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Titel: Der Duft des Waldes
Autorin: Hélène Gestern
Übersetzerin: Brigitte Große
Erscheinungsdatum: 25.07.2018
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
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„Der Duft des Waldes“ ist der erste Roman der Französin
Hélène Gestern, der in Deutsch erscheint. Ein verblassendes Foto auf dem Cover
lässt vermuten, dass die Geschichte in der Vergangenheit spielt. Doch es ist
nur ein Teil davon, der mich als Leser bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs
zurückführte. Der Duft des Waldes ist nicht nur in angenehmen Situationen
wahrzunehmen, er ist auch präsent während der Trauer auf einem Waldfriedhof und
hört auch in einem Schützengraben im bewaldeten Gebiet nicht auf.
Elisabeth Bathori ist Historikerin und arbeitet für das
Institut für Fotogeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts in Paris. Vor zwei
Jahren ist ihr geliebter Partner verstorben, ohne dass sie von ihm persönlich
Abschied nehmen konnte. Seitdem fehlen ihr Antrieb und Motivation. Zu ihrem
Beruf gehört es, dass sie Fotoarchive begutachtet. Als ihr die 89-jährige Alix
de Chalendar das Album ihres im ersten Weltkrieg verstorbenen Onkels Alban de
Willecot vorlegt ist sie sofort von dessen Wert überzeugt. Der Soldat hat
Postkarten und Briefe an der Front geschrieben und sie unter anderem an den
bekannten Dichter Anatole Massis verschickt.
Als wenig später die Klientin stirbt hinterlässt sie ihr
überraschenderweise ein Landhaus. Durch ihre neue Aufgabe und durch das geerbte
Haus bedingt, beginnt Elisabeth langsam ins Leben zurückzufinden. Immer tiefer
dringt sie über den Inhalt des Albums in die Geschichte des Soldaten ein, in
der so manches Geheimnis verborgen liegt. Bei ihrer Suche nach Antworten findet
sie immer mehr Widersprüche, die ihren Ehrgeiz anspornen, sie zu entwirren und
die Wahrheit zu erfahren.
Hélène Gestern unterrichtet Literatur an einer französischen
Universität. Vor allem ist sie von der Geschichte der Fotografie und deren
Auswirkung auf das Verständnis der Historie sowie vom autobiographischen
Schreiben begeistert. Beide Themen glänzen in ihrem Roman. Sie lässt ihre
Protagonistin in der Ich-Form erzählen. Die Worte von Elisabeth richten sich
immer wieder direkt an ihren verstorbenen Geliebten. Auf diese Weise konnte ich
all ihren Schmerz und die Trauer über seinen Tod erfahren, aber auch ihre
Neugier auf die Geschichte von Alban und seinen Freunden, die Freude über jeden
kleinen Fortschritt, ihre Begeisterung im Umgang mit dem geerbten Haus und ihrer
neuen Nachbarin sowie das zögerliche Aufkeimen einer neuen Liebe. Die Autorin
schreibt so überzeugend, dass ich manchmal dachte, dass Elisabeth eine reale
Figur ist.
Zwar sind auch Alban und seine Freunde nur fiktiv, aber
anhand der Postkarten, Briefe und Tagebücher, die sie geschrieben haben, lässt
Hélène Gestern die Zeit wieder lebendig werden. Schon auf Seite 2 konnte ich in
einem Brief von Alban de Willecot an Anatole Massis über die Gräuel des
Dienstes an der Front lesen. Doch dies ist erst ein kleiner Einblick. Selbst so
weit von zu Hause entfernt sind doch die Erinnerungen an die Heimat stets
präsent. Bald ist die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Kriegs getrübt und
Alban hält sich zunehmend nur noch an die vorgeschriebene Disziplin durch den
Glauben daran, dass seine Fotos und Texte den Daheimgebliebenen das wahre
Gesicht der Zerstörung und der Leiden zeigen. Solche Fotografien sind für uns bis
heute wertvolle Dokumente.
Bei ihrer Recherche begegnet Elisabeth Samuel, einem
Nachkommen einer mit Alban befreundeten Familie, zu dem sie bald mehr empfindet
wie nur Freundschaft. Ausgerechnet das alte Tagebuch der 18-jährigen Diane,
einer Freundin von Alban, hilft ihr bei ihren Beziehungsproblemen. Weitere
Nachforschungen in der Familie von Diane brachten mich als Leser im Verlauf des
Romans in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zu Judenverfolgung und Résistance. Um
die Figuren den verschiedenen Zeiten und Familienzweigen besser zuordnen zu
können, wäre ein Personenverzeichnis nützlich gewesen.
Ist die Erzählung in einer ruhigen Sprache geschrieben, so
dringen die fiktiven Briefe und Tagebucheinträge umso eindringlicher in das
Bewusstsein des Lesers. Hélène Gestern hat mit „Der Duft des Waldes“ ein Buch
geschrieben, das trotz der umfassenden Seiten nicht langweilt, weil es immer
wieder neue Geheimnisse aufzudecken gibt. Mit unerwarteten Wendungen bleibt die
Geschichte bis zum Ende hin faszinierend. Der Roman im Gesamtbild hat mich
überrascht und wird mir in Erinnerung bleiben. Gerne empfehle ich ihn weiter.