Sonntag, 30. September 2018

[Rezension Hanna] Bluthaus - Romy Fölck



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Bluthaus
Autor: Romy Fölck
Hardcover: 320 Seiten
Erscheinungsdatum: 28. September 2018
Verlag: Bastei Lübbe

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Die Polizistin Frida hat sich nach den traumatischen Erlebnissen vor einigen Monaten vom Dienst beurlauben lassen und ist von Hamburg in ihre Heimat in der Elbmarsch zurückgekehrt. Auf dem Obsthof ihrer Eltern nimmt sie sich Zeit, um sich darüber klar zu werden, ob sie nach wie vor in der Mordkommission arbeiten möchte. Dort erhält sie Besuch von ihrer Freundin Jo, die etwas zu beschäftigen scheint. Am Abend des selben Tages findet die Polizei Jo am Schauplatz eines Mordes. Sie ist sich sicher, dass ihr jemand etwas in die Schuhe schieben will. Während Bjarne Haverkorn den Fall offiziell übernimmt mischt sich auch Frida in die Ermittlungen ein, um Jo zu helfen. Doch einiges spricht dafür, dass Jo nicht zufällig am Tatort war.

Das Buch startet mit einem kurzen und schockierenden Prolog. Im Jahr 1997 an der Ostseeküste möchte Miriam mit einer Freundin abhauen und schleicht sich dazu mit gepacktem Rucksack aus dem Haus. Doch ihre Freundin taucht nicht am vereinbarten Treffpunkt auf. Als die Ausreißerin wütend zu ihren Eltern zurückkehrt, findet sie diese und ihren kleinen Bruder ermordet im Wohnzimmer. Ich war gespannt, wie die Protagonisten Frida und Bjarne in der Elbmarsch Verbindungen zu diesem Fall herstellen.

In der Gegenwart trifft man Frida auf dem Obsthof ihrer Eltern wieder, wo sie sich nach den Ereignissen des ersten Bandes für einige Monate zurückgezogen hat. Wann sie in den aktiven Polizeidienst zurückkehrt, ist für sie noch unklar. Doch dann entdeckt ihre Freundin Jo eine erstochene Frau und ist weit und breit die einzige Person am Tatort. Als sie Frida um Hilfe bittet, ist dieser klar, dass sie etwas tun muss. Bjarne Haverkorn nähert sich dem Fall als offizieller Ermittler rational und sachlich, während bei Frida von Anfang an eine starke emotionale Komponente mitschwingt.

Jo zu helfen stellt sich schnell als schwieriger heraus als gedacht. Mit ihrer geringen Gesprächsbereitschaft und Aussagen, die sich als Lüge herausstellen, macht sie sich verdächtig. Ein neuer Zwischenfall erhöht schließlich die Dringlichkeit, Licht ins Dunkel zu bringen, und stellt auch die Verknüpfung zur eingangs geschilderten Ostsee-Kulisse her. Trotz Auszeit ist Frida rasch wieder voll in ihrem Element und sucht nach dem entscheidenden Hinweis.

Frida und Haverkorn nähern sich dem Fall wie im ersten Band aus zwei verschiedenen Richtungen und kooperieren miteinander, um von den Erkenntnissen des anderen zu profitieren. Dabei erfährt man wieder ein wenig mehr über die beiden. Frida kämpft noch immer mit der Aufarbeitung ihres erlittenen Traumas. Haverkorn hingegen muss sich eingestehen, dass seine Ehe endgültig gescheitert ist.

Die Handlung nimmt langsam, aber konstant Tempo auf und lässt die Protagonisten erste Anhaltspunkte finden. Man erfährt mehr über die Tote und erlebt einige Überraschungen, als neue Verbindungen offenbar werden. Ein Hinweis führt zum nächsten, ohne dass es nennenswerte Alternativen gegeben hätte. Funklöcher spielen mehrfach eine entscheidende Rolle, was mich störte, insbesondere nachdem im ersten Band schon ein vergessenes Handy der Knackpunkt war. Zudem wird Spannung künstlich erzeugt, indem das Geschehen in die Länge gezogen wird und das Verhalten einer entscheidenden Personen fand ich schwer nachvollziehbar. Dadurch konnte ich mich auch beim Showdown nicht ganz auf die Geschichte einlassen.

„Bluthaus“ ist der zweite Fall für Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn. Obwohl sie sich vom Dienst hat beurlauben lassen steckt Frida bald mitten in Ermittlungen in einem Mordfall, denn eine Freundin hat die Leiche gefunden und scheint die einzige am Tatort gewesen zu sein. Ich fand es interessant, dass das Geschehen erneut mit einem Altfall verknüpft wurde. Beim Handlungsverlauf stolperte ich über einige Dinge, durch die mich die Geschichte nicht so recht mitreißen konnte. Für mich ist „Bluthaus“ ein solider Kriminalroman, für den ich drei Sterne vergebe.

Freitag, 28. September 2018

[Rezension Ingrid] NSA von Andreas Eschbach


*Werbung wegen Verlinkung*
Titel: NSA - Nationales Sicherheits-Amt
Autor: Andreas Eschbach
Altersempfehlung: ab 16 Jahren
Erscheinungsdatum: 28.09.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783785726259

Buchtrailer zu NSA - Nationales Sicherheitsamt (einfach draufklicken und es geht los)
(Link mit freundlicher Genehmigung des Lübbeverlags)


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Das Buch „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“ von Andreas Eschbach ist ein historischer Roman mit Elementen der Science-Fiction. Die Idee, die dem Roman zugrunde liegt ist die Vorstellung, dass es bereits im Zweiten Weltkrieg Computer und Mobiltelefone gegeben hat. Ich fand den Gedanken sehr interessant und war gespannt auf die Umsetzung. Passend zum Inhalt wurde die äußere Gestaltung des Buchs vorgenommen. Das Cover ist wie ein Plakat der 1940er gestaltet, der Zeit also, in der die Haupthandlung spielt. Ein stilisiertes Auge nimmt einen breiten Platz auf dem Umschlag ein und symbolisiert die Möglichkeit einer ständigen Überwachung allerorts.

Im Oktober 1942 kämpft das Nationale Sicherheits-Amt in Weimar um seine Daseinsberechtigung, denn auch das Reichssicherheits-Hauptamt in Berlin kommt einer ähnlichen Aufgabe nach. Als sich der Besuch eines Reichsführers ankündigt, möchten die Mitarbeiter mit einer neuen Möglichkeit der Datenauswertung überzeugen. Zum Team des NSA gehören die beiden Protagonisten des Romans Helene Bodenkamp und Eugen Lettke. Helene ist 21 Jahre alt, Programmiererin und ebenso wie der einige Jahre ältere Datenanalyst Eugen in keiner festen Partnerschaft. Ein Erlebnis in der Vergangenheit bringt Eugen dazu, Rache an den damals daran beteiligten Personen zu üben, wobei ihm die Zugriffsmöglichkeiten seines Jobs zugutekommen.

Bei Helene steht eines Tages ein Freund, mit dem sie einen bezaubernden Abend verbracht hat, vor der Tür des Elternhauses indem sie immer noch wohnt. Arthur ist von der Front geflohen und erfreut darüber, dass Helene ihm hilft, ein Versteck zu finden. Fortan sieht die junge Frau ihre Arbeit mit anderen Augen, denn zu den Aufgaben des NSA gehört die Auswertung von Daten rund um Haushalt und der in ihm lebenden Personen, um daraus auf untergetauchte Personen zu schließen.

Dem Autor ist es gelungen, die realen historischen Personen mit den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften treffend darzustellen und ihnen ergänzend seine eigenen Charaktere wirklichkeitsnah zur Seite zu stellen. Die Protagonisten Helene und Eugen sind gekonnt gezeichnete mehrschichtige Figuren, die von ihrer Art her perfekt ins Bild passen.

Es ist ungewohnt, sich vorzustellen, dass es bereits vor hundert Jahren die Technik von heute gegeben haben soll. Andreas Eschbach schafft es, das Thema sachlich umzusetzen und passend in die historische Umgebung einzubinden. Dazu hat er beispielsweise die Bezeichnungen so verändert, dass ich sie nach der heutigen Auffassung als antiquiert bezeichnen würde. Auch die Hardware entspricht von der Größe her dem Ambiente der 1940er und beinhaltet doch Software auf dem neuesten Stand. Etliche historische Daten und Figuren hat der Autoren beibehalten, jedoch an einigen Stellen der Zeitgeschichte eine Änderung gegeben, was der Erzählung eine Überraschungskomponente gegeben hat.

Was mir durch den Roman nochmal bewusst wurde und vom Autor in leicht überspitzem Maße aufgezeigt wird, ist die Rolle der Frau in der Gesellschaft der nationalsozialistischen Zeit. Deutlich wird die Trennung der Geschlechter in der Schilderung vor allem in der Zuweisung von Aufgaben in Alltag und Beruf. Helene übt beispielsweise als Programmiererin einen Job aus, der in Deutschland ausschließlich für Frauen vorgesehen ist. Die daraus folgende Aufgabe der korrekten Auswertung der so gewonnenen Daten wird ihnen nicht zugetraut, dazu wird die Analysefähigkeit der Männer genutzt, denen im Gegenzug die Auseinandersetzung mit einfachen Tätigkeiten wie das Schreiben eines Programms nicht zugemutet wird.

Es wirft sich die große Frage danach auf, ob unsere heutige Technik Fluch oder Segen in den heute herrschenden Kriegen ist und ob mit ihr ein weiterer Weltkrieg verhindert werden kann oder erst möglich gemacht wird. Beunruhigend sind gestern wie heute nicht nur die Möglichkeiten der Gewinnung von Daten und deren Auswertung, sondern auch die Macht, die die analysierten Daten denjenigen geben, in deren Besitz sie sind. „NSA“ ist ein Buch, das beängstigende Szenarien aufzeigt und mich darüber ins Grübeln brachten, wie durchschaubar wir heute inzwischen tatsächlich sind. Mir erscheint das Szenario realistisch, undenkbar der Gedanke selber weiterzuspinnen und sich das Hier und Jetzt auszumalen, wenn es sich so wie von Andreas Eschbach geschildert dargestellt hätte. Der Roman ruft förmlich schon nach einer Fortsetzung …

Mittwoch, 26. September 2018

[Buchbox] Schmökerbox September: Scheinfarben



[Werbung - Die Schmökerbox wurde mir kostenfrei zur Verfügung gestellt.]

Wer bekommt nicht gern Überraschungen - noch dazu in buchiger Form? Deshalb möchte ich Euch heute von meiner ersten Erfahrung mit der Schmökerbox berichten, die mich vor wenigen Tagen erreicht hat!

Die Box richtet sich an erwachsene Leser und enthält jeden Monat ein aktuelles deutschsprachiges Hardcover oder eine Klappenbroschur sowie drei bis fünf zum Thema des Buches passende Goodies. Das Thema der Septemberbox lautet „Scheinfarben“, und so erwartete mich beim Öffnen eine schicke blau-grüne Karte, die mich neugierig darauf machte, die Geheimnisse der Box zu lüften.


** Achtung Spoiler – Im Folgenden wird der Inhalt der Box gezeigt **


Voller Vorfreude legte ich die Karte erst einmal auf Seite, öffnete die erste Lage Papier und erhaschte einen ersten Blick auf die Gegenstände, die sich zwischen dem Füllmaterial verbargen. Die Box sah gut gefüllt aus.

Als erstes entdeckte ich eine Karte von FOX&POET aus dicken Karton mit einem Sinnspruch und direkt darunter ein Zitat-Lesezeichen im gleichen Design wie die Scheinfarben-Karte. Das blau-grüne Muster finde ich optisch sehr ansprechend und werde das Lesezeichen sicher nutzen. 

Der nächste Fund war ein großer Magnet von Pickmotion mit einem Haus, das an Ballons hängt. Das Motiv erinnert mich an den Film "Oben". Gleich daneben entdeckte ich einen Faber Castell PITT artist pen in der exotisch klingenden Farbe Phthalo Green, das die Farbe der Karten gut trifft.

Nun konnte ich endlich größte und schwerste Objekt herausheben: Eine Keramikschale von Madame Stoltz, die mir auf Anhieb gefiel. 

Zwei Dinge waren noch einmal zusätzlich verpackt: Das Buch und ein zugehöriges Goodie, was erst auf Seite 67 geöffnet werden soll. Darunter zog ich schließlich die letzten zwei Überrschungen hervor: Artprints mit Zitaten von Karl Valentin und Albert Einstein.


Nach dem ersten Stöbern in der Box wurde es Zeit für mich, mir die einzelnen Goodies genauer anzuschauen. Das verpackte Buch stellte sich als "Die Gesichter" von Tom Rachman heraus, auf welches ich schon vor einigen Wochen aufmerksam wurde und es auf meine Wunschliste gesetzt hatte. Die Freude war also groß, dass es ich es nun bald lesen kann.

Die Rückseite der "Scheinfarben"-Karte beschreibt, worum sich das Buch dreht und macht noch mehr Lust auf die Lektüre. Außerdem erläutert es, welche Verbindung die einzelnen Goodies zum Buch haben - sie stehen nämlich für unterschliedliche Charaktere im Buch. Zusätzlich wird der Hinweis gegeben, dass beim noch verpackten Gegenstand mein neuer Stift zum Einsatz kommen kann. Damit ist meine Neugier so weit befriedigt, dass ich mit dem Verpacken nun auch wirklich bis Seite 67 warten kann. ;-)


Meine erste Schmökerbox gefällt mir richtig gut und bot ein schönes Auspack-Erlebnis. Man merkt, dass sich das Team wirklich Gedanken gemacht hat, was zum Buch passt. Die Goodies wurden liebevoll ausgewählt mit den Karten hat das Team hochwertiges Material herstellen lassen, das die Farben von Schale und Stift sowie das Thema des Buches aufgreift.

Meinen Geschmack haben die Goodies getroffen. Der Magnet hat seinen Platz am Kühlschrank schon gefunden und auch die Schale wird regelmäßig zum Einsatz kommen. Die Sachen sind überhaupt nicht kitschig oder billig, sondern von guter Qualität und alltagstauglich. Damit eignet sich die Box sowohl als Überraschung für sich selbst als auch zum Verschenken.

Die Schmökerbox kann jeden Monat separat bestellt werden, außerdem gibt es Abos über 3 oder 6 Monate mit etwas Rabatt. Ich finde es gut, dass man sich jeden Monat neu entscheiden kann. Im Vorfeld wird der Name der Box veröffentlicht mit einigen Tipps, sodass man das Buch thematisch einschätzen kann. Außerdem sind die Bücher in der Regel recht frisch auf dem Markt, sodass die Gefahr nicht so groß ist, etwas zu erhalten oder zu verschenken, das schon bekannt ist.

Die Schmökerbox September ist leider schon ausverkauft. Wenn ich Eure Neugier geweckt habe, dann könnt aktuell die Schmökerbox Oktober vorbestellen. Das Thema im nächsten Monat lautet „Das Leben ist eine Wundertüte“. Das klingt wieder nach einer tollen Überraschung!

Dienstag, 25. September 2018

[Rezension Ingrid] Bruder und Schwester Lenobel von Michael Köhlmeier


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Titel: Bruder und Schwester Lenobel
Autor: Michael Köhlmeier
Erscheinungsdatum: 20.08.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband (Leseexemplar)
ISBN: 9783446259928
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Das Cover des Romans „Bruder und Schwester Lenobel“ zeigt eine Ansicht der Stadt Wien. Michael Köhlmeier hat seine Geschichte hier angesiedelt. Über der Stadt spannt sich der Himmel weit auf, so wie die Erzählkunst des Autors sich im Buch entfaltet. Doktor Robert Lenobel, der Bruder in diesem Buch, ist Psychiater in Wien. Seine Schwester Henriette, Jetti genannt, lebt aber inzwischen in Dublin. Das überraschende Verschwinden von Robert und die Suche nach ihm ziehen sich als roter Faden durch den Roman.

Jetti folgt der Aufforderung ihrer Schwägerin Hanna, die sie per E-Mail erhält. Hanna wünscht sich, dass sie zu ihr nach Wien kommen soll, denn ihr Mann würde verrückt. Als sie zwei Tage später in der Stadt eintrifft ist er verschwunden, gemeinsam geben sie eine Vermisstenanzeige auf. Beide glauben nicht, dass Robert den Freitod gewählt hat, aber Gründe für eine planlose Reise können sie sich auch nicht vorstellen.

Der 55 Jahre alte Robert und die sechs Jahre jüngere Jetti sind sich von Kindheit an in besonderer Weise verbunden. Der Bruder ersetzte der Schwester in einigen Dingen den Vater, der noch eine zweite Familie hatte und irgendwann ganz fern blieb. Jetti unterstützte Robert während seines Studiums als sich bei der Mutter die Symptome einer psychischen Erkrankung verstärkten. Nachdem Robert mit Hanna liiert war, haben die beiden ihre Fürsorge auf diese ausgedehnt und auch bereits zu dritt manche Krise miteinander.

Das Ehepaar hat zwei Kinder, doch Hannas erste Wahl, ein Familienmitglied über das Verschwinden ihres Manns zu informieren, fiel auf Jetti. So stark die Bande zu ihren Kindern auch sein mögen, umso stärker ist Hannas Vertrauen in Jetti von der sie sich Hilfe erhofft, die Gründe für Roberts Handeln zu verstehen. Doch die beiden kennen sich gut, zu gut erschien es mir manchmal, denn sie agieren ohne große Worte, beobachten einander und deuten jedes kleinste Tun auf der Basis vergangener Erfahrungen miteinander. Dabei erinnern beide sich nicht nur an positive Ereignisse, was zu deutlichen Spannungen führt. Schließlich sucht Jetti den Kontakt zu Roberts Freund Sebastian Lukasser, einem Wiener Schriftsteller, der schon in früheren Romanen Köhlmeiers eine tragende Rolle spielte. Es stellt sich heraus, dass er nicht nur für Robert ein Anlaufpunkt ist, sondern auch zu den beiden Frauen eine einzigartige Beziehung pflegt. Stückchenweise erfuhr ich als Leser schließlich auch die Beweggründe Roberts die dazu führten, dass er Abstand von einer Familie suchte.

Michael Köhlmeiers Erzählkunst ist detailreich. Er verfolgt jede Handlung möglichst aus der Sicht aller beteiligter Personen. Die Gedankengänge seiner Figuren zeigt er mit den Abwägungen über das Für oder Wider auf. Obwohl der Roman in der Gegenwart zeitlich nur wenige Wochen beinhaltet, schildert er die Vergangenheit aller Familienmitglieder und fächert die Erlebnisse des Einzelnen breit auf. 13 Kapiteln in vier Teilen stellt er zu Beginn jeweils ein Märchen voraus, welches man in der Nachbetrachtung durchaus in Bezug auf die folgende Handlung interpretieren kann.

„Bruder und Schwester Lenobel“ ist eine überbordende Geschichte, die wirklichkeitsnahe Gefühle des gelebten Lebens beinhaltet. Hass, tiefe Liebe, Vertrauen, Neid, Zweifel, Eifersucht, Missgunst sind zu finden, das Verzeihen ist von besonderer Dringlichkeit. Ein Roman, in dessen Verzweigungen man sich gerne verliert.

Montag, 24. September 2018

[Rezension Ingrid] Junger Mann von Wolf Haas


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Titel: Junger Mann
Autor: Wolf Haas
Erscheinungsdatum: 15.09.2018
Verlag: Hoffmann und Campe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag (Leseexemplar)
ISBN: 9783455003888
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Im Roman „Junger Mann“ lässt Wolf Haas den Ich-Erzähler, einen 13-jährigen Österreicher, über den Sommer 1973 erzählen. Sein Protagonist ist so alt wie der Autor zur damaligen Zeit auch gewesen ist. Neben dem unbenannten Erzähler spielt auch das junge Ehepaar Elsa und Tscho eine große Rolle. Das Cover ist als Waage mit orangefarbenen Bezug gestaltet, denn eine solche besitzt die Familie des Jugendlichen zur Gewichtskontrolle.

Der junge Mann lebt in Maria Alm am Steinernen Meer in Österreich unweit der Grenze zu Deutschland. Hier besitzt unter anderem der amtierende Bundespräsident Walter Scheel ein Ferienhaus und hier wurde auch der Autor des Romans geboren. Mehrfach hat der junge Mann als Kind sich die Beine gebrochen und bekam sie daher eingegipst, wie damals üblich. Als Seelentrost für die relative Unbeweglichkeit erhielt er Schokolade, dessen Verzehr sich schon früh in Übergewicht bei ihm zeigt. Der Ich-Erzähler kennt Tscho bereits von Kindheit an, denn er ist der große Bruder eines älteren Freunds von ihm. Zusammen mit seiner Frau Elsa ist er Housesitter reicher Amerikaner und fährt außerdem noch LKW. Der junge Mann nimmt einen Job an der örtlichen Tankstelle an, sieht eines Tages die Frau vom Tscho in dessen Pkw und verliebt sich in sie. Ihm wird bewusst, dass er einige Kilogramm zu viel wiegt, um ihr zu gefallen und beschließt deshalb, in den Sommerferien abzunehmen. Während es zu einer schrittweisen Annäherung mit Elsa kommt, hat plötzlich Tscho eine ganz spezielle Aufgabe für den jungen Mann.

Wolf Haas schreibt mit viel Witz und Sarkasmus gerade so, wie ein 13 1/2-Jähriger sich seine Welt, mit der er trotz Pubertätsproblemen klar kommen muss, schön redet. Ich weiß natürlich nicht, wieviel eigene Erlebnisse in den Schilderungen des Autors stecken, aber dadurch, dass er im Setting beheimatet ist und im gleichen Alter wie sein Protagonist, wirkt seine Erzählung authentisch. Ich kann mich selbst auch noch an die staatlich verordneten autofreien Tage erinnern die im Roman thematisiert werden, auch wenn sie in Österreich anders geregelt wurden als in Deutschland. Es ist für mich immer wieder schön, gedanklich in die Vergangenheit, in diesem Fall in die 1970er Jahre zu reisen.

Während ich es zunächst für unmöglich ansah, dass Elsa Interesse an dem noch jungen Ich-Erzähler finden könnte, so fand er doch in kleinen Schritten das Vertrauen von ihr. Kaum zeigte sich die Möglichkeit einer beginnenden Romanze dreht der Autor unerwartet die bis dahin nur in eine Richtung weisende Erzählung in eine ganz andere. Was bis dahin eine überwiegend amüsante Geschichte war, wird zum Roadmovie mit reichlich bewegenden Momenten, wenn auch weiterhin mit heiterem Unterton. Die Dialoge mit durchweg kurzen Sätzen enthalten eine gehörige Portion Schmäh.

Bewusst lässt Wolf Haas seine Figur unbenannt, denn viele Leser werden deren Handlung gut nachvollziehen können und sich an deren Stelle fühlen, weil sie einiges so oder so ähnlich in ihrer eignen Pubertät empfunden haben. „Junger Mann“ ist ein Coming-of-Age-Roman, der zeigt, dass ein einziger Sommer die Gefühle eines Jugendlichen auf mannigfache Weise stark bewegen kann. Aufgrund der Situationskomik ergibt sich eine Heiterkeit, die auch bei ernsteren Themen nicht weicht. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Sonntag, 23. September 2018

[Rezension Hanna] Als der Zufall sich verliebte - Yoav Blum


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Als der Zufall sich verliebte
Autor: Yoav Blum
Übersetzerin: Helene Seidler
Hardcover: 336 Seiten
Erscheinungsdatum: 4. September 2018
Verlag: Pendo

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Guy arbeitet als Zufallsstifter, eine Tätigkeit, die in erster Linie geheim ist und bei der man dazu gewissermaßen als Agent arbeitet. Seit seinem Ausbildungsbeginn vor drei Jahren hat er rund 250 Aufträge ausgeführt: Er hat zum Beispiel Paare zusammengebracht und Künstler inspiriert, wobei auch manchmal Schritte wie ein Jobverlust nötig sind. Eric und Emily, die gemeinsam mit ihm ausgebildet wurden, sind seine einzigen Freunde, mit denen er sich regelmäßig austauscht. Emily wäre gern mehr als eine Freundin für ihn. Doch Guy kann seine verlorene Liebe nicht vergessen. Sein neuer, mysteriöser Auftrag stellt ihn schließlich vor eine folgenschwere Entscheidung.

Das Cover ist mit seinen herbstlichen Farben ein echter Hingucker und zeigt einige Schmetterlinge. Der Schmetterlingseffekt beschreibt ein Phänomen, bei dem nicht vorhersehbar ist, wie sich kleine Aktionen langfristig auf das große Ganze auswirken. Außerdem ist es eine Anspielung auf die Abschlussprüfung des Protagonisten, über die der Leser später mehr erfährt. Damit passt der Schmetterling gut zur Grundidee des Buches, die beim Lesen der Buchbeschreibung meine Neugier sofort wecken könnte. Überall sind ganz im Geheimen sogenannte Zufallsstifter aktiv, die entscheidende Wendungen minutiös planen und durch viele kleine Manipulationen so geschickt umsetzen, dass niemand auf die Idee kommt, jemand hätte hier seine Finger im Spiel gehabt.

Im ersten Kapitel erhält der Leser gleich eine Kostprobe dieser Tätigkeit. Nach intensiver Vorbereitung sorgt der Zufallsstifter Guy dafür, dass eine Kellnerin und ein Student, der regelmäßig das Café besucht, den Abend am Strand gemeinsam verbringen und es dort endlich zwischen ihnen funkt. Der Plan funktioniert jedoch nur, nachdem Guy der Kellnerin vorher einen schrecklichen Tag beschert hat. Der Leser merkt dabei schnell, dass die Zufallsstiftung auch seine Schattenseiten hat. Auch Rückschläge oder Enttäuschungen auszulösen, die auf einen größeren Plan einzahlen, gehört dazu.

Guys Freunde Emily und Eric sind ebenfalls Zufallsstifter. Sie haben vor drei Jahren gemeinsam die Ausbildung beim General durchlaufen. An diese Zeit erinnert sich Guy oft zurück und lässt den Leser an den Lektionen teilhaben. Diese zu Lesen ist oft amüsant, bringt aber auch ins nachdenken. Da geht es um Vorhersagen beim Billard spielen und Wetten, bei denen alle Bewohner eines Hauses gleichzeitig ihre Wäsche aufhängen sollen, aber auch um die Frage, wie Glück berechnet wird und welche Fehler beim Treffen einer Wahl gemacht werden.

Die Geschichte wird in ruhigem Tempo erzählt, der Autor baut vieles auf, dessen Verbindungen erst später überraschend offenbar werden. Mir haben die vielen kreativen Ideen rund um die Tätigkeit als Zufallsstifter sehr gut gefallen. In dieser Hinsicht ist auch der Buchtitel etwas irreführend, denn im Zentrum steht die Frage, was Guy aus seinem Leben als Zufallsstifter machen möchte. Liebe spielt zwar eine Rolle, insbesondere die verlorene Liebe von Guy, doch ich würde das Buch nicht als Liebesgeschichte im engeren Sinne bezeichnen.

Guy gewinnt als Zufallsstifter zunehmend an Routine, erinnert sich aber immer wieder an seine Vergangenheit als eingebildeter Freund. Zwar bietet sein neues Dasein einige Vorteile, doch er hat dabei Kassandra verloren, der seine Liebe nach wie vor gilt. Lange erfährt der Leser nicht mehr über sie, zu schmerzhaft scheint die Erinnerung für Guy zu sein. Dieser will sich deshalb nicht auf etwas neues einlassen, ganz zum Leidwesen von Emily. Auch in seinem neuesten Auftrag wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Zum Ende hin wird es spannend, denn die Charaktere müssen wichtige Entscheidungen treffen und nach dramatischen und ungewissen Momenten findet das Buch zu einem Abschluss, der mir richtig gut gefallen hat.

In „Als der Zufall sich verliebte“ begleitet der Leser Guy, der im Geheimen komplexe Pläne umsetzt und damit Zufälle stiftet. Doch seine Vergangenheit und vor allem seine verlorene Liebe kann er nicht ganz loslassen. Seine Tätigkeit bietet viele unterhaltsame Momente. Gleichzeitig wird auch thematisiert, inwiefern man in den Verlauf der Ereignisse eingreifen darf, wenn es einem höheren Zweck dient und die grundsätzliche Frage gestellt, was eigentlich Glück bedeutet. Der Autor hat seine kreative Grundidee gelungen umgesetzt und lässt nach und nach alle Puzzlestücke an ihren Platz fallen. Ich spreche eine klare Leseempfehlung aus!

Donnerstag, 20. September 2018

[Rezension Hanna] Das Gold der Krähen - Leigh Bardugo


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Das Gold der Krähen
Autorin: Leigh Bardugo
Übersetzerin: Michelle Gyo
Klappenbroschur: 592 Seiten
Erscheinungsdatum: 3. September 2018
Verlag: Knaur

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Kaz Brekker und seine Mannschaft, die eine geradezu unglaubliche Mission erfüllen konnten, sind zurück in Ketterdam. Doch ihre Belohnung blieb aus. Stattdessen wurde die Person entführt, die Kaz am meisten am Herzen liegt. Nun schmieden die Gefährten einen Plan für eine erfolgreiche Befreiung. Kaz ist sich zudem sicher, dass es doch noch eine Chance auf ihre Belohnung gibt, wenn sie alle ihre besonderen Fähigkeiten nutzen und einige Steine ins Rollen bringen. Ketterdam ist jedoch gefährlicher als je zuvor, denn neben den bekannten Feinden streifen unheimliche Wesen durch die Stadt, die Jagd auf alle Grischa machen…

Endlich ist mit „Das Gold der Krähen“ der heiß ersehnte Abschluss der Dilogie erschienen. Der erste Band, „Das Lied der Krähen“, konnte mich vor einem Jahr absolut begeistern. Nach einem offenen Ende war die Neugier groß, wie es für Kaz und seine Mannschaft weitergeht. Den ersten Band sollte man unbedingt gelesen haben, denn die Geschichte geht nahtlos weiter. Sie wirft den Leser mitten hinein ins Geschehen und die Vorbereitungen auf die Befreiung der gefangenen Inej. Hierzu hat Kaz einen neuen, komplexen Plan erarbeitet, bei dem die besonderen Talente der Mitstreiter wieder gefragt sind.

Schon nach wenigen Seiten war ich wieder ganz drin in der spannenden, temporeichen Handlung. Waghalsige Aktionen und überraschende Wendungen sind an der Tagesordnung und es machte Spaß, die sechs Krähen in Aktion zu erleben. Mit dem verschlagenen Krämer Van Eck, dem Betrüger Pekka Rollins und den Grischa jagenden Wesen gibt es gleich drei mächtige Gegner, die es zu bekämpfen und überlisten gilt. Dabei läuft bei weitem nicht alles nach Plan, denn auch die Gegenseite versucht, die nächsten Schritte vorauszusehen und diese zu vereiteln.

Die Kapitel sind wieder abwechselnd aus den Perspektiven von Kaz, Inej, Nina, Matthias, Jesper und Wylan geschrieben. Die sechs Charaktere sind mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen. Man erfährt noch mehr über ihre Hintergrundgeschichten und erlebt mit, wie sie an den neuen Herausforderungen wachsen. Beispielsweise wird Wylan durch seine erfolgreichen Einsätze immer selbstbewusster und kann sein Handicap dadurch besser akzeptieren. Und bei Nina funktionieren ihre Kräfte nicht mehr so wie einst. Dafür entdeckt sie eine neue, erstaunliche Macht.

Die Geschichte lässt dem Leser nur wenig Zeit zu verschnaufen, bevor die nächste Herausforderung wartet. Die Autorin hat einen Spannungsbogen geschaffen, der hervorragend funktioniert. Rückschläge und Erfolge wechseln sich ab und neben spannenden Kämpfen und hitzigen Wortgefechten gibt es auch emotionale und nachdenkliche Momente. Ich habe jede einzelne Seite des Buches genossen bis hin zu seinem bittersüßen Ende, das ein würdiger Abschluss der Geschichte ist. Für mich ist die Krähen-Dilogie ein absolutes Fantasy-Highlight, das man gelesen haben muss!

Mittwoch, 19. September 2018

[Rezension Ingrid] Die vergessene Burg von Susanne Goga


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Titel: Die vergessene Burg
Autorin: Susanne Goga
Erscheinungsdatum: 10.09.2018
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783453359727
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Ein breiter Fluss, ein Schloss an seinem Ufer … zunächst dachte ich bei dem Cover des Romans „Die vergessene Burg“ an eine englische Landschaft, doch die Mönchengladbacherin Susanne Goga entführte mich mit ihrer Geschichte an den wunderschönen Rhein nach Bonn. Ich begleitete die Protagonistin Paula Cooper im Jahr 1868 bei der Suche nach ihrem Vater, der seit Jahren verschwunden ist. Ihre Nachforschungen führen sie bis zur Ruine der Burg Ehrenfels unweit von Rüdesheim am Rhein. Die Innenklappen des Buchs sind liebevoll gestaltet und zeigen einige Fotos von Bonn und der Landschaft um den Drachenfels am Rhein, die die Autorin selbst aufgenommen hat.

Die 32jährige Paula lebte in den vergangenen Jahren als Gesellschafterin bei einer älteren, kränklichen Cousine ihrer Mutter in einer kleinen Ortschaft unweit Londons. Eines Tages erreicht sie ein Brief von einem ihr bisher unbekannten Onkel aus Bonn. Darin steht, dass er schwer erkrankt sei und sie bitte, ihn noch vor seinem Tod zu besuchen. Als sie das Grab ihres Vaters wieder einmal aufsucht, erfährt sie durch Zufall, dass das Grab leer ist. Paula ist nicht nur in ihrer Stellung unzufrieden, sondern durch die Ereignisse verständlicherweise auch über ihre Mutter und deren Lügen sehr verärgert, so dass sie beschließt nach Bonn zu reisen.

Ihr Onkel, der Andenkenhändler Rudy Cooper, weiß leider auch nichts Genaues über den Verbleib ihres Vaters, doch sie gewinnt sehr schnell sein Vertrauen. Daher unterstützt Rudy die Idee, ihren Vater zu suchen. Begleitet wird sie von dem englischen Fotografen Benjamin Trevor, den sie in Bonn kennen gelernt hat. Nicht nur das Verschwinden ihres Vaters ist Paula rätselhaft, sondern ihr fallen auch ein seltsames Verhalten ihres Onkels und das des Fotografen auf, die sie nicht einordnen kann. Durch ihre Hartnäckigkeit gelingt es ihr mit und mit den Geheimnissen auf die Spur zu kommen.

Die Figur der Paula und ihre Entwicklung hat mir sehr gut gefallen. Lange Zeit hat sie dem Wunsch der Mutter entsprochen, sich um deren Cousine zu kümmern und dadurch ein versorgtes Leben zu führen. Sie hat sich dabei einen gewissen gesellschaftlichen Stand erhalten, ohne von einem Ehemann abhängig zu sein. Allerdings traten ihre eigenen Interessen in den Hintergrund und sie hat verlernt, Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Der Brief ihres Onkels bringt sie zum Nachdenken über ihre Zukunft, sie beginnt sich selbst und ihre Gefühle zu hinterfragen. Während sie bisher noch nie außerhalb von England war, so fasst sie jetzt den Mut zu einer Reise bei der sie auf sich allein gestellt sein wird. Das Gelingen stärkt ihr Selbstwertgefühl. Bei ihrem Onkel wartet bereits eine neue Herausforderung. Sie ist stolz, als sie diese ebenfalls ohne große Probleme meistert. Doch auch die weiteren Charaktere zeichnet Susanne Goga abwechslungsreich und interessant durch die kleinen Geheimnisse die jeder verbirgt wie beispielsweise Paulas Onkel Rudy, dessen besten Freund, Paulas Mutter und Benjamin Trevor.

Es hat mich gefreut, dass der Roman in einer Gegend spielt, die ich auch schon mehrfach besucht habe. Die Autorin versteht es die zauberhafte Landschaft trefflich zu beschreiben. In ihren Schilderungen ist ihre eigene Liebe für die Umgebung zu spüren. Ein Gedicht von Heinrich Heine erinnerte mich an dessen Vertonung. Rund um die Berufe der handelnden Personen Rudy und Benjamin erfuhr ich mehr über Andenken und den Stand der Fotografie im Jahr 1868. Dank ihrer sehr guten Recherche und entsprechend genauer Beschreibung befand ich mich auf den Spuren der damaligen Touristen am Rhein, zu denen auch Mitglieder der Englisch Community in Bonn gehörten.

Susanne Goga schreibt leicht lesbar und unterhaltsam. Mehrere Familiengeheimnisse hat sie geschickt in die Handlung eingebunden und deckt diese in kleinen Teilen auf, so dass bis zum Schluss eine unterschwellige Spannung vorhanden ist. Das Setting hat mich angesprochen ebenso wie die Einbindung von zeitlich passenden kulturellen Elementen. Der Roman hat mir sehr gut gefallen und daher empfehle ich ihn gerne weiter an alle Leser historischer Romane.

Montag, 17. September 2018

[Rezension Ingrid] Loyalitäten von Delphine de Vigan


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Titel: Loyalitäten
Autorin: Delphine de Vigan
Übersetzerin: Doris Heinemann
Erscheinungsdatum: 17.09.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
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Entsprechend des Titels ihres Romans „Loyalitäten“ zeigt die Französin Delphine de Vigan die innere Verbundenheit des zwölfjährigen Theo mit seinen geschiedenen Eltern. Auch das Cover zeigt Verbindungen. Die Farbstreifen, jeder in einer anderen Farbe und vor den Überschneidungspunkten eine Weile für sich laufend, bringen die Persönlichkeit des Individuums zum Ausdruck.

Théos Eltern sind schon einige Jahre geschieden und haben das gemeinsame Sorgerecht. Eine Woche lebt Theo bei seinem Vater, in der folgenden Woche bei seiner Mutter, die in unterschiedlichen Stadtteile von Paris ihre Wohnungen haben. Seine Mutter möchte längst nichts mehr über ihren früheren Mann erfahren, während sich Théos Vater aufgrund seiner Arbeitslosigkeit zunehmend der Gesellschaft entfremdet. Théo möchte helfen, aber die Vorgaben seiner Eltern, welche Informationen über sie nach außen gegeben werden dürfen, sind streng. Er versucht sich dem Dilemma zu entziehen, in dem er seinen Kummer im Alkohol ertränkt. Sein gleichaltriger Freund Mathis hält zu ihm und beginnt für ihn zu lügen. Die Biologielehrerin von beiden hat einen Verdacht, doch ihr wird nicht geglaubt.

Delphine de Vigan erzählt aus vier unterschiedlichen Perspektiven. Während die Lehrerin Hélène und Cécile, die Mutter von Mathis, in der Ich-Form berichten schaut die Autorin auf die Minderjährigen Théo und Mathis als allwissende Erzählerin. Beide erwachsenen Protagonistinnen haben in ihrer Jugend Demütigendes erlebt, die Erinnerung daran bleibt. Delphine de Vigan dringt ganz tief ein in das Beziehungsgeflecht der Gesellschaft, das nicht nur von Gesetzen sondern auch von Werten und Normen bestimmt wird. Dabei nehmen die sozialen Netzwerke einen immer höheren Stellenwert ein.

Théo fühlt sich zwar seinen Eltern gegenüber verpflichtet, aber durch ihre Unfähigkeit zum Vorbild sucht er einen Ausweg. Die Situation macht Théo sprachlos, er traut keinem mehr. Durch Alkohol betäubt er sein Bewusstsein, erhofft sich aber vielleicht unterschwellig, dass sein verändertes Verhalten auffällt. Hélène weiß durch eigene Erfahrung, dass vieles aus der Familie nicht nach außen dringt. Ihr Wunsch, hinter die Fassade von Théo zu schauen, stößt auf Unverständnis mit dem Hinweis auf gesellschaftlich konformes Verhalten.

Mathis ist ein typischer Jugendlicher zu Beginn der Pubertät. Er beginnt die Rolle seiner Eltern zunehmend in Frage zu stellen, sich mit Gleichaltrigen und älteren Jugendlichen zu vergleichen und sich deren Handlungsweisen zu eigen zu machen. Seine Freundschaft zu Théo hält länger an als zu jedem anderen und dadurch fühlt er sich ihm, zum großen Glück für seinen Freund, durch ein starkes Band verbunden.

Die Autorin hält den Schluss bewusst offen und ließ mich mit Hoffnung für alle Beteiligten aus dem Roman zurück. „Loyalitäten“ ist ein starkes Buch zu den Unwägbarkeiten unserer Gesellschaft. Es stimmt äußerst nachdenklich und hallt noch lange nach.

Freitag, 14. September 2018

[Rezension Ingrid] Guten Morgen, Genosse Elefant von Christopher Wilson


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Titel: Guten Morgeen, Genosse Elefant
Autor: Christopher Wilson
Übersetzer: Bernhard Robben
Erscheinungsdatum: 16.08.2018
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
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Der Engländer Christopher Wilson nimmt den Leser in seinem Roman „Guten Morgen, Genosse Elefant“ mit in die Sowjetunion ins Jahr 1953. Es ist das Ende der Stalinzeit und der Protagonist Juri erlebt diesen Zeitraum aus einer ganz besonderen persönlichen Sicht. So schmückt denn auch ein fünfzackiger roter Stern das Cover des Buchs, hier als Symbol für eine kommunistische beziehungsweise sozialistische Weltanschauung. Unterbrochen wird der Stern durch einen Löffel. Er steht für den Job des Vorkosters, den Juri einnehmen wird. Die Elefanten im oberen Bereich sowie der Titel beziehen sich auf den Tarnnamen, den der damalige Diktator der Sowjetunion von einem Mitarbeiter erhält und damit dessen Gewichtigkeit betont.

Juri Romanowitsch Zipit ist Halbwaise. Mit seinem Vater, dem Hauptveterinär des Zoos, wohnt er in einer Dienstwohnung neben den Tiergehegen. Er ist zwölf Jahre alt als er durch Zufall zum Vorkoster des „Stählernen“, der sich gerne Wodsch nennen ließ, wird. Eine gewisse geistige Beschränkheit, hervorgerufen durch einen Unfall als Kind, kombiniert sich bei Juri mit Intelligenz und Gerissenheit. Sein Gesicht wirkt auf Betrachter vertrauenserweckend und auch der Wodsch ist von ihm stark eingenommen. Welche Vorzüge und Nachteile die ihm übertragene Aufgabe hat, kann er sich bei Arbeitsaufnahme noch nicht vorstellen.

Juri erzählt seine Geschichte mit Blick auf die ein Jahr zurückliegenden Ereignisse. Auf diese Weise konnte ich mich als Leser im Laufe der Schilderung, die zunehmend bedrückender wird und ihm Vieles abverlangt, immer wieder seines Überlebens der Ereignisse versichern.

Christopher Wilson gelang es mit seinem Roman mich gleichzeitig zu erheitern und tieftraurig zu stimmen. Juri hat eine unvoreingenommene gar naive Art seine Umwelt wahrzunehmen. Er weiß, dass er oft zu viel redet und Menschen dazu bringt, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Schon zu Beginn gibt er einen kurzen Einblick in die Möglichkeit der Instrumentalisierung seiner Altersklasse im sozialistischen Staat durch die Lehrer. Der Autor wählt seinen Protagonisten bewusst jung um uns als Leser aufzuzeigen, dass uns niemand, auch nicht die Eltern, schützen können, wenn man in das Blickfeld der Mächtigen gerät, so unschuldig und unerfahren auch unser Geist noch sein mag. Den einzigen Schutz bieten Machtträger mit konträren Ansichten, die sich gegenseitig ausspielen. Gesprochene oder geschriebene Worte können große Freude oder verheerenden Schaden anrichten. Ohne zu hinterfragen oder weitere Einblicke zu gewinnen schildert Juri das feine Ränkespiel um die, im übertragenen Sinne, Plätze in der ersten Reihe beim nahenden Abgang des Generalsekretärs des Zentralkomitees. Hass, Neid und Rache sind dabei die Triebfedern. Den Leser beschwört Juri zu seinem Mitwisser, was der Erzählung von Anfang an etwas Geheimnisvolles gibt.

Der Autor vermag es mit der Kunst der Übertreibung seinem Roman einen humorvollen Anstrich zu geben, doch als ich mit Juri tiefer in die Schmiede der Macht eindrang wurde mit Angst und Bange. Hier ist nur noch widerspruchslose Pflichterfüllung angesagt, nach Belieben besteht die Möglichkeit Unerwünschte auszusortieren. An dieser Stelle möchte ich dem Übersetzer Bernhard Robben ein Lob aussprechen, der es geschafft hat, den speziellen Humor und die Feinsinnigkeiten des Romans ins Deutsche zu transportieren. Bei näherem Hinsehen verschmelzen Fiktion und gelebte Vergangenheit der Erzählung. Dieser Umstand brachte mich ins Grübeln darüber, dass es auch heute noch vergleichbare Regierungssysteme wie das geschilderte gibt. Juris unbedarfte Art zeigte mir die Hilflosigkeit des gewöhnlichen Einzelnen in einem solchen Staat. „Guten Morgen, Genosse Elefant“ stimmt nachdenklich, bleibt noch lange in Erinnerung und daher empfehle ich es gerne weiter.

Sonntag, 9. September 2018

[Rezension Hanna] Die Katze und der General - Nino Haratischwili


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Die Katze und der General
Autorin: Nino Haratischwili
Hardcover: 750 Seiten
Erscheinungsdatum: 31. August 2018
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt

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Die junge Georgierin Katze lebt in Berlin und arbeitet als Schauspielerin. In ihrem Leben läuft vieles gerade nicht nach Plan: Sie steht kurz vor der Trennung, das Verhältnis zu ihrer Familie ist belastet, sie muss ihre Wohnung räumen und hat noch kein nächstes Engagement in Sicht. Da wird sie von einem Handlanger Alexander Orlows, genannt „Der General“, angesprochen. Der russische Oligarch will sie für ein Video engagieren, in dem sie ein totes Mädchen spielt, dem sie zum Verwechseln ähnlich sieht. Gemeinsam mit dem Journalisten Onno Bender, der seit Jahren die Wahrheit darüber veröffentlichen will, welches Verbrechen Orlow im Tschetschenien-Krieg tatsächlich begangen hat, ist sie bald Teil eines umfassenden Plans rund um Abrechnung, Schuld und Sühne.

Beim Blick aufs Buchcover fällt sofort der abgebildete Zauberwürfel auf. Er spielt im Buch eine zentrale Rolle, denn er gehört Nura, die man im Prolog kennenlernt. Im Jahr 1995 lebt sie mit ihrer Familie in Tschetschenien in einem abgelegenen Tal bei Grosny. Den Zauberwürfel hat sie von der Lehrerin Natalia erhalten, einer zugezogenen Russin, die zu ihrer Vertrauten wird. Diese ist es auch, die Nura in ihrem Wunsch bestärkt, das Tal und im selben Zug das Mittelmaß eines Tages hinter sich zu lassen. Doch dann kommt der Krieg in ihr Dorf.

Lange erfährt man keine Details über Nuras Schicksal. Stattdessen lernt man in der Gegenwart drei zentrale Personen kennen. Der Schauspielerin Katze fehlt eine Orientierung, wie es für sie weitergehen soll. Vieles läuft nicht so, wie sie es gern hätte, doch in was soll sie ihre Energie stecken? Das Angebot des Generals klickt merkwürdig und gefährlich, aber auch verlockend. Er scheint bereit, ihr für ihre Mitarbeit eine große Summe zu zahlen, die ihr eine neue Perspektive gibt. Davon kann sie jedoch erst Onno Bender überzeugen. Der auf Russland spezialisierte Journalist möchte seit Jahren ein Buch über Orlow schreiben, was im Tschetschenien-Krieg tatsächlich vorgefallen ist und warum dieser sich selbst anzeigte und es doch nie zu einem richtigen Prozess kam.

Das Buch nimmt sich Zeit, die drei Protagonisten ausführlich vorzustellen und ihre Vergangenheit zu beleuchten. Man erfährt zum Beispiel, dass der General nie in den Krieg wollte und dass seine Verachtung für Onno nicht nur von dessen Buchambitionen herrührt, sondern viel tiefer greift. Sehr interessant fand ich auch die Einblicke in Katzes Kindheit in Georgien und das Leben von ihr und ihrer Familie als Einwanderer in Berlin. Es machte mir begreiflich, warum sie Orlows Angebot annimmt und Nura für sie bald nicht mehr nur die Person ist, die sie in einem Video verkörpern soll, sondern viel mehr.

Die Sprache der Autorin ist klar und feinfühlig, während sie den Leser allmählich mit der grausamen Wahrheit konfrontiert. Sie nimmt den Leser mit in die Vergangenheit nach Tschetschenien, wo die russische Armee lagert und der Oberst die ausbleibenden Kämpfe nicht aushält, überall Verschwörer sehen will. Ein schreckliches Verbrechen und weitreichende Vertuschungsversuche werden beschrieben, die meinen Wunsch nach Gerechtigkeit immer weiter stärkten. Was genau hat der General nun mit seinem Video an die Personen vor, die mit ihm in die Sache verstrickt sind?

Der Plan des Generals bleibt undurchschaubar, Otto eine Schachfigur auf seinem Feld, Katze eine unberechenbare Variable, die eine Ahnung zu haben scheint. So strebt die Geschichte unaufhaltsam einer Konfrontation mit ungewissen Ausgang entgegen. Auf dem Weg dahin sog ich jedes Wort auf, um die Konsequenzen der über ein Jahrzehnt zurückliegenden Schicksalsnacht zu begreifen. „Die Katze und der General“ ist eine eindringliche, dramatische Geschichte, die mich betroffen machte und deren Erzählweise mich beeindrucken konnte. Ich gebe eine klare Leseempfehlung!

Freitag, 7. September 2018

[Rezension Ingrid] Archipel von Inger-Maria Mahlke


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Titel: Archipel
Autorin: Inger-Maria Mahlke
Erscheinungsdatum: 21.08.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
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Der Roman „Archipel“ von Inger-Maria Mahlke spielt vor dem Hintergrund einer einhundertjährigen Geschichte, die mich als Leserin mit auf die Inselgruppe der Kanarischen Inseln nahm. Die Autorin siedelt die Ereignisse im Buch hauptsächlich auf Teneriffa an, einer Insel die ich selbst zweimal besucht habe, so dass ich mir das Umfeld sehr gut vorstellen konnte. Einen Eindruck dazu gibt das Cover. Im oberen Bereich sind die Inseln des Archipels Gran Canaria und Teneriffa als alte Kartenabbildung zu entdecken, im unteren Bereich steht ein Drachenbaum vor einem typischen kanarischen Landhaus.

Die Geschichte beginnt im Juli 2015. Zunächst lernte ich als Leser die Familie Bernadotte kennen. Sie wohnen in San Cristobal de La Laguna im Norden von Teneriffa. Ana ist Ende 50, studierte Verwaltungswissenschaftlerin und heute in der Politik auf der Seite der Konservativen aktiv. Sie ist aktuell in einen Abhörskandal verwickelt. Ihr kaum älterer Mann Felipe ist ein Spross einer früher auf der Insel hochangesehenen Familie. Früher war er Professor, jetzt ist er nur noch ein Schatten seiner selbst, im Clubhaus sitzend, dem Alkohol zusprechend und den Tag genießend. Rosa, die Tochter der beiden, hat gerade ihr Kunststudium in Madrid abgebrochen und ist auf die Insel zu ihren Eltern zurückgekehrt. Julio Baute, ihr Großvater mütterlicherseits versieht derweil mit Mitte 90 noch seinen Dienst als Pförtner im örtlichen Seniorenheim. Sein Leben umklammert die gesamte Erzählung.

Kaum hatte Inger-Maria Mahlke ihre Figuren und den entsprechenden Hintergrund aufgebaut, steuert sie ihre Geschichte rückwärts über die Jahre bis 1919. Das war sicher nicht nur für mich ungewohnt. Die handelnden Personen blieben in ihrer Zeit zurück, Andeutungen bezüglich des zukünftigen Geschehens blieben unausgeführt. Stattdessen begegneten mir die Charaktere in zunehmend jüngerer Form und ihre Vorfahren. Die Autorin zeigt auf diesem Weg ein Bild der Gesellschaft und der Historie des Archipels, die verknüpft sind mit der Geschichte ganz Europas. Ihre Liebe für die Heimat und seiner Bewohner finden Eingang in ihre Schilderung.

Die Familien von Ana und Felipe beeinflussen die Geschehnisse nicht, sind aber von den Auswirkungen betroffen. Inger-Maria Mahlkes Charaktere bilden alle Gesellschaftsschichten ab, denn neben den Familienzweigen der Bernadottes und der Bautes folgt sie auch dem der Haushälterin von Ana und Felipe. Ihre Themen sind vielschichtig und reichen von Altersarmut über Umgang mit Medien bis hin zu Faschismus und Spanischer Grippe. Während der Rückwärtsgang der Erzählung manches Mal notwendigerweise eine Erklärung des geschichtlichen Hintergrunds benötigt, bei denen die Autorin sich kurz fasst, liegen ihr ihre Figuren am Herzen. Ihr Ding sind die Alltagsbeobachtungen und dazu zoomt sie gerne die Situation nah ran und beschreibt mit ausschmückenden Worten und Sätzen. Dadurch erreicht sie eine große Nähe zu den Personen. Leider fühlte ich mich durch den besonderen Erzählstil nicht zu den Charakteren hingezogen. Mein Lesefluss wurde immer wieder unterbrochen. Kaum nahm das Geschehen vor meinen Augen Form an nahm musste ich es auch wieder gehenlassen und mich mit der Erzählung zurück bewegen.

Einerseits wirkt der Roman konstruiert, der Gedankengang strengt an weil es immer wieder zu Abbrüchen der stringenten Erzählführung kommt. Andererseits zolle ich der Idee und der Ausführung, den Roman zeitgeschichtlich rückwärts zu erzählen, große Anerkennung.

Mittwoch, 5. September 2018

[Rezension Ingrid ] Hinter den drei Kiefern von Louise Penny



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Titel: Hinter den drei Kiefern
Autorin Louise Penny
Übersetzerinnen: Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck
Erscheinungsdatum: 06.09.2018
Verlag: Kampa (Link zur Verlagsseite)
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
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„Hinter den drei Kiefern“ der Kanadierin Louise Penny ist der dreizehnte Fall für den Ermittler Armand Gamachet. Die Serie ist sehr erfolgreich in Kanada. Gamache ist vor kurzem zum Chief Superintendent und Leiter der Sureté du Québec befördert worden. Er ist verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter, deren Ehemann sein Stellvertreter ist. Mit seiner Frau und zwei Hunden lebt er in Three Pines (dt. Drei Kiefern), einem kleinen, unauffälligen Ort in den Wäldern Kanadas unweit der Grenze zu den USA und etwa eine Fahrstunde von seinem Dienstort Montréal entfernt. In Montréal hat er eine kleine Wohnung die er in stressigen Arbeitssituationen nutzt.

Zu Beginn des Krimis lernte ich Armand Gamache bei einer Zeugenaussage im Gerichtssaal in Montréal kennen. Es ist Sommer und seine Aussage zieht sich über Stunden hin in dem sich stetig aufheizenden Saal. Es wird über einen Mord gerichtet, der sich Anfang November des Vorjahrs in Three Pines ereignet hatte. Es begann damit, dass eine unheimlich anmutende, ganz in schwarz gekleidete Person mit Maske auf der örtlichen Halloween-Party des Dorfs erschienen ist. Am nächsten Morgen stand die Gestalt dann auf dem Dorfanger und rührte sich nicht vom Fleck. In Verbindung mit ihr kam bei den Bewohnern der Begriff eines sogenannten Cobradors auf, eines Schuldeneintreibers in Spanien. Auf Ansprache reagierte sie nicht, es kam zu einem wütenden Angriff der Ortsansässigen. Nachdem die Erscheinung endlich verschwand wurde kurz darauf eine Leiche aufgefunden, die die Kleidung der Figur trug. Doch der Fundort ließ Gamache bald schon an eine ganz andere Verbindung denken, die direkt ins Drogenmilieu führt.

Die Autorin wohnt selber in einem der Größe und der Lage nach ähnlichen Ort wie Three Pines in Kanada, daher wirken die Beschreibungen der Landschaft und des fiktiven Dorfs authentisch. Die Verhandlung des Mords im Sommer ist eine der beiden Handlungsebenen des Krimis, die andere spielt im Herbst des Vorjahrs und erzählt die Ereignisse die zur Ermordung einer namentlich noch sehr lange unbekannten Person führten. Obwohl der potentielle Mörder im Gerichtssaal sitzt klärt Louise Penny deren Identität erst nahezu zum Schluss auf. Mit der Figur des Cobradors, die einen wesentlichen Anteil zur Hintergrundstory liefert, hat die Autorin ein unverbrauchtes Thema aufgegriffen. Dabei hat sie ein spanisches Phänomen fantasiereich in deren Historie ausgeschmückt.

Armand Gamache ist ein Ermittler ohnegleichen, der gegen Korruption in den eigenen Reihen und Drogenkartelle, die Terror verbreiten, kämpft. Erst seit kurzem ist er Leiter der Sureté geworden, wodurch seine bisherige Arbeit gewürdigt wurde und er dadurch die Bestätigung findet, seinen Führungsstil fortzusetzen. Sein Anliegen ist es nicht, die kleinen Verbrechen einzelner Täter im Drogenmilieu aufzuklären, sondern er möchte den Kopf der Organisation finden und den Verbrecherring sprengen. Dazu hat er begonnen, die Ermittlungsbehörde neu zu strukturieren. Er setzt auf Zusammenarbeit in allen Bereichen, auf die Erfahrung des Einzelnen und entscheidet auf Grundlage der Gesetze und seines Gewissens. Seine Gefühle bei Würdigung der gesamten Situation führen ihn zum tatsächlichen Mörder. Moralische Unterstützung findet er bei seiner Frau Reine-Marie, einer ehemaligen Archivarin. Aber auch die ortsansässigen schrulligen Freunde des Ehepaars in Three Pines haben ihren Anteil am Verlauf der Ereignisse.

„Hinter den drei Kiefern“ beginnt eher ruhig. Immer mehr begriff ich als Leser, dass die verschreckende Gestalt auf dem Dorfanger nicht nur ein Ärgernis für die Bewohner von Three Pines ist, sondern mit erschreckenden Ereignissen zusammenhängt. Louise Penny hat diesen Krimi nicht nur mit Verstand sondern auch mit Herz geschrieben. Sie baut die Spannung zunehmend auf bis hin zu einem furiosen Finale. Mir hat das sehr gut gefallen und deshalb empfehle ich ihn gerne weiter.

Sonntag, 2. September 2018

[Rezension Ingrid] Ich war Diener im Hause Hobbs von Verena Rossbacher


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Titel: Ich war Diener im Hause Hobbs
Autorin: Verena Roßbacher
Erscheinungsdatum: 16.08.2018
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
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Der Roman „Ich war Diener im Hause Hobbs“ von Verena Roßbacher beginnt im Prolog mit einem aufgefundenen Toten. Christian Kauffmann, der Diener der Familie und Protagonist der Geschichte findet ihn in seinen Räumlichkeiten im Gartenhaus der Familie Hobbs. Passend zu seinem Beruf, über den Christian in diesem Buch spricht, sind auf dem Cover im oberen Teil Straußenfederstaubwedel abgebildet, im unteren Bereich sind es Zweige einer palmenähnlichen Pflanze, hinter er sich leicht beim Abstauben verbergen kann, um dann Gesprächen zu lauschen, die eigentlich nicht für ihn bestimmt sind. Die Abbildungen sind kunstvoll bunt gestaltet, sie zeigen an, dass Kunst im Roman eine Rolle spielen wird.

Christian Kauffmann ist in Feldkirch an der westlichen Grenze Österreichs zu Hause. Nach seiner Matura beschließt er, eine Ausbildung als Diener an einer Fachschule in den Niederlanden zu absolvieren. Über eine gute alte Bekannte bekommt er die Empfehlung für seine erste Stellung, die er bei der Familie Hobbs in Zürich antritt. Christian erzählt seine Geschichte in der Ich-Form im Rückblick auf die vergangenen Jahre. Er versucht zu verstehen, wie es zu dem Unglück und Skandal im Haushalt der Hobbs kommen konnte. Seine Gedanken treiben zurück bis in seine Jugend im Kreis von vier Freunden, die auch später noch eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen. Nach Betrachten der Ereignisse von vielen Seiten stößt er schließlich auf lange verborgene Familiengeheimnisse in Zürich und in Feldkirch.

Der Titel des Romans verweist gleich auf die Tatsache, dass der Protagonist seinen Job im Hause Hobbs beendet hat. Im Raum steht also schon zu Beginn die Frage nach dem Warum. Der Prolog wirft mehr und weitere Fragen auf als das er Antworten liefert. Verena Roßbacher, die selbst einige Zeit als Hausmädchen in der Schweiz gearbeitet hat, wählt für ihre Hauptfigur einen heute eher ungewöhnlichen Beruf. Zunächst dachte ich daher durch den Buchtitel an eine historische Geschichte, doch das Buch ist ein Coming-of-Age-Roman. Das was die Autorin hier ihren Protagonisten über die Ausbildung und das Ausüben seines Jobs berichten lässt, fand ich faszinierend und real geschildert. Im verschreckten Plauderton wendet Christian sich an den Leser und verzettelt sich im Laufe der Seiten mit scheinbaren Nebensächlichkeiten, die er auch bemerkt. Er spricht dabei einige seiner Vermutungen an, doch bis alle Puzzlesteine an seinen Platz gefallen sind, dauert es bis zum Ende des Buchs.

Der Protagonist wirkt auf mich ein wenig naiv und dem Klischee des Dieners entsprechend unterwürfig aber versnobt. Es lässt ihn immer noch nicht los was ihm bei den Hobbs passiert ist und in seiner Erzählung verteidigt er seine Unwissenheit über Zusammenhänge, die er bei genauerem Hinsehen, wie es in seinem Job zur Unterstützung seiner Arbeitgeber eigentlich verlangt wird, hätte erkennen müssen. So kommt es auch zu den prägnanten Eingangssätzen des Romans von denen einer lautet „Es war ein schlampiger Tag“, der damit seine eigene Unzulänglichkeit und seine mögliche Schuld zum Ausdruck bringt. Sein langjähriger Partner, der als Hommage an den tatsächlich existierenden Autor John Wray benannt ist, hat die Zusammenhänge wahrscheinlich schon früher erkannt aber nichts gesagt. „Dies ist eine einfache Geschichte“ ist der zweite Satz. Er stellt sich aus Sicht von Christian in Bezug auf das alte Sprichwort „Je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall“ als unausweichlich für die Familie Hobbs dar, war also voraussehbar. Daher ist er unverkennbar unzufrieden mit sich, dass er Verbindungen nicht sofort gedeutet hat.

Lange weicht die Autorin der Aufdeckung der Hintergründe aus. Stattdessen führte sie mich als Leserin in eine beschauliche Kleinstadtidylle mit vier Jungen, die sich im jugendlichen Alter von Gleichaltrigen abgrenzen wollten und nichts vom Erwachsenwerden hielten. Was zunächst ohne Zusammenhang mit dem Skandal und dem Toten in der Schweiz wirkt findet im Laufe der Geschichte immer näher zueinander.

Verena Roßacher hat mit „Ich war Diener im Hause Hobbs“ einen Roman geschrieben, der mit der Geduld des Lesers spielt. So angespannt der Protagonist das Geschehen auch schildert, um sich selbst von einer angenommenen Mitschuld zu befreien, so leichtgängig mit kleinen Umwegen, psychologisch durchdacht und humorvoll liest sich der Roman. Mich hat er sehr gut unterhalten und darum empfehle ich ihn gerne weiter.

Samstag, 1. September 2018

[Rezension Hanna] Ich erfinde dir Paris - Liam Callanan


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Ich erfinde dir Paris
Autor: Liam Callanan
Übersetzerin: Juliane Zaubitzer
Hardcover: 384 Seiten
Erscheinungsdatum: 14. August 2018
Verlag: Atlantik

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Leah lebt in Wisconsin und arbeitet als Redenschreiberin, nachdem sie ihr Studium der Filmwissenschaft aufgegeben hat. Sie hat das Land noch nie verlassen und träumt davon, eines Tages Paris zu erkunden, denn dort spielt ihr Lieblingsfilm, „Der rote Luftballon“. Ihren Mann Robert hat sie kennengelernt, als sie das Buch zum Film klauen wollte, weil sie knapp bei Kasse war, und er es für sie bezahlt hat. Er ist Schriftsteller und sehnt sich ebenso nach Paris wie sie. Fast zwei Jahrzehnte später sind die beiden verheiratet und haben zwei Töchter im Teenageralter, da verschwindet Robert plötzlich spurlos. Der einzige Hinweis: Vier Flugtickets nach Paris. Leah macht sich mit ihren beiden Töchtern auf den Weg nach Frankreich und bleibt doch länger als gedacht. Doch wird Robert sie dort tatsächlich finden? Und wann sollte man die Suche und Hoffnung aufgeben?

Zu Beginn des Buches lernt der Leser Leah kennen, die schon seit einer Weile in Paris lebt und dort eine Buchhandlung besitzt und ihren Mann sucht. Danach springt die Geschichte erst einmal in die Vergangenheit und erzählt, die Leah und Robert sich kennengelernt haben. Die beiden verbindet von Beginn an ihre Leidenschaft für Paris, wobei sie unterschiedliche Favoriten haben. Leah verehrt als Filmstudentin „Der rote Luftballon“ von Albert Lamorisse, Robert als Kinderbuchautor die Madeleine-Reihe von Ludwig Bemelman. Doch die Stadt ihrer Sehnsüchte scheint unerreichbar, denn beiden fehlt das Geld für einen Flug. Stattdessen machen sie Ausflüge nach Paris, Wisconsin, das es gleich zwei Mal gibt, verlieben sich und heiraten, nachdem Leah Robert um einen Antrag gebeten hat.

Doch Robert ist ein labiler Charakter, der ständig an sich selbst und seinem Tun zweifelt und immer wieder unangekündigt auf „Schreibfluchten“ flüchtet. Jedoch hinterlässt er immer eine Nachricht. Das ist anders, als er eines Tages spurlos verschwindet und deutlich länger wegbleibt als je zuvor. Leahs Entschluss, die Flugtickets zu nutzen und ihn in Paris, Frankreich zu suchen, wurde für mich nachvollziehbar gemacht, auch wenn das Ticket, das Robert für sich selbst gebucht hat, ungenutzt zurückbleibt.

Leah hängt oft ihren Erinnerungen an Robert nach. Sie denkt an all die schönen Momente zurück, die die beiden gemeinsam erlebt haben und sucht gleichzeitig nach Anzeichen und Hinweisen, die sein Verschwinden erklären. In der französischen Hauptstadt lebt sie sich bald ein, sucht aber nicht so aktiv nach Robert wie ihre Töchter. Sie ist in vielerlei Hinsicht unentschlossen: Soll sie weiter nach Robert suchen? Oder ihn aufgeben? Will sie dieses Leben in Paris? Was soll sie ihren Töchtern sagen? Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit sich selbst und fühlt sich von Robert im Stich gelassen. Sie auf ihren Gedankenwegen zu begleiten zog sich für mich zunehmend in die Länge. Ich fand keinen richtigen Zugang zu ihr als Protagonistin. Auch mit den ständigen Verweisen auf Lamorisse und Bemelmann konnte ich wenig anfangen, da ich beide Werke nicht kenne.

Leahs Töchter Ellie und Daphne haben mir deutlich besser gefallen. Sie werden im Buchverlauf immer eigenständiger und gewöhnen sich bald an ihr neues Pariser Leben. Der Leser wird häufig mitgenommen auf Spaziergänge durch Paris, auch abseits der beliebtesten Ecken, was sich vor allem für Fans der Stadt lohnt. Doch die Geschichte kommt lange nicht wirklich voran und verharrt im Status Quo. Erst zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse. Sie konnten mich trotzdem nicht so recht packen und einiges traf bei mir auf Unverständnis.

In „Ich erfinde dir Paris“ zieht Leah mit ihren beiden Töchtern von Wisconsin in die französische Hauptstadt, nachdem ihr Ehemann spurlos verschwunden ist und außer Flugtickets keinen Hinweis hinterlassen hat. Das Buch ist eine schöne Hommage an die Stadt. Leider kannte ich die Werke nicht, auf die ständig verwiesen wird, und die Geschichte rund um die zweifelnde, verlassene und unentschlossene Leah kam nicht richtig in Schwung. Für mich eine durchwachsene Lektüre, die interessanter sein könnte für Paris-Liebhaber, die auch die oben genannten Werke kennen.
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