Rezension von Ingrid Eßer
*Werbung*
Titel: Rheinblick
Autorin: Brigitte Glaser
Erscheinungsdatum: 22.02.2019
Verlag: Ullstein
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
-------------------------------------------------------------------------------------------
Der Roman „Rheinblick“ von Brigitte Glaser brachte mich handlungsmäßig
nach Bonn in das Jahr 1972. Sonja und Hilde, die Protagonistinnen der
Geschichte, genießen gerne den Blick über den Rhein auf den Drachenfels im
Siebengebirge, wie er auf dem Cover zu sehen ist. Ich war auch schon mehrfach
hier zu Besuch, weil ich die Gegend sehr mag.
Die 23-jährige Logopädin Sonja Engel wohnt in einer
Wohngemeinschaft mit den Studenten Kurt, Max und Tine. Im November 1972 wird
ein zunächst geheimnisvoller Politiker eingeliefert, den sie nach einer
Stimmband-OP betreuen soll. Es ist der gerade neu gewählte Kanzler Willy Brandt
ist. Es stellt sich die Frage, ob er für eine Weile ohne Stimme seine Geschäfte
in seinem Sinne fortführen kann oder ob es vielleicht Parteigenossen gelingen
wird, sich einen Teil seiner Macht zu eigen zu machen.
Unterdessen herrscht das alltagsübliche Treiben in der
Gaststätte „Rheinblick“ von Hilde Kessel. Nach dem Tod ihres Ehemanns vor zwei
Jahren führt sie das Lokal alleine weiter. Hier treffen sich Politiker aller Couleur,
deren Mitarbeiter und viele Bonner Bürger zum Essen, auf ein Kölsch und zum
Gedankenaustausch. Hilde hat sich als diskret erwiesen und wird von manchem
Gast ins Vertrauen gezogen. Doch jetzt findet sie sich in einem politischen
Intrigenspiel um Postengerangel im Kanzleramt wieder.
Brigitte Glaser schafft es, ein realistisches Bild der
Geschehnisse zur Kanzleiwahl und den darauffolgenden Tagen im November 1972 entstehen
zu lassen. Neben den historisch verbrieften Persönlichkeiten, wie
beispielsweise Brandt, Schmidt, Bahr und Wehner lässt sie auch fiktive Figuren
agieren, die ihre eigenen Ecken und Kanten haben. Sonja und Hilde blicken
manchmal auf die vergangenen Jahre zurück und haben sich aus ihren Erfahrungen
heraus weiterentwickelt. Jedoch wird auf dem politischen Parkett nach wie vor
integriert, gehasst und gegeneinander ausgespielt. Die beiden Frauen sind auf
ihre Weise damit verknüpft und obwohl das Ränkespiel ihnen bewusst ist, besteht
die Schwierigkeit nicht nur darin, unbehelligt aus einer solchen Situation
herauszufinden sondern vor allem erscheint es nahezu unmöglich, sich davon fernzuhalten.
Neben der Darstellung der politischen Lage schreibt die
Autorin auch über erste Erfolge der Emanzipation von Frauen und über deren
Ansehen in der Gesellschaft. Sie schildert das Zusammenleben in einer
Wohngemeinschaft und das studentische Leben. Neben der Hoffnung auf Genesung
des Kanzlers bindet sie eine zarte Liebesgeschichte in den Roman ein und lässt
in einer Nebenhandlung einen Mord aufklären der verbunden ist mit dem düsteren
Kapitel der Misshandlung von Kindern in Heimen. Ebenso trägt ein kurzer
Einblick in den Journalismus einer Zeitschrift zur abwechslungsreich ausgestalteten
Erzählung des Romans.
Im Anhang findet sich ein Soundtrack, denn die Geschichte
wird von Brigitte Glaser mit entsprechender Musik, die damals gehört wurde,
unterlegt und viele werden sich beim Lesen an die Lieder erinnern. Anhand einer
Literaturliste findet der Leser passende Lektüre über die damaligen Politiker
und ihre Zeit, in einem Glossar sind die wichtigste Begriffe aus Wirtschaft und
Politik erklärt sowie biografische Daten berühmter Staatsmänner aufgeführt.
„Rheinblick“ ist eine anschauliche Lektüre über ein wenig
bekanntes Kapitel der deutschen Geschichte, nämlich der Stimmbanderkrankung von
Willy Brandt unmittelbar an seine Kanzlerwahl 1972. Brigitte Glaser lässt die
Ereignisse gekonnt authentisch präsent werden und baut nebenher noch durch die
Handlungen eine gewisse Spannung auf und hält sie bis zum Schluss. Ich wurde
von dem Roman bestens unterhalten und empfehle ihn gerne weiter.