Rezension von Ingrid Eßer
*Werbung*
Titel: Unter den hundertjährigen Linden
Autorin: Valérie Perrin
Übersetzerinnen aus dem Französischen: Katja Hald und Elsbeth Ranke
Erscheinungsdatum: 04.11.2019
Verlag: Knaur (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783426226933
---------------------------------------------------------------------------------------------------
In ihrem zweiten Roman „Unter den hundertjährigen Linden“
lässt die Französin Valérie Perrin die fiktive Protagonistin Violette Toussaint
von ihrem Leben erzählen. Im Vergleich zu ihrem Debüt ist auffällig, dass
ebenfalls eine Frau mit Koffer auf dem Cover zu sehen ist, doch die beiden
Geschichten sind gänzlich verschieden und so hat auch die Umschlaggestaltung
eine andere Bedeutung und steht hier für den Neuanfang, den die Protagonistin
nach einem Schicksalsschlag wagt.
Violette ist seit etwa 20 Jahren Friedhofswärterin in dem
kleinen Ort Brancion-en-Chalon in der Region Bourgogne-France-Comté und liebt
ihre Tätigkeit auf dem Friedhof, der beschattet wird von den an den Wegen
stehenden hundertjährigen Linden. Ich hatte zu Beginn des Romans den Eindruck,
dass sie mit ihrem Leben zufrieden ist. Doch bereits auf den ersten Seiten
deutet Violette an, dass es eine Zeit in ihrem Leben gab, in der sie sehr
unglücklich war, was bei mir die Frage nach dem Grund dafür aufwarf.
Aufgewachsen ist sie bei Pflegefamilien und im Heim. Später hatte sie gemeinsam
mit ihrem Ehemann jahrelang eine Stelle als Schrankenwärterin in der Region
Grand Est inne. Die Tätigkeit als Friedhofswärterin hat sie von ihrem
verschwundenen Mann Philippe Toussaint übernommen. Durch die Erwähnung des
Weggangs von Philippe wurde meine Neugier darauf geweckt zu erfahren, warum und
wohin er gegangen ist und ob er überhaupt noch lebt.
Eines Tages erscheint ein Kommissar aus Marseille bei
Violette. Aber Julien Seuls Anliegen ist es nicht, eine Straftat aufzuklären,
sondern die Asche seiner Mutter im Grab ihres Geliebten, den Julien nicht
kennt, beizusetzen. Im Tagebuch seiner Mutter erfährt er von ihrer Liebe.
Valérie Perrin versteht es auch in ihrem zweiten Roman leise
Töne anzuschlagen und dabei Lebensgeschichten berührend zu erzählen. Violette,
die in ihrer Kindheit die Liebe ihrer Eltern vermisst hat, bindet sich schon
früh an Philippe. Um die Beziehung aufrecht zu erhalten ist sie bereit, seine
Eigenheiten zu akzeptieren. Er scheut vor Arbeit zurück, lieber tourt er
stunden- und tagelang mit seinem Motorrad. Für Violette ist es wichtig, ein
Zuhause zu haben. Sie liebt Lesen und gute Musik. Nach einem Schicksalsschlag
verändert sie sich. Statt ihre Wut zuzulassen, beginnt sie Fragen zu stellen
und begibt sich auf neue Wege. Als Friedhofswärterin erscheint sie als Frau mit
zwei Gesichtern. Nach außen hin ist sie ihrem Beruf verpflichtet diskret,
distanziert und dunkel gekleidet, doch wenn sie im Haus allein ist, genießt sie
helle Farben und das Licht. Sie beeindruckte mich als Leser mit ihrem Wissen
über die Verstorbenen auf „ihrem“ Friedhof und vielen Bewohnern des Orts.
Nur zögerlich erzählt Valérie ihr Leben im Rückblick, denn
sie hat die Vergangenheit ruhen lassen. Aber durch die Begegnung mit Julien
wird ihr bewusst, dass sie immer noch verheiratet ist und zunehmend kommen die
Erinnerungen zurück. Das Tagebuch von Juliens Mutter gibt den Anstoß zur
Erzählung einer langen weiteren Geschichte, die die Autorin in den Roman
einflechtet. Sie konnte mich aber nicht näher ergreifen, vielleicht weil sie
mich immer wieder von den Geschehnissen rund um Valérie wegführte und es dadurch
zu Längen kommt.
In ihrem Roman „Unter den hundertjährigen Linden“ schreibt
Valérie Perrin über Liebe und Trauer, Verlust und Lebensfreude und zeigt auf,
wie nah diese im Leben beieinanderliegen. Ihre Protagonistin Violette hat
einige schwere Zeiten auf ihre eigene Art und Weise gemeistert und sich einen
für sie passenden Rahmen gesucht in dem sie glücklich ist. Gerne empfehle ich
das Buch an Leser weiter, die eine Hoffnung im Herzen auf schöne Zeiten mit
sich tragen.