„Beschreibung einer Krabbenwanderung“ ist der Debütroman von
Karosh Taha. Die Autorin wurde im Nordirak geboren und hat dort etwa zehn Jahre
lang gelebt bevor sie und ihre Familie in den Westen Deutschlands zogen. Für
ihre fiktive Hauptfigur Sanaa hat sie einen ähnlichen Hintergrund geschaffen. Eine
der nachhaltigsten Erinnerungen ihrer Protagonistin an ihre Kinderjahre im Irak
ist der Biss einer Krabbe in ihre Wade und der anschließende Trost ihres Vaters,
der ihr dazu eine Fabel erzählt. Der Titel des Buchs ist eine Anspielung
darauf. Auf dem Körper der stilisierten Krabbe ist ein Hochhaus, ein Plattenbau
zu erkennen. In einem solchen Gebäude lebt Sanaa mit ihren Eltern und ihrer
jüngeren Schwester Helin in einer Großstadt Nordrhein-Westfalens.
Sanaa ist 22 Jahre und Studentin. Doch statt sich ganz dem
Studium zu widmen, fühlt sie sich ihrer Familie verpflichtet. Ihre Mutter ist
depressiv, hängt ihren Gedanken an die irakische Heimat nach und ist dadurch
nicht mehr in der Lage ihren Haushalt zu führen. Sie akzeptiert es, dass ihre
Schwägerin, die im gleichen Haus wohnt, gemeinsam mit einer weiteren Nachbarin
täglich stundenlang in ihrer Wohnung hockt und raucht, angeblich um nach dem
Rechten zu sehen. Sanaas Vater geht wechselnden Jobs nach und verbringt seine
Freizeit außerhalb der Familie. Sich auf eine feste Beziehung einzulassen fällt
der Studentin schwer, stattdessen hat sie neben ihrem Freund einen weiteren
Liebhaber. Zwischen der Erinnerung an ihre Kindheit, den gegenwärtigen Problemen mit ihren Eltern
und dem teils mythisch untermalten Erwartungen der ganzen Familie basierend auf
kurdischen Verhaltensnormen, versucht Sanaa zu sich zu finden und an einer
eigenen Zukunft zu bauen.
Als Leser benötigte ich einige Seite um mich im Leben von
Sanaa einzufinden, jedoch breitete es sich dann mehr und mehr vor mir aus.
Wirkte Sanaa zunächst eher wie jemand, der süchtig nach körperlicher Liebe ist,
so begriff ich im Laufe der Zeit, dass die junge Kurdin sich nach einem Halt im
Leben sehnt, jedoch ohne sich selbst an jemanden zu binden. Denn in dieser
Pflicht sieht sie sich bereits gegenüber ihrer Mutter Asija. Niemand hat sie
dazu aufgefordert, doch sie ist diejenige, die die Sehnsucht Asijas nach der
Heimat im Irak versteht, weil sie Erinnerungen teilen. Während sie täglich die
Gegenwart mit all ihren Problemen meistert, gräbt sie in der Vergangenheit
ihrer Eltern um den Wunsch nachzuvollziehen, warum sie nach Europa ausgewandert
sind. Sie finet keinen eindeutigen Grund, denn ihr werden dazu mehrere
Versionen erzählt. Ihr Studium bietet ihr die Gelegenheit aus der vertrauten
Umgebung auszubrechen und einige Stunden für sich zu verbringen, einfach eine
junge Frau unter Freunden zu sein, ganz bewusst ohne weitere Verpflichtungen.
Karosh Taha beschreibt in „Beschreibung einer
Krabbenwanderung“ das Leben einer jungen Frau zwischen Tradition und Moderne in
einer Sprache, die teils träumen lässt, teils bewegend ist und in einigen
Szenen auch amüsiert. Es entwickelte sich mit der Zeit ein Sog, der mich dazu
brachte, immer mehr von den Sitten und Gebräuchen der mir fremden Kultur
erfahren zu wollen. Der Roman gab mir die Hoffnung mit auf den Weg, dass auch
Sanaa ihren Platz in der Familie und Gesellschaft finden wird. Gerne vergebe ich
dem Buch eine uneingeschränkte Leseempfehlung.
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Titel: Beschreibung einer Krabbenwanderung
Autorin: Karosh Taha
Erscheinungsdatum: 12.03.2018
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen)