Pages

Donnerstag, 16. August 2018

[Rezension Hanna] Vox - Christina Dalcher

 

[Werbung]
Vox
Autorin: Christina Dalcher
Übersetzer: Marion Balkenhol & Susanne Aeckerle
Hardcover: 400 Seiten
Erscheinungsdatum: 15. August 2018
Verlag: S. Fischer
Link zur Buchseite des Verlags

-----------------------------------------------------------------------

In Amerika ist die „Bewegung der Reinen“ an die Macht gekommen. In kurzer Zeit hat die erzkonservative Bewegung die Frauen aus sämtlichen Machtpositionen gedrängt und sie schließlich vollständig unterdrückt: Die Pässe wurden ihnen weggenommen und sie werden gezwungen, Wortzähler zu tragen, mit denen sie nur 100 Wörter pro Tag sprechen können. Jean war früher kognitive Linguistin. Sie stand kurz vor einem Durchbruch in ihrer Forschung rund um die Heilung der Wernicke-Aphasie, einer Sprachstörung. Jetzt bleibt ihr nur noch die Versorgung ihres Manns und ihrer vier Kinder und jede Menge Wut, für die sie kein Ventil hat. Doch dann verunglückt der Bruder des Präsidenten - und ausgerechnet Jean soll helfen…

Die Ausgangslage dieser dystopischen Geschichte ist erschreckend: Eine erzkonservative Bewegung hat das Land fest im Griff und Frauen nicht nur aus der Öffentlichkeit zurückgedrängt, sondern sie nahezu mundtot gemacht. Wie konnte das passieren, und wie reagieren die Betroffenen und Nicht-Betroffenen darauf? Erzählt wird die Geschichte von Jean, die wie alle Frauen zum Opfer geworden ist und weiß, dass sie zu wenig getan hat, um all das aufzuhalten. Während ihre frühere Mitbewohnerin Jackie jahrelang Proteste organisierte, hielt sie sich zurück, ging nicht einmal wählen. Nun ist es zu spät, um etwas zu sagen, denn die hundert Worte am Tag müssen sorgfältig ausgewählt werden. Besonders schmerzt es sie zu sehen, wie Sonia, ihr jüngstes Kind und einziges Mädchen, aufwächst. Mit ihren Kenntnissen hat Jean sie gezielt konditioniert, sodass Sonia weit weniger als hundert Wörter täglich sagt, um möglichst weit weg zu bleiben von dieser gefährlichen Grenze, dessen Überschreiten starke Stromstöße zur Folge hat.

Immer wieder werden kurze Rückblicke eingeschoben, die dem Leser verständlich machen, wie es so schnell dazu kam, dass die „Bewegung der Reinen“ die Macht übernommen hat. Das Gedankengut der Bewegung weist Ähnlichkeiten zu dem realer erzkonservativer Bewegungen auf, die eingesetzten Methoden erinnern an den Nationalsozialismus. Frauen gehören an den Herd und jeder soll möglichst schnell eine Familie gründen. Wer nicht spurt, der wird mit einem Wortkontingent von Null ins Lager gesteckt. Mit Entsetzten liest man sich durch die Seiten. Dabei wird stark auf die emotionale Tube gedrückt, während die Handlung kaum voranschreitet.

Durch den Unfall des Präsidentenbruders kommt schließlich mehr Schwung in die Geschichte, denn plötzlich braucht man Jeans Wissen. Endlich hat sie eine Chance, aus ihrem bisherigen Handlungsmuster auszubrechen. Man lernt einige neue Charaktere kennen und erfährt Geheimnisse, die Jean sorgfältig hütet. Ihr Auftrag bringt sie in ein Dilemma und ich war neugierig, wie sie sich entscheiden wird. Gleichzeitig kommt es in ihrem Umfeld zu erschütternden Zwischenfällen, die durch die Bewegung der Reinen verursacht werden. Bei all dem hat mich vor allem eine Sache wirklich gestört: Zwar wird immer gesagt, dass die Bewegung der Reinen das ganze Land kontrolliert, doch das Beziehungsgeflecht wirkt so krampfhaft konstruiert, dass Amerika ein Dorf zu sein scheint. Ihr Mann arbeitet für den Präsidenten, Jean forscht genau an der Krankheit, die den Präsidentenbruder ereilt, ihre ehemalige Mitbewohnerin war die Wortführerin der Rebellion, die Nachbarin landet nach einem Fehltritt sofort im Fernsehen und so weiter. Zum Ende hin wird schließlich auf sich überschlagende, actionreiche Ereignisse gesetzt, bei denen ich irgendwann den Überblick verloren habe, was nun zum Plan gehört und was nicht.

„Vox“ sendet mit der Geschichte von Jean die wichtige Botschaft, dass man sich fortlaufend stark machen sollte gegen jede Art von Unterdrückung. Die Umsetzung war für mich jedoch nicht mehr als Mittelmaß. Zu sehr wird auf schockierende und emotionale Szenen gesetzt, zu wenig auf einen authentischen Handlungsverlauf, der das große Ganze im Blick hält.