Sonntag, 14. April 2019

Rezension: Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger von Vea Kaiser


Titel: Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger
Autorin: Vea Kaiser
Erscheinungsdatum: 07.03.2019
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783462051421
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„Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ ist der inzwischen dritte Roman von Vea Kaiser. Wie beim Walzertanz scheint sich das Leben der drei Schwestern Maria Josefa, Barbara und Heidemarie, die von fast allen nur Mirl, Wetti beziehungsweise Hedi gerufen werden und deren Geburtsnamen Prischinger ist, in schnellen Drehungen umeinander zu bewegen. Für den Leser setzt die Autorin den Tod von Hedis Lebensgefährten Willy an den Anfang der Erzählung. Von hier aus geht es sozusagen rückwärts mit den Erinnerungen der drei an markante Erlebnisse, die ihren Lebensweg geprägt haben. Der Untertitel des Buchs deutet an, dass Manen, also Totengeister, die von den Lebenden geehrt werden wollen, eine wichtige Rolle für die Schwestern spielen.

Lorenz Prischinger ist 31 Jahre alt und hat bisher schon einige Erfolge als Schauspieler feiern können, so dass er sich eine schicke Wohnung in Wien leistet. Aber nachdem seine Freundin bereits vor einiger Zeit einen Job in Heidelberg angenommen hat, bleiben nun auch noch die Jobangebote gänzlich aus. Nach dem plötzlichen Tod von Willy wird er von seinen drei Tanten gebeten, dem Verstorbenen seinen letzten Wunsch zu erfüllen, der darin besteht, in Montenegro beerdigt zu werden. Mangels finanzieller Mittel begeben sich die drei Schwestern, ihr Neffe und Willys Leiche im Panda auf die lange turbulente Fahrt. Dabei bleibt genug Zeit auf die sehr verschiedenen Schicksale der Tanten, aber auch auf das von Willy zurückzublicken.

Vea Kaiser kreiert ihre Hauptfiguren mit Ecken und Kanten. Jede ist einzigartig, auch wenn sie gemeinsam eine Familie bilden. Aus deren Alltag heraus gelingt es ihr, ein realistisch anmutendes, kurioses Geschehnis einzubinden, das alle Beteiligten in die Grauzone der Illegalität bringt. Es ist von Grunde auf traurig, dennoch ist es in seiner Gesamtheit der Darstellung amüsant darüber zu lesen. Gleichzeitig bietet der Autorin das Szenario die Gelegenheit, zurückzublicken auf Ereignisse, die Wendepunkte der Familienmitglieder waren. Eine erste Erinnerung führt ins Jahr 1953 zu einer Zeit in der die Wohnräume des Gasthofs der Familie Prischinger von Russen okkupiert waren. Die Mutter arbeitete für die Besatzer, für ihre drei Töchter und zwei Söhne blieb ihr wenig Zeit. Was ihrem Jüngsten zugestoßen ist, schon früh erkennbar daran, dass er in der Gegenwart keine Rolle mehr innehat, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. Bis dahin lüftet Vea Kaiser, sehr zum Vergnügen des Lesers, manch anderes kleine Mysterium auf der Suche nach Antworten zu meiner neugierigen Frage, warum die Schwestern so sind und leben, wie ich sie zu Beginn des Romans kennenlernte.

Im Ausschmücken von Geschichten ist die Autorin eine Meisterin. Den Hintergrund für den Roman, der sich im Untertitel widerspiegelt, bilden der römische Jenseitsglauben, Begräbnisriten und die griechische Mythologie mit deren Kenntnis selbst Lorenz Verständnis für den Wunsch seiner Tanten aufbringt. Vea Kaiser bindet Bemerkungen dazu immer wieder in ihre Erzählung ein. Daran spürt man die Leidenschaft der Autorin für ihr Fachgebiet der klassischen Philologie. Die Kapitel, die in der Gegenwart spielen oder auf die Vergangenheit zurückblicken, wechseln sich ab, wobei die Betitelung hilfreich bei der passenden Zuordnung ist.

„Rückwärtswalzer“ von Vea Kaiser ist ein turbulentes Roadmovie mit Geschichten innerhalb der Geschichte, die gleichzeitig berühren und kurzweilig unterhalten. Eingebunden in den großartigen Roman über eine österreichische Familie ist eine vermeintliche Schuld aus Kindertagen, die sich über Jahrzehnte hinweg hält und mich ergriffen hat. Sehr gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.

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