Montag, 29. April 2019

[Rezension] Der blutrote Teppich - Christof Weigold


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Der blutrote Teppich
Autor: Christof Weigold
Broschiert: 640 Seiten
Erscheinungsdatum: 11. April 2019
Verlag: Kiepenheuer & Witsch

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Nach dem Skandal und den weitreichenden Ereignissen rund um die Ermordung der Hollywood-Schauspielerin Virginia Rappe hat sich Hardy Engel abgeschottet und lebt zurückgezogen in seiner kleinen Wohnung. Doch ewig kann es so nicht weitergehen, Rechnungen wollen bezahlt werden. Wieder als Schauspieler zu arbeiten kommt für ihn nicht in Frage, aber auch an einem erneuten Einsatz als Privatdetektiv hat er wenig Interesse. Bis sich ausgerechnet William Desmond Taylor, einer der erfolgreichsten Regisseure Hollywoods, bei ihm meldet. Hardy soll für ihn die Schauspielerin Mabel Normand beschatten, die sich scheinbar mit den falschen Leuten eingelassen hat. Die Bezahlung ist gut, also sagt Hardy zu. Doch als er nach einer unspektakulären Nacht vor dem Haus der Schauspielerin seinen Auftraggeber aufsuchen will, findet er dessen Leiche und steht selbst unter Mordverdacht…

Nachdem mir der erste Fall für Hardy Engel im letzten Jahr sehr gefallen hat, freute ich mich darauf, erneut ins historische Hollywood einzutauchen. Das Buch beginnt einige Monate nach den Ereignissen des ersten Bandes. Hardy hat in dieser Zeit seine Wohnung kaum verlassen und dem Whiskey zugesprochen. Doch sowohl für seine Bleibe als auch für den Alkohol geht ihm nun das Geld aus. Als ihm wenige Seiten später der berühmte Regisseur Taylor einen lukrativen Auftrag anbietet, nimmt er ihn deshalb an. Für fünfzig Dollar eine Schauspielerin eine einzige Nacht lang zu observieren klingt nach schnell verdientem Geld.

Schnell kommt Spannung in die Handlung, denn der Auftrag ist zwar einfach, aber am nächsten Morgen findet Hardy seinen Auftraggeber tot in dessen Haus. Dort findet ihn der Butler und hält ihn für den Mörder, was auch die Polizei nicht allzu abwegig findet. So hat Hardy schnell ein Eigeninteresse, den Fall zu lösen. Gewieft wie er ist sorgt er dafür, dass er für die Suche nach dem echten Mörder trotzdem bezahlt wird.

Dass Hollywood eine Löwengrube ist, in der Korruption und Vertuschung höchst aktiv betrieben werden, hat man bereits im ersten Band erleben dürfen. Auch hier gibt es wieder zahlreiche Personen, die bemüht darum sind, dass ihr Geheimnis nicht an die Öffentlichkeit gerät. Doch wem kann man vertrauen, wenn jeder bestechlich zu sein scheint? Hardy agiert mit Bedacht und findet zahlreiche Hinweise, denen es sich nachzugehen lohnt. Dabei kooperiert er mit der Regisseurin Polly, die von Taylors Studio beauftragt wurde, Nachforschungen anzustellen. Mir hat die taffe junge Frau, die Hardy die Stirn bietet, auf eigene Faust wichtige Erkenntnisse gewinnt und nicht jedes Geheimnis gleich mit ihm teilt, gut gefallen.

Die Geschichte wird in zügigem Tempo erzählt und es bleibt spannend, da immer wieder neue Dinge ans Licht kommen und es so manche unerwartete Wendung gibt. Das alles passiert vor der großartigen Kulisse Hollywoods der 20er Jahre, welches durch die Beschreibungen des Autors lebendig wird. Man begegnet mächtigen Studiobossen, eigenwilligen Schauspieler und denen, die im Hintergrund die Strippen ziehen. Dieser Band ist noch dramatischer und erstaunlicher als sein Vorgänger und hat mich begeistern können. Ich gebe eine ganz klare Leseempfehlung!

Freitag, 26. April 2019

[Rezension] Der Wind nimmt uns mit - Katharina Herzog

 

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Der Wind nimmt uns mit
Autorin: Katharina Herzog
Broschiert: 384 Seiten
Erscheinungsdatum: 16. April 2019
Verlag: Rowohlt Polaris

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Maya gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Reisebloggern. Seit mehreren Jahren reist die 32-jährige dank verschiedener Sponsoren um die ganze Welt. Nur einen Ort meidet sie: Die Kanareninsel La Gomera. Denn dort wohnt Karoline, die ihr lange verheimlicht hat, dass sie nicht ihre leibliche Mutter ist. Nach einem One Night Stand in Taiwan stellt Maya schließlich fest, dass sie schwanger ist. Die nächsten Schritte möchte sie gern mit dem Vater besprechen, doch der ist natürlich längst weitergereist. Schließlich findet sich eine Spur von ihm, und die führt ausgerechnet nach La Gomera…

Zweimal ist eine Wiederholung – dreimal eine Tradition! „Der Wind nimmt uns mit“ ist nun der dritte bei Rowohlt erschienene Roman der Autorin, mit dem ich mir den Sommer herbeilese. Diesmal steht die Bloggerin Maya in Zentrum der Geschichte. Sie ist immer auf Achse und hat schon zahlreiche Orte auf der ganzen Welt gesehen. An jemanden binden möchte sie sich nicht. Vor allem die einst wichtigste Person in ihrem Leben, ihre Adoptivmutter Karoline, möchte sie nie wiedersehen.

Vor ein paar Jahren hat Maya eher zufällig herausgefunden, dass sie adoptiert ist. Sie kann Karoline nicht verzeihen, ihr die Wahrheit vorenthalten zu haben, denn so hatte sie nie eine Chance, nach ihren leiblichen Eltern zu suchen. Das alles hat sie tief in sich begraben und steckt all ihre Energie ins Reisen, bis ihre ungeplante Schwangerschaft ihre Pläne über den Haufen wirft. Das sie das Kind nicht austragen wird, ist für sie klar. Doch sie will die Entscheidung nicht in die Tat umsetzen, bevor sie noch einmal mit Tobi, dem Vater, gesprochen hat. Dank eines konkreten Hinweises auf ihn ist Maya deshalb nach wenigen Kapiteln auf dem Weg nach La Gomera, dem Ort also, den sie unbedingt meiden wollte.

Dank des einfühlsamen Schreibstils konnte ich mich gut in Maya und ihre Träume und Sorgen hineinversetzen. Sie möchte das ganze Thema schnellstmöglich hinter sich bringen und ihre nächsten Reisen antreten. Doch diverse Umstände sorgen dafür, dass sie doch ein paar Tage auf La Gomera bleibt und einige Inselbewohner näher kennenlernt. Die meisten sind offen, ein wenig schrullig und hippiemäßig, andere legen eine gewisse Zurückhaltung an den Tag. Mir hat es Spaß gemacht, an Mayas Seite Land und Leute kennenzulernen.

Immer wieder springt die Geschichte in die Vergangenheit, wo man mehr darüber erfährt, warum Mayas Adoptivmutter Karoline heute auf der Insel lebt. Dieser Handlungsstrang ist voller Sehnsucht und Liebe. Aber hält er auch auf Antworten auf die Frage bereit, warum Karoline Maya nie etwas über die Adoption erzählt hat?

In der Gegenwart ist Maya im Nu Teil des Insellebens und geht verschiedenen Spuren nach. Dadurch beschäftigt sie sich zwangsläufig mit sich selbst und kommt ins Nachdenken in Bezug auf ganz verschiedene Dinge. Insgesamt ist der Ton der Geschichte locker und es gibt viele schöne Szenen, aber auch einige ernste und berührende Momente.

Auf der Suche nach Erkenntnissen und Antworten las ich mich neugierig durch das Buch. Es nimmt den Leser mit genauso offenen Armen auf wie die Bewohner La Gomeras die Besucherin Maya, weshalb es mir leicht fiel, mich auf die Insel zu träumen. Der Verlauf der Ereignisse ist nicht allzu überraschend, hat mir aber gut gefallen. Insgesamt ist „Der Wind nimmt uns mit“ ein lesenswerter Familien- und Liebesroman vor der wunderschönen Kulisse von La Gomera, mit dem man wunderbar den Sommer herbeilesen kann!

Donnerstag, 25. April 2019

Rezension: Die Frauen von Salaga von Ayesha Harruna Attah


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Frauen von Salaga
Autorin: Ayesha Harruna Attah
Übersetzerin: Christiane Burkhardt
Erscheinungsdatum: 11.03.2019
Verlag: Diana (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783453292192
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Der Roman „Die Frauen von Salaga“ ist der Debütroman der in Ghana geborenen Ayesha Harruna Attah, die heute im Sengal lebt. Ihre Schilderungen basieren auf den wahren Erlebnissen ihrer Ururgroßmutter, die den Hintergrund für die Geschehnisse rund um Aminah, eine der Protagonistinnen, bilden. Das Cover des Buchs schwelgt in intensiven Farben die auch bei der Gestaltung afrikanischer Waxprints Anwendung finden. Der Titel führte mich direkt nach Afrika in eine Region, in der noch keine Erzählung der von mir gelesenen Bücher spielte. Ich freute mich daher nicht nur auf gute Unterhaltung sondern auch auf eine kulturelle Reise. Die Geschichte spielt um das Jahr 1890 in der britischen Kronkolonie Goldküste, dem heutigen Ghana.

Aminah ist 15 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Oasendorf. Am liebsten möchte sie Schumacher werden wie ihr Vater, der immer wieder zum Verkauf seiner Ware mit Karawanen auf Reisen geht. Doch während einer seiner Abwesenheiten wird das Dorf überfallen und verbrannt, Menschen und Vieh werden verschleppt. Nach einer Zeit als Sklavin auf einem Gehöft wird sie auf dem Markt von Salaga erneut zum Kauf angeboten. Hier begegnet sie der kaum älteren Wurche, der Tochter eines Stammesführers, die wie Aminah davon träumt, eines Tages in die Fußstapfen ihres Vaters treten zu können. Taktik ist ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Führungsmacht. Daher wird für Wurche gegen ihren Willen eine Ehe arrangiert. Bei gelegentlichen Ausflügen nach Salaga verliebt sie sich in Moro, einen jungen Sklavenhändler, mit dem sie sich fortan heimlich im Hinterzimmer eines Landlords trifft. Bei einem ihrer Ausflüge trifft sie hier auf Aminah und beschließt spontan, sie zu kaufen.

Ayesha Haruna Attah hat mir mit ihrer Geschichte eine mir unbekannte Kultur näher gebracht. Zunächst benötigte ich einige Zeit, ehe mir die fremden Bezeichnungen und Eigennamen geläufig wurden. Die Beschreibung von Kleidung, Mahlzeiten, Geräuschen, Gerüchen und auch verschiedene Ansichten der Stammesmitglieder brachten mir das Leben an der Goldküste kurz vor dem 20. Jahrhundert näher. Der Roman ist in einer für die Gegend wechselhaften Epoche angesiedelt, während der die Stämme, die führende Ethnie der Aschanti, die Briten, Deutsche und Franzosen um die Vormacht kämpften. Daraus ergibt sich ein buntes Sprachengemisch.

Obwohl die Autorin Handlungen schildert, die für uns verwerflich sind, versucht sie nicht zu werten und ihre eigenen Emotionen nicht einfließen zu lassen. Doch vor allem ihren beiden Protagonistinnen gesteht sie tiefgreifende Gefühle zu. So konnte ich an manchem inneren Konflikt von Aminah und Wurche teilhaben wie beispielsweise bei der Klärung der Frage, ob man einen Sklavenhändler trotz seiner anstößigen Tätigkeit lieben kann und darf. Sowohl Aminah wie auch Wurche haben keine Chance sich gegen ihr Los aufzulehnen. Es wird deutlich, dass vielfach das Leben des Einzelnen fremdgelenkt und -geleitet wird und in der Bevölkerung eine gewisse Schicksalsergebenheit vorherrscht. Gezeigt wird auch, dass der wachsende Einfluss der Europäer die Einheimischen zu neuen Lebensweisen zwingt.

„Die Frauen von Salaga“ beschreibt eine bewegten Zeit in der Kronkolonie der Goldküste. Gekonnt verknüpft Ayesha Harruna Attah das Leben zweier junger Frauen mit unterschiedlichem Rang. Beide besitzen Träume, die durch das vorherrschende Patriarchat bedroht werden. Einige unvorhersehbare Wendungen gestalten den Roman abwechslungsreich und lesenswert. Gerne empfehle ich das Buch weiter. 



Mittwoch, 24. April 2019

[Rezension] Unter uns die Nacht - Becky Chambers

 

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Unter uns die Nacht
Autorin: Becky Chambers
Übersetzerin: Karin Will
Taschenbuch: 464 Seiten
Erscheinungsdatum: 27. März 2019
Verlag: FISCHER Tor

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Vor Jahrzehnten haben die Menschen die Erde verlassen und leben seither auf den Schiffen der Exodus-Flotte. Von den anderen Spezies der Galaktischen Union werden sie als rückständig wahrgenommen und bleiben in der Flotte unter sich. Doch immer mehr zieht es hinaus zu Planeten und Abenteuern. Wie viele andere beschäftigen sich Kip, Tessa, Eyas, Isabel und Sawyer mit der Frage, was das Leben auf einem Siedlerschiff ihnen bieten kann.

Die ersten beiden Romane von Becky Chambers aus dem Wayfarer-Universum haben mir sehr gut gefallen, weshalb ich unbedingt auch das dritte Buch lesen wollte. Nachdem man als Leser in den ersten beiden Büchern auf zahlreiche unterschiedliche Spezies gestoßen ist, verbringt man nun die meiste Zeit mit Menschen. Denn diese haben auf den Siedlerschiffen der Exodus-Flotte eine neue Heimat gefunden. Viele von ihnen leben wie ihre Vorfahren noch immer dort und folgen denselben Prinzipien und Regeln, während vor allem die jüngere Generation zunehmend zu neuen Ufern aufbricht.

Die Kapitel sind abwechselnd aus der Sicht der fünf Protagonisten geschrieben. Kip steht kurz vor dem Abschluss und muss sich entscheiden, was er danach tun will. Tessa sortiert Teile in der Frachtstation und kümmert sich um ihre beiden Kinder, während deren Vater die meiste Zeit im All unterwegs ist. Eyas ist eine Hüterin, die sich um das würdevolle Kompostieren der Toten kümmert und der die Menschen auch im Privaten mit einer Mischung aus Respekt und Unbehagen begegnen. Isabel arbeitet im Archiv und bekommt Besuch von einer Harmagianerin, deren Spezies zu den fortschrittlichsten gehört. Und Sawyer ist nach dem Verlust seines Jobs aus dem Zentralraum zur Flotte gekommen, um dort etwas Neues auszuprobieren.

Alle fünf Charaktere lernt man im Laufe des Buches genauer kennen und erhält Einblicke, was sie in positivem und negativem Sinne bewegt. Ich erfuhr so einiges darüber, wie das Leben auf den Schiffen organisiert ist und mit welchen Maßnahmen dafür gesorgt wird, dass es auch noch lange so weitergehen kann. Dabei schlägt das Buch eine philosophische Richtung ein und thematisiert Aspekte wie Heimat, Gemeinschaftsgefühl und Ausgrenzung, Bewahren des Alten und Durst nach Neuem. Ich wurde ins Nachdenken gebracht und war neugierig, welche Entscheidungen die Protagonisten bezüglich ihrer eigenen Zukunft treffen werden.

Mir fehlte in diesem Band jedoch eindeutig das Tempo. Gleich zu Anfang des Buches kommt es zu einem größeren Zwischenfall, nach welchem die Geschichte aber gleich vier Standards in die Zukunft springt. Danach wird in ruhigem Ton das Leben der Protagonisten erzählt, wobei große Überraschungen und spannende Momente ausbleiben. Man erfährt ausführlich, wie die menschliche Gesellschaft sich auf den Schiffen organisiert hat. Schade fand ich, dass man bis auf Isabels Besucherin leider keine Außerirdischen trifft. Erst spät im Buch kommen größere Dinge in Bewegung, doch auch hier werden Momente der Ungewissheit schnell aufgelöst. Deshalb ist „Unter uns die Nacht“ für mich der bislang schwächste Wayfarer-Roman und eher für Leser interessant ist, die Interesse an philosophischer Fantasy haben.

Donnerstag, 18. April 2019

[Rezension] Das Verschwinden der Stephanie Mailer - Joël Dicker


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Das Verschwinden der Stephanie Mailer
Autor: Joël Dicker
Übersetzer: Amelie Thoma und Michaela Meßner
Hardcover: 672 Seiten
Erscheinungsdatum: 2. April 2019
Verlag: Piper

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Der Polizist Jesse Rosenberg, intern bekannt als der Hundertprozentige, steht im Jahr 2014 mit fünfundvierzig Jahren wenige Tage vor seinem Ruhestand. Auf einem Empfang anlässlich seines Ausscheidens aus dem Dienst wird er von der Journalistin Stephanie Mailer angesprochen. Sie behauptet, dass er einen Vierfachmord in Orphea im Jahr 1994 gar nicht abschließend aufgeklärt habe. Das bringt Jesse ins Grübeln, denn nach diesem Fall war in seinem Leben nichts mehr wie zuvor. Als Stephanie Mailer kurz darauf vermisst gemeldet wird, überzeugt er seinen ehemaligen Partner Derek, mit ihm nach Orphea zu fahren. Dort will er nach der Journalistin suchen und in Erfahrung bringen, welche neuen Informationen sie zum Fall gefunden hat. Tatsächlich kommen bald neue Dinge ans Licht… doch haben diese wirklich etwas mit den Morden von damals und Stephanies Verschwinden zu tun?

Endlich ein neuer Roman von Joël Dicker! Weil für mich glasklar war, dass ich dieses Buch unbedingt lesen muss, habe ich mich vorab nicht weiter über den Inhalt informiert und startete ganz unvoreingenommen in die Geschichte. In einem kurzen Prolog erfährt der Leser, dass Orphea, ein beschaulichen Städtchen im Bundesstaat New York, am 30. Juli 1994 Schauplatz eines schrecklichen Verbrechens wurde: Der Bürgermeister wurde mit Frau und Kind in seinem Haus erschossen, und das vierte Opfer, eine Buchhändlerin aus der Nachbarschaft, auf ihrer Joggingrunde vor dem Haus.

Danach springt die Geschichte ins Jahr 2014, wo Jesse Rosenberg von der Journalistin Stephanie Mailer erfährt, dass diese Zweifel an der Aufklärung des Falls hat. Damals wurde ein Täter identifiziert, doch das soll nicht der richtige gewesen sein. Mit Stephanies Verschwinden nach diesem Gespräch kommt schnell Spannung in die Handlung. Ist sie untergetaucht oder wurde sie entführt? Jesse lässt das alles keine Ruhe. Statt seine letzten Tage im Dienst abzusitzen steckt er plötzlich mit seinem ehemaligen Partner Derek mitten in den Ermittlungen.

Geduldig macht der Autor den Leser mit allen wichtigen Charakteren bekannt. Neben Jesse und Derek spielt unter anderem die ortsansässige Polizistin Anna eine wichtige Rolle, außerdem der Bürgermeister, diverse Journalisten, die Schwester des damals identifizierten Täters und ein Fernsehdirektor mit seiner Tochter. Man erfährt so einiges über ihre jeweilige Lebenssituation, ihre Hoffnungen, Träume, Probleme und Geheimnisse. An letzterem mangelt es mitnichten. Doch wie passt alles zusammen?

Neue Erkenntnisse lassen das bisher Bekannte immer wieder in neuem Licht erscheinen und es gibt so manche überraschende Wendung. Dadurch blieb meine Neugier die ganze Zeit erhalten. Im Zentrum stehen die Ermittlungen von Jesse, Derek und Anna. Es liest sich jedoch nicht wie ein typischer Krimi, denn es gibt zahlreiche weitere Handlungsstränge, bei denen lange nicht sicher ist, ob sie überhaupt für die Ermittlungen relevant sind oder nicht. Es gibt zum Beispiel eine Affäre ohne Ausweg, einen Teenager außer Kontrolle sowie Korruption und Erpressung.

Schließlich rückt ein verkannter Künstler ins Zentrum der Aufmerksamkeit, der mit Abstand die exzentrischste Person in diesem Roman ist. Dennoch fand ich das Verhalten der anderen Charaktere in Bezug auf ihn und sein Werk überzogen und seine eigene Entwicklung wenig glaubhaft. Zum Glück hat der Spuk irgendwann ein Ende (und was für eins!), während es noch immer zahlreiche offene Fragen gibt. Es bleibt spannend bis zu den allerletzten Seiten, auf denen alle Puzzleteile an ihren Platz fallen und mir ein rundum zufriedenstellendes Ende boten.

Joël Dicker gelingt es mit „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ erneut, mich mit einer vielschichtige Geschichte zu fesseln. Unterschiedlichste Spuren werden verfolgt und zahlreiche Geheimnisse kommen ans Licht, während man als Leser Theorien aufstellt, wieder verwirft und ständig überrascht wird. Sehr gerne empfehle ich diesen Roman weiter!

Mittwoch, 17. April 2019

Rezension: Ein Espresso für den Commissario von Dino Minardi


Titel: Ein Espresso für den Commissario - Pellegrinis erster Fall
Autorin: Dino Minardi
Erscheinungsdatum: 11.03.2019
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch mit Klappen
ISBN: 9783311120056
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Im Kriminalroman „Ein Espresso für den Commissario“ löst Marco Pellegrini von der Polizia di Stato von Como in Italien seinen ersten Fall. Hinter dem Pseudonym des Autors Dino Minardi verbirgt sich ein Psychologe aus dem Rheinland, der vor über zehn Jahren die Lombardei für sich entdeckt hat. Seine Liebe für die Gegend, speziell den Comer See und der an seinen Ufern gelegenen Stadt Como, lässt er in den Roman einfließen. Die Landschaft bindet er in seine Handlungen vielfach ein, so dass ich sie mir als Leser sehr gut vorstellen konnte. Vor einigen Jahren war ich auch selbst einmal kurz dort. Das Cover zeigt einen typischen Blick über den See bis zu den Bergen im Hintergrund.

Pellegrini lebt in einem Apartment in Brunate, einer Gemeinde in der Nähe von Como, die auf über 700 m Höhe liegt. Von hier blickt man weit über den Comer See. Nach einem Streit mit seinem Vater hat er sich gegen die Mitarbeit und spätere Übernahme der Restauration der Familie entschieden, allerdings steht er gerne mal als Barista hinter der Theke der Bar. Eines Tages wird ein Student in seiner Comer Wohnung in seinem Bett tot aufgefunden. Bald wird bekannt, dass er sich gerade erst eine schicke neue Vespa gekauft hat. Durch die Untervermietung eines Zimmers hat er Kontakt zu vielen Menschen. Einen kleinen Nebenverdienst hat er durch einen Aushilfsjob. Bei den Ermittlungen steht für Pellegrini die Frage im Vordergrund, ob die Einnahmen des Studenten dafür ausreichen, sich ein solch teures Gefährt kaufen zu können.

Dino Minardi legt von Beginn an mehrere Fährten, die möglicherweise zur Auflösung des Falls führen könnten. In Nebenhandlungen verbirgt der Autor weitere kleine Geheimnisse wie beispielsweise, dass Pellegrini einen sehr guten Freund vermisst. Bis auf das Rätsel, welches das Privatleben den Commissario betrifft und das er gerne ebenfalls von seiner Verwandtschaft erklärt bekäme, werden alle anderen zum Ende hin gelöst. Bis dahin tragen sie dazu bei, neben den Fallermittlungen, eine unterschwellige Spannung aufrecht zu erhalten.

Im Laufe der Geschichte lernte ich Pellegrini immer besser kennen. Er hadert immer noch über das Zerwürfnis mit seinem Vater, den Verlust seines Freunds und über seine Beziehung zu einer Frau. Er ist ein beliebter Chef. Die beiden ihm unterstellten Kollegen wetteifern um Anerkennung und den dadurch verbundenen beruflichen Aufstieg. Die Krimihandlung wird mit vielen italienischen Wörtern begleitet, was insgesamt eine treffende örtliche Atmosphäre schafft, für mich zu Beginn allerdings ein wenig gewöhnungsbedürftig war.

„Ein Espresso für den Commissario“ von Dino Minardi ist ein grundsolide konstruierter, geradliniger Krimi, der in diesem Genre viele Freunde finden wird. Nicht nur die unaufgeklärte private Heimlichkeit macht Lust auf eine Fortsetzung. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Dienstag, 16. April 2019

[Rezension] Das Leuchten jenes Sommers - Nikola Scott


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Licht über dem Wedding
Autorin: Nicola Karlsson
Hardcover: 320 Seiten
Erscheinungsdatum: 2. März 2019
Verlag: Piper

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Als Kind hat Chloe es geliebt, mit ihrem Bruder Danny in „Die großartigen Abenteuer des großartigen Foxy“ einzutauchen. Entsprechend neugierig ist sie, als sich ein Verlag aus London bei ihr meldet, damit sie ein neues Porträtfoto von einer der beiden Autorinnen aufnimmt. Doch Chloe nimmt keine Aufträge mehr an, seit sie den Arzt Aiden geheiratet hat, und dieser sieht keinen Grund, warum sich das ändern soll. Sein Verhalten löst seit einer Weile ein ungutes Gefühl bei ihr aus. Heimlich fährt Chloe nach Summerhill, ein Anwesen an der Küste Cornwalls, um die Kinderbuchautorin Madeleine Hamilton zu fotografieren.

Madeleine, genannt Maddy, wohnt schon ihr ganzes Leben in Summerhill. Ihre Mutter hat sie früh verloren, ihr Vater starb vor einigen Jahren vor ihren Augen bei einem tragischen Unfall. Neben ihrer Tante Marjorie und den Angestellten hat sie nur noch ihre große Schwester Georgiana, zu der sie aufschaut. Im Jahr 1939, wenige Tage vor dem Krieg, kehrt diese endlich von ihrer Europareise zurück. Doch sie ist nicht allein, sondern hat neue Bekannte mitgebracht, darunter ihr Freund Victor. Während Maddy versucht, mehr über dessen Absichten hinauszufinden, stolpert sie selbst in ein Geheimnis hinein.

Das Buch beginnt in der Vergangenheit, wo der Leser die junge Maddy im Jahr 1939 kennenlernt. Die Lage in Deutschland verschärft sich zunehmend, und voller Sorge denkt sie an ihre große Schwester Georgiana, die seit sechs Monaten in Europa unterwegs ist. Dann passieren zwei Dinge gleichzeitig: Sie muss beobachten, wie ein Flugzeug während eines Übungsmanövers bei den nahegelegenen Klippen abstürzt und ihre Schwester trifft in Summerhill ein. Meine Neugier war schnell geweckt, doch bevor man mehr über die Situation erfährt springt die Geschichte in die Gegenwart, wo Chloe große Neuigkeiten erhält.

Geheimnisse spielen in diesem Buch eine große Rolle. Nicht umsonst heißt das Buch im Original „Summer of Secrets“. Chloe kommt nicht so recht dazu, die Nachricht mit ihrem Mann Aiden zu teilen, der sie in allen Bereichen zu kontrollieren scheint. Sie soll nicht arbeiten, all ihre alten Sachen wurden auf dem Dachboden verstaubt und er mischt sich zunehmend in die Frage der Versorgung von ihrem Bruder Danny ein, der seit vielen Jahren an einer degenerativen Krankheit leidet. Aidens Verhalten fand ich von Beginn an entsetzlich. Gleichzeitig wurde mir als Leser verständlich gemacht, warum es Chloe schwer fällt, ihm Contra zu bieten und sich Freiräume zu erkämpfen.

In der Vergangenheit hat Maddy bald ein eigenes Geheimnis und versucht gleichzeitig, dem von Georgianas neuen Freunden auf die Schliche zu kommen. Das alles geschieht vor der großartigen Kulisse der Küste Cornwalls, die vor meinem inneren Auge lebendig wurde. Die Geschichte schreitet in stetigem Tempo voran und durch Chloes Besuch in Summerhill schließt sich der Kreis. In der Gegenwart erhält Chloe einige Informationen über Madeleine, die man als Leser Stück für Stück mit den Ereignissen aus der Vergangenheit in Einklang bringen kann. Zum Ende hin spitzt sich auf beiden Zeitebenen die Situation zu und es kommt zu einem spannenden Finale, bei dem sich das wahre Ich der Charaktere zeigt und ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.

„Das Leuchten jenes Sommers“ erzählt auf zwei Zeitebenen die Geschichten von Chloe und Madeleine, die mir beide schnell ans Herz gewachsen sind. Einfühlsam werden die verzwickten Situationen geschildert, in der sich beide befinden und die verhindern, dass die beiden ihre Geheimnisse teilen. Der Grundton des Buches ist nachdenklich, es gibt aber auch viele schöne und hoffnungsvolle Momente. Ein rundum gelungener Roman, den ich sehr gern weiterempfehle!

Sonntag, 14. April 2019

Rezension: Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger von Vea Kaiser


Titel: Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger
Autorin: Vea Kaiser
Erscheinungsdatum: 07.03.2019
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783462051421
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„Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ ist der inzwischen dritte Roman von Vea Kaiser. Wie beim Walzertanz scheint sich das Leben der drei Schwestern Maria Josefa, Barbara und Heidemarie, die von fast allen nur Mirl, Wetti beziehungsweise Hedi gerufen werden und deren Geburtsnamen Prischinger ist, in schnellen Drehungen umeinander zu bewegen. Für den Leser setzt die Autorin den Tod von Hedis Lebensgefährten Willy an den Anfang der Erzählung. Von hier aus geht es sozusagen rückwärts mit den Erinnerungen der drei an markante Erlebnisse, die ihren Lebensweg geprägt haben. Der Untertitel des Buchs deutet an, dass Manen, also Totengeister, die von den Lebenden geehrt werden wollen, eine wichtige Rolle für die Schwestern spielen.

Lorenz Prischinger ist 31 Jahre alt und hat bisher schon einige Erfolge als Schauspieler feiern können, so dass er sich eine schicke Wohnung in Wien leistet. Aber nachdem seine Freundin bereits vor einiger Zeit einen Job in Heidelberg angenommen hat, bleiben nun auch noch die Jobangebote gänzlich aus. Nach dem plötzlichen Tod von Willy wird er von seinen drei Tanten gebeten, dem Verstorbenen seinen letzten Wunsch zu erfüllen, der darin besteht, in Montenegro beerdigt zu werden. Mangels finanzieller Mittel begeben sich die drei Schwestern, ihr Neffe und Willys Leiche im Panda auf die lange turbulente Fahrt. Dabei bleibt genug Zeit auf die sehr verschiedenen Schicksale der Tanten, aber auch auf das von Willy zurückzublicken.

Vea Kaiser kreiert ihre Hauptfiguren mit Ecken und Kanten. Jede ist einzigartig, auch wenn sie gemeinsam eine Familie bilden. Aus deren Alltag heraus gelingt es ihr, ein realistisch anmutendes, kurioses Geschehnis einzubinden, das alle Beteiligten in die Grauzone der Illegalität bringt. Es ist von Grunde auf traurig, dennoch ist es in seiner Gesamtheit der Darstellung amüsant darüber zu lesen. Gleichzeitig bietet der Autorin das Szenario die Gelegenheit, zurückzublicken auf Ereignisse, die Wendepunkte der Familienmitglieder waren. Eine erste Erinnerung führt ins Jahr 1953 zu einer Zeit in der die Wohnräume des Gasthofs der Familie Prischinger von Russen okkupiert waren. Die Mutter arbeitete für die Besatzer, für ihre drei Töchter und zwei Söhne blieb ihr wenig Zeit. Was ihrem Jüngsten zugestoßen ist, schon früh erkennbar daran, dass er in der Gegenwart keine Rolle mehr innehat, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. Bis dahin lüftet Vea Kaiser, sehr zum Vergnügen des Lesers, manch anderes kleine Mysterium auf der Suche nach Antworten zu meiner neugierigen Frage, warum die Schwestern so sind und leben, wie ich sie zu Beginn des Romans kennenlernte.

Im Ausschmücken von Geschichten ist die Autorin eine Meisterin. Den Hintergrund für den Roman, der sich im Untertitel widerspiegelt, bilden der römische Jenseitsglauben, Begräbnisriten und die griechische Mythologie mit deren Kenntnis selbst Lorenz Verständnis für den Wunsch seiner Tanten aufbringt. Vea Kaiser bindet Bemerkungen dazu immer wieder in ihre Erzählung ein. Daran spürt man die Leidenschaft der Autorin für ihr Fachgebiet der klassischen Philologie. Die Kapitel, die in der Gegenwart spielen oder auf die Vergangenheit zurückblicken, wechseln sich ab, wobei die Betitelung hilfreich bei der passenden Zuordnung ist.

„Rückwärtswalzer“ von Vea Kaiser ist ein turbulentes Roadmovie mit Geschichten innerhalb der Geschichte, die gleichzeitig berühren und kurzweilig unterhalten. Eingebunden in den großartigen Roman über eine österreichische Familie ist eine vermeintliche Schuld aus Kindertagen, die sich über Jahrzehnte hinweg hält und mich ergriffen hat. Sehr gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.

Samstag, 13. April 2019

[Rezension] Licht über dem Wedding - Nicola Karlsson


 

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Licht über dem Wedding
Autorin: Nicola Karlsson
Hardcover: 320 Seiten
Erscheinungsdatum: 2. März 2019
Verlag: Piper

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Agnes, Wolf und Hannah leben alle in einem Hochhaus im Wedding in Berlin. Während Agnes dort mit ihrem Vater Wolf aufgewachsen ist, wohnt die Modebloggerin Hannah erst seit kurzem in einem der renovierten Wohnungen ganz oben. Sie ist in Agnes‘ Augen ein Püppchen und ihre bloße Anwesenheit macht sie aggressiv. In tollen Kleidern stolziert Hannah herum, während in ihrem eigenen Leben gerade so viel schief läuft: Ihr Freund hat keine Lust mehr auf sie, in die Schule geht sie nicht mehr und Wolf ist ein Alkoholiker, der zunehmend die Kontrolle verliert. Doch auch Hannahs Leben ist alles andere als perfekt…

Die Kapitel sind abwechselnd aus den Perspektiven der drei Protagonisten Agnes, Wolf und Hannah geschrieben und nehmen den Leser mit in den Wedding, der noch immer vorwiegend ein Arbeiterviertel ist, aber Stück für Stück modernisiert wird. Diese Situation spiegelt sich auch im Hochhaus wieder, in dem die drei wohnen: Oben Hannah in einer schicken Wohnung mit Ausblick, unten Agnes und Wolf, die dort seit Jahren mit wenig Geld über die Runden kommen.

Alle drei Charaktere sind alles andere als zugänglich. Gleich zu Beginn wird man Zeuge einiger krasser Szenen: Agnes schubst Hannah ins Gebüsch, Wolf schlägt Agnes ein blaues Auge und Hannah posiert für das perfekte Foto lebensmüde vor einer herannahenden Straßenbahn. Warum tun sie so etwas?

Mit jedem Kapitel lernt man die Protagonisten besser kennen und erhält Einblicke, was sie bewegt. Sie sind komplexe Charaktere, die man stückweise verstehen lernt. Agnes versteckt ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit unter einer Menge Wut und Aggression. Wolfs Wunsch, ein guter Vater zu sein, kommt die Alkoholsucht beständig in die Quere. Und Hannah kämpft mit Ängsten, die durch ihre schwierige familiäre Situation weiter verstärkt werden.

Nicola Karlsson erzählt mit einer schonungslosen, nichts beschönigenden Sprache. Sie packte mich emotional und zeigte mir einige der weniger schönen Seiten des Lebens. Es geht um Alkohol, Gewalt, Krankheit und Scheitern. Doch auch wenn die Situation oft trostlos erscheint, bleibt stets etwas Hoffnung erhalten. Immer wieder gibt schöne und rührende Szenen, die zerbrechlich sind und bald wieder von harten Momenten überdeckt werden, aber nachhallen und im Gefühl nicht verloren gehen.

Die Charaktere in „Licht über dem Wedding“ sind wie Kastanien: Außen stachelig, aber darunter verbirgt sich ein verletzlicher Kern. Agnes, Wolf und Hannah wollen unbesiegbar sein, doch ein Blick hinter ihre mühsam aufgebauten Fassaden offenbart Wünsche, Ängste und Hoffnungen. Ein wirklich lesenswertes Buch!

Freitag, 12. April 2019

[Rezension] Enteignung - Reinhard Kaiser-Mühlecker

 

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Enteignung
Autor: Reinhard Kaiser-Mühlecker
Hardcover: 224 Seiten
Erscheinungsdatum: 27. Februar 2019
Verlag: S. FISCHER

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Nach mehr als zwanzig Jahren kehrt ein Journalist nach Zeiten erfolgreicher politischer Berichterstattung aus aller Welt in sein Heimatdorf zurück. Dort arbeitet er für die Lokalzeitung, schreibt die Glosse und Berichte über Vorfälle wie den nächtlichen tödlichen Treppensturz eines alten Mannes. Mit der Lehrerin Ines beginnt er eine Affäre, ist jedoch nicht der einzige Mann in ihrem Leben. Er verschafft sich unter falschen Namen eine Anstellung auf dem Hof ihres anderen Liebhabers. Dieser hat sich bislang geweigert, eine Aushilfe anzustellen, und schuftet mit seiner Frau lieber rund um die Uhr. Immer tiefer wird der Journalist in das Leben auf dem Hof und die damit verbundenen Sorgen hineingesogen.

Zu Beginn lernt der Leser den in die Heimat zurückgekehrten Journalisten kennen. Er lebt im Haus seiner verstorbenen Tante und geht lustlos der Arbeit für die Lokalzeitung nach. Bei der Recherche für einen Artikel trifft er auf seinen ehemaligen Klassenkameraden Flor, mit dem er nie eng befreundet war und der ihn nicht erkennt. Dieser betreibt inzwischen gemeinsam mit seiner Frau Hemma einen Hof. Vor einiger Zeit wurde ihm vom Amt ein Stück lang weggenommen, auf dem Windräder aufgestellt werden sollen. Dort hat Flor den Schriftzug „Enteignet“ mit Holzlettern aufgestellt, die der Journalist immer sieht, wenn er seinem Hobby nachgeht und über die Landschaft fliegt.

Die Handlung nimmt langsam ihren Lauf. Dabei wird nicht explizit gesagt, warum der Protagonist überhaupt zurückgekehrt ist, was er in seiner Heimat will und sucht. Er stolpert in eine Affäre hinein und beginnt, auf dem Hof des anderen Liebhabers zu arbeiten. Bei all dem fand ich keinen Zugang zur Motivation des Protagonisten, ich konnte mich nicht in ihn hineinversetzen und seine Entscheidungen nachvollziehen. Die Ereignisse ließen mich unberührt, als Außenstehende blickte ich aufs Geschehen und fragte mich, wie lang der Protagonist seine Lügen aufrecht erhalten will und was genau ihm das bringt. Auch der wortkarge Umgang der Personen miteinander hat nicht dazu beigetragen, in die Geschichte hineinzufinden.

Der Autor schafft immer wieder Sinnbilder, die für mich aber kein großes Ganzes ergaben. Ich hatte das Gefühl, dass mir der Zugang zu einer tieferen Ebene des Romans verschlossen blieb. Die Geschichte weckte in mir aber auch kein Verlangen, das zu ändern. Selbst die dramatischen Entwicklungen zum Ende hin fielen irgendwie enttäuschend aus. Mich konnte dieses Buch leider nicht überzeugen.

Mittwoch, 10. April 2019

Rezension: Summer of Secrets von Nikola Scott


Rezension von Ingrid Eßer

englischer Originaltitel: Summer of Secrets (Verlag: Headline Review)
deutscher Titel: Das Leuchten jenes Sommers (Verlag: Wunderlich, ab 16.04.2019)
Autorin: Nikola Scott
rezensierte Buchausgabe: englische Originalausgabe im Taschenbuch
ISBN: 9781472241184 (deutsche Ausgabe: 9783805200387)
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Der Roman „Das Leuchten eines Sommers“ von Nikola Scott spielt auf zwei Zeitebenen. Chloe MacAllister, die in der Gegenwart in London lebt, ist die Protagonistin eines der beiden Erzählstränge. Sie ist Fotografin und verheiratet. Gerade erst hat sie festgestellt, dass sie schwanger ist, als sie den Auftrag erhält, Madeline Hamilton für ein Foto ins rechte Licht zu setzen. Aber ihr Mann hat sich von ihr gewünscht, dass sie ihm ein gemütliches Heim bereitet und von weiterer Arbeit absieht. Gewissensbisse kämpfen mit Chloes Selbstwertgefühl aufgrund dieses Arrangements.

Madeline, genannt Maddy, ist die Autorin eines bekannten Kinderbuchs, das auch Chloe und ihren Bruder in ihrer Kindheit begeistert hat. Mit Maddy beginnt der Roman und an ihrer Seite begab ich mich 70 Jahre zurück in die Vergangenheit bis ins Jahr 1939 auf das Anwesen Summerhill, das an der kornischen Küste gelegen ist. Kurz vor Kriegsbeginn kehrt ihre 21-jährige Schwester Georgiana, von Maddy Georgie gerufen, von einem längeren Auslandsaufenthalt äußerlich verändert nach Hause zurück. Für Maddy war ihre sechs Jahre ältere Schwester fast wie eine Mutter und nach dem tödlichen Unfall des Vaters wurde ihr Verhältnis zueinander noch enger. Georgie hat einige neue Freunde aus London mit nach Summerhill gebracht, darunter Victor, in den sie verliebt ist. Obwohl Maddy sich zunächst über die Verbindung freut, ahnt sie aufgrund der folgenden Ereignisse, dass Victor ein Geheimnis verbirgt.

Der Roman beginnt eher ruhig. So konnte ich beide Frauen in ihrer jeweiligen Zeit in ihrem Umfeld besser kennenlernen. Nicht nur der aufziehende Krieg liegt belastend in der Luft, sondern auch etwas zunächst nicht Greifbares, das sich im Gemüt von Maddy widerspiegelt. Georgie bringt im Gegensatz dazu pure Lebensfreude nach Summerhill. Maddy erscheint in der neuen Situation eher als Störfaktor, doch ihre Feinfühligkeit und ihr Mitgefühl erweisen sich letztlich als wegweisend.

Chloe stammt aus einer Handwerkerfamilie, ihr Ehemann ist Arzt und hat ein hohes Einkommen. Von vielen wird sie um die Dinge beneidet, die sie sich leisten kann. Auch bei der Beschreibung von Chloe lag von Anfang an etwas in der Luft, dass nicht in Einklang stand mit ihrem angepassten Leben, eine gewisse Furcht vor den Dingen, die die Zukunft mit sich bringen wird. Mehr und mehr zeigte sich jedoch die Stärke der beiden Protagonistinnen. Das Schicksal der beiden Frauen ist verbunden mit jeweils einem Mann, dessen Fassade erst im Laufe der Zeit zu bröckeln beginnt und bis dahin für viele bewegende, oft überraschende Momente sorgt.

Nikola Scott lässt Maddy in der Ich-Form erzählen, so dass ich mich mit ihren Gefühlen noch besser verbinden und ihre Empfindungen noch stärker nachvollziehen konnte, was wichtig war, gerade in einer längst vergangenen Zeit deren gesellschaftliche Konventionen sich von unseren heutigen stark unterscheiden. Sowohl Maddy wie auch Chloe sind Sympathieträger und daher hoffte ich für beide auf einen versöhnlichen Schluss. Der Autorin gelingt eine sehr gute Charakterisierung und Weiterentwicklung ihrer Figuren.

Das erste Buch der Autorin „Zeit der Schwalben“ hat mir schon sehr gut gefallen, der vorliegende Roman ist nach meiner Meinung sogar noch besser. Nikola Scott fesselte mich als Leserin an ihre Geschichte durch unerwartete Wendungen und aufzudeckende Geheimnisse. Sie zeigt, dass Liebe viele Wege gehen kann und sich nicht immer nur positiv äußert. „Das Leuchten eines Sommers“ ist verständnisvoll geschrieben und berührend durch zwei fiktiven Frauenschicksalen auf unterschiedlichen Zeitebenen. Sehr gerne empfehle ich den Roman uneingeschränkt weiter.

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