Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Der Ursprung der Welt
Autor: Ulrich Tukur
Erscheinungsdatum: 09.10.2019
Verlag: S.Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783103972733
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„Der Ursprung der Welt“ lautet der Titel des ersten
Romans von Ulrich Tukur. Die Geschichte ist eine historische Dystopie, die auf
zwei Zeitebenen spielt. Optisch wie haptisch ist die Aufmachung des Hardcovers ein
Schmuckstück. Ranken umgeben fühlbar den runden Ausschnitt auf dem
Schutzumschlag oberhalb der Mitte, der einen Blick auf eine alte Fotografie
freigibt, die einen Herrn mit Hut in einer schicken Kombination zeigt. Entfernt
man den Umschlag ist die schwarz-weiße Fotografie vollständig zu sehen,
unterhalb davon finden sich die Initialen P.G. in Gold geprägt. Das Bild
entstammt dem Privatbesitz des Autors. Durch seinen zufälligen Fund, gemeinsam
mit weiteren Fotos, in einem Fotoalbum kam dem Autor die Idee zu diesem Buch.
Der Titel nimmt auf ein gleichnamiges Gemälde Bezug, das den Protagonisten des
Romans bereits früh geprägt hat.
Der Deutsche Paul Goullet ist die Hauptfigur des
Romans. Er ist Mitte Dreißig und besucht im Jahr 2033 Paris, um die Stadt
kennenzulernen Beim Vorbeischlendern am Ufer der Seine entdeckt er an einem der
Stände ein altes Fotoalbum mit Bildern, auf denen er sich selbst zu erkennen
glaubt. Die Fotos rufen bei ihm Erinnerungen an seine Kindheit wach und an ein
Zimmer in der Heimat, in dem sein Großvater gelebt hat. Er macht sich auf die
Suche nach der Person auf den Fotos. Seine Reise führt ihn aufgrund gefundener
Hinweise auf den Bildern nach Südfrankreich. Je intensiver er sucht, desto mehr
fühlt er sich mit seinem Ebenbild verbunden. Visionen suchen ihn heim, führen
ihn in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er sieht sich selbst in der Rolle des
ihm Unbekannten mit ähnlichem Aussehen und fühlt sich zunächst als Wohltäter in
einer Widerstandgruppe bis er einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur kommt.
Ulrich Tukur zeichnet ein düsteres Bild unserer
Zukunft, das sich aber realistisch aus den derzeitigen Umständen ergeben
könnte. Sein Protagonist hat das große Glück niemandem Rechenschaft über sein
Tun und Lassen abgeben zu müssen. Er ist geprägt von einer Kindheitserinnerung,
die seine Suche nach der großen Liebe überschattet. Seine Gefühle schätzt er
manchmal falsch ein, was damit zusammenhängen könnte, dass er selbst bei seiner
Erziehung eine vertrauensvolle, ihn liebende Person vermisst hat. Er wirkte auf
mich kühl und rational, wodurch mir der Charakter, wie auch einige andere im
Roman, nicht sympathisch wurde. Einzig an seiner zögerlichen, aber
bedingungslosen Hilfsbereitschaft in bestimmten Momenten fand ich Gefallen.
Das Spiel auf zwei Zeitebenen ist manchmal
anstrengend, aber nachvollziehbar. Die Übergänge sind fließend und können durch
die jeweils agierenden Personen auseinandergehalten werden. In Deutschland gibt
es Ausschreitungen, die Paul Goullet durch seine Reise für eine Weile hinter
sich lassen möchte. Allerdings hat es auch in Frankreich einige politisch
bedingte Veränderungen gegeben und auch hier ist die Situation durch polizeiliche
und militärische Kontrollen mit Übergriffen auf die Zivilbevölkerung beängstigend.
Die Stimmungslage konnte der Autor sehr gut von den handelnden Personen auf
mich als Leser übertragen. Bei der Aufdeckung des Geheimnisses überzeugt Ulrich
Tukur mich nicht mit allen Details beim Ineinandergreifen der Ereignisse.
Die Ängste seines
traumatisierten Protagonisten im Roman „Der Ursprung der Welt“ stehen für
unsere eigenen Erwartungen an eine bessere Zukunft. In einer zunehmend
digitalisierten Welt vermögen uns auf rationalen Analysen beruhende
Empfehlungen, keinen bleibenden Frieden zu geben, weil unser eigener Antrieb
durch Gefühle gesteuert ist und uns Ziele antreiben, die nicht immer mit denen
von anderen übereinstimmen. So bleibt unsere Zukunft unvorhersehbar.
„Der Ursprung der
Welt“ von Ulrich Tukur ist ein interessanter ungewöhnlicher Genremix, der
solide konstruiert ist. Gerne vergebe ich hierzu eine
Leseempfehlung.