Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Die kleinen Wunder von Mayfair
Autor: Robert Dinsdale
Übersetzer: Simone Jakob
Erscheinungsdatum: 01.10.2018
Verlag: Knaur (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783426226723
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Im Buch „Die kleinen Wunder von Mayfair“ des Engländers
Robert Dinsdale geschehen magische Dinge. Die Haupthandlung spielt in einem
Spielzeugladen in London in den man auf dem Titelbild schon einen kleinen Blick
hineinwerfen kann. Die Spielzeuge regen die Fantasie der Hersteller und Käufer
so an, dass sie für die Bewunderer und Nutzer zum Leben erwachen. Auch als
Leserin konnte ich mich darin verlieren.
Alles beginnt im November 1906 als die erst fünfzehnjährige
Cathy aus der kleinen ostenglischen Stadt Leigh-on-Sea feststellt, dass sie von
einem Nachbarsjungen schwanger ist. Ihre Eltern möchten, dass sie die Zeit bis
nach der Geburt in einem Heim für alleinstehende, werdende Mütter verbringt und
das Kind zur Adoption freigibt. In der Tageszeitung fällt ihr Blick auf die
Stellenanzeige eines Spielwarenhändlers. Papa Jacks Emporium in London sucht
zum sofortigen Beginn eine Aushilfe, Kost und Logis sind inbegriffen. Cathy
läuft von zu Hauses weg und erhält die Anstellung. Neben dem Inhaber leben auch
seine zwei Söhne Emil und Kaspar im Haus, die sich schon bald um die Gunst von
Cathy bemühen.
Jedes Jahr vom ersten Frost an bis zum Erblühen der
Schneeglöckchen öffnet das Spielwarengeschäft seine Pforten. Nicht nur Papa
Jack, sondern auch seine Söhne stellen die Spielzeuge selbst her. Spielzeugsoldaten
gehören zu den umsatzstärksten Artikeln des Geschäfts. Es vergeht kaum ein Tag
an dem nicht Emil und Kaspar in einem anhaltenden Krieg seit ihrer Kindheit
gegeneinander ihre Soldaten antreten lassen. Doch nachdem Kaspar seinen Dienst
im Ersten Weltkrieg an der Front abgeleistet hat, ändert sich seine Einstellung
zum Kriegsspiel, die Emil nicht nachvollziehen kann. Die Rivalität der beiden
Brüder wächst und nimmt existenzielle Formen an.
Beim Lesen des Romans habe ich mich gefragt, warum das
Kriegsspiel mit den Spielzeugsoldaten so viel Raum in der Geschichte einnimmt. Von
Papa Jack und seinen Söhnen werden sie so wie fast jedes Spielzeug als
Möglichkeit gesehen, sich auch im Erwachsenenalter an die Träume der Kindheit
zu erinnern und auf diese Weise ein Stück einer angenehmen Episode im Leben
wieder aufleben zu lassen. Aber es ist nicht nur ein Spiel, sondern steht auch als
Platzhalter für die Kämpfe im Leben jedes Einzelnen. An einer Stelle des Buchs
wird die weitere Entwicklung der Spielzeugsoldaten mit dem Kampf der Frauen für
mehr Rechte verglichen. Doch der Kampf um den Sieg der Schlachten hat für die
Brüdern Emil und Kaspar noch eine weitere Bedeutung.
Kaspar hat er im Ersten Weltkrieg die Realität hinter den
feindlichen Auseinandersetzungen erlebt, die seinem Bruder, der den größten
Teil seines Lebens die kleine Welt des Spielwarengeschäfts nicht verlassen hat,
verschlossen bleibt. Emils Denken erweist sich als borniert. Schon immer waren
die beiden Brüder ganz unterschiedliche Charaktere. Sie wetteifern jeweils auf
ihre ganz eigene Weise um die Gunst von Cathy und um die ihres Vaters. Während
Emil durch besonderes handwerkliches Geschick auffällt, hat Kaspar die besten
visionären Fantasien. Kaspar lässt es sich nicht nehmen, gerade in den ruhigen
Sommermonaten auch mal einen Tag in London zu verbringen. Für Emil ist es
wichtig, ob er der bessere Spielzeugbauer der beiden ist, denn er glaubt
unbegründet daran, dass nur der Beste von ihnen eines Tages vom Vater beerbt
wird.
Neben den beiden unterschiedlichen Charakteren der Brüder
beschreibt Robert Dinsdale mit Cathy, Papa Jack und weiteren einzigartige
Figuren mit Ecken und Kanten. So wurde aus dem zu Beginn undurchschaubaren, kauzigen
und eher brummigen Besitzer des Emporiums später ein Mann voller Mitgefühl und
einer traurigen Vergangenheit. Cathy erweckte schnell meine Sympathie und sorgte
durch ihr ausgeglichenes Wesen immer wieder für Bodenhaftung der
Familienmitglieder ohne jedoch den Blick auf das Magische zu verstellen.
Der Roman endet erst im Jahr 1953. Robert Dinsdale brachte
mich als Leser auf den dazwischenliegenden Seiten mit seinen Spielzeugideen zum
Staunen, mit seiner Liebesgeschichte zum Hoffen und mit dem Kampf der Spielzeugsoldaten
zum Nachdenken. Neben der Beschreibung von Begeisterung und Leidenschaft für
eine Sache ist es auch eine Geschichte über die Notwendigkeit, schöne
Erinnerungen wachzuhalten. Von Anfang an hat mich der Roman in seinen Bann
gezogen und seine Faszination hat bis zum Schluss angehalten. Darum empfehle
ich den Roman gerne an solche Leser weiter, die wie ich gerne hinter eine glänzende
Fassade blicken wollen und zu träumen wagen.