Titel: Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger
Autorin: Vea Kaiser
Erscheinungsdatum: 07.03.2019
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783462051421
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„Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ ist
der inzwischen dritte Roman von Vea Kaiser. Wie beim Walzertanz scheint sich
das Leben der drei Schwestern Maria Josefa, Barbara und Heidemarie, die von
fast allen nur Mirl, Wetti beziehungsweise Hedi gerufen werden und deren
Geburtsnamen Prischinger ist, in schnellen Drehungen umeinander zu bewegen. Für
den Leser setzt die Autorin den Tod von Hedis Lebensgefährten Willy an den
Anfang der Erzählung. Von hier aus geht es sozusagen rückwärts mit den
Erinnerungen der drei an markante Erlebnisse, die ihren Lebensweg geprägt
haben. Der Untertitel des Buchs deutet an, dass Manen, also Totengeister, die
von den Lebenden geehrt werden wollen, eine wichtige Rolle für die Schwestern
spielen.
Lorenz Prischinger ist 31 Jahre alt und hat bisher schon
einige Erfolge als Schauspieler feiern können, so dass er sich eine schicke
Wohnung in Wien leistet. Aber nachdem seine Freundin bereits vor einiger Zeit
einen Job in Heidelberg angenommen hat, bleiben nun auch noch die Jobangebote
gänzlich aus. Nach dem plötzlichen Tod von Willy wird er von seinen drei Tanten
gebeten, dem Verstorbenen seinen letzten Wunsch zu erfüllen, der darin besteht,
in Montenegro beerdigt zu werden. Mangels finanzieller Mittel begeben sich die
drei Schwestern, ihr Neffe und Willys Leiche im Panda auf die lange turbulente
Fahrt. Dabei bleibt genug Zeit auf die sehr verschiedenen Schicksale der
Tanten, aber auch auf das von Willy zurückzublicken.
Vea Kaiser kreiert ihre Hauptfiguren mit Ecken und Kanten.
Jede ist einzigartig, auch wenn sie gemeinsam eine Familie bilden. Aus deren
Alltag heraus gelingt es ihr, ein realistisch anmutendes, kurioses Geschehnis einzubinden,
das alle Beteiligten in die Grauzone der Illegalität bringt. Es ist von Grunde
auf traurig, dennoch ist es in seiner Gesamtheit der Darstellung amüsant darüber
zu lesen. Gleichzeitig bietet der Autorin das Szenario die Gelegenheit,
zurückzublicken auf Ereignisse, die Wendepunkte der Familienmitglieder waren.
Eine erste Erinnerung führt ins Jahr 1953 zu einer Zeit in der die Wohnräume
des Gasthofs der Familie Prischinger von Russen okkupiert waren. Die Mutter
arbeitete für die Besatzer, für ihre drei Töchter und zwei Söhne blieb ihr wenig
Zeit. Was ihrem Jüngsten zugestoßen ist, schon früh erkennbar daran, dass er in
der Gegenwart keine Rolle mehr innehat, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis.
Bis dahin lüftet Vea Kaiser, sehr zum Vergnügen des Lesers, manch anderes
kleine Mysterium auf der Suche nach Antworten zu meiner neugierigen Frage,
warum die Schwestern so sind und leben, wie ich sie zu Beginn des Romans
kennenlernte.
Im Ausschmücken von Geschichten ist die Autorin eine
Meisterin. Den Hintergrund für den Roman, der sich im Untertitel widerspiegelt,
bilden der römische Jenseitsglauben, Begräbnisriten und die griechische
Mythologie mit deren Kenntnis selbst Lorenz Verständnis für den Wunsch seiner
Tanten aufbringt. Vea Kaiser bindet Bemerkungen dazu immer wieder in ihre Erzählung
ein. Daran spürt man die Leidenschaft der Autorin für ihr Fachgebiet der klassischen
Philologie. Die Kapitel, die in der Gegenwart spielen oder auf die
Vergangenheit zurückblicken, wechseln sich ab, wobei die Betitelung hilfreich
bei der passenden Zuordnung ist.
„Rückwärtswalzer“ von Vea Kaiser ist ein turbulentes
Roadmovie mit Geschichten innerhalb der Geschichte, die gleichzeitig berühren
und kurzweilig unterhalten. Eingebunden in den großartigen Roman über eine
österreichische Familie ist eine vermeintliche Schuld aus Kindertagen, die sich
über Jahrzehnte hinweg hält und mich ergriffen hat. Sehr gerne empfehle ich das
Buch uneingeschränkt weiter.