Daniel Kehlmann hat in seinem Roman „Tyll“ der im 16.
Jahrhundert geschaffenen Figur des Dil Ulenspiegel, die durch seine Schelmengeschichten
bekannt ist, einen neuen Handlungsrahmen gegeben. Seine Erzählungen hat er
hundert Jahre später angesiedelt, der Hauptteil spielt im 30-jährigen Krieg.
Tyll wird als Sohn eines Müllers geboren
und wächst dort am Rand des kleinen Dorfes als einziges Kind seiner
Eltern heran. Zart, feinsinnig und geschickt ist er. Sein Vater ist des Lesens
mächtig, schaut hinter die Bedeutung von Alltagsgegenständen und hinterfragt
diese. Sein Verhalten ist auffällig, so dass er in die Hände der Inquisition
gelangt. Am Tag seiner Hinrichtung läuft Tyll davon und beginnt ein Leben als
freier Mann mit all seinen Vor- und Nachteilen auf die der Autor hinweist.
Hätte ich nun nach den ersten beiden Kapiteln eine weitere
Beschreibung der Eulenspiegeleien erwartet, so überraschte der Autor mich
damit, dass er im Folgenden seinen Blick mehr auf die Machthabenden der
damaligen Zeit wirft. In Szenen, die nicht chronologisch geordnet sind, zeichnet
er das Bild der Gesellschaft der damaligen Zeit, die gebunden ist an viele
undurchschaubare, manchmal unlogische Gesetze. Jeder Beruf ist mit Pflichten
und Rechten streng belegt. Unterschiede in den Rängen sind schwer zu
überbrücken, Rollen müssen eingehalten werden, Ehen dienen dem Zweck. Alles
Unverständliche wird mit überirdischer Macht und Mysterien beschrieben. Wer
Macht erlangt versucht diese durch blutige Kämpfe zu sichern, die Unterlegenen
haben zu folgen.
Tyll wird zur Randfigur und dient lediglich zum Zusammenhalt
der einzelnen Episoden. Er setzt jedoch deutliche Akzente durch seine Kunst durch
eigene Ausdrucksformen die Wahrheit ans Licht zu bringen und den Menschen wie
in einem Spiegel ihr eigenes Verhalten vorzuführen. Daniel Kehlmann übernimmt
in seinem Roman die Rolle des Tyll, der mir als Leser in zahlreichen
Schilderungen die verschrobene Denkweise ad absurdum vor Augen führt. Auf seine
philosophische Weise lässt er die Mächtigen sich mit ihrer Welt
auseinandersetzen bei denen es manchmal so scheint, dass das Verständnis dazu
noch zu groß für das 17. Jahrhundert ist. Leider sind einige Ansichten bis
heute aktuell. Der Schalk des Tyll der ursprünglichen Geschichten bleibt dabei
zurück, der Wahnsinn des Kriegs tritt in den Vordergrund. Wer philosophisch
geschriebene, gesellschaftskritische Romane mag, ist bei diesem Buch von Daniel
Kehlmann richtig.
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Titel: Tyll
Autor: Daniel Kehlmann
Erscheinungsdatum: 09.10.2018
Verlag: Rowohlt (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen