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Mittwoch, 30. Januar 2019

Rezension: Der Herzschlag der Steine von Isabel Morland


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Herzschlag der Steine
Autorin: Isabel Morland
Erscheinungsdatum: 11.01.2019
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9783426523544
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Beim Lesen des Romans „Der Herzschlag der Steine“ von der deutschen Autorin Isabel Morland bin ich, wie bereits in der Geschichte ihres vorigen Buchs „Die Rückkehr der Wale“, gedanklich wieder nach Schottland gereist auf die Insel Lewis and Harris in den Äußeren Hebriden. Hier leben etwa 21.000 Einwohner auf 2.170 Quadratkilometer. Touristen finden Ruhe und Entspannung, aber auch Traditionen und Kultur, beispielsweise alte Steinkreise. Es ist der perfekte Ort für eine romantische Liebesgeschichte mit einem Hauch Mystik, wie die Protagonistin Ailsa sie erlebt.

Ailsa ist auf Lewis aufgewachsen und lebt seit ihrem Studium in Toronto in Kanada. Gemeinsam mit ihrem Ehemann betreibt sie dort ein Immobilienbüro. Inzwischen ist sie Mitte 30 und nach dem Auszug der Mieter des elterlichen Hauses in ihrer Heimat, beschließt Ailsa es an einen englischen Investor zu verkaufen. Ihr Jugendfreund Blair hat dagegen Einwände und bittet sie in einem Telefonat zur Klärung der Umstände um ihren Besuch auf der Insel, dem sie widerwillig folgt. Doch kaum ist sie auf Lewis angekommen wird sie von Erinnerungen an ihre Jugend eingeholt. Als sie Grayson begegnet, ihrer damaligen Liebe, geraten ihre Gefühle in Konflikt und damit verbunden steht plötzlich ihr ganzes Leben auf dem Prüfstand. Mit Blair und Grayson hatte sie als Jugendliche zwei Vertraute an ihrer Seite, die auch jetzt nach all den Jahren den damals beim Buhlen um ihre Gunst entstandenen Streit nie ganz beigelegt haben.

Im Prolog beschreibt Isabel Morland das Ritual der Inselbewohner zum seltenen Ereignis bei dem einer Legende entsprechend der Vollmond auf die Erde herabsteigt. Zum Ende hin sind die Wut und die Enttäuschung zweier unbenannter Männer in ihrer Gegnerschaft deutlich spürbar. So nahm ich als Leser die Frage in die Erzählung mit hinein, worüber die beiden Personen erbost waren. Bald schon zeichnete sich eine Antwort ab, doch ein Bild der gesamten Situation konnte ich mir erst kurz vor Buchende bilden. Bei Ailsas Ankunft auf Lewis steht die Wiederholung des Rituals bald bevor und viele der Bewohner sind bereits mit den Vorbereitungen beschäftigt. Die Autorin versteht es die Anspannung vor dem großen Ereignis sehr gut einzufangen und wiederzugeben. Ebenso gut vermittelt sie einen Eindruck der Landschaft mit Schafherden und den traditionellen Blackhouses. In ihren Beschreibungen spürt man ihre Leidenschaft für die Insel, deren Kultur und Brauchtümern.

Auch ihre Charaktere fügen sich nahtlos in die Umgebung ein. Isabel Morlands Figuren konnte ich mir so wie beschrieben dort in der Realität vorstellen. Ailsa, Blair und Grayson zeigen in ihrer Wandelbarkeit, dass verschiedene Ansichten den Menschen beeinflussen und zum Umdenken bewegen oder ihn in seiner Meinung bestärken können. Jeder der Protagonisten hat seine sympathische, aber auch eine unangenehme Seite. Einige unerwartete Wendungen und ein Hauch Mystik gestalten die Geschichte ansprechend und unterhaltsam. Liebe, Leid, Eifersucht und Wut bringen die Charaktere zum Ausdruck. Es gibt aber auch genügend aus Situationen hervorgehende, amüsante Szenen.

„Der Herzschlag der Steine“ ist in einem leicht lesbaren Schreibstil geschrieben. Der Roman gefällt mir durch die abwechslungsreich gestalteten Figuren und der dezenten Mystik noch besser als „Die Rückkehr der Wale“. Menschen und Landschaft weckten in mir den Wunsch, sie bei einem Besuch näher kennenzulernen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Dienstag, 29. Januar 2019

[Rezension] Toter Schrei. Im Kopf des Mörders - Arno Strobel


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Toter Schrei. Im Kopf des Mörders
Autor: Arno Strobel
Broschiert: 352 Seiten
Erscheinungsdatum: 23. Januar 2019
Verlag: FISCHER Taschenbuch

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Kommissar Max Bischoff ist es gerade erst gelungen, eine Mordserie zu beenden, da erreicht ihn eine schockierende Nachricht: Seine Schwester Kirsten wurde entführt. Der Täter nimmt Kontakt zu Max auf und droht damit, ihm Kirsten stückweise zurückzuschicken, wenn er nicht seine Anweisungen befolgt. Als Beweis, dass es ihm erst ist, schickt er Max den kleinen Finger von Kirsten. Auf die Hilfe der Polizei muss er verzichten, nur zu einer Kollegin darf er Kontakt aufnehmen und soll sich mit ihr treffen. Das stellt sich jedoch als Falle heraus. Während für Max die Zeit tickt, um Kirsten zu finden, wird er selbst zum Gejagten…

Das Buch startet mit einem erschreckenden Prolog, in dem sich Max‘ Schwester Kirsten gefangen in einem Keller wiederfindet und der Entführer ihr mitteilt, dass das alles wegen ihres Bruders geschieht. Dieser findet gleich darauf heraus, was mit Kirsten passiert ist, denn der Entführer nimmt Kontakt mit ihm auf. Wer hat es auf Max abgesehen? Er weiß, dass es nur Alexander Neumann sein kann: Ein ehemaliger Polizist, den er überführte, vom Selbstmord abhielt und dann dafür sorgte, dass er ins Gefängnis und nicht in die forensische Psychiatrie kommt. Scheinbar ist dieser nun auf freiem Fuß und startet einen Rachefeldzug.

Die Ereignisse überschlagen sich in den ersten Kapiteln geradezu und dem Leser wird keine Verschnaufpause gegönnt. Verzweifelt versucht Max, mehr herauszufinden, und nimmt Kontakt zu seinem Partner Böhmer auf. Doch das wird direkt bestraft. So folgt Max erst einmal den Anweisungen des Entführers, um Schlimmeres zu verhindern. Doch damit gerät er in eine schreckliche Falle, die ihn zum Gejagten macht. Welche Optionen bleiben ihm nun? Kann er sich den Anweisungen des Entführers widersetzen oder irgendetwas tun, mit dem er einen Vorsprung erlangt, ohne dass dieser es mitbekommt? Allein eher nicht – aber wem kann er dazu vertrauen?

Das Tempo der Reihe war auch in den beiden Vorgängern schon hoch, doch diesmal wurde ich beinahe abgehängt. Dieser letzte Teil der Trilogie will noch spektakulärer, erschreckender und dramatischer sein. Dabei fand ich es schade, dass Max mehr oder weniger auf sich allein gestellt ist und das Szenario keine Polizeiarbeit im engeren Sinne erlaubt, die mir bei den Vorgängern gefallen hat. Auch Max‘ titelgebende Fähigkeit, sich in den Kopf von Mördern hineinversetzen zu können, kommt nicht mehr richtig zu Zuge.

Nachdem Max zu Beginn ratlos ist, wo er bei seiner Suche nach Kirsten ansetzen kann, ergibt sich schließlich ein allererster Anhaltspunkt. In dieser Hinsicht ähnelt das Buch dann doch den Vorgängern: Es setzt stark auf Dialoge, in denen schrittweise neue Informationen ans Licht kommen, die den Protagonisten von A nach B führen. Dabei ist die Zahl der Charaktere, mit denen er interagiert, aus naheliegenden Gründen eingeschränkt. Mehrfach werden dieselben Personen befragt, was auch für mich als Leserin zu einer zählen Angelegenheit wurde.

Auch wenn ich immer mehr in die Geschichte hineinfand, wurde ich mit ihr nicht so richtig warm. Zum Ende hin gibt es schließlich mehrere überraschende Entwicklungen, die das Buch gelungen abrundeten und mich versöhnlich stimmten. Mir haben die Vorgänger aber besser gefallen. Ohne Vorkenntnisse wird man sich mit diesem Buch eher schwer tun. Wer aber die ersten beiden Teile der Trilogie gelesen hat, der sollte „Toter Schrei“ eine Chance geben.

Montag, 28. Januar 2019

Rezension: Agathe von Anne Cathrine Bomann


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Agathe
Autorin: Anne Cathrine Bomann
Übersetzerin: Franziska Hüther
Erscheinungsdatum: 28.01.2019
Verlag: hanserblau
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783446261914
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Der Roman „Agathe“ von Anne Cathrine Bomann ist der erste Titel im neuen Programm „hanserblau“ des Hanser Verlags. Hanserblau steht für ein populäres und breitenwirksames Leseangebot und das vorliegende Debüt der dänischen Autorin passt hervorragend in den vorgegebenen Rahmen.

Agathe Zimmermann ist die Titelfigur des Romans. Sie ist Deutsche, 38 Jahre alt, lebt seit ihrer Studienzeit in Paris und ist verheiratet mit einem Franzosen. Im Jahr 1948 kommt sie in die Praxis  eines 71-jährigen unbenannten Psychiaters, dem Protagonisten und Ich-Erzähler des Buchs, und ersucht ihn um Hilfe bei ihren Problemen.

Der Psychiater bereitet sich gerade auf seinen Lebensabend vor. Er hat die täglichen Patientenstunden mit den verbleibenden Wochen seiner Berufszeit multipliziert, zählt in regelmäßigen Abständen die ausstehenden Gespräche bis ihm nur zu deutlich bewusst wird, dass er keine weiteren Pläne für den Ruhestand besitzt. Während er routinemäßig seine Stunden abhält zeigt sich zunehmend vor ihm ein bodenloser Abgrund, in den er zu stürzen droht. Erst nachdem er Agathe wider seinem Willen als Patientin aufgenommen und seine langjährige Sekretärin aus persönlichen Gründen eine mehrwöchige Auszeit genommen hat verändert sich sein Denken.

Schon durch die erste Szene machte ich mir ein Bild vom alternden Psychiater als ein in seiner eigenen Welt erstarrter Mensch, der nach seinem täglichen Rhythmus lebt und arbeitet, seine Freizeit aber unscheinbar und angepasst verbringt. Und sogar in seiner Praxis sitzt er während der Gespräche immer am Kopfende der Behandlungsliege, nicht sichtbar für seine Patienten. Im Laufe der Jahre hat er immer mehr Abstand zum Leben außerhalb seiner Praxis genommen, geht keinem genannten Hobby nach und gleichzeitig haben sich seine Gefühle für seine Mitmenschen auf das Wesentliche, meist berufsmäßig, reduziert. Agathe bringt etwas in ihm zum Klingen. Ihre Erzählung berührt ihn tief im Inneren und öffnet ihn für das Kommende. Konnte ich von Beginn an verfolgen, wie er zunehmend aufgrund seiner festgefahrenen Verhaltensweisen von sich selbst angewidert ist, so blitzt schließlich ein Funken Motivation zur Änderung seiner Handlungen in ihm auf.

Um die Distanz zu wahren und aus purer Langeweile zeichnet der Psychiater während seiner Sitzungen Vogelkarikaturen seiner Patienten. Eine davon ist ein Spatz, die er mit der Titelfigur in Verbindung bringt und die daher das Cover des Buchs schmückt. Der Roman hat zwar ein historisches Setting doch seine Aussagen sind allgemeingültig.

Anne Cathrine Bomann ist selbst Psychologin. In die skizzierten Gespräche fließt vermutlich eigene Erfahrung ein, denn sie wirken authentisch. Sie benutzt eine auf das Wesentliche beschränkte Sprache mit ausdrucksstarken Sätzen und einer Prise Humor. Dadurch brachte sie mich als Leser sehr nah ran an die existenziellen Fragen des Lebens, vor allem nach der, welche Bedeutung wir uns selber zugestehen. Die Geschichte stimmt nachdenklich über unsere eigenen Ängste und die Rolle der von uns eingegangenen Beziehungen im Zusammenspiel mit unserem Selbstwert. Über allem liegt eine gewisse Leichtigkeit mit der die Autorin eine nahe Zukunft vermittelt voller Hoffnung unter der Voraussetzung, sich auf Neues einzulassen. Das Ende der Geschichte bringt Unerwartetes mit sich. Gerne empfehle ich den Roman weiter.

Freitag, 25. Januar 2019

Rezension: Der Sommer meiner Mutter von Ulrich Woelk


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Sommer meiner Mutter
Autor: Ulrich Woelk
Erscheinungsdatum: 25.01.2019
Verlag: C.H. Beck (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783406734496
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Schon der erste Satz des Romans „Der Sommer meiner Mutter“ von Ulrich Woelk weckte mein Interesse in besonderer Weise, denn darin steht, dass die titelgebende Erziehungsberechtige kurz nach der ersten Mondlandung Selbstmord begangen hat. Von diesem Zeitpunkt an wollte ich wissen, unter welchen Umständen das geschah und natürlich warum. Doch auf die Antworten zu meinen Fragen musste ich bis fast zum Schluss der Geschichte warten. Bis dahin konnte ich eintauchen in das Geschehen am Ende der 1960er und dem Lebensstil der gehobenen Mittelschichtbürger in einem Vorort Kölns.

Der Roman wird aus der Sicht des bald 11-jährigen Tobias erzählt, der mit seinen Eltern ein Haus mit moderner Ausstattung am Rand der Großstadt bewohnt. Er ist ein großer Fan der Raumfahrt und verfolgt voller Neugier und Faszination die Berichte über die damaligen Apollomissionen im Fernsehen. Zunächst schenkt er dem Zuzug neuer Nachbarn wenig Interesse, doch sehr bald lernt er deren Tochter kennen, die 13-jährige Rosa. Die gesellschaftlichen und politischen Ansichten von Rosas Eltern sind links politisch und zeigen Tobias ein anderes Weltbild auf. Das Mädchen weckt in ihm ganz neue Gefühle. Aber nicht nur für Tobias wird es ein Sommer der erstmaligen Erfahrungen, sondern auch für seine Eltern mit einer unfassbaren Konsequenz, die seine Mutter zieht.

Ulrich Woelk versteht es die aufgeregte Stimmung in der Zeit vor der ersten Mondlandung einzufangen und an den Leser weiterzugeben. Als früherer Astrophysiker gibt er entsprechende interessante Erklärungen zum Umfeld, ohne zu sehr in technische Details zu gehen. Die gewählte Erzählperspektive aus der Sicht des Jungen gestattet ihm einen unvoreingenommenen Blick auf die kommenden großen Weltereignisse wie aber auch auf den Mikrokosmos der Familie und ihrer Freunde.

Schon auf der ersten Seite fühlt man den Stolz von Tobias auf seinen Vater, den Ingenieur, der den Bau des komfortablen Eigenheims ermöglicht hat. Seine Mutter ist, wie es damals üblich und vom Gesetz gestützt wird, nur für den Haushalt zuständig und fühlt sich dadurch weder ausgelastet noch findet sie dafür Anerkennung. Für Tobias steht diese Rolle gar nicht in Frage. Erst durch die Berufstätigkeit der Nachbarin und den Bemühungen der Mutter in dieser Richtung gerät sein vom Vater gestütztes Bild der Frau im öffentlichen Leben ins Wanken.

Der Erzählstil des Ich-Erzählers entspricht dem eines heranwachsenden Jungen, der über manche Entdeckungen staunt und über alles Erlernte und Erfahrene stolz ist, weil er darüber den wissenden Erwachsenen wieder etwas ähnlicher geworden ist. Dadurch erhält der Roman eine gewisse Leichtigkeit und sorgt für einige amüsante Szenen. Ulrich Woelk ist selbst in einem Kölner Stadtteil in den 1960ern aufgewachsen ist und vermittelte ein authentisches Flair der damaligen Zeit und der rheinischen Lebensart, die ich selber als Rheinländerin auch kenne. Manchmal konnte ich vergessen, dass der Roman nur eine Fiktion ist und sah dabei den Autor in der Rolle des Biografen.

In dieser Geschichte eines am Beginn der Pubertät stehenden Jungen verbirgt sich einiges an Tiefgang zu Themen der Gesellschaftspolitik, die durch die Unbedarftheit des Ich-Erzählers aufgeworfen werden. Es sind Themen darunter, allen voran die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die bis heute aktuell sind. Gerne habe ich mich noch einmal zurück erinnert sowohl in Bezug auf die Historie wie auch an die frühen Jugendjahre und der damit verbundenen Erweiterung des eigenen Horizonts, so wie Tobias sie erfährt. Gerne empfehle ich daher den Roman uneingeschränkt weiter.

Sonntag, 20. Januar 2019

[Rezension] Der Verrat - Ellen Sandberg


 

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Der Verrat
Autor: Ellen Sandberg
Broschiert: 480 Seiten
Erscheinungsdatum: 27. Dezember 2018
Verlag: Penguin

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Seit zwanzig Jahren lebt Pia von Manthey mit ihrem Mann Thomas auf dem Weingut Graven. Sie arbeitet dort als Restauratorin, während Thomas als Weinbauer den Familienbetrieb führt. Ihr geordnetes Leben gerät völlig durcheinander, als Thomas einen Herzinfarkt erleidet und im Krankenhaus das Bewusstsein verliert. Ausgerechnet Pias Schwester Nane hat ihn im Prälatengarten gefunden. Nane, die Mörderin, die nach zwanzig Jahren gerade auf Bewährung freigelassen wurde. Während Birgit, die dritte Schwester, sich um Nane kümmert, macht Pia energisch klar, dass sich Nane von ihr und ihrer Familie fernhalten soll. Doch Nane will Thomas unbedingt sprechen und etwas klären, das sie seit Jahren nicht loslässt. Warum wehrt sich Pia so strikt gegen jeglichen Kontakt? Wie kann es für Graven weitergehen, wenn Thomas im Krankenhaus liegt? Und gibt es wirklich offene Fragen im Hinblick auf die Nacht vor zwanzig Jahren, in denen Nane zur Mörderin wurde?

Das Buch beginnt mit einem kurzen Prolog, in dem in einer Sommernacht im Jahr 1998 ein vom Weingut Graven kommendes Auto in die Tiefe stürzt. Danach springt das Buch in die Gegenwart und der Leser lernt die Schwestern Pia, Nane und Birgit kennen. Die drei sind sehr verschieden: Pia führt ein gehobenes Leben an der Seite ihres wohlhabenden Manns, während Birgit das Kunst- und Antiquitätengeschäft der Eltern über die Runden bringt und Nane nach zwanzig Jahren frisch aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Schnell wird deutlich, dass zwischen Pia und Nane eine tiefe Kluft besteht. Nane sieht Pia als Konkurrentin, gegen die sie schon seit ihrer Kindheit rebelliert. Und Pia kann kaum glauben, dass Nane wirklich die Frechheit besitzt, auf dem Weingut aufzutauchen – vielleicht hat die Thomas nicht gerettet, indem sie den Notarzt gerufen hat, sondern ihn mit ihrem Auftauchen überhaupt erst zu Tode erschreckt? In der Nähe der Angehörigen ihres Opfers hat sie wirklich nichts zu suchen!

Langsam erhält der Leser erste Hinweise darauf, was vor zwanzig Jahren passiert ist und wen Nane umgebracht hat. Hier wird der Leser häppchenweise mit Informationen versorgt. Rückblenden ins Jahr 1998, die ähnlich viel Raum einnehmen wie die Handlung in der Gegenwart, nehmen den Leser mit in eine Zeit, in der das Verhältnis der drei Schwestern noch ein anderes war. Hier erfährt man viel darüber, welche Pläne sie damals hatten und wie sie darauf reagiert haben, dass manches anders kam als gedacht. Dabei holt die Geschichte weit aus und erzählt beispielsweise von Nanes Trennung von ihrem ersten Mann und Birgits verhängnisvoller Liebschaft.

Das Buch baut psychologische Spannung auf durch das schwierige Verhältnis der drei Schwestern, bei dem man sich fragt, was wirklich alles dahinter steckt. Aber auch andere Charaktere rücken zeitweise in den Fokus: Welche Rolle spielt Thomas? Wie weit wird Margot gehen, die seit ihrer Kindheit auf dem Weingut lebt und mit Pias Entscheidungen nicht einverstanden ist? Wird Pias Tochter in die Fußstapfen ihres Vaters treten? Und welche Informationen wird Thomas‘ Enkelin Sonja zusammentragen beim Versuch, ein Buch über ihren Vater zu schreiben?

Auf beiden Zeitschienen nähert man sich schließlich der verhängnisvollen Nacht, die alles verändert hat. Mir war das Tempo des Buches dabei zu ruhig. Das Offenlegen der einzelnen Puzzlestücke zog sich in die Länge und die Nebenhandlungen nehmen viel Raum ein und zögern die Auflösung hinaus. Schließlich offenbart sich ein komplexes Gefüge aus Verstrickungen, Fehlentscheidungen und Geheimnissen. Dabei war es für mich in Ordnung, dass mir kein einziger Charakter wirklich sympathisch wurde, denn die Geschichte lebt davon, dass niemand perfekt ist und sich anders hätte verhalten können. Wer Geschichten mag, die sich langsam entfalten und in denen stückweise neue Erkenntnisse gewonnen werden, für den ist diese Mischung aus Krimi und Familiendrama sicherlich interessant!

Freitag, 18. Januar 2019

[Rezension] Cat Person - Kristen Roupenian


 

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Cat Person
Autor: Kristen Roupenian
Übersetzer: Nella Beljan und Friederike Schilbach
Hardcover: 288 Seiten
Erscheinungsdatum: 18. Januar 2019
Verlag: Blumenbar (Aufbau)

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Die Studentin Margot lässt sich auf den deutlich älteren Robert ein, nachdem dieser sie bei ihrer Arbeit im Kino angeflirtet hat. In seinen Handynachrichten wirkt er locker und witzig, doch im echten Leben stellt er sich ungelenk an. Sie will sich unwiderstehlich fühlen, doch er stößt sie zunehmend ab, sodass sie ihn nach dem ersten Sex nicht wiedersehen will. Hätte Margot trotz ihrer Zweifel so weit gehen sollen? Was sagt Roberts Reaktion über ihn aus? Fragen wie diese löste „Cat Person“ bei mir aus, die Kurzgeschichte der Autorin, die einen viralen Hype auslöste.

Neben dieser sind elf weitere Storys im Buch enthalten. Da geht es zum Beispiel um einen Herzensbrecher, der eigentlich nur nett sein wollte. Ein Paar, das seinen Couchgast beim Sex lauschen lässt oder einem Tinder-Date mit masochistischen Vorlieben. Einem kleinen Mädchen, das sich etwas Böses wünscht. Einer Frau mit einer mysteriösen Hautkrankheit, der alle sagen, dass es psychisch bedingt ist. Einer anderen, die mithilfe eines Zauberspruchs einen Mann heraufbeschwört und entscheiden muss, was sie mit ihm macht. Und schließlich einer Frau, die beharrlich vom Gedanken verfolgt wird, ihren neuen nervigen Kollegen zu beißen.

Was mich an dieser Sammlung von Storys begeistert hat ist die thematische Vielfalt und vor allem das Geschick, mit dem es der Autorin gelingt, ganz besondere Gefühle zu beschreiben. Zum Beispiel den Reiz des Verbotenen; ein scheinbar unstillbares Verlangen; das Gefühl der Ohnmacht in Anbetracht eines nicht greifbaren Kontrahenten; das Verrennen in eine fixe Idee oder das Gefühl, aus Versehen in einer Beziehung gelandet zu sein und nicht zu wissen, wie man aus der Nummer elegant herauskommt.

Die Ausgangspunkte der Geschichten sind meist alltäglich und die anfänglichen Entwicklungen nicht allzu abwegig. Doch schließlich überschreitet die Autorin immer wieder bewusst Grenzen, sie holt den Leser mit verstörenden und dunklen Szenen aus seiner Komfortzone und bringt ins Nachdenken. Dabei enden die Geschichten oft im Dramatischen und teils Surrealen, andere mit einem Augenzwinkern.

Die Mehrheit der Storys hat ein recht klares Ende und jede von ihnen ist alles andere als langweilig. Mir haben manche Geschichten deutlich besser gefallen als andere und bei einigen war ich schlichtweg verwirrt und fragte mich, was genau das jetzt sein sollte. Aber immer wieder trafen die beschriebenen Szenen bei mir einen Nerv und resonierten. Die Autorin übertreibt oft bewusst und fängt dabei gleichzeitig die Lebensgefühle der Generation der Millennials ein. Aus meiner Sicht ist für jeden Leser etwas dabei und ich tippe darauf, dass jeder einen anderen Favoriten haben wird. Insgesamt eine wirklich gelungene Sammlung von Storys, die ich gerne weiterempfehle.

Mittwoch, 16. Januar 2019

Rezension: Den Himmel stürmen von Paolo Giordano


Titel: Den Himmel stürmen
Autor: Paolo Giordano
Übersetzer: Barbara Kleiner
Erscheinungsdatum: 09.10.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband (signiert)
ISBN: 9783498025335
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Paolo Giordano schreibt in seinem Roman „Den Himmel stürmen“ über vier Jugendliche, die beim Heranwachsen einen Weg suchen, im Einklang mit Mensch, Tier und Pflanzenwelt zu leben. Mit teilweise hohem körperlichem Einsatz und dem Wissen über Zusammenhänge in der Natur streben sie nach einem unabhängigen Leben, dem entsprechend dem Titel kaum Grenzen gesetzt scheinen. Die Erzählung beginnt im Jahr 1993 als die 14-jährige Protagonistin und Ich-Erzählerin Teresa Gasparro aus Turin/Italien wie in jedem Sommer ihre Ferien auf dem Anwesen ihrer Großmutter in Apulien verbringt. Als Leser konnte ich die Geschichte der vier Freunde über die kommenden Jahre bis 2015 verfolgen.

In einer lauen Sommernacht lernt Teresa die wenig älteren Jungen Nicola, Bern und Tommaso kennen, die auf dem benachbarten Hof wohnen. Bald schon ist Teresa jeden Tag zu Gast bei den Nachbarn, hilft bei der Arbeit und verbringt dort ihre Freizeit. Sie findet hier ein Leben vor, das sich um vieles von dem Stadtleben zu Hause in Turin unterscheidet. Die vier Jugendlichen werden untereinander so vertraut, dass auch die Schamgrenze fällt und sie unbeschwerte Nähe genießen. Zu Bern fühlt sie sich ein paar Jahre später ganz besonders hingezogen. Beide entwickeln mehr als freundschaftliche Gefühle füreinander, was von den anderen Brüdern mit unterschiedlichen Empfindungen aufgenommen wird. Vorbereitungen auf einen schulischen Abschluss und einen zukünftigen Beruf bringen große Veränderungen mit sich. Eine Trennung und ein Erbe werden in den kommenden Jahren für Teresa zum Schicksal, das sie wieder nach Apulien und zu den Freunden führen wird.

Obwohl es im Roman vier Protagonisten gibt, verweilt die Handlung bei Theresa als Ich-Erzählerin und durch ihre Nähe zu Bern widmet der Autor auch ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit. Erst aus der Retrospektive und einigen Gesprächen heraus ist es Teresa möglich von den Geheimnissen zu erfahren, die die Jungen untereinander geteilt oder auch für sich behalten haben. Ebenso haben ihre leiblichen beziehungsweise Pflegeeltern Heimlichkeiten vor ihren Söhnen gehabt. Vieles davon erfährt Teresa von Tommaso, dem jüngsten der Brüder im ersten von drei Teilen des Romans. In diesem ersten Teil beschreibt die Ich-Erzählerin die Sommer ihrer Kindheit in Apulien. Danach erfolgt ein Sprung an das Ende der Geschichte, was mir als Leser aber zunächst nicht bewusst war. Teresa hat Tommaso einen Gefallen erwiesen und erfährt im Gegenzuge einen Teil der Geschichte aus seiner Sicht. Erst hierdurch wird die tiefe Beziehung der Jungen untereinander nicht nur für Teresa sicht- und spürbar. Im zweiten und dritten Teil geschehen sehr viele unvorhersehbare Ereignisse und es treten Wendungen auf, die mich in ihren Bann zogen. Durch immer mehr Details werden zum Schluss des Buchs die aufgeworfenen Fragen beantwortet.

Vom Leben der Familie auf dem Nachbarhof war Teresa von Beginn an fasziniert, weil es in starkem Kontrast zu ihrem eigenen städtischen in Turin stand. Zu dem Verstandesmenschen Bern, der dazu aber tief in seinem Glauben verwurzelt ist, fühlt sie sich in besonderem Maße hingezogen. Er ist es, der damit beginnt, die Dinge zu hinterfragen, der seine Skepsis äußert und erwägt seine Grenzen auszuloten. Bern hat nie, wie die beiden anderen Jungen, einen Grund gehabt den Hof zu verlassen, für ihn öffnet sich durch die Literatur eine eigene Welt, die er sich vorgestellt hat und selbst erkunden möchte. Zunächst befriedigen ihn jedoch der Wissenserwerb und seine Liebe zu Teresa. Als es zu einem Bruch in der Beziehung kommt, nimmt er wie zum Trost und aus Trotz sein Ziel der Selbstverwirklichung wieder auf.

Der Autor besitzt einen Schreibstil, der die Figuren und die Welt in der sie leben dem Leser sehr nahe bringt. Ich glaubte die Hitze zu spüren und den Schweiß der erhitzten Gemüter im Einsatz für eine gemeinsame Sache. Durch den fehlenden Schulbesuch war es nicht immer einfach für die Brüder sich im Alltag außerhalb der geschützten Umgebung zurechtzukommen. Schnell konnten sie für Sachen begeistert werden. Die gesetzten Ziele wurden jedoch immer größer und die Mittel zu ihrer Umsetzung immer radikaler, der Himmel erschien greifbar. Aus dem gemeinsamen Schaffen kristallisiert jeder sich mit seinen Stärken als Individualist. Es gelingt Paolo Giordiano diese Entwicklung nachvollziehbar darzustellen. Dabei schneidet der Autor viele Themen an, die er ohne zu werten darstellt. Der Roman führt für Bern am Ende zu einem Fiasko, doch mit einem geschickt gesetzten weiteren Ereignis ließ der Autor mich als Leser mit einem kleinen Funken Freude zurück.

Im Buch „Den Himmel stürmen“ überzeugt Paolo Giordano mit gut ausformulierten, interessanten Charakteren und vielen ereignisreichen unerwarteten Wendungen in einer Geschichte über die Schattierungen von Freundschaft und Liebe, die vielschichtig dargestellt wird. Mich hat der Roman überzeugt und daher empfehle ich ihn gerne weiter.

Mittwoch, 9. Januar 2019

Rezension: Die Wahrheit über das Lügen von Benedict Wells


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Wahrheit über das Lügen - Zehn Geschichten"
Autor: Benedict Wells
Erscheinungsdatum: 29.08.2018
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257070309
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„Die Wahrheit über das Lügen“ ist ein Erzählband mit zehn Geschichten von Bendict Wells. Die Erzählungen sind im Zeitraum 2008 bis 2018 entstanden und sehr unterschiedlich. Hier findet sich beispielsweise ein Wanderer mit einer besonderen Ambition, ein rückblickender Internatsschüler, eine verliebte Schriftstellerin, zwei zum Duell verpflichtete Tischtennisspieler, sprechende Bücher und in der längsten Geschichte des Buchs ein zeitreisender Filmemacher. Wie man dem kurzen Überblick bereits entnehmen kann, bindet der Autor einige Male fantastische Elemente ein, die seine jeweilige Schilderung beleben und ihr eine ganz eigene Wendung geben.

Zwei der Erzählungen sind beim Schreiben des Bestsellers „Vom Ende der Einsamkeit“ entstanden. Wer das Buch gelesen hat, wird erfreut sein, denn die Geschichten erweitern den Roman, alle anderen können die Storys aber auch ohne Vorkenntnisse mit Vergnügen lesen. Im Buch ist eine titelgebende Erzählung enthalten, in der der Protagonist sein Leben auf einer Lüge aufgebaut hat und bei einem Interview die Gelegenheit erhält, die Wahrheit zu sagen.

Obwohl die Erzählungen sehr verschieden sind, mal nachdenklich stimmend, mal erheiternd, findet sich häufig die Freiheit zur Selbstbestimmung des Einzelnen als Element wieder. Entsprechend der Erfahrungen, die eine Person in ihrem Leben macht, trifft sie ihre Entscheidungen und trägt die Folgen daraus. Manche Unkenntnis von Fakten bringt es mit sich, dass sie sich für unerwünschte Auswirkungen verantwortlich fühlt. Die Schwierigkeit besteht in der Akzeptanz des Sachverhalts und der daraus resultierenden Gefühle. Mit diesem Umstand spielt Benedict Wells in seinen Geschichten. Es ist genau das, was seine einzigartigen Figuren ausmacht. In einigen Storys spiegeln sich auch seine eigenen Lebenserfahrungen, außerdem ist er ein sehr guter Beobachter und bringt seine Betrachtungen gekonnt in einen passenden Kontext.

Benedict Wells gestaltet Situationen auf eine ganz besondere Weise, die durch geschickt gesetzte Komponenten einen überraschenden Fortgang finden. Die Zusammenstellung der Erzählungen in „Die Wahrheit über das Lügen“ ruft eine breite Palette von Gefühlen beim Lesen ab, vom Bedauern über Spannung zu Freude. Jede der Geschichten ist so bemerkenswert, dass sie im Gedächtnis bleibt. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Dienstag, 8. Januar 2019

Rezension: Vergiss kein einziges Wort von Dörthe Binkert


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Vergiss kein einziges Wort
Autorin: Dörthe Binkert
Erscheinungsdatum: 21.09.2018
Verlag: dtv (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783423289641
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„Vergiss kein einziges Wort“ von Dörthe Binkert ist eine Reise in die Vergangenheit Oberschlesiens in Romanform. Eingebunden in die Handlung sind die fiktiven Geschehnisse rund um die Familie von Carl Strebel und deren Nachbarn in der Gleiwitzer Paulstraße. Die Handlung beginnt im Jahr 1921 und reicht bis zum Jahr 1966. Ein kurzer Epilog spielt dagegen im Jahr 2004 und führt einen noch offenen Faden zum Ende. Zur weiteren Orientierung findet sich im Anhang eine Zeittafel mit historischen Ereignissen, die dem interessierten Leser weitere Fakten bietet, um die Erzählung in den weltgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen.

Die 40-jährige Martha Strebel, Ehefrau von Carl, hält 1921 mit ihrer Tochter Louise ihr siebtes Kind im Arm. Ihr Ältester, Konrad, ist bereits 21 Jahre alt und in einer festen Beziehung, einer ihrer Söhne ist schon als Säugling verstorben. Die Familie wohnt in einem Mietshaus, in dem nur staatlich Bedienstete wohnen. Gleitwitz ist zu dieser Zeit deutsches Staatsgebiet. Konrad wird schon bald eine Polin heiraten, Heinrich wird sich für die NSDAP begeistern, seine älteste Schwester Ida zieht es nach Breslau, wohin ihre Schwester Klara ihr folgen wird. Hedwig wird sich unglücklich verlieben und Louise wird nach einem Fehltritt schwanger.

Dörthe Binkert erzählt auch über Schwager und Schwägerinnen, Freunde und Bekannte der Familie, deren Lebensgeschichten häufig verknüpft sind mit der wechselvollen Geschichte des Landstrichs. Ihre Romanfiguren sind Deutsche, Polen und Russen je nach politischer Lage und doch sind sie alle stets Schlesier.

Louise wird in einer unruhigen Zeit geboren, in der polnische Bürger mit Aufständen um die Angliederung von Schlesien an ihre Republik kämpfen. Obwohl die Menge der handelnden Personen durch Verzweigungen im Roman ständig steigt, lassen sich die Erzählstränge problemlos nachhalten. Hilfreich dabei ist ein Personenverzeichnis zu Beginn des Buchs. Der Autorin gelingt es mühelos, Fiktion lebendig werden zu lassen. Dank ihrer sehr guten Recherche und einem hervorragend darstellenden Schreibstil wirken nicht nur ihre Charaktere real sondern auch deren Lebensweg. Schon zu Beginn verdeutlicht Dörthe Binkert Aspekte der politischen Situation in Oberschlesien anhand der unterschiedlichen Einstellungen ihrer Figuren. Sie stellt auch im Folgenden vorurteilsfrei die Lage anhand verschiedener Meinungen dar. Auf diese Weise konnte ich mich gut in die Charaktere und die Situationen einfühlen. Die Schicksale, die die Autorin schildert, sind bewegend und berühren. Sie wirken dank der gut ausformulierten Figuren authentisch. Glück, Leid, Erfolge und Enttäuschungen konnte ich an ihrer Seite erleben.

Die Geschichte von Schlesien war seit langem wechselhaft, doch gerade im Mittelteil, in der stürmischen Zeit des Zweiten Weltkriegs, zeigt Dörthe Binkert eine beeindruckende Stärke in der Erzählung und konnte mich hier besonders fesseln. Es wird deutlich wie der Einzelne zum Spielball der Politik werden kann. Es bestehen für ihn wenige Möglichkeiten, seine Heimat so zu definieren als Ort, an dem man sich wohlfühlt im Kreis seiner Lieben. Denn eine Staatsangehörigkeit ist für die Politiktreibenden wichtig und definiert damit gleichzeitig den Anspruch des Bürgers auf Wohnraum, Arbeit, Lebensmittel und Gebrauchsgütern. Die die Schlesier sind auch heute noch viele Menschen auf der Flucht aufgrund der politischen Lage in ihrem Staat. Wer den Roman gelesen hat, kann sich vielleicht besser in deren Situation hineindenken. Ich halte den Roman für sehr lesenswert und empfehle ihn gerne weiter.

Montag, 7. Januar 2019

Rezension: Das Haus der Malerin von Judith Lennox


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Das Haus der Malerin
Autorin: Judith Lennox
Übersetzerin: Mechtild Ciletti
Erscheinungsdatum: 02.11.2018
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783866124059
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„Das Haus der Malerin“ im gleichnamigen Roman von Judith Lennox ist ein Gebäude, das der Vater der Künstlerin Sadie Lawless Ende der 1920ern in den Wäldern südlich von London erbaut hat, nicht lange bevor er mit seiner Frau bei einem Unfall ums Leben kommt. Im Jahr 1970 wird Rose Martineau von ihrer verstorbenen Großmutter Edith Fuller mit dem Haus beerbt. Rose ist erstaunt, denn bisher wusste sie nicht, dass Edith eine jüngere Schwester hatte und sie fragt sich, ob ihre Großtante noch lebt. Während sie die Hinterlassenschaft nach Briefen, Fotos und Hinweisen durchsucht, wird sie durch ihren Ehemann in einen Presseskandal hineingezogen, der zur Bewährungsprobe für ihre Ehe wird.

Judith Lennox hat mit Sadie und Rose zwei Frauenfiguren geschaffen, die eine starke eigene Persönlichkeit haben und sich im Leben bewähren müssen, um zu sich selbst zu verwirklichen. Dabei haben sie mit Hindernissen zu kämpfen, die zunächst unüberbrückbar erscheinen. Während sich Sadie als alleinstehende Künstlerin einen Namen machen möchte, sucht Rose nach einer Möglichkeit Arbeit und Muttersein zu verbinden. Der Autorin gelingt es, zwei beeindruckende Lebenswege über einen kürzeren Zeitraum aufzuzeigen und geschickt miteinander zu verknüpfen. Dennoch empfand ich die Ursache für den Verbleib von Sadie als überspitzt und ich mochte nicht so recht daran glauben, dass es Rose so einfach möglich war, sich in ihrer neuen beruflichen Rolle zu behaupten.

Während Rose schnell meine Sympathie gewinnen konnte, blieb Sadie mir als Figur wenig greifbar. Es gelang mir kaum, mich in ihre Welt hineinzudenken und ihr Tun nachzuvollziehen. Die abwechslungsreich gestalteten Charaktere durchleben Liebe, Trauer, Hass und Missgunst. Die Autorin schreibt in einem leicht lesbaren Schreibstil. Sie versteht es, durch unerwartete Wendungen ihre Geschichte ansprechend zu gestalten und das Leserinteresse aufrecht zu erhalten. Ich habe den Roman aufgrund seines Unterhaltungswerts gerne gelesen.

Donnerstag, 3. Januar 2019

[Rezension] Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Vom Ende der Einsamkeit
Autor: Benedict Wells
Erscheinungsdatum: 24.02.2016
Verlag: Diogenes
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9783257069587
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Im Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ erzählt Benedict Wells die Geschichte von Jules und Alva. Ich begegnete dem Ich-Erzähler Jules bereits auf der ersten Seite und erfuhr von ihm, dass er einen Motorradunfall überlebt hat. Schon auf den wenigen Seiten des Prologs stellte Jules die immer wieder aufgeworfene Frage im Roman nach dem, wodurch wir und unser Leben geprägt werden. Wieviel Anteil daran hat die Umwelt, wieviel davon ist uns als Anlage mitgegeben?

Die Gedanken von Jules wandern zurück zu seinen Eltern die er durch ein Unglück verloren hat als er zehn Jahre alt war. Seine beiden älteren Geschwister und er besuchen danach ein Internat. Dort begegnet Jules der gleichaltrigen Alva, die allerdings vor Ort bei ihrer Familie wohnt und für ihn zu einer wichtigen Bezugsperson wird. Es war für mich bewegend mitzuerleben, wie das Vertrauen der beiden zueinander sich entwickelt. Um selbst im Leben zurechtzukommen erinnert Jules sich häufiger an das Verhalten seiner Eltern in bestimmten Situationen. Er sucht nach Rechtfertigungen dafür, denn er möchte die Handlungsweisen nicht unreflektiert als Basis für sein eigenes Tun übernehmen.

Jules, sein Bruder Marty und seine Schwester Liz haben ihre eigenen Vorlieben, Eigenschaften, Fähigkeiten und Vorstellungen von einer beruflichen Zukunft. Mehrfach zeigt der Autor auf unterschiedliche Art wie wichtig es ist, füreinander da zu sein. Benedict Wells macht deutlich, dass die Suche nach dem „Ende der Einsamkeit“ des Protagonisten entsprechend des Titels, keine Frage nach der Quantität, sondern eine nach der Qualität des Zusammenseins ist.

Der Autor schafft es, seinem Roman von Beginn an eine Faszination unter anderem dadurch beizugeben, dass er viele Dinge nur andeutet. Der Ich-Erzähler ließ mich als Leser hier und da einen Blick auf tiefgründigere Schichten werfen. Ich wünschte mir, baldmöglichst die entstandenen Lücken beim Lesen auszufüllen und wurde immer mehr in die Geschichte hineingesogen.

Der Roman ist ein Plädoyer dafür, den Augenblick bewusst zu leben und die guten Momente zu genießen. Benedict Wells versteht es, die Hoffnung darauf, den schlechten Seiten des Lebens aus eigener Kraft und eigenem Willen ausweichen zu können, immer wieder zu wecken. Doch das Erkennen der Unmöglichkeit dieses Tuns ist genauso erschreckend wie der Verlauf der Geschichte, die noch lange im Gedächtnis bleibt.

Dienstag, 1. Januar 2019

[Rezension] Die Prophezeiung der Giraffe von Judith Pinnow


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Prophezeiung der Giraffe
Autorin: Judith Pinnow
Erscheinungsdatum: 26.09.2018
rezensierter Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag)
ISBN: 9783810530608
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Im Roman „Die Prophezeiung der Giraffe“ von Judith Pinnow ist das Erscheinen der Titelfigur im Vorgarten der Protagonistin Hanna der Beginn einer langen Reihe sehr seltsamer Vorfälle. Nachdem Hanna einen bestimmten Brief erhalten hat stellt sich heraus, dass das Wildtier vielleicht als Prophet für eine wichtige Angelegenheit im Leben der Singlefrau gelten kann. Die Lackfolie in der Umschlaggestaltung glitzert beim Drehen des Buchs und vermittelt so auch den Touch eines ganz besonderen Zaubers, der über der ganzen Geschichte liegt.

Hanna ist 40 Jahre alt, Grundschullehrerin und wohnt im Haus ihrer vor zehn Jahren verstorbenen Mutter. Ihr Vater ist schon ausgezogen, als sie noch ein Kind war. Sie ist mollig, liebt schaukeln im Garten und fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. An einem Dienstag kurz vor den Sommerferien bemerkt Hanna, dass vor dem alten, im Garten abgestellten Wohnwagen eine häkelnde Frau Platz genommen hat und offenbar dort wohnt. Wenig später wird sie von ihrer Nachbarin informiert, dass eine Giraffe in ihrem Vorgarten steht. Es geschehen noch eine Reihe sehr merkwürdiger Dinge in den folgenden Tagen. Hanna stellt sich gemeinsam mit ihrer Freundin die Frage nach der Bedeutung der Ereignisse. Nachdem sie mit ihrem Bruder gesprochen hat, hat sie eine Vermutung, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Zukunft steht.

Schon in den ersten Sätzen des Romans findet Hannas Mutter Erwähnung und mit der Zeit begriff ich als Leser, dass Hanna ihr Leben auch so lange Zeit nach deren Tod immer noch in deren Sinne ausrichtet. Sie hat ihre Arbeit, eine beste Freundin, ein Haus mit Garten und bestimmte Vorlieben und Rituale die ihr genügend Halt geben. Konfrontationen vermeidet sie gern. Schon viel zu lange ist sie in keiner Beziehung mehr, doch sie räumt sich wenige Gelegenheiten ein, ihren Status zu ändern. Erst die ungewöhnlichen Ereignisse, der Brief und das Erscheinen ihres Vaters bringen Hanna dazu, an längst vergessenes Verhalten ihrer Mutter in der Vergangenheit zu denken. Dadurch wird es ihr endlich möglich, gewisse Dinge aus einer anderen Sicht zu sehen, sich für Neues zu öffnen und zu mehr Selbstvertrauen zu finden. Die Autorin ließ mich als Leser an dieser Veränderung teilnehmen. Leider zieht sich die Geschichte im mittleren Teil während der Suche nach einem Freund.

Hanna ist ein Charakter mit Ecken und Kanten, die unverhofft mit ungewöhnlichen Begebenheiten konfrontiert wird. Durch die kreativen Einfälle von Judith Pinnow erhalten die Probleme von Hanna eine gewisse Leichtigkeit, sehr zum Amüsement des Lesers. „Die Prophezeiung der Giraffe“ ist ein unterhaltsamer Roman für Leser, die sich ihren Sinn für märchenhafte Fantasie behalten haben, gerne empfehle ich ihnen das Buch weiter.