Irma und Sam nehmen an einem besonderen Wettbewerb teil: Sie
wollen dazu auserwählt werden, die Fähre zu besteigen, die sie in eine neue
Welt bringen soll. Die Erde ist nicht mehr das, was sie einmal war. Dennoch ist
für Irmas Eltern ist unverständlich, warum ihr Tochter alles endgültig hinter
sich lassen will und sich dazu in der Arena in große Gefahr begibt. Über Sam
hingegen ist so gut wie nichts bekannt. Man erzählt sich, dass er an einem der letzten
Sommertage angespült wurde. Außerhalb der Arena ist ihm nichts vertraut. Bis er
eines Tages seinem Impuls folgt und beschließt, die Welt zu erkunden, mit Irma an
seiner Seite.
Als ich vor einigen Monaten im Radio einen Bericht über das „Mars One“ Projekt
und dessen Rekrutierung von Kolonisten hörte, fragte ich mich vor allem, was so
viele Menschen dazu bewegt hat, sich für diese Mission ohne Rückfahrtschein zu
bewerben. Eine ähnliche Frage hat sich auch die Autorin gestellt. In ihrem Roman
will die Organisation „Carpe Diem“ einen Mann und eine Frau auswählen, die sie
als Hoffnungsträger in eine weit entfernte Welt schickt.
Die Protagonistin Irma lernt man zu Beginn durch Briefe kennen, die an
sie geschickt werden. Aus diesen erfährt man, dass sie sich in einer Arena
befindet, in welcher der Auswahlprozess für die Mission stattfindet. Das Ganze
wird im Fernsehen ausgestrahlt und fesselt die ganze Nation – nur ihre Familie
kann kaum zuschauen, als klar wird, dass tödliche Unfälle mit zum Programm
gehören. Die Briefe ihrer Eltern und Freunde klingen verzweifelt und zunehmend
resigniert, während die Fanpost immer euphorischer wird. Als ich Irma und Sam
schließlich begegnete, hatte ich das Gefühl, sie schon lange zu kennen – so wie
der Freund eines Freundes, von dem man schon lange gehört hat. Es sind zehn
Jahre vergangen, seit Irma ihre Familie verlassen hat. Der Abflug der Fähre
steht kurz bevor, da will Sam plötzlich die Welt sehen. Er öffnet die Tür zur Welt
und spaziert einfach hinaus, und Irma folgt ihm.
Die Erde ist in einem schlechten Zustand, das ist nach wenigen Schritten
klar, die Sam und Irma in der „echten“ Welt tun. Warum, erfährt man nicht, wie
so vieles in diesem Roman. Doch es fahren kaum Autos mehr, die Lebensmittel
sind knapp, der Himmel fast durchgängig grau. Trotzdem hatte Irma Eltern, sie
sie lieben, tolle Freunde und Tom, der offensichtlich für sie schwärmt. Was
reicht ihr daran nicht? Diese Frage stellt sich ihr Umfeld und auch der Leser,
der in den eingestreuten Rückblicken erfährt, wie Irma erstmals von Carpe Diem
gehört und sich schließlich beworben hat.
Sam hingegen ist ein Rätsel. Er will unbedingt zur letzten Insel, die
Irma nur für einen Mythos hält. Unbeholfen ist er unterwegs, weiß über die Welt
fast nichts. Trotzdem zieht dieses ungleiche Duo weiter. Die Geschichte hat
einen bruchstückhaften Charakter, setzt einzelne Szenen aneinander mit rauen
Übergängen. Es kommt zu Begegnungen mit Menschen, die Irma einst Briefe schrieben.
Während Irma in einer Blase gelebt hat, hat das Leben bei ihnen Spuren hinterlassen.
Sie haben Wege gefunden, um mit ihrem Verlust klarzukommen, denn Irma lebt schon
seit ihrer Abreise in die Arena gefühlt in einer anderen Welt. Auch über Sams
Vergangenheit erfährt man schließlich ein wenig mehr und erfährt Dinge, die das
Geschehen in neuem Licht erscheinen lassen.
In der Geschichte schwingt viel Gesellschaftskritik mit – an Reality-Shows
und deren überspitzter Inszenierung, der Sensationslust der gaffenden Menge und
dem Streben nach mehr, egal, was es kostet. Gleichzeitig wirft das Geschehen
immer wieder neue Fragen auf und überlässt vieles der eigenen Interpretation,
explizite Botschaften sucht man vergeblich. Ein Buch zwischen Verzweiflung und Hoffnung,
Pioniergeist und Größenwahn, Loslassen und Festhalten.
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Hier ist es schön
Autorin: Annika Scheffel
Hardcover: 389 Seiten
Erschienen am 7. Mai 2018
Verlag: Suhrkamp