Titel: Den Himmel stürmen
Autor: Paolo Giordano
Übersetzer: Barbara Kleiner
Erscheinungsdatum: 09.10.2018
Verlag: Rowohlt (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband (signiert)
ISBN: 9783498025335
----------------------------------------------------------------------------------------------------------
Paolo Giordano schreibt in seinem Roman „Den Himmel stürmen“
über vier Jugendliche, die beim Heranwachsen einen Weg suchen, im Einklang mit
Mensch, Tier und Pflanzenwelt zu leben. Mit teilweise hohem körperlichem
Einsatz und dem Wissen über Zusammenhänge in der Natur streben sie nach einem
unabhängigen Leben, dem entsprechend dem Titel kaum Grenzen gesetzt scheinen. Die
Erzählung beginnt im Jahr 1993 als die 14-jährige Protagonistin und
Ich-Erzählerin Teresa Gasparro aus Turin/Italien wie in jedem Sommer ihre
Ferien auf dem Anwesen ihrer Großmutter in Apulien verbringt. Als Leser konnte
ich die Geschichte der vier Freunde über die kommenden Jahre bis 2015
verfolgen.
In einer lauen Sommernacht lernt Teresa die wenig älteren
Jungen Nicola, Bern und Tommaso kennen, die auf dem benachbarten Hof wohnen.
Bald schon ist Teresa jeden Tag zu Gast bei den Nachbarn, hilft bei der Arbeit
und verbringt dort ihre Freizeit. Sie findet hier ein Leben vor, das sich um
vieles von dem Stadtleben zu Hause in Turin unterscheidet. Die vier
Jugendlichen werden untereinander so vertraut, dass auch die Schamgrenze fällt
und sie unbeschwerte Nähe genießen. Zu Bern fühlt sie sich ein paar Jahre
später ganz besonders hingezogen. Beide entwickeln mehr als freundschaftliche
Gefühle füreinander, was von den anderen Brüdern mit unterschiedlichen
Empfindungen aufgenommen wird. Vorbereitungen auf einen schulischen Abschluss
und einen zukünftigen Beruf bringen große Veränderungen mit sich. Eine Trennung
und ein Erbe werden in den kommenden Jahren für Teresa zum Schicksal, das sie
wieder nach Apulien und zu den Freunden führen wird.
Obwohl es im Roman vier Protagonisten gibt, verweilt die
Handlung bei Theresa als Ich-Erzählerin und durch ihre Nähe zu Bern widmet der
Autor auch ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit. Erst aus der Retrospektive und
einigen Gesprächen heraus ist es Teresa möglich von den Geheimnissen zu erfahren,
die die Jungen untereinander geteilt oder auch für sich behalten haben. Ebenso
haben ihre leiblichen beziehungsweise Pflegeeltern Heimlichkeiten vor ihren
Söhnen gehabt. Vieles davon erfährt Teresa von Tommaso, dem jüngsten der Brüder
im ersten von drei Teilen des Romans. In diesem ersten Teil beschreibt die
Ich-Erzählerin die Sommer ihrer Kindheit in Apulien. Danach erfolgt ein Sprung
an das Ende der Geschichte, was mir als Leser aber zunächst nicht bewusst war.
Teresa hat Tommaso einen Gefallen erwiesen und erfährt im Gegenzuge einen Teil
der Geschichte aus seiner Sicht. Erst hierdurch wird die tiefe Beziehung der Jungen
untereinander nicht nur für Teresa sicht- und spürbar. Im zweiten und dritten
Teil geschehen sehr viele unvorhersehbare Ereignisse und es treten Wendungen
auf, die mich in ihren Bann zogen. Durch immer mehr Details werden zum Schluss
des Buchs die aufgeworfenen Fragen beantwortet.
Vom Leben der Familie auf dem Nachbarhof war Teresa von
Beginn an fasziniert, weil es in starkem Kontrast zu ihrem eigenen städtischen
in Turin stand. Zu dem Verstandesmenschen Bern, der dazu aber tief in seinem
Glauben verwurzelt ist, fühlt sie sich in besonderem Maße hingezogen. Er ist es,
der damit beginnt, die Dinge zu hinterfragen, der seine Skepsis äußert und erwägt
seine Grenzen auszuloten. Bern hat nie, wie die beiden anderen Jungen, einen
Grund gehabt den Hof zu verlassen, für ihn öffnet sich durch die Literatur eine
eigene Welt, die er sich vorgestellt hat und selbst erkunden möchte. Zunächst befriedigen
ihn jedoch der Wissenserwerb und seine Liebe zu Teresa. Als es zu einem Bruch
in der Beziehung kommt, nimmt er wie zum Trost und aus Trotz sein Ziel der
Selbstverwirklichung wieder auf.
Der Autor besitzt einen Schreibstil, der die Figuren und die
Welt in der sie leben dem Leser sehr nahe bringt. Ich glaubte die Hitze zu spüren
und den Schweiß der erhitzten Gemüter im Einsatz für eine gemeinsame Sache. Durch
den fehlenden Schulbesuch war es nicht immer einfach für die Brüder sich im
Alltag außerhalb der geschützten Umgebung zurechtzukommen. Schnell konnten sie
für Sachen begeistert werden. Die gesetzten Ziele wurden jedoch immer größer
und die Mittel zu ihrer Umsetzung immer radikaler, der Himmel erschien greifbar.
Aus dem gemeinsamen Schaffen kristallisiert jeder sich mit seinen Stärken als
Individualist. Es gelingt Paolo Giordiano diese Entwicklung nachvollziehbar
darzustellen. Dabei schneidet der Autor viele Themen an, die er ohne zu werten
darstellt. Der Roman führt für Bern am Ende zu einem Fiasko, doch mit einem geschickt
gesetzten weiteren Ereignis ließ der Autor mich als Leser mit einem kleinen Funken
Freude zurück.
Im Buch „Den Himmel stürmen“ überzeugt Paolo Giordano mit
gut ausformulierten, interessanten Charakteren und vielen ereignisreichen
unerwarteten Wendungen in einer Geschichte über die Schattierungen von Freundschaft
und Liebe, die vielschichtig dargestellt wird. Mich hat der Roman überzeugt und
daher empfehle ich ihn gerne weiter.