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Mittagsstunde
Autorin: Dörte Hansen
Autorin: Dörte Hansen
Hardcover: 320 Seiten
Erscheinungsdatum: 15. Oktober 2018
Verlag: Penguin Verlag
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„De Welt geiht ünner“ – davon ist Marret Feddersen schon lange
überzeugt. Überall im kleinen Dorf Brinkebüll sieht die die Anzeichen: Ein
Sommer ohne Störche, tote Bäume, Felder ohne Hasen, tote Rehe, tote Kinder.
Marret Ünnergang, wie sie bald nur noch genannt wird, ist im kleinen Dorf
Brinkebüll aufgewachsen, ihren Eltern gehört die Gastwirtschaft. Doch mit ihren
Gedanken war sie immer schon ganz woanders. Mit siebzehn wird sie schwanger,
danach noch sonderlicher. Jahrzehnte später kehrt ihr Sohn Ingwer ins Dorf
zurück. Er ist promovierter Archäologe, steckt mit seinem Leben jedoch
irgendwie fest und hat ein Sabbatjahr beantragt, um seine Großeltern zu
pflegen. Nach vielen Jahren wird er wieder ein Teil der Dorfgemeinschaft und
blickt mit einer frischen Perspektive auf deren Sitten und unausgesprochene
Regeln. Doch wo ist sein Platz?
Der erste Roman der Autorin, „Altes Land“, hat mir sehr gut gefallen,
weshalb ich mich auf diesen zweiten Roman gefreut habe. Auch „Mittagsstunde“
spielt in einem dörflichen Umfeld in Nordfriesland. Dort hat sich im Laufe der
letzten fünf Jahrzehnte einiges verändert. Zuerst begegnet der Leser der
sonderlichen Marret Feddersen. Diese verkündet jahrelang den Weltuntergang und
sieht in jedem einschneidenden Ereignis ein Zeichen dafür. Auf Klapperlatschen
läuft sie durchs Dorf und erzählt jedem davon, eine alte Zeitschrift des
Wachtturms ist ihr Beweis.
In der Gegenwart kehrt Marrets Sohn Ingwer ins Dorf zurück, dem er vor
langer Zeit den Rücken gekehrt hat. Das Dorfleben hat sich inzwischen stark
geändert: Der Dorfladen ist zu, die Schule auch, die meisten Bewohner haben das
Vieh abgeschafft und die verlassenen Gebäude wurden von Stadtflüchtigen renoviert.
Nur für Ingwers Großmutter Ella ist das alles noch lebendig, sie leidet an
Demenz. Dafür ist die körperlich noch deutlich fitter als ihr Mann Sönke, der mit
seiner zunehmenden Gebrechlichkeit hadert.
Die Geschichte springt zwischen den 60er Jahren und der Gegenwart hin
und her, sodass für den Leser deutlich wird, was sich verändert hat und welche
Entwicklung die Charaktere in dieser langen Zeitspanne gemacht haben. Dabei
begegnen dem Leser viele Charaktere, die etwas schrullig und verschroben, aber
irgendwie liebenswert sind. Der Leser erhält Einblick ins alltägliche Dorfleben,
rauschende Feste, viel Getratsche und das starke Gemeinschaftsgefühl, dass die
langjährigen Einwohner verbindet.
Es gibt viele unterhaltsame Szenen, zum Beispiel wenn Ingwers alter
schmächtiger Schulkamerad plötzlich in Cowboykluft auftaucht, einen künstlichen
Büffelschädel neben die Jagdtrophäen hängt und Zugezogenen Line Dance
beibringt. Genauso oft gab es Momente, die mich berühren konnten. Denn wenn die
Charaktere auf die letzten rund fünfzig Jahre zurückblicken und Bilanz ziehen,
erinnern sie sich nicht nur an die schönen Momente, sondern auch an all das,
was sie bereuen. Und da gibt es so einiges, vieles davon ist seit Jahrzehnten
unausgesprochen.
Der Autorin gelingt es, den Verlust des Ursprünglichen und den Aufbruch
in eine neue Zeit mit all seinen Konsequenzen deutlich zu machen. Dabei findet
sie genau die richtigen Worte. Viele Stellen habe ich markiert, weil die Sätze
nur allzu wahr und treffend sind. Die Charaktere schließt man schnell ins Herz,
sie haben Tiefe und ich konnte mit ihnen mitfühlen. Der Fokus liegt darauf,
Momente und Gefühle einzufangen. Für Ingwer steht schließlich eine wichtige
Entscheidung an, die ich gut nachvollziehen konnte. Mich konnte das Buch mit
seinen authentischen Charakteren und einer starken Sprache begeistern, sodass
ich es gern weiterempfehle!