Titel: Grenzgänger
Autorin: Mechtild Borrmann
Erscheinungsdatum: 01.10.2018
Verlag: Droemer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783426281796
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Im Roman „Grenzgänger“ von Mechtild Borrmann gehört die
Protagonistin Henriette, von allen Henni genannt, zu denjenigen, die
entsprechend dem Titel kurz nach dem Zweiten Weltkrieg über die deutsche Grenze
hinweg ins nahegelegene Belgien pendeln. Sie und weitere Bewohner des kleinen,
in der Nähe von Monschau gelegenen Orts Velda wechseln das Land zum Schmuggeln.
Eine Gruppe von Kindern, zu denen Henni gehört, läuft vor den Erwachsenen. Werden
sie aufgespürt, hat die Entdeckung für sie wenig bis gar keine Konsequenzen und
die Älteren können schleunigst Reißaus nehmen.
Der Roman beginnt im Herbst 1970 in der Eifel, im
Haupthandlungsort Velda. Hennis langjährige Freundin Elsa, die verwitwet ist,
denkt an einen stattfindenden Verhandlungstag in Aachen und mir wurde schnell
bewusst, dass es Henni ist, der hier ein Prozess gemacht wird. Die Erzählung entwickelt
sich auf zwei Zeitebenen weiter. Einerseits erzählt Elsa von den Gerichtstagen
und dem Leben in Velda, andererseits erlebte ich als Leserin Henni als
12-jährige im Herbst 1945, als älteste von vier Kindern des Ehepaars Herbert
und Maria Schöning. Dadurch, dass die Autorin die Ereignisse in Velda des
Jahres 1970 im Präsens beschreibt, scheinen diese an die Gegenwart heran zu
rücken und bewegten mich daher umso mehr. Parallel dazu lässt Mechtild Borrmann
einen freien Künstler aus Lüttich von seinem Leben erzählen. Der Zusammenhang
zur Haupthandlung erschließt sich schnell und trägt schließlich dazu bei, die
Erzählung für den Leser abzurunden.
Hennis Vater ist Uhrmachermeister, doch durch Militärdienst
und Kriegsgefangenschaft ist er arbeitsuntauglich. Maria ernährt die Familie
von einem Einkommen als Gaststättenaushilfe bis sie im April 1947 plötzlich
verstirbt. Henni übernimmt die Rolle der Ersatzmutter für ihre Geschwister.
Zufällig erfährt sie durch den Inhaber der Gaststätte von den Schmuggelgängen
nach Belgien an denen sie sich fortan beteiligt. Doch nicht immer läuft alles
gut und eines Tages geschieht ein furchtbares Unglück, an dem Henni ein Stück
Mitverantwortung gegeben wird. Daraufhin weist man sie in eine
Besserungsanstalt ein durch die sie für ihr ganzes Leben stigmatisiert wird.
Henni ist ein Mensch voller Lebensfreude, die tatkräftig
ihre Mutter bereits als junges Mädchen unterstützt. Obwohl sie einige Ecken und
Kanten besitzt ist sie ein Sympathieträger. Zum damaligen Zeitpunkt wurde die
freie Entscheidung häufig eingeschränkt durch die Ansprüche und
Erwartungen der Dorfgesellschaft, an deren Spitze Bürger aus Politik und religiösen
Institutionen standen. Nach dem Tod der Mutter wird dem schwermütigen und
zittrigen Vater die Verantwortung für die Kinder von angesehenen
Persönlichkeiten abgesprochen, die sich ihrer Macht durchaus bewusst sind.
Hennis unerschrockenes und burschikoses Verhalten wird als ungehörig ausgelegt,
ihre Meinung nicht anerkannt und ihren Worten nicht geglaubt. Bestürzt musste
ich als Leser feststellen, dass sie als Jugendliche keine Möglichkeiten hatte
sich Geltung bei den Dorfbewohner zu verschaffen, die auch den extrinsisch beeinflussten Vater auf ihrer Seite wussten.
Mechtild Borrmann hat in „Grenzgänger“ vor allem mit den
Themen Schmuggeln im Grenzgebiet zu Belgien und Umgang mit Minderjährigen in
Heimen abermals ein Stück Historie beschrieben, das aus dem heutigen Blick
weitestgehendst verwunschen ist und mich in seiner Form und Weite betroffen
zurück lässt. Mir wurde bewusst, dass Henni wichtige Informationen über ihre
Brüder nur durch ihr geringes Ansehen vorenthalten wurden. Sie verinnerlicht
schließlich ihre eigene Schuld, weil ihre Denkweise von niemandem korrigiert
wird. Ihr arbeitsreiches untadeliges Leben nach der Entlassung aus dem Heim wiegt
scheinbar wenig im Vergleich zu den ihr zugeschriebenen Verfehlungen der
Vergangenheit. Die Autorin schafft arbeitet die Feinheiten in der zwischenmenschlichen
Kommunikation heraus, die mir als Leser die Untertöne im Miteinander der
Gesellschaft hörbar machten und auf diese Weise das Verhalten von Henni vor
Gericht erklärten.
„Grenzgänger“ enthält Spannungsmomente wie in einem Kriminalroman,
die gekoppelt sind mit der ergreifenden Geschichte der jungen Henni, die schon
früh über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden verfügt und die es schafft,
allen Widrigkeiten zum Trotz an persönlichen kleinsten Glücksmomenten ihren
Lebensmut aufrecht zu erhalten. Obwohl die Geschichte rein fiktiv ist, wirkt
die Erzählung authentisch und Henni hat sich meinen Respekt verdient. Gerne
empfehle ich diesen aufwühlenden Roman uneingeschränkt weiter.