Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Die Stimmlosen
Autorin: Melanie Metzenthin
Erscheinungsdatum: 17.07.2018
Verlag: Tinte & Feder
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
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Der historische Roman „Die Stimmlosen“ der Hamburgerin
Melanie Metzenthin ist die Fortsetzung des Buchs „Im Lautlosen“ und kann
problemlos ohne Kenntnisse des ersten Band gelesen werden. Das Cover lässt anhand
der Kleidung auf dem Foto bereits ahnen, dass die Geschichte in den 1940ern
oder 1950ern spielt. Sie beginnt Weihnachten 1945, also ein halbes Jahr nach
dem Zweiten Weltkrieg. Der Titel bezieht sich auf die Tatsache, dass fast jeder
Deutsche nach dem Krieg nur eine eingeschränkte Handlungsfreiheit hat. Die
meisten Bürger Hamburgs sind, so wie im Roman dargestellt, damit beschäftigt,
eine Bleibe zu finden und ihren Hunger zu stillen. Der lange Schatten der Macht
der Nationalsozialisten ist auch immer noch in den Nachkriegsjahren sichtbar.
Nach dem Krieg lebt das Arztehepaar Richard und Paula
Hellmer in einer Sechszimmerwohnung, nicht nur mit ihren Zwillingen sondern
auch mit Paulas Vater, Richards Eltern, einer Haushaltshilfe sowie Fritz
Ellerweg, dem besten Freund Richards, und seinem Sohn Harri. Tagsüber dienen
die Räumlichkeiten auch als Warte- und Sprechzimmer. Melanie Metzenthin
beschreibt in ihrem Buch auf eine Weise, in die ich mich sehr gut in die
Geschichte einfühlen konnte, den Alltag der Wohngemeinschaft. Es ist ein
täglicher Kampf um die einfachsten Dinge. Fritz hat gute Beziehungen zu einem
Schieber und kommt mit seinen Freunden überein, ein lukratives illegales
Tauschgeschäft einzugehen. Außerdem kommt ihnen die Freundschaft zu dem britischen
Besatzungsoffizier Arthur Grifford immer wieder zu Gute.
Erst durch die Schilderungen der Autorin wurde mir bewusst, wie
lange es tatsächlich gedauert hat, bis in Deutschland wieder eine ausreichende
Versorgung der Bevölkerung mit allen Dingen des täglichen Bedarfs erreicht
wurde. Melanie Metzenthin hat hervorragend recherchiert. Die geschilderten
Ereignisse wirken überaus glaubhaft und die Handlung lief wie ein Film in
meinem Kopf ab. Sie flechtet viele historische Ereignisse in ihren Roman ein,
sei es die Entwicklung auf dem Gebiet der Medien oder auch die Einführung der
Deutschen Mark. Ein besonderes Augenmerk richtet sie als Psychotherapeutin nach
ihrem eigenen Interesse auf die Geschichte der Medizin.
Überraschende Wendungen gibt es in der Familie von Fritz
Ellerweg, aber auch bei Arthur Grifford. Hierin spiegelt die Autorin das
Verhältnis der Bevölkerung von zwei Staaten wider, die Kriegsgegner waren. Sie
lässt ihre Figuren das Für und Wider aktueller Themen der Nachkriegszeit diskutieren,
was mich mehrfach nachdenklich stimmte. Es war mir ein Vergnügen, die
Weiterentwicklung der Charaktere zu verfolgen, welche Chancen sie ergriffen
haben, welche Berufe sie verfolgten und welche Liebesbande sich aufbauten. Wieder
habe ich mit ihnen gebangt und gehofft, Aufgeben war nie eine Option, Träumen
dagegen schon.
Melanie Metzenthin hat mit „Die Stimmlosen“ einen
überzeugenden Roman über die Nachkriegsjahre geschrieben. Die Schicksale ihrer
fiktiven Figuren berühren und rufen manche vergessenen Ereignisse, schöne wie
auch traurige, wieder ins Gedächtnis. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und
ich empfehle es uneingeschränkt weiter.