig Kraft und Halt, während dabei sowohl Stolz als auch Neid aufeinander, Hass und Verständnis zum Tragen kommen. Mit dem vierten Band konnte ich nochmals tief in Elenas und Lilas Gefühlswelt eintauchen und mit ihnen Höhen und einen besonders schweren Schicksalsschlag erleben. Der Epilog schließt den Kreis zum Prolog der Serie. Elena Ferrante hat mit ihrer Romanreihe ein Stück unvergessliche Literatur geschaffen, dem ich meine uneingeschränkte Leseempfehlung gebe.


Rezension Band 1: Meine geniale Freundin  -> Link

Rezension Band 2: Die Geschichte eines neuen Namens -> Link

Rezension Band 3: Die Geschichte der getrennten Wege -> Link


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Titel: Die Geschichte des verlorenen Kindes (Band 4)
Autorin: Elena Ferrante
Übersetzerin: Karin Krieger
Erscheinungsdatum: 02.02.2018
Verlag: Suhrkamp (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband

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