Zwar strahlt das Cover des Romans „Die Lichter unter uns“
von Verena Carl durch den sonnengelben Grundton des Schutzumschlags eine
gewisse sommerliche Leichtigkeit aus, doch die Autorin schlägt nachdenkliche
Klänge in ihrer Geschichte an. Vom Balkon schaut eine Frau auf dem Cover des
Buchs auf die Weite des Meeres und hängt ihren Gedanken nach. „Die Lichter
unter uns“ sind für sie die Lichter zwischen ihrer jetzigen Ferienwohnung und
dem Strandhotel ihrer Hochzeitsreise. Sie sind leuchtende Punkte, die die
Anwesenheit von Menschen repräsentieren und damit eine Vielzahl von Lebenswegen
auf die man neidisch oder bedauernd blicken kann.
Anna ist 43 Jahre alt und verbringt Ende Oktober ihren
14-tägigen Urlaub mit ihrem Mann Jo und den beiden Kindern in Taormina auf
Sizilien. Dort haben sie ihre Hochzeitsreise in einem Hotel am Strand
verbracht, aber inzwischen kann die Familie sich nur noch eine Ferienwohnung am
Steilhang des Ortes leisten. Die 10-jährige Tochter ist Farb-Synästhetikerin,
in der Entwicklung vom Kind zur Frau, sensibel und fordert daher die besondere
Aufmerksamkeit ihrer Eltern, die aber den sechsjährigen Bruder nicht zu kurz
kommen lassen wollen. Am Ende der ersten Ferienwoche benötigt Anna eine kurze
Auszeit und setzt sich abends allein in ein Café auf einen Drink. Dabei
beobachtet sie eine Gruppe von drei Personen am Nebentisch. Das Bild des
älteren der beiden Männer, den sie später als Alexander kennenlernt, etwa 50
Jahre alt, brennt sich in ihr Gedächtnis ein und bringt sie zum Grübeln über
ihr Leben und die von ihr verpasste Chance, so vermeintlich glücklich zu leben
wie er.
Die Autorin führt dem Leser Schein und Sein einer Person vor
Augen. Sie wechselt in der Form der allwissenden Erzählerin die Perspektiven,
so dass ich neben Anna auch mehr von und über Jo und der Gruppe im Café
erfahren konnte. Während Anna sich ein mondänes Leben an der Seite des
weltgewandt erscheinenden Alexanders ausmalt, erfuhr ich in den Kapiteln, die
ihn in den Fokus setzen, mehr über sein tatsächliches Wirken zwischen Arbeit,
Erwartungen an den erwachsenen Sohn, neuer Ehefrau und einer verdrängten
Diagnose.
Anna hadert mit sich und ihrer Welt. Ihre Rolle als Ehefrau,
Mutter und Hausfrau erfüllt sie nicht mehr, ihrem Job als freier Journalistin
hat sie sich immer weniger gewidmet. Statt in Taormina Entspannung zu finden,
wandern ihre Gedanken zu ihrer Hochzeitsreise und ihrer damaligen Vorfreude auf
die Zukunft an der Seite Jos. Ihr Mann, die Kinder und der Haushalt stellen
Anforderungen, die sie auf gewisse Weise binden und spontane Handlungen
einschränken. In ihrer Ehe sind die kleinen Geheimnisse voreinander mit der
Zeit gewachsen und täglich buhlen beide um die Gunst der Kinder während sie
sich mit konträren Antworten zu Fragen der Erziehung auseinandersetzen. Die
Entfernung zum Alltag, die Wärme auf der Haut und die Reize der
Urlaubslandschaft lassen jeden träumen, auch Anna. Der attraktive, gut gekleidete
Alexander, dessen erwachsener Sohn zur Gruppe im Café gehört, verführt sie
dazu, sich an seiner Seite vorzustellen, an der sie keine Kinder mehr zu
erziehen hat, es ihr nicht an Geld mangelt und sie selbst erfolgreich ist.
In einer teilweise poetisch anmutenden Sprache setzt Verena
Carl sich mit tiefem Einfühlungsvermögen mit den verschiedenen Gefühlen ihrer
Protagonisten auseinander. Sie ist eine gute Beobachterin, die ihre Sicht in
Worte zu verpacken weiß. Gerne legt sie ihre Finger in Wunden, jedoch ohne zu
moralisieren. Aktuelle Themen untermalen die reale Situation und lassen die
Erzählung noch authentischer wirken. Die Bilder in den Medien suggerieren uns
eine Scheinwelt, aus der wir nicht erkennen können, was gut und richtig für
unser eigenes Leben ist. Die Autorin ließ mich darüber nachdenken, welche
Kriterien gelten sollen, um Glück und innere Befriedigung zu messen.
Mit viel Gespür für die zwischenmenschlichen Töne hat Verena
Carl einen Roman geschrieben über die Anforderungen des Alltags, denen man
gerecht werden muss, unerfüllten Lebensträumen und der Suche nach neuen
passenderen Zielen, die die Hoffnung aufrechterhalten, das am Ende doch noch
Wünsche in Erfüllung gehen. Gerne gebe ich hierzu eine Leseempfehlung.
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Titel: Die Lichter unter uns
Autorin: Verena Carl
Erscheinungsdatum: 25.04.2018
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen (Leseexemplar)