Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Licht über dem Wedding
Autorin: Nicola Karlsson
Erscheinungsdatum: 01.03.2019
Verlag: Piper (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: signiertes Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783492059411
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Nicola Karlsson hat mit „Licht über dem Wedding“ einen
ausdrucksstarker Roman über die Bewohner des titelgebenden Stadtbezirks in Berlin
geschrieben. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Hannah Hoch sowie Wolf Hermann
und seine Tochter Agnes. Sie wohnen im selben Hochhaus, Wolf und Agnes im
Erdgeschoss, Hannah mit einer Freundin im zehnten Stock.
Wolf ist ein Mittvierziger, hat sein Studium abgebrochen und
sich als ungelernter Tischler mit allen möglichen Jobs über Wasser gehalten bis
er immer mehr dem Alkohol verfallen ist. Agnes ist inzwischen 15 Jahre alt.
Ihre Mutter hat die Familie vor zehn Jahren verlassen und sich nicht mehr
gemeldet. Hannah ist Anfang 20, interessiert sich nicht mehr für ihr Studium,
sondern bloggt über Mode. Meistens postet sie sich selbst in der ihr
zugesandten Kleidung, die sie vor konträren Hintergründen inszeniert, um den
besonderen Chic des Outfits herauszustellen. Erst nach und nach ergibt sich ein
Gesamtbild, das die Drei in eine eigenwillige Verknüpfung bringt und sie in
ihrer je eigenen Gedankenwelt zeigt, durch die ihre Handlungen geleitet sind.
Agnes wirkt so, wie in einer Welt zwischen Kind und
Erwachsenem gefangen. Früh wird sie selbständig, sieht ihr Kinderzimmer als
Rückzugsort, dessen Zutritt ihrem Vater stillschweigend verboten ist. Schon mit
13 Jahren hat sie einen festen Freund, der gemeinsam mit seinen Freunden, alle
einiges älter als sie, ihre Peergroup bildet. Ich erlebte Agnes in ständiger
Abwehrhandlung, immer zu schnellen Schlägen und Tritten bereit, wenn sie sich angegriffen
fühlt, meist ausschließlich durch Worte. Sie ist auf der permanenten Suche nach
Respekt, nach Freundschaft, nach Vertrauen und fragt sich letztlich, was ihr
als Persönlichkeit fehlt, um als Tochter und Freundin mit Liebe angenommen zu
werden.
Wolf fühlt sich als Versager. Der zunehmende Alkoholgenuss
verursacht bei ihm gelegentliche Bewusstseinsaussetzer. Er weiß, dass er sich
selbst damit schadet und sich aktiv Hilfe suchen muss. Seine von ihm gefühlte eigene
Schwachheit führt ihn dazu, sich noch mehr dem Alkohol hinzuwenden, um seine
Sorgen zu vergessen. Von Anfang an hoffte ich für ihn, dass er einen Weg finden
wird, diese Abwärtsspirale zu durchbrechen.
Hannah hielt ich zunächst für durchaus clever, auch wegen
der Art und Weise auf die sie Geld verdient. Doch schnell zeigte sich, dass sie
ihr eigenen Sorgen hat. Schon als Kind hat sie bemerkt, dass kleine Lügen
Bestrafungen verhindern können. Doch leider ist diese Angewohnheit nicht
unbemerkt geblieben. Ihr Verhalten hat sie bisher nicht geändert und so
begegnen ihren Aussagen nicht nur ihre Freunde, sondern auch ihre Familie mit
einer gewissen Skepsis in Bezug auf deren Wahrheitsgehalt. Auch sich selbst
gegenüber versucht sie eine Wirklichkeit zu schaffen, die zwar für eine
augenblickliche Lösung sorgt, aber nicht für eine dauerhafte.
Alle drei Protagonisten suchen nach einem Anker, an dem sie
sich festhalten können und der ihnen über die Wellen des Lebens hilft. „Licht
über dem Wedding“ ist eine unangenehme Geschichte, die in einem Berliner Bezirk
spielt, in dem Schwäche nicht sein darf. Sie ist eng verbunden mit Alkohol und
Joints, mit unterschiedlichen Ansichten über Besitz, mit Machtspielen und
Gewaltanwendung. Der Roman stimmt nachdenklich darüber, wie viel Vater, wie
viel Mutter der Mensch braucht und ob eine Lücke im Elternsein ersatzweise zu
füllen ist. Gerne empfehle ich den einfühlsam geschriebenen Roman, in den die Autorin auch eigene Erfahrungen hat einfließen lassen und der Raum für
Hoffnung lässt, uneingeschränkt weiter.