Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Alte Sorten
Autor: Ewald Arenz
Erscheinungsdatum: 18.03.2019
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783832183813
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Alte Obstsorten sind robust und unempfindlicher im Vergleich
zu neuen, so sagt man. Im Roman „Alte Sorten“ von Ewald Arenz spielen Birnen
unterschiedlicher Sorten, die es schon viele Jahrzehnte gibt, eine Rolle. Die
Protagonistinnen der Geschichte sind die 17-jährige Sally und die etwa
45-jährige Liss, die sich durch Zufall kennen lernen. Von Beginn an war ich
gespannt, ob sich im Laufe der Erzählung herausstellen wird, dass die
nachgesagte erwähnte Eigenschaft der alten Sorten sich auf die beiden Frauen
übertragen lässt. Ohne Frage macht das schlichte Cover auf das Buch aufmerksam
und ließ mich daran denken, dass die Geschichte im ländlichen Bereich
angesiedelt sein wird.
Dementsprechend fand die erste Begegnung zwischen Sally und
Liss im Weinberg statt, dort lernen sie sich kennen. Sally ist wütend auf ihr
Leben. Sie hat von irgendwo Reißaus genommen und freut sich, dass ihr niemand
gefolgt ist. Liss ist mit ihrem Traktor unterwegs. Bei einem Wendemanöver
benötigt sie Hilfe und fragt kurzerhand Sally. An der Art wie Liss ihre Frage
stellt und sich im Folgenden verhält, unterscheidet sie sich von denjenigen,
die ständig in Sallys Leben eingreifen. Sie folgt Liss auf deren Hof und hilft
ihr gegen Kost und Logis bei einigen Arbeiten. Sally versucht ihre Herkunft vor
Liss zu verbergen und diese schweigt im Gegenzug über ihre bewegte
Vergangenheit. Im Laufe mehrerer Tage lernen sich beide nicht nur besser
kennen, sondern auch einander zu schätzen. Doch Worte wiegen schwer und falsch
gesetzte zerstören die fragile Oberschicht des Vertrauens zueinander und führen
zu ungewollten Einblicken.
Sally sucht nach einer Möglichkeit frei zu leben nach ihrem
eigenen Willen. Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass sie auf
verschiedene Weise in den letzten Jahren durch Regeln und Normen geprägt wurde,
gegen die sie sich aufgelehnt. Dadurch ist auch ihre abwehrende Haltung
entstanden, die sie mit sich trägt wie einen Schutzschild. Alles und jedes wird
von ihr in Frage gestellt. Doch der ruhige Ton von Liss, die sie um ihre Hilfe
bittet, die tatsächlich benötigt wird, und ihr dann einfach die zur
Hilfestellung notwendigen Abläufe erklärt, setzen ihre Misstrauen vorläufig
außer Kraft. Liss zeigt ihr eine Seite des Lebens mit der Sally bisher wenig in
Berührung gekommen ist. Die Feldarbeit und der Weinanbau, die Hühnerzucht und
der Obstgarten mit den alten Birnensorten berühren auf ganz besondere Weise die
Sinne der jungen Frau. Während der Umstand des Essens in Sallys Vergangenheit für
sie krankhaft unbedeutend wurde, genießt sie nun die Frische der Speisen und
den Geschmack.
Es dauert eine Weile bis Sally Vertrauen zu Liss aufgebaut
hat und umgekehrt. Die grundsätzliche Einstellung zum Leben von Liss ist zu
bewundern und auch die Energie die sie aufbringt um den Hof ganz allein zu
bewirtschaften. Doch aus den ersten Reaktionen in ihrem Umfeld lässt sich herauslesen,
dass sie trotz ihres einfühlsamen Charakters nicht besonders beliebt im Ort ist.
Dahinter habe ich ganz richtig ein Geheimnis vermutet, dass Liss mir als Leser
und auch Sally gegenüber erst zum Ende hin offenlegt und auch ihre seelische Verwundbarkeit
zeigt. Bis dahin erzeugte die Heimlichkeit eine gewisse hintergründige
Spannung. Trotz der Konflikte im Umgang der beiden Protagonistinnen miteinander
beschreibt der Autor in ruhigen Worten die täglichen, manchmal kräftezehrenden
Verrichtungen und erzeugt auf diese Weise einen friedlichen Gegenpol.
„Alte Sorten“ von Ewald Arenz ist ein gefühlvoll
geschriebener Roman, der zeigt wie zwei ganz unterschiedliche Frauen von
ihrer Umwelt so geprägt wurden, dass sie diese zwar letztlich akzeptieren, aber
dennoch auf ihre Weise für die Durchsetzung ihrer eigenen Vorstellungen
kämpfen. Sehr gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.