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Dienstag, 30. Oktober 2018

[Rezension Ingrid] Grenzgänger von Mechtild Borrmann


Titel: Grenzgänger
Autorin: Mechtild Borrmann
Erscheinungsdatum: 01.10.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783426281796
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Im Roman „Grenzgänger“ von Mechtild Borrmann gehört die Protagonistin Henriette, von allen Henni genannt, zu denjenigen, die entsprechend dem Titel kurz nach dem Zweiten Weltkrieg über die deutsche Grenze hinweg ins nahegelegene Belgien pendeln. Sie und weitere Bewohner des kleinen, in der Nähe von Monschau gelegenen Orts Velda wechseln das Land zum Schmuggeln. Eine Gruppe von Kindern, zu denen Henni gehört, läuft vor den Erwachsenen. Werden sie aufgespürt, hat die Entdeckung für sie wenig bis gar keine Konsequenzen und die Älteren können schleunigst Reißaus nehmen.

Der Roman beginnt im Herbst 1970 in der Eifel, im Haupthandlungsort Velda. Hennis langjährige Freundin Elsa, die verwitwet ist, denkt an einen stattfindenden Verhandlungstag in Aachen und mir wurde schnell bewusst, dass es Henni ist, der hier ein Prozess gemacht wird. Die Erzählung entwickelt sich auf zwei Zeitebenen weiter. Einerseits erzählt Elsa von den Gerichtstagen und dem Leben in Velda, andererseits erlebte ich als Leserin Henni als 12-jährige im Herbst 1945, als älteste von vier Kindern des Ehepaars Herbert und Maria Schöning. Dadurch, dass die Autorin die Ereignisse in Velda des Jahres 1970 im Präsens beschreibt, scheinen diese an die Gegenwart heran zu rücken und bewegten mich daher umso mehr. Parallel dazu lässt Mechtild Borrmann einen freien Künstler aus Lüttich von seinem Leben erzählen. Der Zusammenhang zur Haupthandlung erschließt sich schnell und trägt schließlich dazu bei, die Erzählung für den Leser abzurunden.

Hennis Vater ist Uhrmachermeister, doch durch Militärdienst und Kriegsgefangenschaft ist er arbeitsuntauglich. Maria ernährt die Familie von einem Einkommen als Gaststättenaushilfe bis sie im April 1947 plötzlich verstirbt. Henni übernimmt die Rolle der Ersatzmutter für ihre Geschwister. Zufällig erfährt sie durch den Inhaber der Gaststätte von den Schmuggelgängen nach Belgien an denen sie sich fortan beteiligt. Doch nicht immer läuft alles gut und eines Tages geschieht ein furchtbares Unglück, an dem Henni ein Stück Mitverantwortung gegeben wird. Daraufhin weist man sie in eine Besserungsanstalt ein durch die sie für ihr ganzes Leben stigmatisiert wird.

Henni ist ein Mensch voller Lebensfreude, die tatkräftig ihre Mutter bereits als junges Mädchen unterstützt. Obwohl sie einige Ecken und Kanten besitzt ist sie ein Sympathieträger. Zum damaligen Zeitpunkt wurde die freie Entscheidung häufig eingeschränkt durch die Ansprüche und Erwartungen der Dorfgesellschaft, an deren Spitze Bürger aus Politik und religiösen Institutionen standen. Nach dem Tod der Mutter wird dem schwermütigen und zittrigen Vater die Verantwortung für die Kinder von angesehenen Persönlichkeiten abgesprochen, die sich ihrer Macht durchaus bewusst sind. Hennis unerschrockenes und burschikoses Verhalten wird als ungehörig ausgelegt, ihre Meinung nicht anerkannt und ihren Worten nicht geglaubt. Bestürzt musste ich als Leser feststellen, dass sie als Jugendliche keine Möglichkeiten hatte sich Geltung bei den Dorfbewohner zu verschaffen, die auch den extrinsisch beeinflussten Vater auf ihrer Seite wussten.

Mechtild Borrmann hat in „Grenzgänger“ vor allem mit den Themen Schmuggeln im Grenzgebiet zu Belgien und Umgang mit Minderjährigen in Heimen abermals ein Stück Historie beschrieben, das aus dem heutigen Blick weitestgehendst verwunschen ist und mich in seiner Form und Weite betroffen zurück lässt. Mir wurde bewusst, dass Henni wichtige Informationen über ihre Brüder nur durch ihr geringes Ansehen vorenthalten wurden. Sie verinnerlicht schließlich ihre eigene Schuld, weil ihre Denkweise von niemandem korrigiert wird. Ihr arbeitsreiches untadeliges Leben nach der Entlassung aus dem Heim wiegt scheinbar wenig im Vergleich zu den ihr zugeschriebenen Verfehlungen der Vergangenheit. Die Autorin schafft arbeitet die Feinheiten in der zwischenmenschlichen Kommunikation heraus, die mir als Leser die Untertöne im Miteinander der Gesellschaft hörbar machten und auf diese Weise das Verhalten von Henni vor Gericht erklärten. 

„Grenzgänger“ enthält Spannungsmomente wie in einem Kriminalroman, die gekoppelt sind mit der ergreifenden Geschichte der jungen Henni, die schon früh über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden verfügt und die es schafft, allen Widrigkeiten zum Trotz an persönlichen kleinsten Glücksmomenten ihren Lebensmut aufrecht zu erhalten. Obwohl die Geschichte rein fiktiv ist, wirkt die Erzählung authentisch und Henni hat sich meinen Respekt verdient. Gerne empfehle ich diesen aufwühlenden Roman uneingeschränkt weiter.