Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Der Zopf meiner Großmutter
Autorin: Alina Bronsky
Erscheinungsdatum: 09.05.2019
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783462051452
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Im Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ von Alina Bronsky erzählt
der inzwischen erwachsene Maxim von seiner Kindheit und Jugend. Er wurde von
seinen Großeltern erzogen, an seine Eltern kann er sich nicht erinnern. An
ihrer Seite kam er aus der russischen Großstadt nach Deutschland als
Kontingentflüchtling, denn zu denen zählte die Familie, weil ein entfernter
Verwandter angeblich jüdisch wäre, wie seine Großmutter Margarita Iwanowna,
kurz Margo gerufen, ihm erklärt. Um seine Oma kreist sein gesamter Kosmos, sie
behütet und beschützt ihn vor allen äußeren Einflüssen, von denen sie glaubt,
dass sie Max schaden könnten. Die ungewohnte Umgebung im Wohnheim für
Flüchtlinge in einem Ort in der Nähe von Frankfurt bringt neue
Herausforderungen für die Großmutter mit und so fällt es ihr nicht auf, dass
ihr Ehemann sich in die alleinstehende Nachbarin verliebt mit der sie sich
umständehalber angefreundet hat.
„Der Zopf meiner Großmutter“ ist der erste Roman, den ich
von Alina Bronsky gelesen habe. Die Vielschichtigkeit mit der sie ihre Figuren
gestaltet, hat mir sehr gut gefallen. Zunächst war ich irritiert darüber, warum
die Großeltern den Weg nach Deutschland gesucht haben, warum sie ihren Enkel
großziehen und warum Margo ihn von allem absondert. Ist es unbändige Liebe mit
der sie ihn erdrückt oder vielleicht eher Berechnung? Erst ganz zum Ende hin
klärte sich, wie von mir erwartet, meine Verunsicherung. Bis dahin erfuhr ich
von der früheren Karriere der Großmutter als Tänzerin, die sie für ihre Familie
aufgegeben hat. Langsam wurde mir deutlich, dass sie jeder Sache, auf die sie
sich einlässt mit Leib und Seele nachgeht, allerdings auch unter ständigem Klagen,
dass auf Dauer zusammen mit ihren fehlenden Sprachkenntnissen zu ihrer Vereinsamung
führt. Sie reagiert oft unwirsch, ist aber sofort um eine Lösung bei Problemen
bemüht, sie sucht sowohl nach Mitleid wie auch nach Bewunderung. Letzteres
erhält sie in ausreichendem Maße von ihrem Ehemann, der ihr fast jeden Wunsch
erfüllt. Sein fehlendes Durchsetzungsvermögen sucht er durch Heimlichkeiten zu
ersetzen. Durch seinen Fleiß ernährt er die Familie. Für Max ist er ungeahnt
ein Vorbild, denn auch er entzieht sich im Laufe der Jahre immer mehr dem
Einfluss seiner Großmutter durch stillschweigendes Ausprobieren von ihr verbotener
Handlungen und durch seine Fantasie. Trotz der zunehmenden Infragestellung
ihrer Anweisungen, bleiben ihm ihre Ermahnungen dennoch ständig präsent.
Alina Bronsky schildert mit scharfem Blick fürs Detail und
feiner Ironie eine Geschichte über eine durch das Schicksal reduzierte Familie,
bei der es eine Auseinandersetzung mit Schuld und Unvermögen lange nicht
gegeben hat. Gleichzeitig ist es eine Suche nach Neuorientierung und heimisch
werden. Symbolisch dazu lässt die Autorin zum Schluss einen alten Zopf
abschneiden, eine veraltete Methode um sich neuen Ideen zuzuwenden. Ich habe
mich köstlich beim Lesen dieser bitter-süßen Erfahrungen von Max amüsiert, die
unterhalten aber auch bewegend sind. Daher empfehle ich den Roman gerne weiter.