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Titel: Bruder und Schwester Lenobel
Autor: Michael Köhlmeier
Erscheinungsdatum: 20.08.2018
Verlag: Hanser (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband (Leseexemplar)
ISBN: 9783446259928
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Das Cover des Romans „Bruder und Schwester Lenobel“ zeigt
eine Ansicht der Stadt Wien. Michael Köhlmeier hat seine Geschichte hier
angesiedelt. Über der Stadt spannt sich der Himmel weit auf, so wie die
Erzählkunst des Autors sich im Buch entfaltet. Doktor Robert Lenobel, der
Bruder in diesem Buch, ist Psychiater in Wien. Seine Schwester Henriette, Jetti
genannt, lebt aber inzwischen in Dublin. Das überraschende Verschwinden von
Robert und die Suche nach ihm ziehen sich als roter Faden durch den Roman.
Jetti folgt der Aufforderung ihrer Schwägerin Hanna, die sie
per E-Mail erhält. Hanna wünscht sich, dass sie zu ihr nach Wien kommen soll,
denn ihr Mann würde verrückt. Als sie zwei Tage später in der Stadt eintrifft
ist er verschwunden, gemeinsam geben sie eine Vermisstenanzeige auf. Beide
glauben nicht, dass Robert den Freitod gewählt hat, aber Gründe für eine
planlose Reise können sie sich auch nicht vorstellen.
Der 55 Jahre alte Robert und die sechs Jahre jüngere Jetti
sind sich von Kindheit an in besonderer Weise verbunden. Der Bruder ersetzte der
Schwester in einigen Dingen den Vater, der noch eine zweite Familie hatte und
irgendwann ganz fern blieb. Jetti unterstützte Robert während seines Studiums
als sich bei der Mutter die Symptome einer psychischen Erkrankung verstärkten.
Nachdem Robert mit Hanna liiert war, haben die beiden ihre Fürsorge auf diese
ausgedehnt und auch bereits zu dritt manche Krise miteinander.
Das Ehepaar hat zwei Kinder, doch Hannas erste Wahl, ein
Familienmitglied über das Verschwinden ihres Manns zu informieren, fiel auf
Jetti. So stark die Bande zu ihren Kindern auch sein mögen, umso stärker ist
Hannas Vertrauen in Jetti von der sie sich Hilfe erhofft, die Gründe für Roberts
Handeln zu verstehen. Doch die beiden kennen sich gut, zu gut erschien es mir
manchmal, denn sie agieren ohne große Worte, beobachten einander und deuten
jedes kleinste Tun auf der Basis vergangener Erfahrungen miteinander. Dabei
erinnern beide sich nicht nur an positive Ereignisse, was zu deutlichen
Spannungen führt. Schließlich sucht Jetti den Kontakt zu Roberts Freund
Sebastian Lukasser, einem Wiener Schriftsteller, der schon in früheren Romanen
Köhlmeiers eine tragende Rolle spielte. Es stellt sich heraus, dass er nicht
nur für Robert ein Anlaufpunkt ist, sondern auch zu den beiden Frauen eine
einzigartige Beziehung pflegt. Stückchenweise erfuhr ich als Leser schließlich
auch die Beweggründe Roberts die dazu führten, dass er Abstand von einer
Familie suchte.
Michael Köhlmeiers Erzählkunst ist detailreich. Er verfolgt
jede Handlung möglichst aus der Sicht aller beteiligter Personen. Die
Gedankengänge seiner Figuren zeigt er mit den Abwägungen über das Für oder
Wider auf. Obwohl der Roman in der Gegenwart zeitlich nur wenige Wochen
beinhaltet, schildert er die Vergangenheit aller Familienmitglieder und fächert
die Erlebnisse des Einzelnen breit auf. 13 Kapiteln in vier Teilen stellt er zu
Beginn jeweils ein Märchen voraus, welches man in der Nachbetrachtung durchaus
in Bezug auf die folgende Handlung interpretieren kann.
„Bruder und Schwester Lenobel“ ist eine überbordende
Geschichte, die wirklichkeitsnahe Gefühle des gelebten Lebens beinhaltet. Hass,
tiefe Liebe, Vertrauen, Neid, Zweifel, Eifersucht, Missgunst sind zu finden, das
Verzeihen ist von besonderer Dringlichkeit. Ein Roman, in dessen Verzweigungen
man sich gerne verliert.