Sonntag, 29. September 2019

Rezension: Südlichter - Nina George


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Südlichter
Autorin: Nina George
Hardcover: 288 Seiten
Erschienen am 20. August 2019
Verlag: Knaur HC

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Die zwölfjährige Marie-Jeanne hat eine erstaunliche Fähigkeit: Sie sieht bei vielen Menschen ein Leuchten, zum Beispiel auf dem Haar, der Stirn, den Lippen oder den Fingern. Allmählich realisiert sie, dass es tatsächlich die Liebe ist, die sie sehen kann. Als ihr Adoptivvater Francis auf die Idee kommt, eine mobile Überlandbibliothek aufzubauen, ist sie Feuer und Flamme. Sie beginnt, sich quer durch die Literatur zu lesen und macht neue Bekanntschaft mit anderen begeisterten Lesern. Doch viele liebgewonnene Menschen in ihrem Umfeld haben zwar das Leuchten, sind aber allein. Ob sie da nachhelfen kann? Und wann das Leuchten wohl zu ihr kommt?

Zu Beginn des Buches erfährt der Leser, wie Marie-Jeanne zu ihrer besonderen Gabe kam. Die Liebe besuchte sie, als sie noch in ihrer Wiege lag, während die Todin zur selben Zeit ihre Großmutter und einzige lebende Verwandte zu sich holte. Daraufhin packte Marie-Jeanne einen der Finger der Liebe, was zuvor noch niemand je getan hatte. Als Zwölfjährige wundert sie sich nun über das Leuchten überall und begreift langsam, dass nur sie es sehen kann und was es bedeutet.

Das Buch ist in einer poetischen, einfühlsamen Sprache geschrieben, die mich tief in die Geschichte eintauchen ließ. Die Liebe kommt als Ich-Erzählerin zu Wort und schafft damit einen Rahmen. Sie gibt amüsante Einblicke in ihre Arbeitsweise und erklärt damit zum Beispiel auch, warum sie Menschen zwar mit Liebe beschenken, sie damit aber nicht zwangsläufig glücklich machen kann. Außerdem ist sie nicht die einzige, die auf diese Weise unterwegs ist. Andere wie das Verlangen, die Logik und der Mut besuchen die Menschen ebenfalls, ebenso wie die Todin, in deren Gegenwart die anderen befangen werden. Immer wieder kommt es zu interessanten Dialogen zwischen ihnen, die mit eine Augenzwinkern erzählt werden und philosophische Züge aufweisen.

Während Marie-Jeanne dem Leuchten auf den Grund geht, trifft ihr Adoptivvater Francis die wegweisende Entscheidung, eine Überlandbibliothek aufzubauen. Er legt sich zwei Kastenwagen zu, mit denen die Bücher in verschiedenen Dörfern gegen eine Verleihgebür angeboten werden. Doch die Dorfeinwohner sind ebenso wie seine Frau Elsa noch skeptisch, welchen Mehrwert Bücher ihnen bringen sollen. Gute Tipps, wie er die Bücher bewerben sollen, erhält er von der Kalligrafin und Buchliebhaberin Madame Colette Brilliant. Weitere Unterstützung erhält er durch Valérie Montesquieu, die sich als einzige auf die Stellenausschreibung bewirbt und den zweiten Wagen fährt. Für sie ist es eine einmalige Gelegenheit, nach Jahren der Zurückgezogenheit wieder in die Welt zu treten.

Die Autorin machte mich mit ganz verschiedenen Charakteren aller Altersklassen bekannt, die mir schnell ans Herz wuchsen. Ich hoffte mit, dass sie ihr Glück finden werden. Das Buch hat bittersüße, traurig-schöne Momente, lässt die Stimmung aber nie kippen, sondern schafft eine Atmosphäre, in der man sich wohlfühlen kann. Durch die Fragen, ob Marie-Jeanne ihren Freunden helfen kann, die große Liebe zu finden und ob Francis’ Bibliothek ein Erfolg wird, blieb ich bis zum Schluss neugierig am Ball.

Insgesamt ist „Südlichter“ eine einfühlsam erzählte Geschichte über das Wandeln der Liebe auf der Erde, die Liebe zu Büchern und die Suche nach dem einen richtigen Menschen, den man aus ganzem Herzen lieben kann. Es ist die perfekte Ergänzung zu „Das Lavendelzimmer“, das mich bereits vor Jahren begeistern konnte, dessen Vorwissen hier aber nicht vorausgesetzt wird.

Samstag, 28. September 2019

Rezension: Die Arena - Grausame Spiele von Hayley Barker


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Arena - Grausame Spiele (Band 1 von 2)
Autorin: Hayley Barker
Übersetzerin: Katharina Naumann
Erscheinungsdatum: 17.09.20119
Verlag: Wunderlich Jugendbuch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783805200486
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„Die Arena – Grausame Spiele“ ist der erste Teil einer Dilogie der Engländerin Hayley Barker. Die Geschichte spielt im London der Zukunft, in etwa hundert Jahren. Zu dieser Zeit zieht ein Zirkus über die britische Insel, der vor bereits rund 40 Jahren gegründet wurde. In ihrer Arena finden jedoch keine Vorführungen wie wir sie heute kennen statt, sondern es wird den Zuschauern ein besonderer Nervenkitzel dadurch geboten, dass die Künstler ohne eine Absicherung auftreten oder per Losverfahren über den Ausgang einer Zirkusdarbietung bestimmt wird. Ein wenig erinnerte mich das an die Spiele der Römer im Kolosseum und die Christenverfolgung.

Hoshiko ist bereits seit ihrem fünften Lebensjahr im Zirkus. Sie ist eine Dreg, eine Migrantin, also jemand bei dem nicht wie bei den Pures rein englisches Blut in den Adern fließt. Die Dregs wurden von den Pures in den letzten Jahren zunehmend an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Unter den Kindern der Dregs finden Auswahlverfahren statt. Wer die körperlichen Voraussetzungen dazu besitzt, wird an den Zirkus gegeben, so wie Hoshiko. Sie hat dort unter den Dregs so etwas wie eine Ersatzmutter gefunden, die aber wenig älter ist als sie selbst. Und nach mehr als zehn Jahren dort, kümmert sie sich seit Kurzem selbst um eine Nachwuchsartistin. Doch jeden Tag stellt sie ihr Leben in der Manege auf die Probe, ein Entkommen gibt es nicht, alles wird strengstens bewacht und Kranksein ist nur in bestimmten Fällen erlaubt.

Ben ist so alt wie Hoshiko. Er gehört zu den Pures und das auf ganz besondere Weise, denn seine Mutter ist so etwas wie die Kultusministerin des Landes. Durch besonders rigides Verfolgen von Dregs möchte sie auf sich aufmerksam machen, weil sie sich dadurch Hoffnung auf den Platz der Präsidentin macht. Als der Zirkus nach London kommt, setzt Ben alles daran, an einer Vorführung teilnehmen zu dürfen. Schließlich gibt eine offizielle Einladung an die Familie ihm die Gelegenheit dazu. Und dann sieht er sich auf seinem Logenplatz plötzlich Hoshiko gegenüber, die um ihr Leben kämpft und die in ihm ungeahnte Gefühle weckt.

Durch die Trennung von Pures und Dregs zeichnet Hayley Barker ein düsteres Bild unserer Gesellschaft in der Zukunft, die sich aus unserer heutigen Situation heraus, mit Blick auf die Flüchtlingskrise, ergeben könnte. Bewusst führte sie mir als Leserin vor Augen, welche Auswirkungen Rassismus haben kann. Dazu nutzt sie das Stilmittel der Übertreibung, denn alles an ihrer Dystopie ist im Zusammenspiel mit den beiden Gesellschaftsklassen grausam und brutal. Nicht umsonst wird die Zirkusshow von der Autorin als die tödlichste auf der Welt beschrieben.

Einige Pures verallgemeinern ihre unberechtigte Wut auf die Dregs mit der Behauptung, dass diese alle Verbrecher seien. Individualität wird ihnen nicht zugestanden. In den Dregs schwelt der Hass und sie finden zunehmend Mittel und Wege zum Aufstand. Spannend war es für mich zu sehen, wie die Autorin Ben und Hoshiko und ihre gegensätzlichen Welten zusammenbringt. Symbolisch zeigt sie hier, dass es immer noch Pures gibt, die dazu in der Lage sind, sich ein eigenes Urteil nach eigenen Erfahrungen zu bilden. Der Mut dazu, sich öffentlich dazu zu bekennen, ist beachtenswert.

Die Kapitel wechseln ständig zwischen Ben und Hoshiko, die in der Ich-Form erzählen. So konnte ich mich gut in ihre jeweilige Gefühlslage hineinversetzen. Durch die oft kurzen Kapitel wird das Tempo der Handlung erhöht, allerdings kommt es manchmal zu szenischen Überscheidungen, die die Spannungskurve kurz abbremsen. Dennoch ließen kleine Cliffhanger mich schnell weiterlesen und trieben mich durch die Geschichte mit zahlreichen Wendungen.

Trotz einiger dramaturgischer Ungenauigkeiten ist die Dystopie „Die Arena – Grausame Spiel“ fesselnd, stimmte mich aber auch nachdenklich. Hayley Barker zeigt eine gespaltene Gesellschaft in der Zukunft, in der allein die Herkunft eines Menschen bestimmt, wer er zu sein hast. Die Begegnung der beiden Jugendlichen Ben und Hoshiko während einer Zirkusvorstellung bringt einen Stein ins Rollen von dem ich sehr gespannt bin, wohin er in der Fortsetzung, die ich unbedingt lesen möchte, rollen wird. Aufgrund der teilweise brutalen Szenen im Buch empfehle ich es erst für ältere Jugendliche.

Donnerstag, 26. September 2019

[Rezension] Der größte Spaß, den wir je hatten - Claire Lombardo


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Der größte Spaß, den wir je hatten
Autorin: Claire Lombardo
Übersetzerin: Sylvia Spatz
Hardcover: 720 Seiten
Erschienen am 20. September 2019
Verlag: dtv

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Marilyn und David Sorenson haben sich während ihrer Studienzeit kennen und lieben gelernt. Sie sind seit vielen Jahren verheiratet, in denen ihre Töchter Wendy, Violet, Liza und Grace zur Welt gekommen sind. Inzwischen sind die vier erwachsen. Wendy ist bereits verwitwet, trinkt zu viel Wein und lebt vom geerbten Geld, Violet kümmert sich um ihre zwei Söhne, Liza ist beruflich erfolgreich, verzweifelt aber an ihrem depressiven Ehemann und Grace traut sich nicht, ihrer Familie mitzuteilen, dass sie keinen Studienplatz erhalten hat. Als die Familie plötzlich Zuwachs in Form von Violets fünfzehnjährigem Sohn erhält, der damals zur Adoption freigegeben wurde, sorgt dessen Anwesenheit für ordentlichen Wirbel.

Das Buch beginnt mit einem Tag im Jahr 2000, an dem Wendy ihre Hochzeit feiert, während ihre Schwester Violet betrunken ist und eine wilde Nacht hinter sich hat. Ihre Eltern suchen einen Moment für sich und werden dabei von ihren Töchtern beobachtet, die sich wieder einmal wundern, wie zwei Menschen so viel Liebe füreinander zeigen können.

In der Gegenwart merkt man schnell, dass sich in den sechzehn Jahren seit dieser Szene so einiges getan hat. Wendy bringt Violets fünfzehnjährigen Sohn Jonah zu einer Verabredung mit. Seine Adoptiveltern sind vor einigen Jahren gestorben und er braucht nun eine neue Pflegefamilie, sonst muss er zurück ins Heim. Doch Violet möchte ihn nicht in ihrem Haus haben, das bereits mit einem Mann und zwei kleinen Jungs gefüllt ist. Also kommt er bei Wendy unter, die sich als reiche Witwe ihre Zeit mit dem Besuch von Benefizveranstaltungen vertreibt und Sex mit wechselnden Partnern hat.

Jonahs Auftauchen hat einen Einfluss auf jedes Mitglied der Familie Sorenson. Er will nicht anecken und das richtige Tun, kann aber schwer einschätzen, welche Dinge er lieber für sich behalten sollte. Seine Unsicherheit und das Gefühl, ständig zurückgewiesen zu werden, lassen ihn häufig auf eine Weise reagieren, die nicht jedes Familienmitglied nachvollziehen kann. Ohne es zu beabsichtigen löst er Veränderungen aus. Aber auch ohne sein Zutun passieren einige Dinge bei den Schwestern und ihren Eltern, die Entscheidungen nötig machen.

Die Geschichte springt regelmäßig in die Vergangenheit und berichtet chronologisch die Geschichte der Sorensons von der ersten Begegnung Marilyns und Davids im Jahr 1975 bis zu den Ereignissen der Gegenwart. Dadurch erhält man zahlreiche Hintergrundinformationen und versteht immer besser, durch welche Ereignisse die Charaktere geprägt wurden. Man erfährt beispielsweise, welche Krisen auch die scheinpar perfekte Ehe der Eltern durchlebt hat, wie Violets erste Schwangerschaft unentdeckt bleiben konnte und warum sich Grace als Nesthäkchen oft außen vor fühlt.

Auch wenn es viele schöne Szenen gibt, sind mir die berührenden Momente der Niederlage und des Verlusts besonders im Gedächtnis geblieben. Diese haben starken Einfluss auf die Familienstruktur. Wer war für den anderen da, als es wichtig war? Für mich ergab sich ein immer vollständigeres Bild der Familie und mein Verständnis für das Verhalten der einzelnen wuchs. Die Geschichte erzählt in unaufgeregter, einfühlsamer Sprache über vierzig Jahre Familiengeschichte voller Höhen und Tiefen. Sehr gern empfehle ich diesen Roman weiter!

Dienstag, 24. September 2019

[Rezension] Pixeltänzer - Berit Glanz


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Pixeltänzer
Autorin: Berit Glanz
Hardcover: 256 Seiten
Erschienen am 30. Juli 2019
Verlag: Schöffling & Co.

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Elisabeth, die von allen nur Beta genannt wird, arbeitet in einem Berliner Startup als Programmiererin. Die Arbeitsatmosphäre ist jung und dymanisch, man setzt auf moderne Arbeitsmethoden und Teambuilding. Als sie die App Dawntastic entdeckt, die Weck-Anrufe aus der ganzen Welt anbietet, meldet sie sich kurzerhand an. Bei einem netten Gespräch mit einem Anrufer aus den USA, der aus Hamburg kommt, weckt sein Profilbild ihr Interesse. Es zeigt ein seltsames Wesen, doch auf ihre Rückfrage verrät er nur, dass es mit seinem Nutzernamen Toboggan zusammenhängt. Das ist für Beta der Beginn einer digitalen Schnitzeljagd, die sie auf eine Reise in die expressionistische Szene zu Beginn des 20. Jahrhunderts mitnimmt.

Beta lässt den Leser an ihrem Alltagsleben teilhaben und ich fühlte mich ihr schnell vertraut. Ihren nerdigen Charakter mochte ich sehr und mir wurde ihre Faszination für Insekten, die sie zu Hause mit ihrem 3D-Drucker nachbildet, ebenso begreiflich gemacht wie ihr Interesse an der App Dawntastic. Nach dem Anruf mit Toboggan zeigt sie Einfallsreichtum und kommuniziert mit ihm auf überraschende Weise. Sie erhält von ihm Hinweise, die sie zu Orten in der realen Welt führen, und Texte, die ihr Stück für Stück mehr verraten. Ich fand es spannend, gemeinsam mit Beta in die Vergangenheit einzutauchen und mehr über das Schicksal einer expressionistischen Künstlerin zu erfahren. In der Gegenwart setzt die Schnitzeljagd etwas in Beta in Bewegung und lässt sie neue Wege gehen. Dabei kommt es zu zahlreichen amüsanten Szenen. Insgesamt konnte mich das Buch mit seiner nerdigen Protagonistin und dem ungewöhnlichen Thema der Spurensuche begeistern. Ich empfehle es sehr gern weiter!

Samstag, 21. September 2019

[Rezension] Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna - Juliet Grames


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Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna
Autorin: Juliet Grames
Übersetzer: Werner Löcher-Lawrence
Hardcover: 496 Seiten
Erschienen am 2. September 2019
Verlag: Droemer HC

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Mariastella Fortuna wird 1920 im kleinen Dorf Ievoli in Kalabrien, der „Stiefelspitze“ Italiens, geboren. Sie ist das zweite Kind ihrer Eltern, das diesen Namen trägt, denn ihre fünf Jahre zuvor geborene Schwester ist als Kleinkind gestorben. Inzwischen ist Stella eine über neunzig Jahre alte Frau, und ein jüngeres Mitglied der Familie Fortuna erzählt dem Leser ihre Geschichte. Sie hat bis kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs in Italien gelebt und schließlich ein ganz neues Leben im Amerika begonnen. Dabei ist sie dem dem Tod in ihrem Leben sieben bis acht Mal haarscharf von der Schippe gesprungen.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser die Erzählerin kennen, die berichtet, dass Stella, die seit ihrem letzten Beinahe-Tod vor dreißig Jahren kein Wort mehr mit ihrer Schwester Tina geredet hat, obwohl die beiden bis dahin beinahe unzertrennlich waren. Meine Neugier war durch die Frage, was wohl dahinter steckt, geweckt.

Danach springt die Geschichte rund hundert Jahre in die Vergangenheit und erzählt zunächst vom Kennenlernen der Eltern Stellas und dem Schicksal des ersten Kindes mit ihren Namen. Das machte mir das Umfeld verständlich, in das die zweite Stella hineingeboren wurde, und liefert auch Ansatzpunkte für Erklärungen im Hinblick auf das Verhalten ihrer Eltern. Ihr Vater bricht kurz nach ihrer Geburt nach Amerika auf und sie soll ihn in den folgenden Jahren kaum sehen, während sie in Italien ein einfaches Leben führt, das sie drei Nahtod-Erfahrungen machen lässt. Die fatalen Zwischenfälle geben Stellas Lebensgeschichte eine Struktur, sie sind namensgebend für die einzelnen Kapitel und bleiben nicht ohne Konsequenzen.

Der Umzug nach Amerika ist für Stella ein großer Einschnitt in ihrem Leben. Gemeinsam mit ihrer Familie lässt sie ihr gesamtes altes Leben hinter sich und muss sich in einem neuen Land auf einem neuen Kontinent zurechtfinden. In den USA bleiben die Italiener unter sich. Ohne Einbürgerung bekommt man nur schlechte und kräftezehrende Jobs, für den Test muss man jedoch Zeit haben, um Englisch und die entsprechenden Fragen zu lernen. Ich fand diese Einblicke in das Leben italienischer Einwanderer in den USA steht interessant.

Stellas Freiheitsgrade sind gering, sie ist wie ihre Mutter und ihre Geschwister stark vom Vater abhängig, der sich immer wieder abscheulich verhält. Sie muss ihr gesamtes verdientes Geld abgeben. Heirat der einzige Ausweg, den sie aber nicht gehen will und sie ist bereit, für ihre Meinung zu kämpfen. Die Geschichte hat viele Momente, die mich wirklich erschütterten. Ich möchte an dieser Stelle eine Triggerwarnung für Kindesmissbrauch aussprechen. Das Thema wird in diesem Buch ernst genommen, hätte aber noch stärker aufgearbeitet werden können. Viele Personen finden sich viel zu lange mit der Situation ab und fügen sich in ihr Schicksal. Diese „So war das nun mal, was hätten wir denn tun sollen“-Haltung hat mich wütend gemacht. Stella ist das einzige Familienmitglied, das immer wieder aufbegehrt und ausbrechen will und dadurch als stur und sonderbar bezeichnet wird und die Konsequenzen zu spüren bekommt.

„Stella Fortuna“ ist eine Familiengeschichte über eine Kindheit in Italien und eine Auswanderung in die USA. Die namensgebende Protagonistin kommt nicht nur viele Male auf verschiedenste Wege beinahe zu Tode, sondern ist auch in Familienstrukturen gefangen, die ihre Möglichkeiten stark einschränken. Es gibt immer wieder kleine Momente des Glücks, insgesamt ist die Geschichte jedoch bedrückend und ließ mich mit Stella mitfühlen, die sich trotz allem nicht brechen lässt und ihren Weg gehen wird.

Dienstag, 17. September 2019

Rezension: Wir, im Fenster von Lene Albrecht


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Wir, im Fenster
Autorin: Lene Albrecht
Erscheinungsdatum: 13.09.2019
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 98733519050658
Post zum Buch auf Instagram (buchsichten): Klick!
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Das Buch „Wir, im Fenster“ ist der Debütroman von Lene Albrecht. Er umfasst zwei Teile, einerseits „Wir“, damit sind die beiden Protagonistinnen Linn und Laila gemeint und andererseits „Im Fenster“, weil beide gerne dort sitzen. Später wird Linn klar, dass ein Fenster nicht nur Ausblicke gewährt, sondern auch Einblicke.

Linn und Laila sind von Kindheit an beste Freundinnen bis zu ihrem Zerwürfnis. Für Linn ist ihre Freundschaft zu Laila wie das Schwimmen in unbefestigten Gewässern immer mit Ungewissem verbunden und doch so neugierig machend, dass sie sich darauf einlässt. Erst ganz zum Ende der Geschichte offenbart sich in allen Einzelheiten, warum die Freundschaft zerbrochen ist.

Linn ist die Protagonistin des Romans. Sie ist Doktorandin, in einer festen Beziehung und schwanger. Bei einer Fahrt mit der Bahn beobachtet sie zwei Freundinnen, die sich vertrauensvoll miteinander unterhalten. Dadurch wird sie an ihre jahrelange besondere Beziehung zu Laila erinnert. Es ist mehr als zwanzig Jahre her, dass sie ihre Freizeit abwechselnd bei Linn Zuhause und bei Lailas Großmutter, bei der die Freundin wohnt, verbracht haben. Doch die Großmutter zieht zurück in die Türkei und Laila zieht zu Linn. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt mit ihrem Vater in der Türkei kehrt sie verändert zurück. Ein nahtloses Anknüpfen an die bisherige Freundschaft ist schwierig und wird immer schwieriger bis es schließlich zum Bruch kommt.

Laila und Linn wachsen in Berlin am Ende des vorigen Jahrhunderts auf. Mit den Nachbarskindern treffen sie sich in der Freizeit auf dem Spielplatz, auf dem auch für die Kinder undurchsichtige Geschäfte getrieben werden, dessen sie sich in ihrem Alter noch nicht bewusst sind.
Die beiden Freundinnen ergänzen sich charakterlich. Während Linn eher zurückhaltend ist, bewundert sie die Ideen von Laila und folgt gern ihren Aufforderungen. Sie teilen alles miteinander und entdecken gemeinsam die ersten Spuren von aufkeimender Sexualität.

Nicht nur die Frage danach, was die Freundschaft zerbrochen hat, sondern auch, warum Laila über Monate bei Linn und ihren Eltern gewohnt hat, begleitete mich beim Lesen. Die Suche nach den Puzzleteilen, die mir den gesamten Sachverhalt darstellen konnten, gestaltete sich teilweise mühsam. Immer wieder wird Linn durch kleine Details an die schöne Zeit und an den später immer schwierigeren Umgang mit Laila erinnert. Die Unruhe, die Linn verfolgt aufgrund des Nichtwissens von Lailas weiteren Lebensstationen, war in ihren Gedankensprüngen spürbar, die bei mir als Leser eine gewisse Aufmerksamkeit forderten.

„Wir, im Fenster“ ist ein Coming-of-Age-Roman, der die Geschichte einer besten Mädchenfreundschaft in der Nachwendezeit in einem Szeneviertel in Berlin erzählt. Von Beginn an war ich interessiert daran, zu erfahren, warum die Freundschaft zerbrochen ist. Die Gründe fügen sich Stück für Stück vor einem immer düsterer werdenden Hintergrund zusammen. Lene Albrecht gelingt eine atmosphärisch gestaltete, berührende Erzählung mit wenigen Schwächen. Gerne empfehle ich den Roman weiter.

Sonntag, 15. September 2019

[Rezension] Das außergewöhnliche Leben eines Dienstmädchens namens PETITE besser bekannt als Madame Tussaud - Edward Carey



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Das außergewöhnliche Leben eines Dienstmädchens namens PETITE besser bekannt als Madame Tussaud
Autor: Edward Carey
Übersetzer: Cornelius Hartz
Hardcover: 492 Seiten
Erschienen am 28. August 2019
Verlag: C.H. Beck

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1761 wird in einem kleinen Dorf im Elsass Marie Grosholtz geboren, die später eine als Madame Tussaud berühmt werden soll. Bald zieht sie gemeinsam mit ihrer Mutter nach Bern und ins Haus von Doktor Curtius. Während ihre Mutter dort als Haushälterin arbeitet, ist Marie fasziniert von den wächsernen Abbildungen verschiedenster Organe, die Curtius für das Berner Spital anfertigt. Als er auf die Idee kommt, von interessierten Kunden Wachsköpfe anzufertigen, wird das vom Spital nicht gern gesehen. So gelangt er mit Marie, die mit der Zeit zu seiner Assistentin geworden ist, nach Paris. Die Stadt hält ganz neue Herausforderungen und Abenteuer für sie bereit.

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive von Marie erzählt, die als alte Frau auf ihr Leben zurückblickt und ihre Geschichte mit dem Leser teilt. Sie beginnt bei ihrer Geburt in ärmlichen Verhältnissen und dem anschließenden Umzug mit ihrer Mutter nach Bern. Dort begegnet sie Doktor Curtius, von dem sie lernt, Köpfe aus Wachs herzustellen.

Ich konnte mich schnell in Marie hineinfühlen, die mit klarer Stimme von ihren Erlebnissen berichtet und mich an ihren Emotionen teilhaben ließ. Der Verlust ihrer Eltern und der Umzug nach Paris sind einschneidende Erlebnisse für sie. Sie kann bei Curtius bleiben, wird aber von einer neuen Frau in seinem Leben zum Dienstmädchen degradiert. Doch Marie hat einen starken Willen und will sich mit dieser Position nicht zufrieden geben. Sie ist aufmerksam und lernt schnell.

Maries Jahre in Frankreich nehmen in diesem Roman den größten Platz ein. Als Dienstmädchen in Curtius’ Haushalt erlebt sie mit, wie die Nachfrage nach Wachsköpfen immer mehr steigt. Durch eine zufällige Begegnung wird sie schließlich nach Versailles beordert wird, wo sie einige Jahre an der Seite von Princesse Èlisabeth verbringen soll und eine Menge über gesellschaftliche Strukturen lernt. Die Französische Revolution mischt schließlich alle Karten neu und lässt Marie Schreckliches sehen und erleben.

Der Autor hat seiner Fantasie in dieser fiktiven Biographie von Madame Tussauds freien Lauf gelassen. Er hält sich an die wichtigsten historischen Fakten, hat aus dramaturgischen Gründen aber auch so manches verändert und die Lücken mit Fabulierkunst gefüllt. Daraus entstanden ist ein abenteuerlicher Bericht über das Leben von Marie Grosholtz bis hin zu ihrer Übersiedlung von Frankreich nach London, wo sie Jahre später ihr berühmtes Museum eröffnen soll.

Es gibt zahlreiche amüsante und skurrile Szenen, aber auch viele nachdenklich stimmende. Lange führt Marie ein fremdbestimmtes Leben, sie muss für andere arbeiten und erhält dafür nicht einmal einen Lohn. Doch ihr fehlt die Perspektive für ein anderes Leben. Das Buch enthält zahlreiche gelungene Zeichnungen, die das Erzählte, vor allem die Faszination für Organe, Köpfe und ganze Körper aus Wachs, noch greifbarer machen. In der zweiten Hälfte des Buches, in dem die Französische Revolution eine große Rolle spielt, verlor das Buch für mich zunehmend an Schwung. Ich hätte mir an dieser Stelle eine straffere Erzählung und dafür ein paar Worte mehr über das anschließende Leben in England gewünscht, das am Ende auf nur fünf Seiten zusammengefasst wird.

"Das außergewöhnliche Leben eines Dienstmädchens namens PETITE besser bekannt als Madame Tussaud“ ist ein Titel, der meine Neugier wecken konnte und auch in der Umsetzung überzeugen kann. Abwechslungsreich wird hier das (fiktive) Leben der Marie Grosholtz aus der Ich-Perspektive erzählt. Ich habe ihr gern gelauscht und konnte ihre Faszination für Wachs zunehmen nachvollziehen. Ein unterhaltsamer Roman mit schaurig-schönen Zeichnungen, den ich gerne weiterempfehle!
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