Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Aber Töchter sind wir für immer
Autorin: Christiane Wünsche
Erscheinungsdatum: 24.07.2019
Verlag: Krüger (Imprint von S.Fischer) (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783810530714
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Im Roman „Töchter sind wir für immer“ nahm Christiane Wünsche
mich mit nach Büttgen, einer Ortschaft am Niederrhein, die zur Stadt Kaarst
gehört. Weil ich nur etwas mehr als 30 km davon entfernt ebenfalls am
Niederrhein wohne, fühlte ich mich hier gleich heimisch. Im Mittelpunkt der
Erzählung steht die Familie Franzen mit ihren vier Töchtern, die im
Bahnwärterhäuschen unmittelbar an den Schienen der S-Bahn zwischen
Mönchengladbach und Düsseldorf lebt, etwas außerhalb des Dorfs. Die Apfelblüten
und der Apfel, die das Cover des Buchs zieren, stehen als Symbol für den
Apfelbaum im Garten der Familie. Hier findet Johanna, die älteste der Töchter,
in jüngeren Jahren einen Zufluchtsort. Er ist aber auch Zeuge für eine
Handlung, die viel zu lange unausgesprochen bleibt und verheimlicht wird.
Johanna, Heike und Britta kehren zum bevorstehenden 80.
Geburtstag ihres Vaters nach Hause zurück. Zu dritt kommen sie selten im
Elternhaus zusammen, was nicht nur daran liegt, dass Johanna in Berlin lebt,
sondern auch weil sie grundverschieden sind. In der vorderen Klappe findet sich
ein kleiner Stammbaum, in dem vier Töchter des Ehepaars Franzen aufgeführt
sind. Dort steht hinter dem Namen der Tochter Hermine das Jahr ihrer Geburt
sowie das ihres Todes. Damit war meine Neugier von Beginn an geweckt, denn ich
wollte erfahren, warum sie mit 22 Jahren verstorben ist.
Christiane Wünsche lässt Britta in der heutigen Zeit von den
aktuellen Planungen zu den Festivitäten rund um den Geburtstag ihres Vaters in
der Ich-Form erzählen. Britta ist die mit großem Altersabstand zu den
Schwestern jüngste der Töchter, inzwischen 28 Jahre alt und lebt als
Reiseverkehrskauffrau in Düsseldorf. Unterschwellig ist von Beginn an ein
Unbehagen in der Familie zu spüren. Nicht nur, dass Britta aufgrund ihres
Alters viele angesprochene vergangene Erlebnisse in der Familiengeschichte
nicht zu teilen vermag, sondern auch die Rivalitäten zwischen den Geschwistern
aus der Kinder- und Jugendzeit sowie ihr Verhältnis zu den Eltern scheinen
immer noch präsent.
Geschickt blendet die Autorin zwischen den Kapiteln, die in
der Gegenwart spielen, auf die Vergangenheit der einzelnen Mitglieder der
Familie, nicht nur bis zur Geburt der einzelnen Kinder, sondern auch bis zur
Kindheit von Vater Hans und Mutter Christa. Der Rückblick reicht zurück bis in
die 1930er Jahre. Christiane Wünsche nähert sich bedeutsamen Geschehnissen in
der Familie von mehreren Seiten ohne darauf zu verharren. Dadurch konnte ich
mir selbst eine Meinung dazu bilden, wer welchen Anteil hat an Verrat,
Missgunst, Hass, Unrecht, Liebe und Freude, die wie in jeder Familie auch bei
den Franzens anzutreffen sind. Das Geheimnis rund um die Krankheit und den Tod
von Hermine öffnete sich für mich Schritt um Schritt. In der drittältesten
Tochter der Franzens begegnete mir eine hochsensible Persönlichkeit, die über
mehr wie fünf Sinne verfügt.
Desto tiefer ich in die Vergangenheit blicken konnte, desto
mehr wurde mir deutlich, warum die jeweilige Figur sich entsprechend so
entwickelt hat, wie sie in der Gegenwart dargestellt wird. Dazu beigetragen hat
auch die Einflechtung von weltpolitisch bedeutsamen Ereignissen und
Entwicklungen. Angesagte Filme, Musik und Bücher sind ebenfalls gelegentlich
erwähnt. Bis auf wenige Einwürfe im Dialekt weist die Autorin nur darauf hin,
dass dieser früher in der Familie gesprochen wurde. Der Lesefluss bleibt daher ungebrochen.
Im Roman „Aber Töchter sind wir für immer“ von Christiane
Wünsche wurden durch die mit mir etwa gleichaltrigen Töchter Johanna und Heike,
die wie ich am Niederrhein aufwuchsen, Erinnerungen bei mir wach an meine
eigene Kindheit und Jugend. Ich empfand die Beschreibungen als authentisch und
übereinstimmend mit meinen eigenen Erinnerungen. Die Autorin zeigt, dass trotz
unterschiedlicher Meinungen und der daraus resultierenden Differenzen die
Bande, die eine Familie zusammenhält, sehr stark sind und der Ort an dem man
aufgewachsen ist, seinen besonderen Reiz durch die beinhalteten Erinnerungen
hat und man dadurch untrennbar mit ihm verbunden ist. Der Roman hat mich bewegt
und wird mir in Erinnerung bleiben. Gleichzeitig hat er mich sehr gut
unterhalten, daher empfehle ich ihn gerne weiter.