Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Wir nannten es Freiheit
Autorin: Silke Schütze
Erscheinungsdatum: 01.03.2019
Verlag: Knaur (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch
ISBN: 9783426520833
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Der Roman „Wir nannten es Freiheit“ von Silke Schütze
thematisiert den Umstand des Lehrerinnenzölibats in Deutschland. Eingeführt
wurde das Zölibat 1880 aus arbeitsmarktpolitischen Gründen – um mehr Stellen
für Männer zu sichern - und einer besonderen moralischen Vorstellung von der
Rolle, die eine Frau in der Ehe einnehmen sollte. Die Freiheit, Beruf und Ehe
zu vereinbaren, hatten Frauen aus bürgerlichen Familien nicht. Etwas mehr als
30 Jahre später wurde das Zölibat aufgehoben, um dann vier Jahre danach wieder
eingeführt zu werden. Erst in den 1950ern wurde das Verbot zur Heirat endgültig
abgeschafft. Das Cover ließ leicht erkennen, dass der Roman in der
Vergangenheit spielt, nämlich in Berlin im Jahr 1916.
Lene hat nach ihrem Studium seit einigen Monaten das Glück,
als Vertretungslehrerin unterrichten zu dürfen. Möglich ist dies leider nur dadurch,
dass viele ihrer Kollegen im Kriegsdienst sind. Schon lange kennt sie Paul, den
Sohn des Kohlenhändlers, der ihr seine Liebe kurz vor der Fahrt zum Dienst an
der Front erklärt hat. Einige Monate später wird Paul verletzt, ob er wieder
vollständig genesen wird, ist in Frage gestellt. Wenn Lene und Paul heiraten,
wird sie ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfen. Für Lene wird die Entscheidung
zwischen Beruf und Heirat zur existentiellen Frage.
Silke Schütze hat ein bewegendes Frauenschicksal in ein
weniger bekanntes und ein uns heute erschreckendes Stück Zeitgeschichte
eingewoben. Obwohl Lene nur eine fiktive Persönlichkeit ist, könnte sich ihr
Schicksal so oder so ähnlich in der Realität abgespielt haben. Sie ist eine
selbstbewusste Frau, in einfachen Verhältnissen ohne Vater groß geworden. Auch
Lene wächst mit der geschlechtsspezifischen Vorstellung auf, dass Männer und
Frauen die für sie bestimmten Rollen in einer Familie einzunehmen haben. Nicht
nur die Kriegszeiten lassen sie aber über den Tellerrand der bornierten Gesellschaft
blicken. Durch ihren Unterricht versucht sie, ihren Schülerinnen so viel
Respekt wie nötig und so viel Courage wie möglich zu vermitteln. Ihr Mut zum
Widerstand wächst mit der Unterstützung aus ihrem Umfeld. Weitere abwechslungsreich
gestaltete Charaktere geben der Erzählung einige unvorhergesehene Wendungen.
Das zeitgeschichtliche Bild, in das die Autorin ihren Roman
setzt, wird durch zahlreiche Details ergänzt. Im Kriegsjahr 1916 werden
Lebensmittel und Kohle knapp. Die Autorin lässt die Bedeutung von
Schwarzmärkten zur Besorgung des Alltäglichen und die daraus resultierenden
Risiken in ihren Roman einfließen. Auch das Zögern vor der Gefahr der jungen
Männer vor Kriegsantritt und die Sinnhaftigkeit des Kriegs bezieht sie in ihre
Schilderungen ein.
„Wir nannten es Freiheit“ ist dank der sehr guten Recherche
von Silke Schütze eine Geschichte, die tatsächlich so hätte geschehen können.
Sie ist abwechslungsreich gestaltet und deshalb durchgehend unterhaltsam. Lenes
persönliches Schicksal als Lehrerin aufgrund des Zölibats ihres Berufsstands
nicht heiraten zu dürfen, damit sie ihre Stelle nicht verliert, impliziert eine
berührende Liebesgeschichte, bei der ich von Beginn an auf ein gutes Ende
gehofft habe. Gerne empfehle ich den Roman weiter.