Willa Drake führt von außen betrachtet ein ganz durchschnittliches
Leben. Der Leser begleitet sie durch die Jahrzehnte: Im Jahr 1967 ist sie elf
und ihre Mutter hat das Haus und die Familie wieder einmal wütend verlassen.
1977 stellt Willa ihren Eltern ihren Freund Derek vor. Auch wenn seine Eltern
ihn nicht mögen und sie ihre eigenen Interessen zurückstellen muss, stimmt sie
seinen Zukunftsplänen für sie beide zu. Sie nimmt die Rolle ein, die er für sie
vorsieht, bis das Jahr 1997 alles verändert. Doch erst im Jahr 2017 trifft sie
eine Entscheidung ganz allein deshalb, weil sie es für das richtige hält.
Das Cover zeigt zwei unbeschwert spielende Mädchen, im Hintergrund
steht ein alter Wagen. Das könnten Willa und ihre Freundin Sonya in den 60ern
sein. Sie wissen noch nicht, was das Leben für sie bereithalten wird. Doch Willas
Leben ist schon jetzt nicht frei von Sorge. Ihre Mutter hat immer wieder
Wutausbrüche, nach denen sie wütend wegfährt – diesmal sogar über Nacht. Ihr
Vater, ihre Schwester und sie versuchen, sich trotzdem ganz normal zu
verhalten, bis sie wieder da ist.
Nach kurzer Zeit macht die Geschichte einen ersten großen Zeitsprung.
Er nimmt den Leser mit zu zwei wegweisenden Momenten in Willas Leben: Als sie
beschließt, Derek zu heiraten, bevor sie mit dem College fertig ist und als er
zwanzig Jahre später selbstverschuldet verunglückt. Dabei lernt man Willa als
Charakter besser kennen. Sie bringt ihre eigene Meinung schwach hervor, fügt
sich dann aber immer dem, was andere sagen und planen. Szene um Szene läuft
nach diesem Schema ab. Sie wird regelrecht fremdgesteuert statt zu tun, was sie
wirklich will. Für sie wichtige Menschen, die nicht gutheißen, auf wen sie
hört, wenden sich von ihr ab. Doch auch hier wird sie nicht aktiv.
Insofern ist ihre persönliche Situation im Jahr 2017 wenig
überraschend. Sie ist eine logische Fortsetzung ihres bisherigen Lebens. Ein
Anruf setzt schließlich etwas bei ihr in Gang und sie trifft eine Entscheidung,
die ihr Umfeld nicht nachvollziehen kann. Auch ich konnte es nicht so recht
verstehen: Warum jetzt, warum für diese Person? Ist sie nach all den Jahren
gelangweilt von ihrem Leben, in dem sie ihre Interessen immer denen anderer
untergeordnet hat? Zum ersten Mal setzt sie ihren Willen durch und macht sich
auf den Weg. Sie gerät in eine lebendige Familie und kauzige Nachbarschaft
hinein und lernt neue Perspektiven kennen.
Obwohl hier auf rund 300 Seiten ein ganzes Leben mit vielen
Zeitsprüngen erzählt wird, plätschert die Geschichte gefühlt vor sich hin. Willas
Leben zieht an ihr vorbei, ohne dass sie selbst wirklich eingreift. Immer
wieder ärgerte ich mich über Passivität und las Szene um Szene, die nach dem
selben Muster abläuft. Selbst wirklich einschneidende Ereignisse können sie
nicht wachrütteln.
Warum der Anruf im Jahr 2017 es schließlich kann, blieb für mich
unerklärlich. Die zweite Hälfte des Buches beschreibt die Konsequenzen: Sie
quartiert sich in einer fremden Stadt und in einer fremden Familie ein. Das
Buch wurde hier deutlich lebhafter und positioniert sich irgendwo zwischen
tragisch und komisch. Irgendwo ist das Stichwort – für mich wurde nicht klar, was
die Geschichte nun wirklich will. Die Handlung konnte mich nicht richtig
packen, die Charaktere blieben oberflächlich. Für mich hätte es mehr gebraucht:
Mehr Drama, mehr Lebensfreude, mehr Konflikt, mehr Skurrilität – irgendetwas
davon. So bleibt es für mich ein durchschnittlicher Roman über ein stilles
Aufwachen und Ausbrechen aus einem fremdbestimmten Leben.
----------------------------------------
*Werbung*
Launen der Zeit
Autorin: Anne Tyler
Übersetzerin: Michaela Grabinger
Übersetzerin: Michaela Grabinger
Hardcover: 304 Seiten
Erschienen am 10. Juli 2018
Verlag: Kein & Aber