Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Marianengraben
Autorin: Jasmin Schreiber
Erscheinungsdatum: 28.02.2020
Verlag: Eichborn (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783847900429
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Der Marianengraben im Pazifischen Ozean liegt 11.000 m tief
und ist damit die tiefste Stelle des Weltmeers. Der „Marianengraben“ der
Protagonistin Paula in Jasmin Schreibers gleichnamigen Roman ist nicht greif-
oder sichtbar, aber mit der gleichen Tiefe wie sein Namensvetter hat er sich in
ihrem Innersten eingegraben. Er ist dort, wo es ihr an Licht und Farbe fehlt,
wo sie nicht genug Luft zum Atmen findet und wo ihr die Energie zum Leben entzogen
wird, weil ihre unendliche Liebe zu ihrem Bruder über dessen Tod hinaus ihr die
Kraft raubt. Die Tiefe des Marianengrabens betitelt die Kapitel des Buchs und
ließ dadurch für mich als Leserin das langsame Auftauchen und Abstreifen der
Dunkelheit von Paula auch nach außen hin sichtbar werden.
Der Unfalltod ihres über zehn Jahre jüngeren Bruders Tim hat
bei Paula eine große emotionale Leere hinterlassen. Wieder und wieder fragt sie
sich, ob ihre Anwesenheit am Unfallort den Tod von Tim hätte verhindern können.
Als sie sich nach der Beerdigung endlich traut, das Grab zu dem für sie
perfekten Zeitpunkt aufzusuchen, stellt sie fest, dass sie nicht wie gewünscht
allein auf dem Friedhof ist. Bei dieser Gelegenheit lernt sie Helmut kennen,
viermal so alt wie sie und mit einem klaren Auftrag, den er zu erfüllen gedenkt
und der ihn schließlich mit seinem neuerworbenen alten Wohnmobil Richtung Berge
in den Süden treibt. Paula begleitet ihn und schnell wird die Geschichte zu
einem skurrilen Roadmovie.
Paula und Tim sind ganz unterschiedliche Charaktere. Während
Paula kontaktscheu und ruhig ist, gerne liest und lernt, ist Tim ebenfalls neugierig
auf das Leben, aber er schließt schnell Freundschaften und ist abenteuerlustig.
Paula versucht an dem Status Quo vor dem Unfall festzuhalten. Das, was sie aktuell
erlebt erzählt sie in Gedanken ihrem Bruder und stellt sich seine Reaktionen in
entsprechenden Situationen vor und seine Rückfragen auf ihre Schilderungen. Entsprechend
angepasst und einfach, aber brillant ist in diesen Abschnitten die
Sprache im Zwiegespräch mit Tim. Sie kann ihn nicht aus ihren Gedanken lassen,
denn sie stellt sich vor, dass die Größe des dann entstehenden Raums nicht zu
füllen ist. Und immer wieder stellt sie sich die Frage ihrer Schuld. In der
Geschichte ist spürbar, dass die Autorin sich mit dem Sterben als Ende unseres
Lebens aktiv auseinandersetzt.
Helmut erscheint zunächst als schrulliger älterer Herr.
Zunehmend entdeckt Paula jedoch Gemeinsamkeiten. Einige seiner eigenen
Erlebnisse, die er im Laufe der vielen Jahre seines Lebens gesammelt hat, sind
ähnlich denen seiner viel jüngeren Reisebegleiterin. Beide bleiben sich auf
ihrer Fahrt selbst treu und dennoch ist deutlich spürbar, dass sie im Austausch
ihrer Erfahrungen und Gefühle ein besseres Verständnis nicht nur voneinander,
sondern über viele Dinge des Lebens finden.
„Marianengraben“ von Jasmin Schreiber ist ein Roman über das
Leben zu dem das Sterben dazugehört, ob absehbar oder unerwartet. Die Autorin
schreibt über Trauer und über Glücksmomente. Sie findet eine eigene Art, der
ergreifenden Erzählung an manchen Stellen einen heiteren Ton zu geben, der dem
Roman eine gewisse Leichtigkeit verleiht und immer wieder über die berührenden
und schmerzlichen Geschehnisse hinweg Fröhlichkeit einkehren lässt. Sehr gerne
vergebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung.